Friedensdemo bleibt dieses Mal friedlich
War es beim letzten Mal noch ein teils fanatischer Hetzmarsch, der unter dem Label „Friedensdemo“ durch Regensburg zog, ging am Mittwoch eine etwas andere Mischung von Menschen schweigend auf die Straße.
„Wir fordern ein Gerichtsverfahren gegen die israelische Regierung wegen ungerechtfertigter Enteignung der Palästinenser in den letzten 100 Jahren“, ruft die Rednerin bei der Abschlusskundgebung auf dem Domplatz ins Megaphon. “Die Menschheit muss den Krieg erledigen, bevor der Krieg die Menschheit erledigt.”
Seit Beginn des Kriegs im Gaza-Streifen seien 1.300 Palästinenser getötet und 7.000 verletzt worden. Und während Israel mit Geldern aus dem Ausland einen 375 Millionen Dollar teuren Raketen-Abwehrschild habe bauen können, gebe es kein Land, das Millionen für eine palästinensische Armee bereitstelle. „Dann wäre es nämlich ein gerechter Krieg. Und wenn uns jetzt jemand Parteilichkeit vorwirft, dann sage ich: Das ist Meinungsfreiheit.“ Wenig später endet die Demonstration und fast zeitgleich setzt Platzregen ein.
Etwa 150 Menschen sind es, die am Mittwoch mit der Forderung nach Frieden und „Freiheit für Palästina“ auf die Straße gegangen sind. Und während sich die „Friedensdemonstration“ am Samstag vergangene Woche zu einem teils fanatischen Hetzmarsch gegen Israel entwickelt hatte, sind diese Töne am Mittwoch verstummt.
Es sind weniger Teilnehmer als beim letzten Mal gekommen und es ist auch eine ganz andere Mischung von Leuten, die sich am Mittwoch versammelt hat. Weitaus mehr Kinder und Jugendliche. Die Gruppen junger Männer, darunter auch “Graue Wölfe”, von denen die letzte Demonstration mit aggressiven arabischen und türkischen Sprechchören dominiert wurde, sind dieses Mal nicht angereist. Vielleicht, weil die Demonstration dieses Mal an einem Wochentag stattfindet, vielleicht aber auch, weil schon beim Aufruf in der Facebook-Gruppe erklärt wurde, was dieses mal nicht erwünscht ist:
Aufruf in der Facebook-Gruppe “Friedensdemo für aktuelle Krisengebiete”
Eine Bitte vom Herzen……
Wir möchten von Anfang auf ein paar Sachen hinweisen und wir wissen, dass wir z.T. auf Unverständnis und Gegenwind stoßen werden, aber das muss gesagt werden und wird spätestens auf der Demonstration auch so verkündet.
Wer sich in den letzten paar Tagen mit den aktuellen Nachrichten beschäftigt hat, wird bemerkt haben, dass unsere Demonstrationen in der Presse und einem Teil der Bevölkerung nicht gut ankommen. „Ist doch mir egal!“, denken sich jetzt einige. Ganz so egal ist es nicht, denn uns wird offen und klar Antisemitismus vorgeworfen und das ist strafrechtlich verfolgbar. Die, die sich dazu bekennen, sollten diese Veranstaltung und Gruppe bitte nun unverzüglich verlassen. DENN:– Wir kritisieren die israelische Regierungsführung und die beabsichtigten Morde an unschuldigen Zivilisten mit dem Vorwand der Waffenaufdeckung und nicht die jüdische Bevölkerung, die zum Teil diese Kriegsführung verurteilen
– An unsere muslimischen Brüder und Schwestern: Das Judentum ist einer der abrahamitischen Religionen, genauso wie der Islam und das Christentum. Diese Religion ist ein Teil unserer Geschichte und dürfen wir nicht verurteilen.
– Bitte vermeidet verallgemeinernde Parolen wie „Kindermörder Israel“, stattdessen könnt ihr z.B. Kritik direkt an den Ministerpräsidenten Netanjahu ausrufen. Bitte einfach keine Verallgemeinerung. Wir wissen genau wie es ist, wenn z.B. alle Muslime als Terroristen dargestellt werden, obwohl wir es nicht sind. Verallgemeinerungen führen nur zu Konflikte.
