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Überbrückungshilfe für Studierende

Gib Selfie und entblöße Dich!

Seit heute wird die Überbrückungshilfe für Studierende, die sich in einer pandemiebedingten Notlage befinden, bearbeitet und ausbezahlt. Bis zu 500 Euro kann es monatlich im Juni, Juli und August geben. Voraussetzung ist, dass man sich gekonnt durch das kuriose Antragsverfahren manövriert. Wir haben es Step by Step versucht. Mitunter waren einige „neutrale“ Selfies nötig. Und das ist kein Scherz!

Nötig für Überbrückungshilfe für Studierende: Möglichst neutrale Selfies. EInmal einfach so, einmal mit Ausweis neben dem Gesicht und einmal mit Zahlen auf einem Zettel. Foto: om

Corona-Hilfen sind so alt wie Corona selbst. Zumindest fast. Seit Mitte März gibt oder gab es unter anderem die bayerische Soforthilfe für Unternehmen und Selbstständige, das Soforthilfe-Programm des Bundes, Kurzarbeitergeld, Darlehensprodukte, Schutzschirm-Kredite, Bürgschaftsprogramme, kulturelle Rettungsschirme und seit kurzem auch die Überbrückungshilfe „für kleine und mittelständische Unternehmen, die ihren Geschäftsbetrieb im Zuge der Corona-Krise ganz oder zu wesentlichen Teilen einstellen müssen“.

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Monatelanges Warten hat ein Ende

Und jetzt wird auch Studierenden geholfen. Die „Überbrückungshilfe für Studierende“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verantwortet und von den jeweiligen Studenten- bzw. Studierendenwerken gewährt. Die Hilfe soll Studierenden offenstehen, „die sich nachweislich in einer pandemiebedingten Notlage befinden, die unmittelbar Hilfe benötigen und die individuelle, pandemiebedingte Notlage nicht durch Inanspruchnahme einer anderen Unterstützung überwinden können“.

Bereits Ende April hat das BMBF die Überbrückungshilfe mit einem Volumen von 100 Millionen Euro angekündigt, doch erst seit 15. Juni kann die Unterstützung tatsächlich beantragt werden. Seit heute werden die Anträge bearbeitet. Die rückzahlungsbefreite Hilfe wird Studierenden für die Monate Juni, Juli und August – jeweils nur für einen Monat – gewährt, die eine entsprechende Notlage nachweisen können. Zum Beispiel Studierende, die im Zuge von Corona einen Nebenjob verloren haben.

Bemessungsgrundlage: Kontostand am Vortag

100 bis 500 Euro können pro Person und Monat ausbezahlt werden. Die Bemessungsgrundlage ist – kein Witz – der Kontostand am Vortag des Antrags. Wer weniger als 100 Euro auf dem Konto hat, bekommt 500 Euro, wer zwischen 100 und 199 Euro hat, bekommt 400 Euro und so weiter. Mit 500 und mehr Kröten auf der Bank geht man übrigens leer aus. Also vorher vielleicht noch eine kleine Schnapsrunde am Bismarckplatz schmeißen – mit Abstand, versteht sich.

Ein betroffener Regensburger Student kritisiert bei der Bemessungsgrundlage, dass nicht etwa der Wegfall der Einnahmen oder das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben „oder irgendetwas anderes, was nachvollziehbar Sinn machen würde“ überprüft werde. „Nein, sie nutzen einen Wert, der sich jeden Tag in die eine oder andere Richtung bewegen kann und als Momentaufnahme so gut wie gar nichts über meine Notlage aussagt.“

Online-Antrag? Nichts leichter als das.

Warum es seit der Entscheidung des Ministeriums fast zwei Monate gedauert hat, bis das Geld beantragt werden kann? Nun, das ist schnell erklärt: Man war damit beschäftigt, ein wirklich ausgefuchstes Online-Tool zu erstellen, das jetzt endlich läuft es. Die Antragstellung geht übrigens nur online. Wie praktisch, schnell und bequem.

Schauen wir uns die Antragstellung also genauer an. E-Mailadresse eingeben, Name der Hochschule. Passt. Ein paar Häckchen zum Studienstatus setzen, läuft auch noch easy. Name, Geburtsdatum, Adresse sowieso.

Jetzt aber wird’s spannend. Bei der „Identitätsverifikation“ muss nun der Ausweis ran. Zwar gibt es mittlerweile ja Personalausweise mit Online-Funktion, aber egal. Das Online-Tool möchte Fotos haben. Bitte einmal Vorder- und einmal Rückseite „in Leserichtung“ fotografieren. Das ist zwar schon etwas komisch, aber funktioniert. Jetzt endlich her mit der Kohle!

Nicht zu früh freuen. Die Identität ist zwar überprüft, aber irgendwie auch nur so halbwegs. Es könnten ja schließlich auch der One-Night-Stand von letzter Nacht oder der schnorrende Mitbewohner, der zwar nicht die Spülmaschine, dafür aber die WG-Kasse ausräumen kann, am Rechner sitzen und das Geld heimlich einsacken.

