Holzverzuckerung: einer der größten kriegswichtigen NS-Betriebe Regensburgs
Im Rahmen des städtischen Gedenkmarsches am 23. April soll auch heuer an alle Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden. Der Anspruch: Zeichen setzen für eine lebendige und gelebte Gedenk- und Erinnerungskultur und „sich gegen jede Art von Faschismus zu stellen“. Der folgende Überblicksartikel zu einem der größten kriegswichtigen NS-Betriebe Regensburgs, der Süddeutschen Holzverzuckerung AG (Südholag), will einen kleinen Beitrag zur Aufarbeitung leisten. Denn Gedenken und Erinnern setzt Aufarbeitung voraus.
Das weitläufig umzäunte Gelände mit den Backsteingebäuden und dem Betonturm zwischen Regensburg Schwabelweis und Tegernheim mag vielen als Chemie- und Pharmastandort bekannt sein. Auch dass dort eine erhebliche, wenngleich bis heute nicht wirklich aufgearbeitete Altlastenproblematik besteht, ist kein Geheimnis. Dass sich dort einer der größten kriegswichtigen NS-Betriebe Regensburg befunden hat, weiß hingegen kaum jemand.
Obwohl im Jahre 2003 auf die Initiative der Arbeitsgemeinschaft für ehemalige ZwangsarbeiterInnen (EBW) hin mehrere Zwangsarbeiter der Süddeutschen Holzverzuckerung AG (Südholag) nach Regensburg eingeladen wurden, ist die Geschichte des ehemaligen NS-Betriebes weitgehend unbekannt und wurde bislang nicht aufgearbeitet. Als Arbeitsbeschaffungsprojekt der NS-Stadtverwaltung Regensburgs 1933 geplant, wurde die Südholag 1937 von profitorientierten Investoren gegründet: darunter das Haus Thurn und Taxis und die Regensburger Baufirma Riepl.
Stadt kaufte Grundstücke 1937 und gab sie vergünstigt weiter
Die nach langer Suche ausgewählten Grundstücke wurden im September 1937 unter NS-Bürgermeister Hans Herrmann in Schwabelweis zunächst erworben, erschlossen und als neues Firmengelände vergünstigt an die Südholag verkauft. Betriebserweiterungen im angrenzenden Tegernheim folgten. Erst im Jahr 1941 konnte dort, in der Donaustaufer Straße 378, die als kriegswichtig eingestufte Produktion von Hefe-Viehfutter auf der Basis von Holz aufgenommen werden.
Neben deutschen Angestellten in der Verwaltung und der Betriebsführung mussten dort rund 1.100 namentlich bekannte Personen aus über einem Dutzend Ländern unter Nazi-Herrschaft Zwangsarbeit leisten und in erbärmlichen Firmenbaracken hausen. Nach der Zerschlagung des NS-Regimes wurde das Firmenareal zwischengenutzt, bis es aufgrund eines strittigen Gerichtsurteils 1952 der Chemischen Fabrik von Heyden zugesprochen, die es danach zur Herstellung von Pharmaprodukten nutzte.
Nach weiteren Auf- und Verkäufen und darauffolgenden Insolvenzen wird heute nur noch ein Teil des ehemaligen Firmengeländes zur Pharmaproduktion genutzt. Viele Pläne zur Nutzung des Areals sind zuletzt gescheitert, „erhebliche Altlastenproblematiken sowie aus der Historie erklärbare infrastrukturelle Rahmenbedingungen erschweren die weitere Entwicklung des Gesamtareals“, hieß es in einem Bericht der Stadt Regensburg von 2017.
Kriegswichtig: Viehfutter aus Hefe und Holz
Die Anfänge der technischen Erzeugung von Zucker aus Holz reichen ins 19. Jahrhundert zurück. Einer der Hauptbestandteile von Holz, die Cellulose, wird dafür in einem chemisch-technischen Verfahren in eine zuckerhaltige Lösung umgewandelt. Diese mit Nebenprodukten stark verunreinigte Zuckerlösung kann dann vielfältig weiterverarbeitet werden, etwa zu Traubenzucker, zu Hefeprodukten oder durch Vergärung zu Alkohol (Holzsprit).
