HEIMKOMMEN#1: Biographisches
Heimatstolz. Heimatsound. Sogar Heimatministerium. Kaum ein Begriff wurde in den vergangenen Jahren so sehr missbraucht wie das Dahoam. Flo Neumaier ist Nachwuchsautor, Humorazubi beim Fernsehen und Regensburger a.D. – Für regensburg-digital schreibt er ab sofort regelmäßig über seine Besuche, sein Heimweh, sein Regensburg.
Ich liebe diese Stadt, bin hier geboren und aufgewachsen. In einem behüteten Viertel am Galgenberg machte ich meine ersten Schritte und plane irgendwo in Donaunähe meine letzten. Die Stadt meinte es gut mit mir und ich mit ihr – und als meine Eltern mir im Alter von 14 Jahren verkündeten, dass wir nach „Burgweinting“ umziehen würden, saß das tief. „Burgweinting“. Wo war das nochmal? Egal! Jedenfalls außerhalb und damit inakzeptabel.
Ich glaubte, wer in „Burgweinting“ wohnt, müsse nach wenigen Wochen unweigerlich zum Landei mutieren. Landeier. Das waren die mit den Zonen 2-5 im RVV-Schülerticket, sprich: die Dorfdeppen. Wir dagegen, mit der „1“ stolz im neonroten Klettverschlussgeldbeutel, waren „echte Regensburger“. Urban, gebildet, weltgewandt.
Noch heute kommt mir deshalb, bescheuert wie ich bin, ein bisserl Frühstück hoch, wenn ich an folgendem Gespräch teilnehme:
Ich: „Ach du kommst aus Regensburg? Ich auch. Was war so deine Ecke?“
Irgendein Arsch: „Hm. Naja. Also, ich muss zugeben, ich sag das immer nur der Einfachheit halber. Verstehst du? Eigentlich komme ich aus Regenstauf / Sinzing / Beliebiges Vorkaff einfügen.
Gespräch beendet.
So einer wollte ich auf keinen Fall werden und das musste ich auch nicht. Dieses Burgweinting, erfuhr ich, lag gerade noch in der Zone 1. Ein paar Meter weiter wäre meine, mir so wichtige Bürgerschaft weg gewesen. Die Welt blieb klein und überschaubar. Glück gehabt.
Meine Liebe für alles zwischen Albertstraße und Stadtamhof, zwischen Unterer Wöhrd und Bismarckplatz erlebte nur eine einzige große Krise. 2015. Achtzehnter Geburtstag, Abitur am Albertus-Magnus-Gymnasium: Bloß schnell weg von hier.
Damals war mir Regensburg, vor allem aber mein Leben zu eng und der zunehmend um sich greifende Dirndl- und Lederhosenfetischismus bestärkte mich in der Überzeugung, irgendwo anders, jedenfalls nicht hierhin zu gehören. Ich wollte kein Bayer mehr sein, schon gar kein Provinzbayer, aber vor allem eins: Zuhause ausziehen.
Dass es mich anschließend zum Studium in das hinterletzte, ja tatsächlich allerletzte Loch in Niederbayern verschlug, war Pech und so gar nicht geplant. Aber das Studieren gefiel mir gut und ich war weg, zumindest eine gute Stunde via A3. Das musste reichen.
In Passau lernte ich dann schmerzlich, was der Begriff Heimweh bedeutet, der mich seither nicht mehr ganz losgelassen hat. Heimweh, weniger nach meinen Eltern, die ich sehr und seit meinem Auszug noch deutlich mehr liebe. Ich hatte Heimweh nach der Stadt, den Menschen, den Kneipen, dem scheinbar Selbstverständlichen, für mich jedoch Beispiellosen in Deutschland, ja vielleicht sogar der Welt.
Andererseits: Was weiß und wusste ich schon von der Welt? Sind es nicht genau diese reflexhaften Übertreibungen, die ich bei Kommilitonen so verachtete, wenn sie beim morgendlichen Glühwein in der Passauer Unicafete von ihren tristen Heimatkäffern schwärmten: Waging am See. Soso. Spannend.
