Entschlossene Geschichtsverdrängung
Der römisch-katholische Priester und ehemalige Rektor der Philosophisch-theologische Hochschule (PTH) Josef Engert gilt als Vater der Regensburger Universität. Ein Preis der Stadt Regensburg ist nach ihm benannt. Tatsächlich war Engert ein völkisch-katholischer Unterstützer und Propagandist des NS-Regimes. Im vierten und letzten Teil unserer Serie (alle Teile hier zum Nachlesen) befasst sich Robert Werner mit der Gründung und Selbstdarstellung der Regensburger Universität und problematisiert die Gedenkpolitik um Engert.
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Engert: „zum Wiederaufstieg unseres Volkes beitragen“
Auf der großen Feier der PTH zu seinem 65jährigen Geburtstag (25.1.1947) versicherte Engert, sich auch fürderhin zum Wohle des akademischen Nachwuchses einzusetzen, „um so zum Wiederaufstieg unseres Volkes beizutragen.“ Die Entnazifizierung war hierbei – wie geschildert – keine notwendige Voraussetzung sondern ein lästiges, zu umgehendes Hindernis. Bereits Mitte 1947 schlug er in einer ersten Denkschrift an das bayerische Kultusministerium eine kirchlich geprägte „Hochschule für Geisteswissenschaften“ vor, was jedoch abgelehnt wurde. Da auch die Professoren der Bamberger PTH zur Universität aufsteigen wollten, die finanziellen Landesmittel jedoch allemal zu knapp waren, entwickelte das Münchner Ministerium 1948 den Kompromiss einer zweigeteilten Universität Bamberg-Regensburg. Wobei an der Donau Geisteswissenschaften und Medizin, an der Regnitz Jura, VWL und Naturwissenschaften und an beiden Orten römisch-katholische Theologie gelehrt werden sollten.
Dieser Plan hatte viele Gegner: Die Fraktionen von SPD und FDP im Landtag, die bestehenden Unis einschließlich der katholischen Fakultäten und die evangelischen Kirche, für die keine eigene Fakultät vorgesehen gewesen war. Die Errichtung einer vierten bayerischen Landesuniversität entpuppte sich zu einem Landespolitikum ersten Ranges, in dessen Rahmen neben bildungspolitischen ebenso städtische, kirchliche, regionale und wirtschaftliche Interessen verhandelt wurden. Schon 1950 vertagte der Landtag die Standortentscheidung und zwei Jahre später wurde der Kompromiss Bamberg-Regensburg verworfen. Stattdessen sollten die raren finanziellen Mittel in den Ausbau der bestehenden Uni-Standorte München, Erlangen/ Nürnberg und Würzburg fließen.
Katholische Grabenkämpfe
Eine pragmatische Entscheidung, die Engert jedoch in seinen Reflexionen von 1962 verschwörungsmäßig auf sich persönlich bezog. Als seine damaligen Hauptfeinde wähnte er demnach den Kultusminister Alois Hundhammer und dessen „allzu williges Werkzeug“ Heinz Fleckenstein, Engerts Nachfolger als PTH-Rektor seit 1947. Beide haben seiner Ansicht nach gegen eine Universität in Regenburg agiert. Und in den Augen Engerts besonders verwerflich: Fleckenstein habe im Juni 1947 die Katholische Studentenverbindung Rupertia (Cartell-Verband) gegründet „obwohl er ein KVer“, also Mitglied im konkurrierenden Kartell-Verband war, so Engert vorwurfsgeladen.
Obgleich die hier angedeuteten Grabenkämpfe zwischen katholischen Studentenverbindungen von außen betrachtet zunächst wie Kinderkram erscheinen, wurde damals wohl das Fundament für die Dominanz der K.St.V. Rupertia in der Regensburger Stadtgesellschaft gelegt.
Unigründung durch falsche Partei
Nach dem negativen Landtagsentscheid gab Engert freilich nicht auf, schrieb weiterhin Briefe an Entscheidungsträger bzw. Kritiker und modifizierte seine Denkschriften. Er wurde Wortführer im „Verein der Freunde der Universität Regensburg“, der 1959 in SPD-Oberbürgermeister und Landtagsabgeordneten (MdL) Rudolf Schlichtinger einen gewichtigen Unterstützer fand und Lobbyarbeit für Regensburg leistete. Die einstimmige Entscheidung für den Unistandort Regensburg fiel erst im Juli 1962. Vorausgegangen waren ein entsprechender Antrag im Landtag von MdL Schlichtinger und Parteikollegen vom Januar 1961 und ein kurz danach von einigen CSU-Abgeordneten gestellter, gleichgerichteten Gesetzesantrag.