Für das Regensburger Holzverzuckerungswerk war lange unklar, welches Produkt dort aus Holz gewonnen werden soll. Letztendlich wurde dies von den kriegsvorbereitenden Stäben der nationalsozialistischen Vier-Jahresplan-Behörde Ende Jahre 1936 entschieden: die Wahl fiel auf Hefeprodukte als Viehfutter. Hierzu wurde die aus Holz gewonnene Zuckerlösung mit Hefekulturen versetzt. Nach der Reinigung und Trocknung wurden die festen Hefeprodukte an die Wehrmacht geliefert. Mit Abnahmegarantie und zu vorab zugesagten Preisen.
Das Regensburger Holzverzuckerungswerk diente also primär der Kriegsertüchtigung. Es wurde jenseits aller wirtschaftlichen Kalkulationen und Rentabilität aus dem Boden gestampft. In diesem Kontext zogen vor allem der nationalsozialistische Betriebsführer, Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder enorme Vergütungen und Prestige aus dem kriegswichtigen Projekt, das rund 1.100 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter der Ägide einer Vielzahl deutscher Meister ausbeutete.
Entstehung des Werks bisher nur ansatzweise bearbeitet
Die Entstehung und der Aufbau des Werkes wurden bislang nur ansatzweise von Helmut Halter (Stadt unterm Hakenkreuz, 1994) bearbeitet. Das persönliche Los von zwei polnischen Zwangsarbeitern hat der Journalist Thomas Muggenthaler auf Basis von Interviews in einem Sammelband (Begegnungen mit ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, 2003) eindringlich beschrieben. Das knapp eine Seite lange Kapitel Holzverzuckerungswerk in einem vom Stadtarchiv herausgegebener Band (Zwangsarbeit, Roman Smolorz 2003) hingegen bringt statt neuer Erkenntnisse nur Irreführendes.
Gleichwohl betonte der damalige Oberbürgermeister Hans Schaidinger 2003 anlässlich des Besuchs von zwei Zwangsarbeitern im Rathaus die Wichtigkeit ihrer Kontakte zur Stadt und sah darin „einen bedeutenden Beitrag zur Normalisierung der Beziehungen“. Dabei blieb es dann. Das Thema Holzverzuckerungswerk verschwand wieder, wie die Domtürme im Herbstnebel.
Die Losung: Futtermittel aus Holz
Die Idee, ein Holzverzuckerungswerk im waldreichen bayerischen Osten zu errichten, gab es schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Der einstige Regierungspräsident von Niederbayern und Oberpfalz, Heinrich Wirschinger, setzte sich bereits im Januar 1932 dafür ein, dass im Bayerischen Wald eine solche Anlage errichtet wird. „Die Ostmark“ leide bittere Not, als „Grenzmark gegen die Tschechei“ und wegen ihrer Bedeutung für das deutsche Volkstum und für die deutsche Kultur böten sich die wald- und wasserreiche Oberpfalz und das angrenzende Niederbayern für „Holzzuckeranlagen“ an, so Wirschinger. Futtermittel aus Holz, hieß schon damals die Losung.
Auch die nationalsozialistische Stadtverwaltung Regensburgs unter Nazi-Bürgermeister Otto Schottenheim und dem Verwaltungschef Hans Herrmann interessierte sich bald nach der Machtübernahme für die Gewinnung von Zucker aus Holz. Zunächst zur Arbeitsbeschaffung und Industrieansiedlung in Regensburg.
Langwierige Verhandlungen
Zu einer wegweisenden Besprechung der Thematik trafen sich im November 1933 im Rathaus neben Schottenheim und Hermann auch interessierte Investoren: unter anderem der Vertreter eines Finanziers aus London und „als Vertreter der Fürstlich Thurn und Taxis´schen Verwaltung“ der Freiherr von Schirnding. Das Haus Thurn und Taxis war (wie bei vielen anderen NS-Bauvorhaben) nicht nur als Grundbesitzer an einem Holzverzuckerungswerk interessiert, sondern auch als Holzlieferant.
