Hinter den Kulissen
Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf die Phantasiewelt des Bühnenbildes. Was der Zuschauer im Theater Regensburg allerdings nicht sieht: das Stück hinter dem Stück. Eine Reportage über zeitliche Choreographien, Lampenfieber und eine Welt fernab vom Rampenlicht. Der Text erscheint in Kooperation mit der Studierendenzeitschrift Lautschrift.
Von Judith Werner (Fotos: Alexander Urban)
Nur mit einigen Drehungen und Verrenkungen schafft es Aurora Perry samt Reifrock durch den engen Bühnengang. Weder das aufwendige Kostüm, die turmhohe Perücke noch die dicken Schichten aus Make-Up und aufgeklebten Strasssteinen auf ihrem Gesicht scheinen der jungen Sopranisten etwas auszumachen. Im einen Moment werden noch scherzende Worte mit dem Herrn am Technikpult ausgetauscht, im nächsten Augenblick tanzt sie als Monddiva Stella singend über die Bühne.
Wer hinter den Kulissen eisiges Schweigen oder angestrengte Gesichter vermutet, täuscht sich. Zwar herrscht bei den Anwesenden höchste Konzentration, aber der Freude an dem, was hier alle gemeinsam – Schauspieler, Sänger, Musiker und Techniker – leisten, tut dies offenbar keinen Abbruch. Es wird viel gelacht, das Geschehen auf der Bühne kommentiert und gelegentlich mitgesungen.
Blau und Gold sind die dominierenden Farben des Abends
Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn kommt Bewegung in die Korridore des Stadttheaters. Während die Zuschauer noch gar nicht eingetroffen sind, laufen die Vorbereitung im Hintergrund bereits auf Hochtouren. An diesem grauen Novemberabend wird in der großen Spielstätte am Bismarckplatz die Operette Frau Luna aufgeführt – zum siebten Mal in dieser Spielzeit. „Das Stück gehört neben The King’s Speech zu den Topsellern der aktuellen Theatersaison“, erklärt die 33jährige Clara Fischer von der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Eine der Herausforderungen bei der Inszenierung von Frau Luna sei die zeitgemäße Umsetzung. Uraufgeführt wurde die Operette von Paul Lincke erstmals 1899 im Berliner Apollo-Theater. Der Marsch Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft wurde schnell zu einem beliebten Gassenhauer und zwischen Kurfürstendamm und Friedrichstraße von so manchem Passanten geträllert. Über ein Jahrhundert später ist einiges an Einfallsreichtum und künstlerischer Kreativität nötig, um den burlesk-phantastischen Charakter des Librettos von Heinrich Bolten-Baeckers einem Regensburger Publikum nahe zu bringen.
Blau und Gold sind die dominierenden Farben des Abends: Der gesamte Chor und alle Tänzer stecken in glänzenden Ganzkörperoveralls und Tutus. Sie sehen dabei so mancher Budendekoration auf dem benachbarten Christkindlmarkt zum Verwechseln ähnlich. Was an Haut und Haaren noch hervorlugen könnte, wird unter Perücken, Mützen und vor allem jeder Menge blauer Schminke versteckt. Die Maskenbildnerinnen in der Garderobe tupfen und verstreichen tiegelweise Farbe im Akkord, denn der Cast umfasst bei dieser Inszenierung über 40 Mitwirkende.
Der Oldtimer ist komplett mit Tigerfellimitat überzogen
Nicht weniger Aufwand wird für die Requiste betrieben. „Hier stehen schon die Hocker bereit, auf denen die Mondangestellten sitzen und an ihren iPads arbeiten.“ Beim Anblick des Wagens, mit dem Prinz Sternschnuppe später einfährt, kann sich Clara Fischer ein Lächeln nicht ganz verkneifen. Sie tätschelt amüsiert das kleine Spielzeugpferd, das als Kühlerfigur auf Oldtimer thront. Er ist komplett mit Tigerfellimitat überzogen. Doch nicht nur popkulturelle Elemente versucht der Regisseur Thomas Enzinger bei der Operette mit einzubeziehen. „Arbeit muss sich wieder lohnen!“, lässt er Protagonist Fritz Steppke (alias Matthias Ziegler) vollmundig verkünden. Auf den Demonstrationsbannern der streikenden Mondarbeiter sind Forderungen zu lesen, die den Zuschauern aus der aktuellen Tagespresse bekannt vorkommen dürften: Mindestlohn und Frauenquote.
„Das Stück spielt mit Zitaten. Leider werden vom Publikum nicht immer alle bemerkt.“ Diese Erfahrung musste Bariton Matthias Wölbitsch bei einigen der vergangenen Aufführungen machen. Er deutet auf die Panflöte, die um seinen Hals baumelt und auf die Zauberflöte verweisen soll. Die Neuinszenierung von Mozarts Stück wird im Juni 2014 auf der gleichen Bühne Premiere feiern. Es sei allerdings normal, dass nicht immer alles gleich gut ankäme, meint der 24jährige Österreicher, der zuvor in Innsbruck engagiert war. Nach nunmehr eineinhalb Jahren in Regensburg habe er sich gut in Bayern eingelebt: »Ich glaube, dass Tiroler und Oberpfälzer sich recht ähnlich sind. Sie sind sehr eigenständig in ihrem Denken und lassen sich nicht zu schnellen Begeisterungsstürmen hinreißen. Das ist für mich ein echter Anspron. Und wenn man am Ende viel Applaus bekommt, weiß man, dass das auch ernst gemeint ist.« Auf die Frage, ob er vor Beginn der Aufführung noch nervös sei, reagiert er mit einem österreichischen „Naa, nimma vül“ – nur Sekunden bevor er auf die Bühne stürmt und seinen Text mit breitem Berliner Akzent vorträgt.