Möglicherweise muss ich mir irgendwann eingestehen, dass es sich bei meiner Regensburgliebe auch nur um so etwas wie Heimatstolz handelt. Ein Gefühl, das mir völlig zuwider ist. Noch ist es aber nicht so weit. Noch suche ich rationale Gründe und finde sie zuverlässig.
Ich wohne inzwischen nicht mehr in Passau, habe mein Studium beendet und bin nach München gezogen, um „in den Medien“ zu arbeiten. Das hatte ich mir vorgenommen. Das musste sein und war leider so gar nicht regensburgkompatibel.
München. Immerhin eine Großstadt und trotzdem in angenehmer Entfernung für meinen allmonatlichen Regensburghunger. Mir wird alles zu viel? Feierabend. Auto. A93. Parken bei meinen Eltern in „Burgweinting“. Eine Einzelfahrkarte Zone 1 beim Busfahrer der Linie 7 lösen. Bis zur Albertstraße durchfahren und treiben lassen.
Mit großen Augen stehe ich dann vor neuen Gebäude oder einem neuen Verkehrsschild, frisch gepflanzten Bäumen oder der neuen Bar, wo früher eine alte war. Kurz: Ich kontrolliere, was die Zurückgebliebenen mit meiner Stadt angestellt haben, während ich beim Erwachsen-Spielen mein Heimweh kultivierte.
Hier leben, dabei sein, das wäre toll. Vielleicht komme ich irgendwann wieder; ganz bestimmt sogar. Aber in der Zwischenzeit bleibt mir nur der Blick von außen, das regelmäßige Heimkommen. Ich gehe, wenn nicht grade Pandemie ist, in die Bars, wo mich keiner und ich auch keinen mehr kenne und fühle mich sehr zugehörig.
Ich bin einer, der weg wollte und es nie durchgezogen hat. Ich mag das Staunen, das nur entsteht, wenn man nicht jeden Tag an Baugerüst XY vorbeifährt, wenn plötzlich ein Hotel steht, wo gestern noch eine Ruine war.
Ich stelle mir dann vor, der Neubau wäre ganz einfach vom Himmel gefallen und hätte die vertraute 50er-Jahre-Katastrophe mit Schwung ein Stockwerk tiefer in Richtung Römermauern gedrückt: Rein in den Erdkern. Auf Nimmerwiedersehen! Winken. Etwaige „Früher wars schöner“-Gedanken unterdrücken.
Es ist das Gefühl, nach einem mehrwöchigen Urlaub die eigene Wohnung zu betreten und alles kommt einem seltsam fremd vor. Regensburg macht das mit mir, immer und immer wieder.
Das ist der Witz beim Heimkommen: Es funktioniert nur dann richtig, wenn man glücklich weg war.
Mr. T.
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Coole Schreibe! 👍
Bin gespannt wies weiter geht.
Die Flucht vor dem Drindl- und Lederhosenfetischismus über Passau nach München gibt ja schon eine Richtung vor 😉
Piedro
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“Wenn man einmal sieht, dass eine Sache genetisch versaut ist, lässt sich das mit Prügeln allein nicht korrigiern.”
Gerhard Polt
Rigobert Rieger
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“HEIMAT
wensd niad fuaddgäisd
halzdas
dahoim
niad lang as”
Aus dem Gedichtband “so wos schüins mou ma soucha” von Eugen Oker (1919-2006)
Kernel
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Sehr köstlich und schön zu lesen. Freu mich auf die nächsten Texte von Herrn Neumaier.
Hatti
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Ich glaub in Passau hast du richtige Freunde (WELCOME) gehabt. Und heute auch noch.
Dieter
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Hm, “irgendein Arsch”, “verachte”, “allerletzte Loch” und maximal 2 Jahre in denen man Kneipen und Bars in Regensburg kennenlernen konnte, die man zwar vermisst, aber in denen man niemanden kennt. Kein Wort über Freunde, Bekannte und weitere Verwandte.
Da hat man eher das Gefühl, dass hinter der Flucht nach vorne noch andere Beweggründe stecken.
Nun gut, ansonsten wars ganz nett und versöhnlich geschrieben.