Wenn der aus dem Aktenstudium gewonnene Eindruck nicht trügt, handelt es sich bei der grundlegenden Einbindung von Thurn und Taxis ins geplante Holzverzuckerung-Projekt um so etwas wie eine kommunale Ehrensache, eine Regensburger Selbstverständlichkeit, die auf einer langen, scheinbar unverrückbaren Tradition beruht.
Doch eine Vielzahl von noch ausstehenden Entscheidungen waren strittig und wurden mehrfach revidiert: Welche Investoren und Holzlieferanten dürfen zum Zug kommen, welche NS-Behörden würden Gelder bereitstellen, welcher der möglichen Standorte wäre der beste, wer bekommt die Federführung (Stadt, Gau, Bayern oder Reich), welches der zwei relevanten chemisch-technischen Verfahren bekommt den Zuschlag und welches Produkt (Hefe, Zucker oder Sprit) soll produziert werden?
Protektion durch die Gauleitung
Im April 1934 kristallisierte sich heraus, dass das Münchner Bankhaus Eidenschink mit Unterstützung des Bankhauses Aufhäuser die Federführung bei der Finanzierung übernehmen würde. Als zeitgleich klar wurde, dass die Bayreuther Gauleitung die Protektion des Holzverzuckerungswerkes übernehmen wird, stellte NS-Oberbürgermeister Otto Schottenheim die städtischen Planungen und Vorarbeiten ein.
Über ein Jahr später, im Juli 1935, kommt es dann nach ehrgeizigen Rangeleien und braunem Kompetenzwirrwarr zur Gründung der Holzverzuckerungs-Gesellschaft mbH Regensburg. Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in der Hoppestraße 1, in der Wohnung ihres Geschäftsführers, des Glasgroßhändlers Hans Seitz, der von der Stadtverwaltung für alle diesbezüglichen Verhandlungen und Planungen bevollmächtigt wurde. Gegründet wurde sie, um die Beschaffung der Produktionsanlagen und Grundstücke abwickeln zu können. Zwei Jahre später, im Juni 1937 gründete man die Süddeutsche Holzverzuckerungswerke AG Regensburg (Südholag).
Exkurs: Vierjahres-Plan zur Minderung der Eiweißlücke
Die Entscheidung, die Holzverzuckerung in Regensburg als reichsweites Pilotprojekt mit großzügigen Reichskrediten zu fördern, fiel bald nachdem Adolf Hitler im Oktober 1936 Hermann Göring zum „Bevollmächtigten für den Vierjahresplan“ ernannte und die Vierjahresplan-Dienststellen ihre Arbeit aufnahmen. Ziel des Vierjahresplans war auch die beschleunigte Ausrüstung und die Minderung der Exportabhängigkeit, insbesondere für den längst geplanten Kriegsfall.
Neben der Erzeugung von synthetischen Ersatzstoffen wie beispielsweise für Treibstoffe (Leuna-Benzin) und Gummi (Buna-Kautschuk) planten Görings Stäbe auch den synthetischen Ersatz für das (hauptsächlich in Form von Sojabohnen) importierte Eiweiß. Man sprach von der deutschen Eiweißlücke, die es zu schließen oder zumindest zu vermindern gab. Als Mittel der Wahl sahen Experten in Wissenschaft und Stäben die Erzeugung von Eiweiß auf der Basis von Hefe. Als die wichtigsten Ausgangsrohstoffe für die Verhefung betrachteten sie: Holzzucker, Sulfitablaugen (Abfall bei der Zellstoffproduktion) und Molken.
Die lukrative Aussicht, aus organischen Reststoffen gewinnbringende Hefeprodukte als Nahrungsmittel zu gewinnen, spornte mehrere Firmen im Laufe des Krieges zu Erfindungen und Menschenversuchen an. Um beispielsweise das aus Zellstoff-Lauge gewonnene Produkt Sämig-Mark der Firma Bionahr zu testen, wurde im KZ Mauthausen Anfang 1944 ein Großversuch eingeleitet, um an 100.000 Gefangenen die Verträglichkeit und den Nährwert des Marks festzustellen.
