25 Nov2011
Fair Trade: Offener Brief an die IHK
Betreff: Skepsis gegenüber städtischer Bewerbung um Titel „Fair Trade Town“
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großer Verwunderung und Enttäuschung nahm ich Ihre Reaktion auf den
gestrigen Beschluss des Regensburger Verwaltungs- und Finanzausschusses zur
Kenntnis, in der Sie vor einer Polarisierung zwischen Fair Trade und normalem
Handel warnen. Bereits in der Sitzungsvorlage wird auf Ihre Befürchtung verwiesen,
der Verwaltungs- und Organisationsaufwand für die Beteiligung an der Fairtrade-
Kampagne gehe möglicherweise zu Lasten von Aktivitäten zur Förderung des
Absatzes regionaler Produkte.
Als anerkannte und weit über unsere Region hinaus agierende Industrie- und
Handelskammer sollten Sie sich Ihrer Verantwortung für gerechte
Arbeitsbedingungen und sozial faire Entlohnung weltweit bewusst sein.
Insbesondere bei Produkten wie Kaffee, Tee oder Textilien achtet der „normale“
Handel aufgrund des internationalen Preisdruckes nicht immer ausreichend auf faire
Herstellungsbedingungen. Deshalb ist es wichtiger denn je, das
Konsumentenverhalten auf soziale und ökologische Kriterien hin zu lenken. Dank
vieler (oft ehrenamtlich organisierter) Initiativen, Verbände und Unternehmen konnte
in den letzten 30 Jahren viel Aufklärungsarbeit geleistet werden und kleine Bauern
aus den Entwicklungsländern aus ihrer Knechtschaft durch internationale Konzerne
befreit werden.
Als bedeutende bayerische Kommune fällt der Stadt Regensburg eine
Vorbildfunktion zu. Gerade deshalb wäre eine Bewerbung um den Titel „Fair Trade
Town“ ein wichtiges Signal nicht nur allein hinein in die Bürgerschaft, sondern auch
hinein in die Wirtschaft vor Ort. Zudem möchte ich auf Ihre Kollegin und
Branchenkoordinatorin der IHK Berlin, Frau Jeanette Gonnermann, verweisen, die
anlässlich einer von der IHK Berlin selbst veranstalteten Tagung zum Thema
„FairTrade als Vermarktungsstrategie“ den fairen Handel nicht als eine
“Modeerscheinung”, sondern vielmehr als einen anhaltenden Trend mit enormern
Zukunftspotential skizzierte. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands
des deutschen Einzelhandels (HDE) spricht sich klar für die Integration von Fair-
Trade in den Einzelhandel aus und lässt sich wie folgt zitieren: „Ich wünsche mir
einen noch engeren Schulterschluss von Einzelhandel und Fairtrade. Eine gute Basis
stellt dafür die Kampagne Fairtrade-Towns zur Verfügung. Sie bezieht alle Bereiche
kommunalen Engagements mit ein: die Bürger als Konsumenten, die Städte als
öffentliche Beschaffer, die Medien und eben auch den Einzelhandel.“ (Quelle:
Fairtrade-Town).
Da auch bei uns in Regensburg viele Bürgerinnen und Bürger inzwischen in Ihrem
Konsumverhalten zu Produkten aus Fairem Handel „Ja!“ sagen, verwundert mich
Ihre Skepsis gegenüber einer städtischen Bewerbung besonders. Zumal nicht nur in
Berlin, sondern auch in anderen kleineren, jedoch mit Regensburg vergleichbaren
Kommunen wie z.B. Aachen ein IHK-Vertreter als Mitglied in der für die Fair-Trade-
Stadt notwendigen Steuerungsgruppe sitzt.
Ihrem Argument, Fair Trade gehe zu Lasten der Bewerbung regionaler Produkte
muss ich aufs Intensivste widersprechen. Erstens finden sich bei der Recherche
zahlreiche Kooperationsprojekte zwischen regionalem und fairem Handel. Zweitens
handelt es sich bei Fair-Trade meist um Produkte, die bei uns vor Ort nicht angebaut
werden können. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf eine Stellungnahme
von Transfair gegenüber diesem Argument verweisen (siehe Anhang).
Ich hoffe, Sie überdenken Ihre kritische Position zum Thema noch einmal und würde
mich freuen, Sie statt dessen in der Steuerungsgruppe als Vertreter der Wirtschaft
begrüßen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Benedikt Suttner,
Mitglied der ödp-Stadtratsfraktion
Anhang:
Ist es nicht besser regional einzukaufen als Fairtrade zu unterstützen?
Nein, denn Fairtrade steht nicht in Konkurrenz mit der deutschen Landwirtschaft. Der Einkauf von
lokalen Produkten oder nach Fairtrade-Standards erzeugten Produkten schließt sich nicht gegenseitig
aus.
Fairtrade konzentriert sich auf tropische Agrarprodukte, wie Kaffee und Bananen, die im gemäßigten
Klima unserer Breitengrade nicht angebaut werden können. In den Fällen, in denen regional
produzierte Agrarprodukte mit Fairtrade-Produkten konkurrieren, lohnt sich ein sorgfältiger Blick auf
die Ökobilanz. Fairtrade-Produkte werden nachhaltig produziert und sind daher umweltverträglich und
ressourcenschonend.
Andere Fairtrade-zertifizierte Produktgruppen, wie Honig und Blumen, werden in den europäischen
Ländern nicht in ausreichender Menge hergestellt. Da die heimische Produktion die Nachfrage nicht
decken kann um den Kaufgewohnheiten der Konsumentinnen und Konsumenten nachzukommen,
sind wir auch hier in Deutschland auf Importe angewiesen.
Konsumierende haben häufig nicht die Wahl zwischen heimischen und Fairtrade-zertifizierten
Produkten. Sie wählen vielmehr zwischen Fairtrade-Honig und über den konventionellen Markt
importierten Honig aus den USA oder China. Es bleibt jedem selbst überlassen, hier die Vor- und
Nachteile abzuwägen und Entscheidungen zu treffen.
(Quelle: www.fairtrade-deutschland.de)
P.S.: Dieser Brief wird als Kopie in der Form eines offenen Briefes auch an die Regensburger Medien
verschickt.