– Bei der letzten Demonstration, Deutsche und andere nichtmuslimische Leute, die die Demonstrationen aufgrund Tekbir („Allahu Akbar“) und Shahada verlassen, weil sie sich befremdlich gefühlt hatten. Wir tragen Allah (s.w.t) im Herzen und er weiß das. Aus Nächstenliebe und Rücksicht auf unsere Mitmenschen sollten wir auf der kommenden Demonstration unsere islamischen Ausrufe reduzieren und beweisen, dass wir gesellschafts- und anpassungsfähige Menschen sind, ohne auf unsere identität zu verzichten und wir auch nichmuslimische Leute mitintegrieren können.
– Es gibt festgelegte Sprecher und Ordnungshüter. Sollte jemand aus der Reihe tanzen, hetzerische Parolen laut ausrufen, ohne Sprecherlaubnis das Wort übernehmen, fluchen oder unanständige Gestiken machen, wird von den Organisatoren und Ordnungshütern aufgefordert die Demonstration und Informationsveranstaltung unverzüglich zu verlassen.
Die Organisatoren sind sich einig, lieber mit wenig, friedlichen Demonstranten zu demonstrieren um Wirkung zu erzielen, anstatt in der Masse, wo jeder macht was er will. Wir wollen klare Regeln und Strukturen festsetzen, um auf einem neuen Niveau eine Demonstration auszutragen, deswegen bitten wir um Berücksichtigung der Regeln. Wer sich querstellt und keinen friedlichen Marsch beabsichtigt, bitten wir sich von der Demo fernzuhalten, va. distanzieren wir uns klar von den Rechtsradikalen und Extremkonservativen. Wir übernehmen keine Verantwortung für individuelles Gedankengut, wenn diese trotzdem teilnehmen sollten.
Wir bitten um Verständnis und Berücksichtigung der aufgeführten Regeln
Die Organisatoren
Zum Auftakt am Hauptbahnhof wird das Meiste davon wiederholt: „Wir wenden uns gegen jeden Antisemitismus, Rassismus und Nationalsozialismus“, verkündet eine Sprecherin. Sie bittet darum, „Israel nicht pauschal zu kritisieren“, sondern die Kritik an die israelische Regierung zu richten. Darüber hinaus solle dieses Mal auf religiöse Parolen verzichtet und Sprechchöre sollten, falls überhaupt, nur von autorisierten Personen in deutscher Sprache angestimmt werden.
Unversöhnliche Fronten?
Einen Schweigemarsch wolle man dieses Mal machen, verkündet Anmelderin Aylin Qasim. Nicht, weil man Angst davor habe, etwas zu sagen, sondern um der vielen Toten „in Syrien, Irak, Burma, Palästina und Afghanistan“ zu gedenken. Wenn es angesichts des 11. Septembers 2001 und des Attentats in Norwegen Schweigeminuten gegeben habe, dann dürfe man angesichts dieser vielen Kriegsopfer „eigentlich nie mehr reden“.
Mit der Kundgebung „Gegen jeden Antisemitismus“, die zeitgleich in der Königsstraße von dem Bündnis „Free Gaza from Hamas“ veranstaltet wird, zeigt man sich unversöhnlich. Qasim bittet die heute Anwesenden, sich nicht provozieren zu lassen. „Die werden Euch bestimmt etwas zurufen. Reagiert nicht auf die. Seht nicht mal hin. Das ist die größte Provokation für Menschen, die von so viel Hass erfüllt sind.“
Bevor der Schweigemarsch loszieht, werden Frauen und Kinder gebeten, an die Spitze des Zuges zu gehen. Ab und an bittet eine Sprecherin, stehenzubleiben, das Friedenszeichen zu zeigen und in die Kameras der anwesenden Medienvertreter zu blicken.
Auch als der Demonstrationszug die Königsstraße kreuzt, bleibt alles ruhig. Während beim letzten Mal eine größere Gruppe junger Männer regelrecht ausflippte, Hassparolen unterlegt mit entsprechenden Gesten brüllte und es innerhalb der Demo selbst deshalb zu einer kleinen Prügelei kam, gibt es dieses Mal keinerlei Zwischenfälle.