Geplant war, dass dieses neuartige Nahrungsmittel danach zur Truppenverpflegung und Gemeinschaftsverpflegung der Wehrmacht genutzt wird. Bei diesen Ernährungsexperimenten starben etliche KZ-Häftlinge.
Regensburger Initiative fügte sich in NS-Pläne zur Kriegsertüchtigung
Die Regensburger Initiative für eine Holzverzuckerung kam zur rechten Zeit und fügte sich exakt in die Pläne zur nationalsozialistischen Kriegsertüchtigung ein. Am 4. November 1936 sagte der Leiter des Amts Rohstoffe und Devisenstoffe im Vierjahresplan-Stab dem Regensburger Oberbürgermeister Schottenheim einen Reichskredit in der Höhe von vier Millionen Reichsmark zu. Ende 1936 fiel auch die Entscheidung, in Regensburg Hefe nach dem Bergius-Verfahren herzustellen (benannt nach Friedrich Bergius, der 1931 den Chemie-Nobelpreisträger für seine Grundlagenforschung zur sogenannten Kohleverflüssigung bekam).
Doch die zu erwartenden Kosten stiegen weiter an, kurz darauf belief sich der bewilligte Zuschuss laut einer Notiz von Schottenheim auf sieben Millionen und im Jahr 1941 betrug die Höhe des vom Reich verbürgten Darlehens (R.B.-Vertrag) 14 Millionen Reichsmark. In Anlehnung an das in Mannheim seinerzeit erprobte Bergius-Verfahren und ausgestattet mit einer entsprechenden Lizenz sollte das größere Regensburger Werk im Rahmen des Vierjahresplans für die Eiweißversorgung einen bedeutsamen Beitrag leisten. So zumindest der Plan, der lange gar nicht und zuletzt nur eingeschränkt umgesetzt werden konnte.
Finanziers und örtliche Investoren
Das Regensburger Werk sollte laut den anfänglich mit Stolz verkündeten Planzielen rund 170 Arbeitsplätze schaffen und jährlich 120.000 Tonnen Ster Holz zu rund 100.000 Hektoliter Sprit oder 10.000 Tonnen Futterhefe verarbeiten können. Als Grundkapital der Südholag war anfangs eine Million Reichsmark vorgesehen, im Oktober 1937 erhöhte man dann auf eineinhalb und im Juni 1938 auf zwei Millionen. Weitere Erhöhungen des Grundkapitals wurden notwendig.
Von den vielen an Investitionen interessierten Banken und Geldgebern aus dem In- und Ausland kamen letztlich nur zehn zum Zug: darunter das von Anfang an beteiligte Haus Thurn und Taxis (150.000 RM) und die Deutsche Maizena G.m.bH. (100.000 RM); als örtlicher Investor trat die Baufirma Josef Riepl GmbH (100.000 RM) auf, aus Berlin die Hefe-Patent GmbH (150.000 RM); als Banken beteiligten sich die Münchner Bankhäuser Eidenschink (550.000 RM) und H. Aufhäuser (140.000 RM), dessen jüdische Eigentümer (Martin und Siegfried Aufhäuser) nach den Novemberpogromen 1938 ihr Eigentum durch „Arisierungen“ verloren und bald darauf Nazideutschland verließen.
Deutsches Reich übernimmt Aktien
Zum Jahresende 1939 wurde dann beschlossen, dass das Deutsche Reich alle Südholag-Aktien der Investoren übernimmt und sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat neu besetzt wird. Die aus Regensburg stammenden Mitglieder werden entlassen, darunter der Fürstl. Oberforstrat Max Fischer. Als neuer Betriebsleiter und Vorstand der Südholag kam 1940 der Chemiker Dr. Walter Strathmeyer nach Regensburg.
Zuvor war Strathmeyer beim I.G.-Farben-Konzern tätig und ab 1938 als Vorstand der Bergin Hydrolyse AG in Mannheim, die, wie erwähnt, als Lizenzgeber für die im Regensburger Werk angewandte Technik auftrat und von Professor Bergius gegründete wurde. Treuhänderisch verwaltet wurde die Südholag von der Deutschen Rentenbank.
