Hammerangriff auf Seniorin an Silvester in Regensburg: Nahm die Polizei Warnungen am Vorabend nicht ernst?
Grundlose Angriffe gegen zwei Menschen mit einem Hammer, eine schwerverletzte Seniorin im Krankenhaus – eine 41-Jährige gilt als dringend tatverdächtig. Deren Ex-Mann hatte sich am Vorabend schon an die Polizei gewandt und auf die psychische Ausnahmesituation hingewiesen, in der sich die Frau befand. Doch die Beamten nahmen ihn offensichtlich nicht ernst.
Hätte der Hammer-Angriff auf eine über 80 Jahre alte Frau am Silvestertag in Regensburg im Vorfeld verhindert werden können? Das Opfer wurde schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt und liegt nach wie vor im Krankenhaus. Recherchen von regensburg-digital zeigen: Der Ex-Mann der tatverdächtigen 41-Jährigen versuchte am Vorabend, die Polizei über ihren psychischen Ausnahmezustand zu informieren. Er wollte Anzeige erstatten, doch seine Warnungen blieben unbeachtet.
Ein Blick zurück. Am Silvestertag meldete das Polizeipräsidium Oberpfalz, dass eine Frau gegen 10.30 Uhr eine Seniorin im Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses in der Friedrich-Ebert-Straße angegriffen habe. „Hierbei nutzte die 41-Jährige Frau auch ein Schlagwerkzeug und verletzte die über 80-jährige Seniorin im Kopfbereich schwer.“
Tatverdächtige ist psychisch krank
Die mutmaßliche Täterin wurde kurz darauf in der Nähe des Tatorts festgenommen. Bereits Stunden zuvor, um 5.43 Uhr, soll sie an einer Tankstelle in der Kirchmeierstraße einen Mann mit einem unbekannten Gegenstand im Gesicht verletzt haben. Danach floh sie.
Mittlerweile ist klar: Die dringend Tatverdächtige leidet an einer schweren psychischen Erkrankung. Ihr Social-Media-Profil zeigt zahlreiche Verschwörungstheorien, besonders um Weihnachten und Neujahr. Sie fühlte sich von dunklen Mächten verfolgt und sprach von rituellem Missbrauch an Kindern, auch ihrem eigenen, das sie identifizierbar machte.
Am Tattag postet sie zunächst einen Text, in dem es darum geht, dass es einer Mutter erlaubt sein sollte, zu töten. Man kann dies durchaus als Mordaufruf verstehen. In einem weiteren Post schreibt sie „ICH HABE HEUTE GETÖTET. ICH RUFE ALLE GUTEN MENSChEN ZUM MORD AUF. BRINGT ALLE UM, DIE KINDER VERGEWALTIGEN.“ Die Uhrzeit dieser Postings ist unklar.
Ex-Mann versuchte am Vorabend, die Polizei zu warnen
Der Staatsanwaltschaft Regensburg liegen diese Postings zwischenzeitlich vor, wie Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher unserer Redaktion bestätigt. Zunächst erging ein Haftbefehl gegen die Frau, doch seit dem 3. Januar befindet sie sich aufgrund eines Gutachtens in einer psychiatrischen Einrichtung.
Was in der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte bislang fehlt: Der Ex-Mann versuchte bereits am Vorabend, die Polizei zu alarmieren. Doch man nahm ihn nicht ernst. Unsere Redaktion hat dafür aussagekräftige Belege.
Auslöser des Anrufs bei der Polizei in Regensburg waren laut den Schilderungen des Ex-Mannes zwei Punkte: Die Frau postete in immer kürzeren Abständen immer aggressivere Texte und drohte ihrem Ex-Mann, ihn zu töten, falls er dem gemeinsamen Kind etwas antue.
Telefonische Strafanzeige abgelehnt – Telefon aufgelegt
Das Kind lebt in einer Pflegefamilie. Ein Gerichtsbeschluss untersagt der Mutter wegen ihrer psychischen Erkrankung jedweden Umgang mit dem Kind. Das Kindeswohl stehe über den Belangen der Mutter, heißt es darin. Das Kind müsse vor der unverschuldet irrational handelnden Mutter geschützt werden.
