23 Sep2013
Kritik: The Rake's Progress
Highway to Hell
Jeder, der in der Schule Faust gelesen hat, kennt die Story vom Wüstling: Junger ehrgeiziger Mann fällt dem Teufel in die Hände, der ihn erst verdirbt, mit ihm um seine Seele spielt, um ihn dann mit Wahnsinn zu schlagen. Wenn’s denn mal so einfach wäre. Premiere der Oper „The Rake’s Progress“ am Sonntag am Theater Regensburg (Fotos: Martin Sigmund).
Der Dichter W.H. Auden, der das Libretto für „The Rakes Progress“ schrieb, hatte klare Vorstellungen von der Welt: Die Frauen sind Randgabe – sie dürfen entweder rumstehen und sinnentleerte Liebesliedchen trällern (Theodora Varga als Anne Trulove, die sich redlich abmühte, der Rolle zumindest etwas Relevanz abzugewinnen), oder sie werden als „Freakshow-Sensation“ angekündigt – exotisch, seltsam, weil grundsätzlich unabhängig (Vera Egorova spielstark als Baba). Der eigentliche Kern der Geschichte nimmt die seltsame Bromance zwischen einem naiven Mann (Brenden Gunnell grundsympathisch als Tom Rakewell) und seinem persönlichen Mephisto (Adam Kruzel etwas steif als Nick Shadow) ein.
Tom, der keinen eigenstädigen moralischen Kompass besitzt, wird nur zu leicht von seinem Anti-Gewissen und Schatten Nick zu Sex und Party in der großen Stadt verführt. An einer Stelle grölen und singen sie so inbrunstvoll schief, dass sie der Wochenends-Landjugend in der Obermünsterstraße harte Konkurrenz machen. Nick stiftet Tom zu der Überlegung an, ob er eine Frau heiraten sollte, die er nicht liebt und die er ziemlich schrecklich findet; Tom denkt nicht zweimal an Anne, der er sich eigentlich versprochen hat und die ihm im Folgenden brav durch das ganze Stück hinterherhechelt, sondern findet grundsätzlich alle dämlichen Ideen von Nick total super.
Zwischendurch erfindet Tom dann noch eine Maschine, die aus Steinen Brot machen soll und die natürlich ein totaler Flop ist. In seiner unglücklichen weil lieblosen Ehe, finanziell und gesellschaftlich ruiniert und offenbar auf dem Highway in die Hölle möchte er dann doch am liebsten wieder alles auf Anfang stellen – da ist es dann natürlich zu spät dafür.
Anne ist sich bis ziemlich ans Ende nicht zu schade, an Tom und seine innere Güte zu glauben. Erst als Tom längst wahnsinnig im Irrenhaus sitzt, beendet sie recht abrupt ihre Zuneigung und lässt ihn wortwörtlich fallen. Im 20. Jahrhundert kann man sich also nicht mal mehr drauf verlassen, dass die Frau, die einen blind vergöttert, dann auch pflichtschuldigst pflegt wenn man nach einem halben Leben voller Party und Sünde dann endlich bereit ist, sich auf das monotone Landleben, wenn auch völlig entrückt, einzulassen. Früher war die Literaturwelt noch in Ordnung: pflichtbewusste Frauen, abenteuerlustige Lebemänner, klare Kante. Und heute? Pff, moderne Zeiten.
Schön, dass Strawinsky und Auden trotz 50er Jahre Mief und häuslichem Idyll in der Gesellschaft zur Opernentstehungszeit hier zumindest randständig die Emanzipation vorzeichnen. Wenn man nicht aus dem Programmheft wüsste, dass die Oper in 1949 entstanden ist und wenn man kein Opern-Auskenner ist, man würde die Entstehungszeit nicht erraten, was auch der anachronistischen Inszenierung geschuldet ist. Erstens hat Strawinsky ein Cembalo eingebaut und Rezitative zwischen den Arien und Duetten, das klingt trotz des nicht sehr harmonischen Rests Jahrhunderte weit weg. Und als wäre das noch nicht oldschool genug, ist das Bühnenbild (sehr markant monochrom: Claudia Doderer) stark an den Expressionismus angelehnt, mit den Häuserfluchten und den starken Linien. So richtig will man diese Oper also nicht einordnen, aber so richtig zeitlos ist sie dann auch nicht.
Operndebütant Perrig inszeniert diese Oper in der konsequenten Anachronistik dann auch so, wie man Opern vor der Erfindung des elektrischen Lichtes gedacht hat: sehr statisch. Während die Jungs und Baba noch ein bisschen Bewegungsfreiheit haben, dürfen Anne und ihr Vater vor allem rumstehen: sie schmachtend, er mahnend. Immerhin: Auf den von Moral triefenden Epilog wurde zumindest in der Untertitelung verzichtet, so dass der letzte Merksatz im allgemeinen Gesinge unterging:
„For idle hands and hearts and minds the devil finds a work to do.“
Klingt nach letztem Jahrhundert und ist so gar nicht mehr zeitgemäß. Wer nix zu tun hat, soll in die Oper gehen.
The Rake’s Progress (Der Wüstling). Oper in drei Akten von Igor Strawinsky, Libretto von W. H. Auden. Regie: Elias Perrig. Mit: Mario Klein, Theodora Varga, Brenden Gunnell, Adam Kruzel, Vera Egorova, Vera Semieniuk, Cameron Becker, Mert Öztaner
Premierengast
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Ja, ich war auch drin, in der Premiere. Es war einfach nur langweilig. Ein guter Hauptdarsteller, stimmlich, spielerisch, aber wo war der “Wüstling”, der angekündigt war? Bordell? Habe ich nicht gesehen. Darsteller nur auf- und abgehen lassen, reicht nicht für eine Inszenierung. Verstanden habe ich nichts. Die eingeblendeten Texte halfen nicht wirklich, die sangen alle mit starken Akzent, Englisch war das auch nicht! Gähn! Schade um die zweieinhalb Stunden.
Ich
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Ich war auch in der Premiere. Die Inszenierung lieferte einige starke Bilder (z. B. Friedhofsszene).
Sängerisch auch einige sehr erfreuliche Leistungen. Allen voran natürlich Brenden Gunnell als Tom und Adam Kruzel, bei dem es leider auch an der Textverständlichkeit fehlte, als Nick.
Zweieinhalb lustige, spannende und ergreifende Stunden, die aber keineswegs langweilig waren.
Premierengast
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@ Ich
Für den, der “Steh-Opern” wie anno dazumal mag, war es wahrscheinlich das Größte.