Als das Deutsche Reich alle Aktien übernahm, waren die meisten der Gebäude des neuen Werks nicht über das Rohbau-Stadium hinausgekommen. Der komplett neue Aufbau der technischen Anlagen zur Holzverzuckerung dauerte viel länger als geplant, was nur zum Teil an den kriegsbedingten Engpässen und Schwierigkeiten lag.
Viele Probleme und dauernde Umweltbelastung
Ab Anfang 1940 konnte mit der Herstellung von Hefe aus (zugekaufter) Melasse begonnen werden, die eigentliche Verzuckerung von Holz startete in Regensburg erst Anfang 1941 mit der Inbetriebnahme der ersten Batterie, in der das getrocknete und zerkleinerte Holzmaterial mit konzentrierter Salzsäure versetzt und verzuckert wurde.
Mitte 1941 konnte eine zweite Säure-Batterie aus Arbeitskräftemangel zunächst nicht in Betrieb genommen werden, weitere Ausbaustufen blieben unvollendet. Strukturelle Probleme begleiteten den unausgereiften Herstellungsprozess bis zuletzt: Etwa bei der Produktion der Salzsäure vor Ort, oder die durch konzentrierte Salzsäure verursachten Korrosionsprobleme in den Batterien und immer wieder die aus undichten Rohrleitungen und Behältern austretende Säure, die eine enorme gesundheitliche Gefahr und Belastung für die in der Produktion Arbeitenden darstellte.
Ebenso ging von dem Werk über die ganze Betriebsdauer eine starke Umweltbelastung aus. Vor allem wegen der im Herstellungsprozess unweigerlich anfallenden Salzsäure und der hohen Hefebelastung in den Abwässern, die in die Donau geleitet wurden und wiederholt zu Fischsterben führte.
Bei Zuweisung von Zwangsarbeitern privilegiert
Arbeitskräftemangel war seit Kriegsbeginn 1939 symptomatisch und wurde zunehmend problematisch für nahezu alle Bereiche des nationalsozialistischen Deutschlands und seiner Wirtschaft. Nachdem die Südholag Anfang 1940 in Besitz des Reiches gelangte und unter die Treuhänderschaft der Deutschen Rentenbank gestellt wurde, kamen auch ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen in Werk.
Die ersten schon 1940 aus dem damaligen Protektorat Böhmen, auch aus den von den Deutschen überfallenen Ländern Polen und Frankreich. Im Jahr 1942 wurden rund 660 Arbeitsplätze verzeichnet, darunter laut einer Meldung an den Bezirk 140 Kriegsgefangene. Eine mehrfach erweiterte Barackensiedlung auf dem Gelände bot ihnen eine spärliche Unterkunft zu erbärmlichen Bedingungen.
Um die laut Vierjahres-Plan geforderte Hefe-Produktion erfüllen zu können, setzte sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Südholag und Präsident der Rentenbank Walter Granzow beispielsweise in Juni 1943 für zweierlei ein: Dass deutsche Arbeitskräfte nur abgezogen werden dürfen, wenn gleichwertiger Ersatz gestellt wird. Und, dass das Holzverzuckerungswerk bei Zuweisung von ausländischen Arbeitskräften bevorzugt behandelt wird, und „ohne Rangfolge in die gleiche Stufe wie Kohle, Mineralöl, Buna, Stickstoff und Hefe“ gestellt werde.
1.100 Zwangsarbeiter sind namentlich bekannt
Das Wort des SS-Obergruppenführers Granzow hatte Gewicht: Insgesamt wurden der Regensburger Südholag fast 1.100 Zwangsarbeiter zugewiesen. Dies geht aus den Namenlisten über die ehemaligen Arbeiter und Arbeiterinnen hervor, welche die Südholag im Mai 1947 auf Anordnung der Amerikanischen Militärregierung an die International Refugee Organization (IRO) senden mussten und die heute in Arolsen-Archives verwahrt werden.
