08 Apr2013
Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" im Theater am Bismarckplatz
Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt daran zugrunde
Passend zum Wahljahr bringt das Stadttheater Regensburg Henrik Ibsens „Volksfeind“ auf die Bühne. Am Samstag feierte die Inszenierung von Charlotte Koppenhöfer Premiere.
Am Anfang der Geschichte weiß Tomas Stockmann schon, was ihn am Ende erwarten wird. Gebrandmarkt als Volksfeind, ist seine Wahrheit ihm zum Verhängnis geworden, weil sie unbequem ist – wie Wahrheiten das nun mal sind. Die Gemeinschaft, zu deren Wohl er sich einsetzen wollte, hat sich gegen ihn gewandt. Er ist, und das hätte Hemingway nicht besser beschreiben können, zerstört: seiner Frau und ihm wurde der Job gekündigt, aus ihrer Wohnung müssen sie raus, ihre Flucht nach Amerika ist gescheitert – er ist das Opfer einer Intrigenkampagne seines einflussreichen Bruders, des Bürgermeisters (Frerk Brockmeyer) geworden. Zerstört mag Stockmanns Existenz sein, doch er gibt nicht auf. Der ungewisse Ausgang, das offene Ende: ein echter Ibsen. Doch was hat Tomas Stockmann (in grandioser Form gegen den Strom schwimmend: Gerhard Hermann) in diese extreme Lage gebracht?
„Der schlimmste Feind der Wahrheit und der Freiheit ist die kompakte Mehrheit. Ja, diese verfluchte, kompakte, liberale Mehrheit.“ – Tomas Stockmann, Ein VolksfeindDas Wasser der Badeanstalt, die der Gemeinde Wohlstand und dem Bürgermeister Ruhm und Ehre bringen sollte, ist leider durch Bakterien vergiftet. Tomas Stockmann, der Badearzt, hat das aufgedeckt und wünscht nun, dass die Wahrheit darüber ans Licht käme. Er glaubt, er habe die Medien und die „kleinen Leute“ hinter sich, doch die Wahrheit ist am Ende nur soviel wert, wie sie den individuellen Interessen der Meinungsmacher nutzt: nämlich nichts. Niemand will die Wahrheit hören, wenn sie nicht mit den eigenen Plänen von Karriere, Sicherheit und Weltvorstellung übereinstimmt. Das Problem an der Wahrheit ist also das durchaus flexible Verhältnis dieser Gesellschaft dazu, je nachdem ob man sie brauchen kann. Die Schieflage dieser Gesellschaft also, in der jeder zuerst an sich selbst denkt und das als Gemeinschaftswohl verkauft, wird exakt von der minimalistischen Bühne (Sonja Füsti) gespiegelt; die leere runde Plattform dreht sich im Kreis, bäumt sich zu immer neuen Schieflagen auf. Das Regiekonzept von Charlotte Koppenhöfer, die klare visuelle Struktur, die dem Ibsen-Stück eine strenge und moderne Ästhetik verpasst, ist dazu sehr stimmig.
„Tomas, dein Bruder hat nun mal die Macht.“ – „Und ich hab das Recht.“ – „Ach das Recht, das Recht; was nützt dir das Recht, wenn du keine Macht hast.“Stockmann möchte offen über Unbequemes sprechen. Der Bürgermeister möchte seine Fehlentscheidungen vertuschen und seine Autorität bewahren. Der Vorsitzende des Hausbesitzervereins (eher steif: Jacob Keller) möchte gerne ein kleines Revolutiönchen, aber bitte maßvoll und gesittet und nur, wenn’s nicht auf Kosten der Steuerzahler geht. Der Chefredakteur des „Volksboten“ (Gunnar Blume als opportunistischer Wendehals) möchte eigentlich nur mit Stockmanns Frau (behauptet sich gegen die Übermacht der Männer auf der Bühne: Ulrike Requadt) knutschen. Die Machtverhältnisse in der Gemeinde werden auf die Probe gestellt. Für Stockmann, der alles verliert, ist Demokratie am Ende die Herrschaft der Dummen über die Sehenden. Die Mehrheit, die er hinter sich wähnte, ist zu feige für die von ihm propagierte Offenheit. Gegen neun darf das Volk, also das Premierenpublikum, selbst wählen: ist Stockmann ein Volksfeind oder nicht? Das Ergebnis steht natürlich schon vorher fest. So wird also Politik gemacht. Wann sind hier gleich nochmal Kommunalwahlen? „Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen. Regie: Charlotte Koppenhöfer. Bühne und Kostüm: Sonja Füsti. Musik: Jan-S. Beyer. Mit: Gerhard Hermann, Ulrike Requadt, Frerk Brockmeyer, Heiner Stadelmann, Gunnar Blume, Michael Heuberger, Thomas Birnstiel, Jacob Keller. Premiere: 6. April 2013.