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Kampf der Kulturen im Tennisheim

Im Regensburger Turmtheater geht es um die Wurst

Obwohl Vielfalt insbesondere im kulinarischen Bereich oft als Bereicherung gepriesen wird, kann sie auch Herausforderungen mit sich bringen. Diese treten beispielsweise bei Familien-, Vereins- oder Firmenfeiern auf, wenn die unterschiedlichen Essgewohnheiten und -vorschriften, die religiöse, weltanschauliche, ethische oder medizinische Hintergründe haben, unter einen Hut gebracht werden müssen. In der im Turmtheater inszenierten Komödie „Extrawurst“ von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob aus dem Jahr 2019 eskalieren die Auseinandersetzungen in einem Tennisverein über die Anschaffung eines neuen Grills zu einem regelrechten Kulturkampf.

Von links: Matthias (Johannes Aichinger), Melanie (Heike Ternes), Heribert (Georg Lorenz), Erol (Ali Raki-Turp) Thorsten (János Kapitány) treffen sich zur Ordentlichen Jahres-Haupt-Mitgliederversammlung im Tennisheim. Foto: Dieter Popp.

Alles sieht nach einer gewöhnlichen Jahresmitgliederversammlung im deutschen Vereinsmeierland aus. Vorstandsvorsitzende Heribert (Georg Lorenz) hechelt die Tagesordnungspunkte hindurch und will die Versammlung schon schließen, um sich dem Büfett zu widmen. Da wird er an die noch offene Frage der Anschaffung eines neuen Vereinsgrills erinnert.

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Auch das scheint eine schnell beschlossene Sache, da meldet sich das besonders woke Tennissternchen Melanie (Heike Ternes) zu Wort, das der Meinung ist, dass ein neuer Grill aus Rücksicht auf ihren türkisch-muslimischen Doppelpartner Erol (Ali Raki-Turp) nicht ausreicht; ein weiterer müsse angeschafft werden, da der Islam es Erol nicht erlaube, seine Wurst neben die Schweinewurst der christlich geprägten Vereinsmitglieder zu legen.

Handgreiflichkeiten auf der Bühne

Dieses Anliegen trifft neben praktischen Gegenargumenten auf den fundamentalen Widerstand von Matthias (Johannes Aichinger), der viel Mühe in das Projekt der Anschaffung eines neuen Grills investiert hat. Er will keinen zweiten Grill für Muslime, „weil es nicht zu unserer Kultur gehört“ und „wir es noch nie so gemacht haben“. Matthias äußert diverse Vorwürfe gegen die türkische Community und es entfährt ihm sogar, der Islam sei „eine bescheuerte Religion“.

Thorsten (János Kapitány), der zunächst politisch korrekte Werbetexter und Melanies Ehemann, kann das nicht hinnehmen. Er kritisiert Matthias’ „rechtes Gelaber“, das an Pegida und AfD erinnere, und betont, dass man auch auf die Sprache achten müsse. Doch bald packt ihn die Eifersucht auf Erol. Im Verlauf des Stücks werden Nazi-Vorwürfe laut, es kommt zu Handgreiflichkeiten auf der Bühne, bei denen die Schauspieler stuntmäßig zu Boden fallen.

Keine Tabus und Sprechverbote

Der anfangs trotz Ischias noch durchsetzungsstark erscheinende Vereinsvorsitzende Heribert bemerkt, dass er den Verein nicht mehr steuern kann wie früher, wirft das Handtuch und tritt zurück. Einzelne Vorstandsmitglieder verlassen immer wieder den als Vereinslokal fungierenden Theaterraum, am Ende endgültig, und die Zuschauer werden aufgefordert, den Verein zu übernehmen und es besser zu machen.

Jacobs und Netenjakob kennen keine Tabus und Sprechverbote, vieles, was aus den hitzigen Diskussionen um Islam, Rechtspopulismus, Einwanderung, multikulturelle Gesellschaft, Rassismus, Demokratie, Minderheitenschutz und Identitätspolitik bekannt ist, wird im Tennisvereinslokal angesprochen. Selbst die unerwartete Wendung, dass Erol die deutsche Einwanderungspolitik der vergangenen Jahrzehnte kritisiert, die Deutschland zu einer „Oase von Spinnern und Schmarotzern“ gemacht habe, was dem Ausländer den Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit einbringt, hat man so oder so ähnlich als Konstellation schon mal erlebt.

Auch das Publikum wird befragt

Der Anlass wirkt grotesk, aber die Diskussionen sind gar nicht so unrealistisch, wie in der Pause von Zuschauern bemerkt wird. Man befindet sich in einer Komödie, die nicht nur unterhalten will, sondern auch aufrütteln. Auch das Publikum wird befragt, ob es für einen zweiten Grill für Erol ist.

Der öffentliche Gesinnungstest führt bei der Premiere in Regensburg am Samstag zum Ergebnis, dass es den zweiten Grill geben soll, obwohl Erol zu Beginn beschwichtigte, dieser sei unnötig. Aber auch der Zuschauerentscheid kann in der Regensburger Inszenierung den Konflikt nicht lösen, da wie zuvor schon immer weitere Bedenken, Gegenargumente und verletzte Gefühle die typisch deutsche Grundsatzdebatte geradezu tragikomisch am Kochen halten.

Matthias (Johannes Aichinger, links) und Thorsten (János Kapitány, rechts) geraten aneinander, Heribert (Georg Lorenz) und Erol (Ali Raki-Turp) versuchen dazwischenzugehen. Melanie (Heike Ternes) hält sich im Hintergrund. Foto: Dieter Popp.

Katharina Claudia Dobner als Ausstatterin zaubert mit wenigen Mitteln ein Tennis-Vereinslokal auf die Bühne, der Dress der Schauspieler hätte allerdings noch mehr auf das bürgerliche Tennismilieu hinweisen können. Immerhin sind die Tennissocken von Heribert in den Sandalen hochgradig komisch.

Wenn sich aufgestauten Probleme nicht mehr konsensual lösen lassen

Die Schauspieler stehen vor der Schwierigkeit, dass ihre Rollen auch Positionswechsel vollziehen und verschiedene Seiten zeigen, was bravourös gemeistert wird. Die Entwicklung und Eskalation der zunächst schnell abmoderierbar erscheinenden Debatte wird in der witzigen und temporeichen Inszenierung von Regisseur Markus Bartl überzeugend rübergebracht.

Ob Deutschland einst zerfällt wie der in einem fiktiven Oberpfälzer Ort angesiedelte Tennisverein, weil sich die aufgestauten Probleme nicht mehr konsensual lösen lassen, ist die ernstere Frage, die die Zuschauer, die sich nach der Aufführung wie der Vereinsvorstand in alle Winde zerstreuen, beschäftigen mag.

Die Theaterkomödie „Extrawurst“ wird noch bis 22. August 2024 im Turmtheater aufgeführt.

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Kommentare (1)

  • Hthik

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    Hört sich interessant an. Eine Melange aus “Guter Mensch von Sezuan” und Loriot’s “Kosakenzipfel”. Ich vermeine sogar einen Hauch der Debattenkultur aus rd zu verspüren.

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Kommentare sind deaktiviert

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