Die meisten und jüngsten Zwangsarbeiter kamen aus Polen (470 Personen), darunter eine Vielzahl von 14-, 15- und 16jährigen Jungen und Mädchen, die im Werk Hilfsarbeiten erledigen mussten. So zum Beispiel Emilie Sobczewska, die als 14jährige im April 1944 nach Regensburg kam und bis Kriegsende als Hilfsarbeiterin bei der Südholag schuften musste. Die Zwangsarbeit überlebte Emilie (geb. 15. Januar 1930 in Krzemieniec, heute Ukraine), zusammen mit ihrer sechs Jahre älteren Schwester Maria.
Die Französinnen und Franzosen (280 Personen) bei der Südholag waren in der Regel volljährig. Ob neben den vom Vichy-Regime zum Arbeitseinsatz in Nazideutschland verpflichteten zivilen Arbeitern (Service du travail obligatoire, kurz STO) auch (entlassene) Kriegsgefangene bzw. freiwillig Angeheuerte in Regensburg waren, ist unklar. Auch unter den als Ukrainer (117) und Niederländer (48) gemeldeten waren eine gewisse Anzahl von männlichen und weiblichen Jugendlichen, die 39 Tschechen hingegen waren alle volljährige Männer und knapp die Hälfte Facharbeiter. Zu nennen wären noch Rumänen (24), Ungarn (24), Russen (23), Belgier (21), Bulgaren (13), Letten, Litauer, Österreicher, Unbekannte und Staatenlose.
Betriebsleiter Strathmeyer: ein Denunziant und NS-Profiteur
Kurz vor Kriegende, Mitte April 1945 wurde die Südholag an die Chemische Fabrik von Heyden AG unter zwielichtigen Umständen verkauft. Da zunächst keine Kaufsumme vereinbart und folglich auch nicht bezahlt wurde, war die Rechtmäßigkeit des ganzen Vorgangs strittig und die Amerikanische Militärregierung stellte den Betrieb unter Property-Control. Es wurde ein Treuhänder eingesetzt, der den Betrieb 1946 wiederaufnehmen wollte.
Der ehemalige Vorstand Strathmeyer wollte seinerseits als quasi noch Amtierender die Betriebsführung der Südholag wieder übernehmen, was amerikanische Militärs und die Regensburger Stadtverwaltung unter dem noch wirkenden NS-Bürgermeister Hans Herrmann anfangs auch befürwortete.
Als bald ruchbar wurde, dass unter Strathmeyers Leitung Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen willkürlich geschlagen wurden und er sich damit sogar brüstete, er habe französischen Zwangsarbeitern gedroht, sie wegen mangelnder Arbeitsleistung auf einem Firmen-Galgen aufhängen zu lassen, suspendierten ihn amerikanische Offiziere der Special Branch.
Zudem wurde bekannt, dass Strathmeyer NS-Gegner selber denunzierte, er dem NS-Regime nicht nur nahestand, sondern seine Einkünfte als Regensburger AG-Vorstand und Patentinhaber vervielfachen konnte (stolze 40.328 RM im Jahr 1944). Der ihm nachfolgende Treuhänder attestierte Strathmeyer obendrein Bilanzfälschung und Günstlingswirtschaft.
Protektion von höchsten Stellen für Strathmeyer
Im Zuge der Entnazifizierung wurde Strathmeyer im ersten Verfahren 1946 als Hauptschuldiger angeklagt. Eine Fülle von phantasievollen Persilscheinen bestätigte ihm eine Regimegegnerschaft. Der Leiter des Regensburger Gesundheitsamtes und Parteigenosse Dr. Pius Scharff erklärte etwa, Strathmeyer habe „wie ein Vater für die Ausländer gesorgt“, die sanitären Verhältnisse der Ausländerunterbringung seien „vorbildlich“ gewesen.
Nachdem die Spruchkammer Strathmeyer als Mitläufer einstufte, wurde diese regelwidrige Eingruppierung nicht nur in einem Bericht der MZ skandalisiert. Im Berufungsverfahren wurde das Urteil bestätigt, die Geldstrafe sogar verringert, was zu weiteren Protesten durch Betriebsrat, DGB und Überlebenden führte. Der Kassationshof im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben beschloss dann im Oktober 1949, alle Urteile wegen gravierender Formfehler aufzuheben.