Er habe den Beamten am Telefon auf die Postings, die Morddrohung gegen ihn und den Gerichtsbeschluss hingewiesen, erzählt uns der Mann. Seine Ex-Frau befinde sich in einer psychischen Ausnahmesituation, bedrohe neben ihm auch die Pflegefamilie und die Richterin und brauche Hilfe.
„Ich habe aus ihren Nachrichten und Postings zitiert und angeboten, alles per E-Mail zu schicken.“ Auch habe er erzählt, dass die Frau damit drohe, das Kind aus der Pflegefamilie zu entführen. „Ich wollte Strafanzeige erstatten.“ Doch die Polizei habe abgelehnt. Eine Strafanzeige sei nur persönlich möglich, habe es geheißen. Er müsse sich, weil er nicht in Regensburg wohnt, an seine örtliche Polizeidienststelle wenden.
Ex-Mann erfuhr von der Tat aus der Presse
Doch sowohl dort wie auch in Regensburg habe man sein Anliegen abgelehnt und keine Bedrohungslage feststellen können. „Ich könne nichts per E-Mail schicken und eine Strafanzeige gehe nur persönlich.“ Als das Gespräch immer emotionaler geworden sei, habe der Beamte am anderen Ende der Leitung einfach aufgelegt.
Am nächsten Tag wandte sich der Mann sich schließlich ans Bundeskriminalamt. „Drei Stunden später standen dann zwei Polizeibeamte bei mir vor der Tür und haben mir mitgeteilt, dass die Gefahrenlage beendet sei.“
Über die mutmaßlichen Angriffe durch seine Ex-Frau erfuhr er erst nach Neujahr. „Über die veröffentlichten Pressemitteilungen der Polizei habe ich mitbekommen, dass eine 41-jährige deutsche Staatsbürgerin in Regensburg eine alte Frau attackiert und verletzt hat. Da habe ich schon befürchtet, dass es sich um meine Ex-Frau handelt.“ Und das stimmte.
Was lief schief bei der Polizei?
Der Mann macht sich nun auch selbst schwere Vorwürfe. Hätte er anders vorgehen sollen? Hat er sich nicht klar genug ausgedrückt? Hätte er sich woanders hinwenden sollen? „Das sind Fragen, die ich mir stelle. Aber trotz allem verstehe ich nicht, warum sich die Polizei so überhaupt nicht für meine Warnung interessiert hat.“
Was ist da schief gelaufen? Warum wurde bei der Regensburger Polizei trotz der eindringlichen Versuche des Ex-Mannes niemand hellhörig? Gerade auch vor dem Hintergrund, dass keine zwei Wochen zuvor, am 20. Dezember, ein psychisch kranker Mann beim Weihnachtsmarkt in Magdeburg ein Attentat verübte, bei dem sechs Menschen getötet und knapp 300 verletzt wurden. Gerade vor dem Hintergrund, dass auch hier Vorwürfe laut wurden, denen zufolge Warnungen zu den Drohungen des Mannes auf Social Media nicht ernst genug genommen worden sein sollen?
Sowohl das Polizeipräsidium Oberpfalz wie auch die Staatsanwaltschaft Regensburg äußern sich nicht näher. „Wann der ehemalige Ehemann der Beschuldigten welche Polizeidienststelle mit welchen Informationen kontaktiert hat, wird derzeit ermittelt“, teilt Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher lediglich mit. Ähnlich äußert sich eine Sprecherin des Polizeipräsidiums.
Fragenkatalog ans Innenministerium
Unabhängig davon wird sich das bayerische Innenministerium mit dem Fall beschäftigen. Die Landtagsabgeordnete Christiane Feichtmeier, Polizeihauptkommissarin a.D. und innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, hat einen Fragenkatalog an Innenminister Joachim Herrmann eingereicht.
Feichtmeier will wissen, wie die Polizei mit solchen Hinweisen umgehen sollte. War die Polizeiinspektion Regensburg Süd überlastet? Ist es üblich, Hinweisgeber zur Wache zu bitten? Können Belege online übermittelt werden? Gab es nach Magdeburg eine Sensibilisierung für solche Hinweise?
Das sind einige von insgesamt 19 Fragen aus dem zweiseitigen Schreiben, das bereits beim Innenministerium eingereicht wurde. Die übliche Antwortfrist liegt bei vier Wochen.
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