Die Gegenkundgebung indes ist den größtenteils muslimischen Teilnehmern der Demo keineswegs so feindlich gesinnt, wie diese vielleicht annehmen. In deren Aufruf (am Ende des Textes komplett) heißt es nämlich unter anderem:
„Ebenso klar ist, dass ein Zeigen auf ‘die Muslime’ oder eine sonst wie rassistisch konstruierte Gruppe als vermeintlich alleinige Träger von Antisemitismus in Deutschland falsch und höchst problematisch ist.“
Aber in einem Konflikt, der seit Jahrzehnten andauert und der etwas komplizierter ist, als es manche Schwarz-Weiß-Antworten glauben machen, ist es wohl kaum möglich, nicht selbst zur Kriegspartei zu werden – auch als Friedensdemonstrant.
Aufruf der Kundgebung “Gegen jeden Antisemitismus”
Vor dem Hintergrund des aktuellen Gaza-Krieges werden seit einigen Wochen bundesweit vermeintliche „Friedensdemonstrationen“ veranstaltet. Friedlich geht es hierbei leider nur selten zu, vielmehr handelt es sich all zu häufig um antisemitische und aggressive Aufmärsche. In Worten und Bildern wird unverhohlen antisemitisch gehetzt, Gegendemonstrationen und als jüdisch identifizierte Menschen werden aus den Aufmärschen heraus bedroht und angegriffen. Jüdische Einrichtungen erhalten Drohbriefe und werden mit antisemitischen Parolen beschmiert, der bisherige Höhepunkt der Gewalt ist ein Brandanschlag auf die Synagoge in Wuppertal in der Nacht zum 29. Juli.
Auch in Regensburg fand bereits eine derartige „Friedensdemonstration“ statt, die sich als antiisraelischer Hassaufmarsch mit teils antisemitischen Inhalten entpuppte. Durch Parolen wie „Kindermörder Israel“ wurde auf die alte antisemitische Legende des jüdischen Ritualmordes Bezug genommen, durch Vergleiche des israelischen Vorgehens in Gaza mit NS-Verbrechen der Holocaust relativiert. Die Rufe „Kahrolsun Israel“ („Nieder mit Israel“) und „Marg bar Israel“ („Tod Israel“) verdeutlichten zudem, dass es einigen Teilnehmer_innen nicht allein um eine Kritik des militärischen Vorgehens Israels, sondern um dessen Vernichtung geht. Konfrontiert mit einer antifaschistischen Gegendemonstrationen stiegen Hass und Aggressivität noch weiter an, von Einzelnen wurden die Antifaschist_innen als „Juden“ beschimpft. Wo „Jude“ als Schimpfwort gilt verwundert es kaum, dass sich auch Anhänger der türkisch-faschistischen „Grauen Wölfe“ wohl fühlen. So zeigte bereits beim Auftakt eine Gruppe junger Männer den „Wolfsgruß“ und konnte dennoch problemlos an der vermeintlichen „Friedensdemonstration“ teilnehmen.
Für den 30. Juli ist erneut eine „Friedensdemonstration“ angekündigt. Die Veranstalter_innen weisen diesmal bereits im Vorfeld darauf hin, dass grobe antisemitische Ausfälle unerwünscht sind. Ob dies Ergebnis einer inhaltlichen Auseinandersetzung oder lediglich eine Reaktion auf die kritische Berichterstattung ist, bleibt abzuwarten. Bei aller Hoffnung ist zu viel Optimismus wohl fehl am Platz, da selbst eine der Veranstalter_innen in Sozialen Netzwerken weiterhin durch Vergleiche den Holocaust relativiert.
Als Antifaschist_innen ist für uns klar: Antisemitismus darf in keiner Form akzeptiert werden, egal ob sich dieser als offene Hetze und Gewalt, vermittelt über vermeintliche Kritik an Israel oder als subtiles Alltagswissen über den angeblichen Charakter „der Juden“ ausdrückt. Ebenso klar ist, dass ein Zeigen auf „die Muslime“ oder eine sonst wie rassistisch konstruierte Gruppe als vermeintlich alleinige Träger von Antisemitismus in Deutschland falsch und höchst problematisch ist. Wenn der Mob und die Elite in Deutschland heute die rassistisch konstruierten „Anderen“ als Antisemit_innen ausmachen, scheint dies viel mehr eine bequeme Möglichkeit, sich nicht mit dem Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft auseinandersetzen zu müssen.