Für Engert war es ein Graus, dass die SPD an der Neugründung der Regensburger Universität maßgeblich beteiligt war. Mit einem Schreiben an den „Herrn Bundes-Minister Dr.F.Jos. Strauß in der Bayernhalle München“ von Juli 1961 wollte er in dieser Hinsicht Schadensbegrenzung betreiben und warb zumindest für eine geschlossene Haltung der CSU pro Uni-Standort Regensburg.
Die Regensburger Universität hatte jedoch keinen guten Start. Erst nach monatelangen Verschiebungen und Verzögerungen konnte ihr Grundstein am 20. November 1965 gelegt werden – ihr Gründungsdirektor Götz von Pölnitz wurde tags darauf entlassen. Pölnitz war nicht mehr haltbar, nachdem seine Schulungstätigkeiten für das NS-Regime, unter anderem bei der Obersten SA-Führung, bekannt geworden waren. Der Vorlesungsbetrieb an der Donau startete zum Wintersemester 1967/68.
Da die bayrischen Universitäten Ende der 1960er Jahre weiter durchgängig überfüllt waren, wurde 1970 auch in Augsburg und etwas später in Bamberg (1972) bzw. Passau (1978) eine Universität gegründet.
Albertus-Magnus-Medaille für einen „Phantasten“
Die erste städtische Auszeichnung für Josef Engert ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem der ehemalige SS-Förderer und NSDAP-Genosse Hans Herrmann 1952 in Regensburg als CSU-Oberbürgermeister an die Macht kam, verlieh er mehreren Parteigenossen und Professoren, die sich zu Hitler bekannt hatten bzw. von ihm ernannt worden waren, die städtische Albertus-Magnus-Medaille. Neben Domkapellmeister Theobald Schrems, Nazi-Dichter Florian Seidl und Museumsdirektor Walter Boll kamen auch die PTH-Professoren Hans Dachs, Sebastian Killermann und eben Josef Engert zum Zug.
Als Engert von der Ehrung im Vorfeld erfahren hatte, wandte er sich schriftlich an den kirchentreuen OB Herrmann und bat „dringend davon abzusehen“ (Schreiben vom 4.Oktober 1955; in Nachlass Engert, Staatliche Bibliothek: IM/NL Engert). Seine unablässigen Bemühungen um eine Universität seien „mißglückt, wenn auch nicht durch meine Schuld“. Er müsse „die Ehrung als Ironie ansehen, weil ein ‚Phantast‘ sich an einen so großen Gedanken wagte.“ Er wüsste nicht, warum die Stadt gerade ihm eine Medaille verleihen sollte. Erwähnen könnte man den Aufbau des Domgymnasiums und der VHS, was aber doch längst wieder vergessen sei. Es widerstrebe ihm, Auszeichnungen für selbstverständliche Leistungen anzunehmen. Es reiche ihm das Bewusstsein, nach seinen „Kräften der Stadt und dem Volke gedient zu haben.“
Auch diese – vielleicht gar nicht so ernst gemeinte – Intervention missglückte Engert, wenn man so will. Jedenfalls wurde ihm die Albertus-Magnus-Medaille im gleichen Jahr verliehen. Weitere folgten: 1956 Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 1959 der Bayerische Verdienstorden und 1962 die „Silberne Bürgermedaille der Stadt“.
Fünfzehn Jahre nach seinem Tod von 1964 wurde unter OB Friedrich Viehbacher Ende November 1979 anlässlich der Grundsteinlegung des Uniklinikums zum ersten Mal ein städtischer „Josef-Engert-Preis“ für herausragende akademische Leistungen mit einem Bezug auf Regensburg verliehen.
Die Erzählungen über Engert als honoriger Vater der Universität Regensburg wurden auf diese Weise auf eine höhere Stufe gehoben und so kanonisiert. Um die Reihe postumer Ehrungen abzuschließen, benannte die Stadtverwaltung ein Jahr später, 1980, eine Straße am Unigelände nach Josef Engert. Diese mündete – skurril und passend gleichermaßen – in eben jene Straße, die damals noch den Namen des Nazidichters und Unterstützers der NS-Rassenhygiene Florian Seidl trug.