Selfieshooting für Geld

Auf Seite 5.2 des Formulars wird es deshalb richtig kurios: „Machen Sie ein Selfie“. Bitte was? Ja, richtig gelesen:

„Machen Sie ein Selfie mit einem neutralen Gesichtsausdruck. Legen Sie ggf. die Kopfbedeckung und/oder Brille ab, falls diese auch nicht auf dem Lichtbild in Ihrem Ausweisdokument zu sehen sind.“

Na gut, dann eben ein Selfie. Und nun, weil es sich so vertraut anfühlt, noch eine weitere Pose:

„Machen Sie ein Foto, auf dem Ihr Gesicht zusammen mit dem Ausweisdokument gut erkennbar ist. Halten Sie den Ausweis nah an Ihr Gesicht, verdecken es aber nicht.“

Selfies als Verifizierungsmaßnahme (Seite 5.2 des Antrags). Foto: Screenhot

Ist das noch Überbrückungshilfe oder schon Tinder? Haben wir jetzt endlich ein Match? Fast. Weil es könnte ja immer noch irgendwie Fake sein. Ein „Verifizierungscode“ muss also noch her. Ok, wird angezeigt, aber wo muss man ihn eintippen? Ach, gar nicht:

„Schreiben Sie die Zahlen XXXXXX auf einen Zettel und halten Sie den Zettel auf Gesichtshöhe. Verdecken Sie Ihr Gesicht nicht. Machen Sie dann ein Foto.“

Wow! Man muss also einen angezeigten Code auf einen Zettel schreiben, letzteren neben das Gesicht halten, ein Selfie machen und das Foto hochladen? Wahrlich noch nie ist Analoges und Digitales so formschön verschmolzen.

Erklären Sie sich!

Spätestens jetzt ist klar, dass nicht Ihr Mitbewohner, Hund und ein Android vor dem Rechner sitzt. Nein, Sie selbst sind es leibhaftig selbst. Dann bitte Immatrikulationsbescheinigung, ist ja klar. Kommen wir also zur finanziellen Bedürftigkeitsprüfung: Ein paar Häckchen setzen. Ja, über BAföG und so sind Sie informiert, beziehen auch keine anderen Zuschüsse.

Jetzt bitte das ruhende oder gekündigte Arbeitsverhältnis nachweisen. Mit irgendeinem Schrieb vom Arbeitgeber. Falls nicht vorhanden, auch kein Problem, dann reicht eine Eigenerklärung. Die aber geht diesmal nicht via Selfie oder Häckchen, Sie müssen dazu eigens ein Schreiben aufsetzen. Etwa: „Hiermit erkläre ich, dass ich keinen Job habe. Mit freundlichen Grüßen und so.“

Kontoauszüge lückenlos und ungeschwärzt

War das bis hierhin noch fast spielerisch, wird es auf Seite 9 ernst: Kohle.

„Bitte laden Sie Ihre Kontoauszüge hoch und bringen Sie die Dokumente vorab in eine chronologische Reihenfolge, beginnend mit Februar oder März 2020 […]. Die Dokumentation muss lückenlos erfolgen und es dürfen keine Schwärzungen vorgenommen werden.“

Wer schwärzt, geht leer aus (Seite 9 des Antrags). Foto: Screenshot

Wie wir wissen: der Kontostand am Vortag der Antragstellung ist entscheidend für die Bezugshöhe der Überbrückungshilfe. Bargeld interessiert die Studentenwerke übrigens gar nicht.

Ein verschämter Blick aufs Konto verrät: 32 Euro gestern. Ein weiterer Blick in die ungeschwärzten Kontoauszüge verrät aber auch: die große Bestellung im März bei Zalando – 234 Euro. Musste das wirklich sein? Bei KiK gibt’s auch was zum Anziehen. Dann wären jetzt nämlich noch um die 250 Euro auf dem Konto. Oder ist an Bekleidungsansprüchen auch Corona schuld?

Niemand zwingt Sie!

Netflix-, Sky-Ticket- und Prime-Abo? Braucht es tatsächlich alle drei? Und Spotify muss ja natürlich auch Premium-Account sein. Oder da, am 09.05. um zwei Uhr nachts noch 50 Euro abgehoben. Studienliteratur wurde damit wohl nicht gekauft, was? Und dann mit bisschen weniger Domino‘s und mehr Nudeln mit Ketchup von der Norma und schon herrschte auch keine selbstverschuldete Notlage. Schreiben Sie sich das mal hinter die Ohren, Sie stud. phil oder rer. nat.

Gibt es außer absolutes Misstrauen noch weitere Motive für das Einschicken ungeschwärzter Kontoauszüge? Na ja, mag man einwenden, immerhin müsse man ja das geld nicht beantragen und alle Angaben basieren auf Freiwilligkeit. Genau. Wie allseits bekannt ist, treffen Menschen in Notlagen in besonderem Maße überlegte und freiwillige Entscheidungen. Niemand zwingt Sie!

