„Ich geh halt selber saugern ins Kino.“
Über 50 Filme, drei Kinos, eine Woche lang – nach zwei kargen Corona-Jahren startet das Transit Filmfest heuer zum ersten Mal richtig durch. Wir haben mit Festvalleiterin Chrissy Grundl über die Filmauswahl gesprochen, die Zukunft des Kinos und darüber, wie man so ein Festival überhaupt finanziert.
Wie findet man die Mockumentary eines philippinischen Regisseurs aus dem Jahr 1978 über den Versuch, eine Weltraumstation in einem bayerischen Dorf zu bauen? Und wie kommt man darauf, den in Regensburg zu zeigen?
Mei, das ist halt viel Recherche. Viel reden. Viel diskutieren. Und manchmal braucht man auch ein wenig Glück.
Wir fangen immer ungefähr ein Jahr vor dem nächsten Festival damit an, uns Gedanken über das Programm zu machen. Da verfassen wir eine Art Kampfschrift, wo wir uns überlegen, was gerade relevant ist und was uns als Menschen und als Gesellschaft bewegt. Diese diffusen Gefühle brechen wir dann auf ein paar Ideen runter.
Dann kommen relativ schnell unsere Grafikerinnen ins Spiel. Die müssen dann mit unserem Gefasel irgendwas anfangen und es in Bilder fassen, damit die Leute checken, was wir meinen. Das hilft uns dann wiederum, zu kapieren, was wir selber eigentlich meinen. Und dann geht die Sichtungsphase los.
Wir fangen da bei der Berlinale an und suchen fast ein Jahr lang Filme für dieses Überthema. Dann geht der Auswahlprozess los. Ganz zum Schluss schreiben wir das Editorial anhand der Filme, die wir haben. Und ich finde, das haben wir echt ganz geil geschafft dieses Jahr.
2019 habt ihr das Heimspiel-Festival nach zehn Jahren langsam ins Transit Filmfest überführt. Dann hat euch Corona zwei Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Heuer gebt ihr mit 50 Filmen in drei Kinos es zum ersten Mal richtig Vollgas. Aber was ist eigentlich der Markenkern vom Transit? Das ist schwer zu greifen.
Das fragen die Leute immer wieder. Und da denke ich auch immer wieder drüber nach, allein schon, weil man mit einem klaren Markenkern leichter an Fördergelder ran käme. „Filme zur Zeit“, würde ich es vielleicht nennen.
Wir schauen, was gerade in der Welt passiert und wie man es künstlerisch runterbrechen kann. Für 2020 hatten wir uns ja das Thema Utopien/Dystopien ausgesucht. Und dann kam, eine interessante Korrelation, Corona.
Heuer geht es um liminale Phasen. Übergänge, Schwellenzustände in denen die Welt gerade steckt und die Tatsache, dass alles miteinander verbunden ist. Etwas, das hier passiert, hat Auswirkungen woanders. Deshalb sieht unser Artwork auch wie eine Art U-Bahn-Netz aus. Und das ist auch die verbindende Klammer bei unserer Filmauswahl.
Zugegeben: Das ein abstrakter, etwas verkopfter, theoretischer Gedanke. Aber so sind wir halt auch.
Reden wir mal konkret über euer Programm. Ihr habt drei Bereiche.
Ja. Die Hauptsektion, die genau so heißt wie unser Festival: „It’s a liminal world.“ Dort versuchen wir, in Filmen zu zeigen, dass verschiedene Orte, Menschen, Dinge und auch Ideen auf der ganzen Welt miteinander verbunden sind. Verschiedene Schwellenphasen, verschiedene Lebensabschnitte: Coming of Age, Sterben, Zwischenphasen des Lebens. Und das ganze international. Ich denke wir haben mit diesem Programm alle Erdteile abgedeckt.
In der zweiten Sektion widmen wir uns dem kulturellen Jahresthema der Stadt, Zwischentöne. Das sind Filme von Musikerinnen, über Musikerinnen, Musicals oder Filme, die Musik als besonderes Element haben. Innerhalb dieser Zwischentöne-Sektion haben wir dann noch einen „Long Shorts“-Slot: Filme mit einer Länge zwischen 20 und 40 Minuten. Das ist immer mehr im Kommen. Das wollten wir auch mal zeigen.
Der Film, den ich am Anfang angesprochen habe (Who Inventend the Yo-Yo? Who Inventend the Moon Buggy?) stammt aus der historischen Sektion „La deutsche Vita“. Wie hängt das mit eurem diesjährigen Motto zusammen?