Entschiedene Befürworter des NS-Regimes wie Seidl und Engert bzw. der interessensgeleitete bzw. verdeckende Umgang der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit ihnen haben nicht nur ideelle Altlasten hinterlassen. Fast zeitgleich mit der Verleihung des ersten „Josef-Engert-Preises“ tauchten 1979 auf dem ehemaligen Militärgelände in Schierling hunderte von Ampullen mit dem Kampfgas Lost auf. Man hatte sie im April 1945 nur notdürftig vergraben – zwischenzeitlich war etwas Gras darüber gewachsen.
Der bereits erwähnte Lehrbeauftragte der Regensburger PTH, Anton Kiesselbach, der in der NS-Zeit an Tötungen und Versuchen mit Lost beteiligt gewesen sein soll (siehe Teil III), bekam im März desselben Jahres vom Regensburger Oberbürgermeister Viehbacher eine einzigartige Auszeichnung verliehen: die „Reichsaalmedaille“. Dies wäre aber eine eigene, absonderliche Geschichte.
Regensburger Vergangenheitspolitik zwischen Missbrauch und Ignoranz
Welches Interesse hatte die Regensburger Stadtverwaltung daran, Engert gegen seinen Willen auszuzeichnen oder nach seinem Tod eine Straße bzw. Preis nach ihm zu benennen? Gefälligkeit oder einfach Ausdruck einer notorisch konservativen bzw. pseudo-entnazifizierten Verwaltung, die sich um NS-belastete Gestalten kümmerte? Wie kam ein von der SPD dominierter Stadtrat 1973 auf die Idee eine Straße nach dem Nazi-Dichter Florian Seidl zu benennen? Was bewegte OB Viehbacher dazu den Nazi-Anatomen Kiesselbach mit einer eigens kreierten Medaille auszuzeichnen?
Bis in die heutigen Tage drängt sich der Eindruck auf, dass die städtische Vergangenheits- und Gedenkpolitik hinsichtlich der NS- und Kriegsgeschichte auf einem mächtigen Fundament von moralischer Verwüstung, interessensgeleiteter Geschichtsklitterung und konservativ-klerikaler Kulturpolitik fußt. An den Spruchkammerlügen des Nazi-Bürgermeisters Otto Schottenheim hielt die Stadtverwaltung bzw. Stadtpolitik über seinen Tod hinaus fest. Oder, um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Bis zuletzt stützte Oberbürgermeister Hans Schaidinger die wohlfeile, die Wehrmacht verklärende Legende des Tagebuchfälschers und selbsternannten Retters der Stadt zum Kriegsende, Robert Bürger.
Einen befremdeten Eindruck in Bezug auf den Umgang den Regensburger mit der Nazizeit hatten allerdings vor über dreißig Jahren schon andere. 50 Jahre nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus kritisierte ein Zeitungsbericht in DIE WOCHE (vom 27.3.1983) unter der Überschrift „Ursachen und Folgen – Kollektive Vergangenheitsverdrängung“ den bürgerschaftlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit. Vieles davon, etwa die nach Hans Herrmann benannten Schulen, ist immer noch aktuell. So dauert auch die Verdrängung und Verleugnung des NS-Engagements von Josef Engert an, insbesondere innerhalb der Theologenschaft.
Erster Rückblick der Universität: Kein akademischer Lehrer der PTH politisch kompromittiert
Zwanzig Jahre nach ihrer Eröffnung war in der Regensburger Zentralbibliothek die kleine Ausstellung „Dokumente zu Vorgeschichte und Aufbau der Universität Regensburg“ zu sehen. Sachlich und prägnant wurde darin ihre Entstehungsgeschichte nachgezeichnet und die Vorreiterrolle von Prof. Dr. Josef Engert betont. Im Kurzführer der Ausstellung von 1987, verfasst von Friedrich Hartmannsgruber, heißt es, die Gründungsidee aus der frühen Nachkriegszeit sei eine Rückbesinnung auf weltanschauliche Normen gewesen, „die während des Nationalsozialismus verschüttet gewesen waren.“ (S.3)
Diese Darstellung war ganz im Sinne Engerts, der die Jugend „auf große, gerechte und glühende Ideen wahrhaft christlichen Geistes“ umschulen wollte. Engerts NS-Engagement wird in der Ausstellung allerdings überhaupt nicht angesprochen und seine Demission von 1947 mit konzeptionellen Differenzen innerhalb des Kollegiums hinsichtlich einer Universität erklärt. Dies ist insofern bemerkenswert, da die Ausstellung auch auf Engerts Nachlass gründete und aus diesem seine affirmative Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus eindeutig hervorgeht.
