Stadtrats-Adventskalender, Folge 19
Im Jahr 2012 gibt es keinen Adventskalender mehr, den es nicht gibt: sexy Adventskalender, Tee-Adventskalender, Software-Adventskalender und sogar Mathe-Adventskalender haben es auf den Markt geschafft. Auch mit schlechten Mathe-Künsten können sich die Regensburger Stadträte ausrechnen, dass ihnen irgendwann ein Türchen im Stadtrats-Adventskalender von Regensburg Digital geöffnet wird. Ausgerechnet heute dabei: Richard Spieß, die LINKE, und Klaus Rappert, SPD.
Richard Spieß, beinharter Beißer
Dass er aus dem „Wald“ kommt, merkt man Richard Spieß allenfalls noch an seinem dialektalen Einschlag an. In Freyung, wo er seine Schule abgeschlossen hat, dürfte jemand wie er ungewöhnlich sein. Allein seine Parteizugehörigkeit ist für seine Herkunft ungewöhnlich: Der Bayerische Wald ist ein „schwarzes Nest“, ein Linker gilt da schon als Sonderling. Und dann kommt ja der Abschuss: Richard Spieß raucht nicht (mehr); das geht ja noch, schlimmer dürfte da wohl sein, dass er keinen Alkohol trinkt und – unvorstellbar und für manchen fast schon unverzeihlich! – nicht mal Fleisch isst.
Trotzdem hinterlässt Richard Spieß den Eindruck eines gestandenen bayerischen Politikers. Seit seinem Einzug in den Stadtrat hat sich Richard Spieß in der Riege der Stadträte etabliert. Natürlich musste auch er sich mit Vorurteilen rumschlagen – Kommunist, DDR-Nachfolgepartei, undemokratisch, verfassungsfeindlich, blabla… Doch das scheint ihn nicht im Mindesten zu verunsichern, sondern eher noch anzuspornen.
Als einer von wahrscheinlich sehr wenigen Stadträten hat er den Haushalt der Stadt komplett gelesen. Als einer von wahrscheinlich noch weniger Stadträten kennt er die Vorschriften und Normen für Prallwände, wie sie in der Turnhalle des Goethe-Gymnasiums erneuert werden mussten und diskutiert so auch mal schnell einen vermeintlich geviften CSUler in die Sprachlosigkeit.
So viel Engagement bleibt nicht unbemerkt: Völlig unerwartet lässt ihm ausgerechnet Oberbürgermeister Hans Schaidinger, der Anti-Linke schlechthin, das Lob zuteilwerden, dass ihn schätze und ihn für einen Mann halte, der sich auf dem Boden der Tatsachen bewegt. Huch, was war denn da los? Und muss man sich als Angehöriger der LINKEN nicht eigentlich eher Sorgen machen, wenn man bei Hans Schaidinger lobend Erwähnung findet? Aber wahrscheinlich hat der Oberbürgermeister einfach nur ein untrügliches Gespür dafür, wer als Gegner interessant sein könnte.
In Sachen Fleiß und Sachkunde ist Spieß vielen seiner Stadtratskollegen jedenfalls überlegen. Aber harte Arbeit ist es gewohnt: Der gelernte Schlosser hat schon die dreckigsten Jobs gemacht: Eisenflechten unter brennender Sonne beispielsweise. Als er von diesem Knochenjob bei einer Veranstaltung mit BWL-Studenten erzählte, überraschte er diese mit einer simplen Antwort. Den Studenten, die sich klischeehaft schon vor der Zwischenprüfung auf dem Chef-Sessel wähnten, konnten nicht so ganz verstehen, wie man einen Menschen dazu bewegt, eine solche Arbeit zu erledigen. „Da hab ich ihnen ganz einfach gesagt: mit Geld!“, erzählt Spieß von dieser Begegnung. Man habe ihm immer mehr geboten, bis er zugesagt hat. Der Legende nach sollen die Studenten bei dieser Geschichte kurzzeitig in eine Schockstarre verfallen sein.
Und schon ist man bei Spieß‘ politischen Ambitionen. Er ist ein Linker mit allem Drum und Dran. Gerechte Bezahlung für echte Arbeit. Eisenflechten ist halt kein 1-Euro-Job, auch wenn es in manchen Kreisen heute gerne so gesehen würde. Geht es im Stadtrat um Hartz IV und darum, dass das laut Schaidinger ja eine wahre Großtat von Gerhard Schröder gewesen sei, lässt er es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass „Hartz IV das größte Verarmungsprogramm“ in Nachkriegsdeutschland war. Den Grund, warum sich linke Ideen nicht besser verbreiten, sieht er in den Medien: Die seien in Kapital-Hand und werden natürlich den Teufel tun und gegen ihre eigenen Herren anschreiben.