In der Retrospektive wollten wir nach hinten schauen, um Gegebenheiten und deutsche Befindlichkeiten in der Gegenwart zu erklären. Fremd- und Selbstbilder nach dem II. Weltkrieg. Und ich finde, da sieht man am besten, was wir kuratorisch so drauf haben.
Inwiefern?
Wir versuchen eigentlich immer und ohne dass wir das an die große Glocke hängen, Perspektiven zu finden, die nicht so bekannt sind, die nicht nur von der Nordhalbkugel kommen und die nicht nur von der weißen Oberschicht gemacht worden sind. Gerade bei einer historischen Sektion ist das gar nicht so einfach. Aber das haben wir heuer wieder richtig gut hingekriegt.
Na dann erzähl mal.
„Germania anno zero“ von Roberto Rosselini ist noch ein klassischer Startpunkt – das ist im Grunde der Trümmerfilm. Dann zeigen wir von Kurt Hoffmann „Wir Wunderkinder“. Ein Film der schon damals, 1958, kritisch auf das Wirtschaftswunder geschaut hat. Das ist bei solchen Heimatfilmen normalerweise ja überhaupt nicht der Fall. Aber es gab auch damals schon Subversives – man muss es nur ausgraben und den Leuten zeigen. Und schließlich zeigen wir „One, Two, Three“ von Billy Wilder. Das war es aber dann mit den „Klassikern“.
Mit „They call it love“ von King Ampaw zeigen wir praktisch den ersten Film, der von einem afrikanischen Filmemacher in Deutschland gemacht wurde. King Ampaw hat zusammen mit Wim Wenders und Werner Herzog studiert und dieser Film, der wirklich wunderbar ist, wurde einfach verschluckt von der Filmgeschichte.
Wie kommt man dann an so einen Film?
Wir hocken echt viel zusammen und reden über Filme. Und dann braucht man auch ein bisschen Glück, um sie zu kriegen. Manche Filme gibt es nicht digitalisiert. Die liegen in irgendwelche Archiven. Und als Transit-Festival sind wir noch nicht bekannt genug und haben noch nicht das Standing, dass uns die sofort ausgehändigt werden. Manchmal ist es einfach auch viel zu teuer. Das ist dann viel Überzeugungsarbeit.
Erfolgreiche Überzeugungsarbeit scheint ihr aber auch bei einigen Gästen geleistet zu haben. Unter anderem kommt mit Jeanine Meerapfel die Präsidentin der Berliner Akademie der Künste.
Wir zeigen von ihr in der Retrospektive den Film „Im Land meiner Eltern“ und klar freut es mich, wenn so eine Grande Dame unter den deutschen Regisseurinnen zur Diskussion nach Regensburg kommt. Wir sind aber auch super happy, dass wir die Regisseurin von „Ekmek Parasi – Geld fürs Brot“ hier in Regensburg haben werden – und dass wir sie überhaupt gefunden haben.
Über den Film sind wir bei den Frauenfilmtagen in Frankfurt gestolpert. Es ist eine Doku aus den frühen 90ern über türkische Arbeiterinnen in einer Fischfabrik. Die hat mich umgehauen. Es passiert nicht viel, aber wie nah die Regisseurin bei den Frauen war und deren Alltag beschreibt – das ist übel und unglaublich beeindruckend. Die Regisseurin Serap Berrakkarasu macht schon lange keine Filme mehr, aber wir haben recherchiert und herausgefunden, dass sie jetzt in der Jugendmigrationsarbeit irgendwo bei Lübeck tätig ist.
Das klingt jetzt alles sehr begeistert. Aber volle Säle werdet ihr da nicht bei jedem Film haben…
Natürlich nicht. Die Filme, die wir zeigen, sind halt nicht nur Publikumsmagneten. Aber deswegen machen wir das ja nicht. Wir wollen den Leuten was Interessantes zeigen, etwas Abseitiges, Wichtiges – was man halt sonst nicht sehen kann. Und über Eintrittsgelder könnten wir selbst bei durchweg ausverkauften Filmen kein solches Festival finanzieren.
Wie finanziert ihr das überhaupt? Über 50 Filme binnen einer Woche – das ist ja schon relativ groß. Das Internationale Filmfestival in Mannheim, wo Sascha Keilholz vom Heimspiel mittlerweile arbeitet, zeigt ja nicht recht viel mehr.