Mit dem Lampenfieber gehen jedoch nicht alle auf dieselbe Weise um. Claus J. Frankl (51), der in Frau Luna den Theophil gibt, wird nach eigener Einschätzung sogar jedes Mal aufgeregter: „Ich habe inzwischen 32 Jahre Bühnenerfahrung. Und mit der Nervosität wird es immer schlimmer. Das liegt zum einen sicher an meinem Perfektionismus, zum anderen aber auch daran, dass ich eben weiß, was alles schief gehen kann.“ In der Enge seiner Garderobe könne er sich nicht konzentrieren und in die Rolle einfinden. Daher wandert er bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung in voller Kostümierung zwischen den Scheinwerfern, Seilzügen und Kontrollbildschirmen herum. Dabei summt er leise seinen gesamten Text des Abends vor sich hin. Ansprechen sollte man ihn dabei besser nicht mehr.
Im Inneren eines der Bühnenelemente sitzt Student Michael
Das wissen wohl auch die vielen anderen Mitarbeiter, die versteckt vor den Blicken der Zuschauer hinter den Holzwänden und Vorhängen hin und her laufen. Inspizient Mirko Lodderstedt wacht akribisch über die vielen blinkenden Schalter auf seinem Technikpult. Ohne ihn läuft hier nichts. Er ist unter anderem dafür verantwortlich, dass sich die Drehbühne im richtigen Moment bewegt und die Sänger in Abstimmung mit dem Dirigenten, den er per Video beobachtet, zum richtigen Zeitpunkt auftreten. Doch bei Frau Luna gehe seine Rolle sogar noch weiter, verrät er vor Beginn der Aufführung. Und tatsächlich greift er während des ersten Akts zum Mikrofon und wird vom Theaterinspizienten zur Ansagestimme auf dem Mond.
Je länger man die Abläufe im Hintergrund betrachtet, umso klarer wird: Hier weiß jeder, wo sein Platz ist – und das nicht nur aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse. Im Inneren eines der Bühnenelemente sitzt Student Michael. Er hat heute seinen ersten Einsatz als Statist und wartet auf das Zeichen, die Schiebetür in der Kulisse für das abgehende Bühnenpersonal zu öffnen. Die Zuschauer bekommen davon nichts mit und sehen nur, dass sich das Portal jedes Mal wie magisch öffnet. Ebenfalls unbemerkt wacht die Souffleuse hinter der rechten Bühnenverkleidung darüber, dass keiner der Darsteller seinen Text vergisst. Gleich neben ihr stehen die zwei Herren von der Feuerwehr bereit, bei Feuergefahr sofort den sogenannten Eisernen Vorhang herunterzulassen. Er trennt den Zuschauerraum bei Ausbruch eines Brandes von der Bühne.
Das Foyer leert sich. Die Zuschauer sind auf dem Heimweg und das Licht erlischt
Mit einem dumpfen Geräusch saust plötzlich ein Gewicht an einem der Seilzüge nach unten. Während die Regieassistentin zusammenzuckt, ist auf dem Gesicht der Dame vom Abenddienst kurz so etwas wie Sorge zu erkenen. Au weh, do is wos oganga, konstatiert ein Techniker lakonisch. Es wird für einen kleinen Moment hektisch hinter der Bühne; das Publikum merkt von alledem nichts. Nach wenigen Augenblicken ist klar, dass sich nur eine der Panoramastangen verheddert hat. Keine Gefahr für die Sicherheit oder den Fortgang der Aufführung also.
Es brandet tosender Applaus auf, als nach Fallen des Vorhangs der Dirigent ebenfalls auf die Bühne kommt. Von dort aus lässt er – zur Freude der Theaterbesucher – seine Musiker im Orchestergraben noch eine Zugabe spielen. Wenig später werden in der Garderobe die letzten Mäntel zurückgegeben, die Zuschauer sind auf dem Heimweg und das Licht erlischt. Nur die kleinen LED-Birnchen des künstlichen Sternenhimmels scheinen noch ein bisschen länger zu funkeln und die fulminanteste Arie Abends klingt noch im Ohr: „Drum harre aus, es wird schon alles gut. Schlösser, die im Monde liegen …“
Die Lautschrift
Die Lautschrift ist die Studierendenzeitschrift der Universität Regensburg: Ein Magazin von Studierenden für Studierende. Im mittlerweile achten Jahr seit ihrer Gründung ist die Lautschrift zu einer festen Institution des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens auf dem Regensburger Campus geworden. Damit leistet die Zeitschrift einen wichtigen Beitrag für mehr Transparenz hochschulpolitischer Prozesse und gibt Antworten auf die kleinen und großen Fragen studentischen Lebens. Offizieller Herausgeber ist der Studentische SprecherInnenrat.
Pro Semester erscheint eine Printausgabe, derzeit in einer Auflage von 4.000 Stück. Zusätzlich werden auf www.lautschrift.org aktuelle Campusnews veröffentlicht. Die Exemplare werden kostenlos an der Universität und der Hochschule verteilt. Die aktuelle, 16. Ausgabe der Lautschrift wird außerdem erstmals auch in Cafés und Kneipen in der Innenstadt zu finden sein.
Zuppel
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Erstaunlich. Produktplacement in doppeltem Sinne. Wir
sollen also glauben: Frau Luna ist toll. Und: Lautschrift ist toll.
Ach ja, und überhaupt: Theater Regensburg ist … na ….. toll!
All zu durchsichtig. Ist doch wirklich kein redaktioneller Beitrag.
Bitte nicht wiederholen. MfG Z.