Politik bedeutet für ihn nicht nur, die richtige Idee zu haben, sondern sie auch richtig zu platzieren. Eins seiner Herzensthemen, das Sozialticket, ist wohl eine dieser Ideen, die nach dem Motto „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ vor sich hin schmoren.
Bis sich die Ideen des Richard Spieß durchsetzen, wird wohl noch einiges Wasser die Donau hinunterfließen. Bis dahin muss er weiterhin schuften. Und auch die Politik kann mal ganz handfest anstrengend werden. Beispielsweise dann, wenn man in einem bröckelnden Kreisverband unterwegs ist und sich nicht genügend Leute finden, die beim Wahlkampf helfen. Dann muss man – nein, dann muss Richard Spieß schon mal den ganzen Landkreis alleine plakatieren, wenn eine Bundestagswahl ansteht.
Für die kommenden zwei Jahre darf Spieß sich schon mal einen großen Eimer Leim zulegen: Bundestags- und Landtagswahl im Herbst 2013, Kommunalwahl im März 2014. Als Oberbürgermeister will er auch kandidieren. Nicht, weil er damit rechnen würde, Hans Schaidinger zu beerben; sondern weil er mitdiskutieren will auf den Podien, die der Wahl vorausgehen.
Ein politischer Gegner aus der Anfangszeit der Linken sprach über ihn öfter mal als „das Frettchen“. Das war nicht nett gemeint, passt aber irgendwie. Beide sind eher klein, wendig und ein wenig bissig. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Schließlich muss man sich auch in der Politik oft durchbeißen.
Klaus Rappert, der Brave
Klaus Rappert ist ein braver Mann. Zudem ein braver Sozialdemokrat und ein braver Stadtrat. Ohne große Show wandelt er durch die Welt und die Politik, meist mit einem unaufdringlichen Lächeln im Gesicht. Bei seinem Einzug in den Stadtrat ist ihm vor allem das Glück zu Hilfe gekommen. Das Wahlergebnis der SPD war bekanntlich schlecht, gereicht hat es nur für die ersten elf Listenplatzinhaber. Da war Rappert nicht dabei, aber mittendrin überlegte sich Tonio Walter, dass er lieber seinen Studenten als der Regensburger Bevölkerung zur Verfügung steht. Klaus Rappert rückte nach.
Mit dem Richter am Landgericht (mittlerweile hauptamtlicher Arbeitsgemeinschaftsleiter für Rechtsreferendare) erhielt sich die SPD ihren Fraktions-Juristen. Anders als Walter ist Rappert keine schillernde Figur, kein Karrierist, der Politik und Juristerei gegeneinander abwägt. Ambitionen wie Walter, der OB werden wollte, sind bei Rappert nicht erkennbar. Er lächelt zufrieden und um die bevorstehende Aussichtslosigkeit wissend, wenn er auf einem hinteren Listenplatz für den Landtag kandidiert.
Überdies ist er aber auch kein Keil, der sich zwischen Wild und Wolbergs drängen würde. Er steht seiner Partei zur Verfügung, ist Vorsitzender des Regensburger Arbeitskreises sozialdemokratischer Juristen (ASJ), zeigt sich im Schlepptau von Margit Wild beim Protestcamp der Flüchtlinge, sucht Sponsoren für eine Uhr am Arnulfsplatz und gibt sich als Stimme des Stadtnordens: Er hat den Schulförderverein Sallerner Berg mitbegründet, ist stellvertretender Vorsitzender des Bürgervereins Regensburg Nord und Revisor der Siedler- und Eigenheimervereinigung, kämpft gegen schmutzige Kalkbrennöfen und verteilt Busfahrpläne.
Im Stadtrat zählt er nicht zu den Rädelsführern der Fraktion, im Stadtverband hat er es mittlerweile aber sogar zum stellvertretenden Vorsitzenden gebracht, was immerhin zu der beruhigenden Erkenntnis führt: Man muss nicht immer Bazi sein. Auch ein braver Mann kann noch was werden. Zumindest in der SPD, zumindest hin und wieder, zumindest ein bisschen was.