Zum einen arbeiten wir alle ehrenamtlich. Und es fühlt sich langsam auch ein bisschen komisch an, wenn man Leuten sagen muss, dass man dafür kein Geld sieht. Ich hoffe, dass wir das noch alle lange genug durchhalten, bis das Transit auf sicheren Beinen steht.
So weit ich das überblicke, gehören wir zu den wenigen Festivals in der Stadt, die keine sichere Förderung bekommen, bei der wir uns jedes Jahr darauf verlassen können.
Wenn ich einen Förderantrag für eine historische Reihe stelle, dann gibt es vielleicht mal 2.000 Euro von der Uni. Wir kriegen Geld über Projektförderung vom Kulturamt, die aber jedes Jahr beantragt werden muss und von der Haushaltslage abhängt – das können mal 5.000 und mal 10.000 Euro sein. Und wir haben die Sparkasse, die uns bisher als Sponsor immer treu geblieben ist.
Heuer haben wir dann noch wegen Corona 5.000 Euro Förderung zur Wiederbelebung von Innenstädten bekommen und haben deshalb eine nie dagewesene Werbepräsenz. Und auf den Vorschlag von Stadträtin Kerstin Radler haben wir heuer 20.000 Euro Kulturförderung vom Digitalministerium erhalten. So gut waren wir bisher nie aufgestellt.
Wir müssen uns perspektivisch irgendwas überlegen, weil wenn man die komplette Freizeit da reinsteckt, kein Geld bekommt und dann noch jedes Jahr bibbern muss, ist schon irgendwie ein bissl blöd.
Nach Corona beklagen ja nicht nur Kinobetreiber, dass viel zu wenig Leute zu Kulturveranstaltungen kommen. Machst du dir Sorgen, dass es langsam vorbei ist mit Kinos und Filmfestivals?
Da gibt es zwei Lager. Die einen sagen, man muss sich langsam, aber sicher mit der Tatsache abfinden, dass dieses Medium Kino nicht mehr das ist, was es mal war, dass es sich krass dezimieren wird und umformen muss. Fast schon eine Art Musealisierung.
Gleichzeitig ist es aber immer noch so – und ich habe mal bei einem Filmverleiher gearbeitet – dass die Filme, die produziert werden, in aller Regel immer noch über den Verwertungsweg Kino gehen. Klar gibt es Netflix-Produktionen und Sachen, die für Video on Demand produziert werden, aber die normale Produktionskette im deutschen und europäischen Arthouse-Bereich braucht immer noch Festivals und das Kino als Verwertungsort. Alle Förderungen und das ganze Marketing sind darauf ausgelegt. Bis sich da etwas ändern wird, gibt es auf jeden Fall noch eine Galgenfrist.
Das klingt ein wenig nach Zwangsoptimismus…
Vielleicht. Aber ich kenne viele Leute, die saugern ins Kino gehen und ich gehe selber saugern ins Kino. Deshalb bin eigentlich davon überzeugt, dass es diesen Ort weiterhin geben wird. Du wirst gemeinsam mit anderen Leuten in eine Situation geworfen, teilst Gefühle miteinander, richtest deine ganze Aufmerksamkeit in Ruhe darauf und kannst nicht mal schnell aufs Handy schauen oder dich ablenken wie zuhause. Nachher diskutierst du vielleicht noch mit den Leuten.
So eine kollektive Erfahrung ist genau das Gegenteil dessen, wohin sich unsere Welt und der Alltag immer stärker hin entwickeln. Und ich kann mir vorstellen, dass da auch eine Sehnsucht nach diesem Gefühl kommt – gemeinsam rausgehen ins Kino und sich einen Film anschauen.
Dafür muss man den Leuten nach Corona nur wieder ein bisschen Zeit geben. Man entwöhnt sich schnell von etwas und man gewöhnt sich an fast alles. Ich kann mich immer noch nicht so richtig mit einer größeren Gruppe unterhalten, weil ich da gar nicht mehr geübt bin. Ich traue den Leuten zu, dass sie wieder reinkommen in einen anderen Modus.
Hier geht es zur Homepage vom Transit Filmfest.
Hier geht es zum Youtube-Kanal.
Jens
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Und ich mag halt zuschaun und zuhörn statt “saugern”. Nur selber staubsaugern , da ziehts mich närrisch ins Kino … (@Artikeltitel „Ich geh halt selber saugern ins Kino.“ ) Und Sie – schon selber gesaugert?