Es vergingen weitere zwei Jahre intensiver Rechtsstreitigkeiten, bis die Münchner Hauptkammer im August 1951 das Verfahren einstellte und der Staatskasse die Kosten zufielen. Die Entnazifizierungsakten gewähren einen guten Einblick in den langen und von vielen Interessen und Interventionen geprägten Verfahren, in dem Strathmeyer von höchsten Stellen protegiert wurde.
Bemerkenswert ist noch, dass einige Bestandteile der Produktionsanlagen wie Elektromotoren auf Betreiben des Bayerischen Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung unter Staatskommissar Philipp Auerbach (1906–1952) in Restitutionsverfahren gelangten und 1948 nach Polen oder die Tschechoslowakei abgegeben werden mussten.
Denunzierung brachte Zwangsarbeitern Lagerhaft und Tod
Obwohl im Zuge des außergewöhnlich langen und öffentlich ausgetragenen Entnazifizierungsfahren bekannt wurde, dass Strathmeyer französischen Zwangsarbeitern mit Galgen und Vernichtung durch Chlorgas gedroht hatte, und auf seine Denunziation hin mehrere Franzosen von der Gestapo wegen des Vorwurfs Verbotener Umgang mit deutschen Frauen verhaftet wurden, blieb das weitere Schicksal dieser NS-Verfolgten während der ganzen Entnazifizierungsfarce bezeichnenderweise unausgesprochen.
Aufgrund von archivübergreifenden Recherchen und mittlerweile zugänglichen Akten ergibt sich diesbezüglich folgendes Bild.
Am 26. September 1944 wurden in Regensburg sieben französische Zwangsarbeiter verhaftet, bis zum 13. November im Gerichtsgefängnis inhaftiert und von dort ins KZ Flossenbürg deportiert. Fünf der Gefangenen hatten zuvor bei der Südholag jahrelang Zwangsarbeit geleistet, wiederum drei davon starben nach von wenigen Wochen Lagerhaft. Darunter Charles Driant (geb. 12. Juni 1920 Ville-en-Woëvre), der in Frankreich als Lehrer arbeite.
Driant wurde im Rahmen des Zwangsarbeitsdienstes (STO) im März 1943 zwangsweise nach Deutschland geschickt, musste im Regensburger Holzverzuckerungswerk Zwangsarbeit leisten und wirkte dort auch als Übersetzer und Sprecher seiner Landsleute. Am 19. Dezember 1944 wurde Driant von Flossenbürg aus ins KZ Dachau deportiert. Wenige Wochen später überwies die Waffen-SS-Verwaltung des Flossenbürger Konzentrationslagers auch sein sogenanntes „Eigengeld“ in der Höhe von 55,84 RM an die Dachauer Verwaltung. Driant wird sein Guthaben wohl nicht mehr nutzen haben können. Am 20. Januar 1945 wird er als verstorben gemeldet.
Obwohl die näheren Umstände seines Todes bislang nicht bekannt sind, ist davon auszugehen, dass Charles Driant in den Konzentrationslagern Opfer einer „Sonderbehandlung“ wurde. Charles Driant kann als trauriges Beispiel für zivile Zwangsarbeiter gelten, die mitten in Regensburg für das Deutsche Reich und den persönlichen Vorteil von deutschen NS-Profiteuren schuften mussten und nach derer Denunziation in einem Konzentrationslager um ihr Leben gebracht wurden.
Mr. B.
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Ein sehr guter Beitrag.
Es wird nicht mehr viele Bürger in der Stadt geben, welche das wissen.
Diese Aufklärung ist wichtig.
Günter Mühlbauer
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Danke für den ausführlichen Beitrag.
hier noch mehr: https://www.facebook.com/groups/773726136585649/posts/786409451983984/
Günter Mühlbauer
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eventuell mit meinen Kommentar ergänzen. Danke
OK von Stefan Artmann habe ich
https://www.facebook.com/groups/773726136585649/posts/854256648532597/
Daniela
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Ich hatte zuvor von diesem Teil Regensburger NS Geschichte noch nicht gelesen oder gehört.