Zum Abschluss nochmals ein paar Häckchen setzen. Ja, Sie haben alles richtig und vollständig ausgefüllt und eingereicht, andernfalls drohen strafrechtliche Konsequenzen, schon klar. Verzicht auf Widerrufsrecht nach § 312g BGB. Erledigt. Dann noch die letzte große Checkbox: Ja, Sie sind bereit, sich komplett zum Deppen zu machen. Haken gesetzt! Jetzt kann zur letztmaligen Verifizierung wieder irgendein Code als SMS aufs Handy geschickt werden. Und dann: Viel Spaß mit der Überbrückungshilfe. Also vielleicht. Wenn die Selfies scharf und neutral genug sind.

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Kommentare (11)

  • Mr. T.

    |

    Ist das ernsthaft so? Haben wir nur noch Stümper am Ruder? Für wen muss ich mich da jetzt fremdschämen?

  • talberg17

    |

    wirklich witzig geschrieben. vermutlich steht jeder hilfesuchende im moment vollkommen erstaunt dem phänomen „verwaltung“ gegenüber.

  • Mariane

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    Wenn es wirklich so deppert ist, warum füllt man das Formular aus, macht ein Selfie und schreibt einen ellenlangen Artikel. Vermutlich ist die Geldgier größer und die nächste Rate fürs Smartphone wartet auch schon.

  • Stefan Aigner

    |

    @Mariane

    Der Autor ist kein Student mehr.

  • R.G.

    |

    Toll.
    Endlich hätte ich eine offiziell geförderte Gelegenheit, wem ein Foto von mir in der Grillschüre mit dem Aufdruck vom nackten Bayernseppl-Bierbauch, wo man unten eh nixsieht, weil die Wampe drüberhängt, zu verschicken. Zusammen mit meinem Ausweis-Bild, damit man die Pixel ins mir zugeordnete Gurkenglas mit den DDR Geruchsproben dazulegen kann.

  • R.G.

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    Vielleicht haben die bei der Verwaltung nur den gleichen Sicherheitsanspruch wie der Typ, der mir auf eine Kleinanzeige (ja, ich verkloppe meine Küchenmaschinen-Sammlung)
    ohne Andrede schrieb, Original Wortlaut:
    “Also gut, sobald die Geldtransaktion abgeschlossen ist. wir sehen uns
    Hallo, hast du ein Bild von du Reisepaß ? und könntest du sie mir schicken? freundliche Grüße”
    (Anmerkung: IP Adresse in Nigeria!)

  • R.G.

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    @Aigner sagte:
    “Der Autor ist kein Student mehr.”

    Da muss ich jetzt fragen, hat der Autor etwa vor lauter Selfiemachen für Coronahilfe seinen Abschlussprüfungstermin versäumt und nu ist die Karriere futsch?

  • Hthik

    |

    @Mariane 26. Juni 2020 um 06:11
    “Vermutlich ist die Geldgier größer …”

    So sind sie eben, diese Sozialschmarotzer. Wenn man sie direkt fragt, kommt da auch keine ordentliche Begründung, sondern nix wie Lügen und Ausreden von irgendeinem dringenden Bedarf oder angeblicher Menschenwürdeverletzung oder was weiss ich.

    Warum können die nicht auch so sein, wie unsere Unternehmer, die Steuerermäßigungen und Subventionen immer sofort zu 100% dafür einsetzen, sie an Kunden und Mitarbeiter weiterzugeben, Arbeitsplätze zu schaffen und so weiter und noch vom eigenen Kapital drauflegen?

    “DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagt dementsprechend, die Mehrwertsteuersenkung könne sich für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die Unternehmen lohnen: “Es ist sicherlich so, dass die Mehrwertsteuersenkung nicht von allen Unternehmen weitergegeben wird. Das ist aber auch nicht unbedingt schlimm. Wir haben viele Unternehmen, die selber in Schieflage sind.” Denen könne die Senkung direkt helfen.”

    https://www.tagesschau.de/inland/mehrwertsteuer-bab-101.html

  • Helene

    |

    @RG liest sich politisch wohl nicht ganz so korrekt? Warum denn eigentlich „Anmerkung: IP Adresse in Nigeria!“?

  • R.G.

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    @Helene
    Ich könnte es dem Typen ausrichten, dass Sie es politisch nicht korrekt finden, wenn seine IP Adresse in Nigeria ist.

  • highwayfloh

    |

    Einerseits Stufe ich den Artikel als Satire ein, andererseits als – vielleicht – berechtigte Kritik an der “unbürokratischen” Hilfe, welche offenbar nicht so unbürokratisch zu sein scheint.

    Bezüglich der Bürokratie-Kritik halte ich aber folgendes entgegen:

    Wer schon mal in den Bürokratien des SGBII gefangen war und entsprechend “zermahlen” wurde, der kann über dies, was hier angeprangert wird, nur müde lächeln, sofern derjenige SGBII-Bezieher noch die Kraft dafür hat, oder durch günstige Umstände wieder “nach oben” finden konnte.

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drin