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Naher Osten

Gespräch an der Uni Regensburg: Hinter dem Gazakrieg steht ein Großkonflikt

Am Dienstag sprach Richard C. Schneider, Journalist, Buchautor und Dokumentarfilmer, an der Universität Regensburg über die komplexe Situation im Nahen Osten. Seine Einschätzungen lassen vermuten, dass der Gazakrieg noch lange andauern könnte.

Richard C. Schneider (links) und Stephan Bierling versuchten, den Nahost-Konflikt aufzudröseln. Foto: bvg

Wie konnte es so weit kommen, fragt man sich angesichts der Lage im Nahen Osten. Gastgeber Professor Stephan Bierling erinnerte daran, dass Mitte 2023 sei doch noch alles „sweet and dandy“ gewesen sei, „Lebten wir in einer Traumwelt?“, fragt er. Die arabisch-israelische Aussöhnung sei nicht an ihr Ende gekommen, bemerkt Schneider.

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Die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien hielten, die Saudis seien immer noch an der Normalisierung der Beziehungen interessiert. Hinter verschlossenen Türen würde Israel sogar das O.K. für die Fortsetzung des Krieges bis zur Vernichtung der Hamas gegeben. Dies sei nicht verwunderlich, da die Hamas auch sunnitisch-arabische Herrscher bedrohe.

„Netanjahu hat die Hamas gefördert“

Die Israelis hätten sich von Netanjahu „einlullen“ lassen, sagt der langjährige Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv. Der israelische Regierungschef habe suggeriert, das palästinensische Problem sei irgendwie „zu managen“, der Bevölkerung sei nicht klar gewesen, dass sie man auf einem „Pulverfass“ sitze.

Schneider problematisiert in diesem Zusammenhang den 400 Kilometer langen Sicherheitszaun, der Israelis und Palästinenser seit vielen Jahren trenne und kaum Kontakte zwischen beiden Bevölkerungsgruppen zulasse – damit auch kein realistisches Urteil, was auf der anderen Seite los sei.

Netanjahu habe überdies die Hamas sogar „gefördert“, um die palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen, „um niemals über eine Zwei-Staaten-Lösung reden zu müssen“.

„Lichtjahre“  von einer Bereitschaft zur Zwei-Staaten-Lösung entfernt

In dieser Frage hält es Schneider immerhin für denkbar, dass infolge des jetzigen Krieges die Autonomiebehörde nach Gaza zurückkehre und es wieder eine Regierung für alle Palästinenser gebe. Allerdings seien beide Seiten „Lichtjahre“ von einer Bereitschaft zu einer Zwei-Staaten-Lösung entfernt, es gebe für sie auch keine Mehrheit in Israel.

Nicht ausschließen will Schneider, dass es im Norden noch zu einem großen Krieg mit der Hisbollah kommt. Daran sei allerdings weniger die Hisbollah als Netanjahu interessiert.

Aus dem Publikum auf die Zukunft der liberalen Demokratie in Israel angesprochen, erklärt der Grimme-Preis-Träger, dass diese mit der in die Krise geratenen liberalen Demokratie überall auf der Welt stehe und falle. „Es brennt lichterloh“, mahnt Schneider mehr politisches Problembewusstsein in Deutschland an.

Hamas durch einen Nazi-Radiosender im Zweiten Weltkrieg radikalisiert 

Zu 95 Prozent befinde er sich derzeit mental in Israel, bekundete Schneider, Nachkomme ungarischer Juden. Das Handy melde ihm, wenn die Hisbollah wieder auf Israel feuere. Der Nahe Osten sei ja auch eines der wichtigsten Krisengebiete der Welt, seit dem 7. Oktober gehe es nicht nur um einen israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Hamas sei nämlich ein Ableger der Muslimbruderschaft, deren Antisemitismus auch durch einen Nazi-Radiosender im Zweiten Weltkrieg radikalisiert worden sei.

Die Nationalsozialisten hätten eine im Christentum wurzelnde Vorstellung säkular gewendet, nämlich dass die Vernichtung der Juden die Voraussetzung der Erlösung sei. Eine solche Vorstellung hätte es in der islamischen Welt vorher nicht gegeben. Es gehe damit nicht mehr nur um den Konflikt zweier Nationen um das gleiche Land, vielmehr sei die Auseinandersetzung jetzt religiös aufgeladen, das israelische Gebiet solle von Ungläubigen gesäubert und an seine Stelle ein islamistischer Staat treten.

Russland als Verbündeter des Iran

Im Hintergrund baue der Iran seinen „schiitischen Halbmond“ auf, um Israel einzukreisen und „zu vernichten“, aber auch, um die Sunniten zu bekämpfen. Schon früh habe sich Teheran zum Fürsprecher der palästinensischen Sache gemacht, um Sympathien in der arabischen Welt zu erlangen. Das Engagement des Iran ziehe den Krieg in die Länge und mache ihn so brutal.

Israel nehme den Krieg als einen „Existenzkampf“ wahr, in dem Netanjahu die gleiche Situation wie im Krieg von 1948 beschwöre und sogar glaube, einen zweiten Holocaust verhindern zu müssen. In einer noch weiteren Betrachtungsweise müsse man auch Russland als Verbündeten des Iran in den Blick nehmen.

Arabische Israelis wurden selbst Opfer des Terrorangriffs vom 7. Oktober

Schneider thematisiert auch die Lage der Araber, die israelische Staatsbürger sind. Diese habe sich normalisiert. Während es die Hamas im Gazakrieg von 2020/21 noch geschafft habe, arabisch-israelische Jugendliche aufzuwiegeln, stünden die arabischen Israelis diesmal weitgehend auf der Seite Israels, da sie selbst Opfer des Terrorakts vom 7. Oktober geworden seien.

Angekündigt war die Veranstaltung mit der Überschrift „Wohin geht der Nahe Osten? Vom Terrorüberfall der Hamas am 7.10. zum Gazakrieg“, sie schloss jedoch historisch weit zurückgehende Rückblenden mit ein. Schneider, der ursprünglich aus dem Theaterfach kommt, schaffte es dabei, politische Sachverhalte in miterlebten Szenen zu verdichten.

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