Vielen Dank für diesen Beitrag.
Hindemit
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Großen Dank für die fundierte Recherche. Ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur. Immer noch gibt es vie zu viel blinde Flecken.
suppenhaar
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kleiner fehler im text. es gibt keine hefebakterien. richtigerweise sagt man hefepilze.
interessante geschichte. danke
Robert Werner
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Danke für den Hinweis. Hefekulturen heißt es jetzt.
Dr. E
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Mich würde die Quellen- und Aktenlage interessieren? Gibt denn das städtische Archiv keine belastbare Grundlage und warum hat die Publikation des Stadtarchivs keine neue Erkenntnisse gebracht, wie es im sehr informativen Text heißt?
Robert Werner
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Die erhaltenen Quellenbestände sind reichlich und verteilt auf:
Bundesarchiv Berlin u.a. Gewährung eines reichsverbürgten Darlehens, Übernahme der Aktien auf das Reich, Patentfrangen, …
Bay. Hauptstaatsarchiv, Interesssen, Förderung und Beteiligung der Bayerischen Stellen;
Staatsarchiv Amberg, Entnazifizierungsakten, Genehmigungsakten, Landesamt für Entschädigung, Bauakten, Strafprozessakten, Umweltfragen,
Arolsen-Archives mit Namenlisten für die Zwangsarbeiter nach Nationen, Verfolgungsakten einzelner, Namenslisten der AOK, Stadtverwaltung und
Polizei für Zwangsarbeiter, Suchliste für DPs und
Stadtarchiv Regensburg mit der ganzen Entstehungsgeschichte und Nachkriegsgeschichte der Südholag, Baurechtliche Unterlagen und Pläne, Akten des NS-OB Schottenheim und viele Protokolle der Entscheidungsphase.
Allein für die Sichtung der Unterlagen im Stadtarchiv sollte man mehrere Tage einplanen.
Die im Text genannte Publikation des Stadtarchivs (Roman Smolorz: Zwangsarbeit im “Dritten Reich” am Beispiel Regensburgs, 2003) hat bezeichnender Weise weder die Akten des Stadtarchivs noch der anderen Archive herangezogen.
Lenzel
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Danke für diese Recherche! Sehr gut, dass Sie die Erforschung der wirtschaftlichen Profiteure in Regensburg nach der NS-Zeit vorantreiben! Dringend nötig!
Günther Herzig
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Ich bin ziemlich entsetzt über die ganze Geschichte. Bei Dr. Strathmeyer habe ich als Kind noch im Garten gespielt. Offenbar wurde er auch nach den unzulänglichen Entnazifizierungsverfahren durch alte Parteigenossen gefördert. Er gründete in Donaustauf die Firma Strath-Labor. Allein der Grunderwerb für die Neubauten dürfte damals nicht ohne Hilfe einflussreicher Amtsträger möglich gewesen sein, nach meiner Schätzung mehr als ein Hektar, vielleicht sogar erheblich mehr. Fördeung durch alte Kameraden, darunter eventuell der Regensburger OB Hans Herrmann.
Daniela
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@Günther Herzig
22. April 2024 um 13:45 | #
Danke für Ihre zusätzlichen Informationen, die sich auf die Zeit während und nach der Entnazifizierung beziehen. Besonders interessant fand ich auch die Geschichte rund um die Bankiers Aufhäuser.
Günther Herzig
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Es gibt ein erst erschienenes Buch: “Persönlichkeiten in Donaustauf”. Es beruht vor allem auf den Angaben von Zeitzeugen.
Ein längeres Kapitel betrifft Dr. Strathmeyer, ca. 20 Seiten. Die nationalsozialistische Vergangenheit ist nicht mit auch nur einem Wort erwähnt. Als ob er das 3. Reich als Wissenschaftler überhaupt nicht wahrgenommen hätte. Das hat einfach nicht statt gefunden. Reproduktion und Druck: Stark & Conrads, Peter Sturm, Regensburg 2024, ISBN 978-3-947936-17-5.