Auch der Religionspädagoge Wolfgang Nastainczyk blickte 1987 in seinem Festvortrag auf die 20jähre Geschichte der römisch-katholischen Fakultät in Regensburg und auf ihren Vorläufer zurück. Nastainczyk, der dort seit den Anfängen von 1967 als Professor wirkte, kam bei dieser Gelegenheit zu einem verwunderlichen Befund. Da die PTH in der NS-Zeit stark benachteiligt gewesen sei, seien zum Kriegsende 1945 nur noch zwei der elf Professuren besetzt gewesen. Das Gute daran – so der Religionspädagoge: Von den wenigen Verbliebenen habe kein akademischer Lehrer „sich politisch kompromittiert, was in der NS-Zeit ja leider auch unter katholischen Theologen nicht selbstverständlich“ gewesen sei. Welche Theologen sich im Nationalsozialismus kompromittiert hatten, erfährt man von ihm nicht.
Entschlossene Verdrängung statt redlicher Rückblick
Der Priester Nastainczyk zeigt Entschlossenheit: nicht zu einem redlichen und selbstkritischen Rückblick, sondern zur Verdrängung. Er weiß weder von dem Bekenntnis zu Adolf Hitler der gesamten PTH-Professorenschaft von 1933 noch von Engerts Kampf gegen „das weitere Einsickern jüdischen Blutes“ etwas zu berichten. Für Engerts Nachkriegsengagement findet er nur Worte des Lobes und der Anerkennung. Ihm gebühre zweifelsfrei „die Ehre, Vater des Regensburger Universitätsgedankens genannt zu werden“. Der Regensburger Kirchenhistoriker Karl Hausberger übernahm diese schmeichelhafte Darstellung samt ihrer Lücken.
Gelehrtes Regensburg blendet Quellen aus
In der Ausstellung Gelehrtes Regensburg – Stadt der Wissenschaft bzw. im gleichnamigen Begleitbuch von Ende 1995 bespricht erstmals der Theologe Karl Hausberger ansatzweise die PTH in der NS-Zeit. Wie zuvor Wolfgang Nastainczyk sieht der Geistliche Hausberger die PTH als von den Nationalsozialisten „ideell, personell und finanziell benachteiligt“ an, bis sie 1939 schließlich geschlossen wurde. Ebenso betont er Engerts unermüdlichen Einsatz im Wiederaufbau hin zur Gründung der Universität. In den ersten zehn Nachkriegsjahren habe die „Ersatzuniversität“ – sprich „angesehene ältere Gelehrte und hoffnungsvolle jüngere Wissenschaftler“, die als „Flüchtlinge“ gekommen seien – Hervorragendes für die Überwindung des akademischen Notstands geleistet (S. 190).
Problematisches oder Kritikwürdiges entdeckte Hausberger, seit 1982 in Regensburg Lehrstuhlinhaber für Neuere Kirchengeschichte, für diese Zeit nicht. Offenbar arbeitete auch er nur höchst selektiv mit dem Nachlass Engerts. Allein im Ausstellungstext – verfasst von seinem damaligen Assistenten Manfred Eder – findet sich eine kritische Andeutung zu Engert. Eder bemerkt knapp: Engerts Philosophischen Reisenotizen – Wohin Amerika seien nicht frei von „nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Anklängen“ (S. 207).
Engert wird „Brückenbauer“ zum Nationalsozialismus
Elf Jahre später, als Hausberger eine Arbeit zu Die Philosophisch-Theologische Hochschule in Regensburg in der Zeit des Nationalsozialismus (2006) veröffentlichte, ging er dieser Andeutung eigenartigerweise nicht nach. Zweifelsfrei sei Engert ein „Rechtskatholik“ gewesen, der wie viele andere auch der Weimarer Republik „skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden sind“, so Hausberger. In seiner Abhandlung, die leicht verändert auch im Rahmen der bundesweiten Studie „Katholische Theologie im Nationalsozialismus“ (2007) erschien, geht der Kirchengeschichtler vorläufig davon aus, dass Engert sich zumindest zu Beginn der NS-Herrschaft „wie kein anderer seiner Kollegen als Brückenbauer zum Regime“ geriert habe. Und, dass die reservierte Haltung, die Bischof Buchberger gegenüber Engert eingenommen habe – wie Hausberger nebenbei anmerkt –, höchstwahrscheinlich mit dessen Affinität zum Nationalsozialismus erklärbar sei. Genaueres könne aber erst nach einer gründlichen Beschäftigung mit den Publikationen Engerts gesagt werden. Was die anderen brückenbauenden PTH-Kollegen auszeichnet, bearbeitete Hausberger ebenso wenig wie die völkischen Ansätze bei Buchberger.
Hausbergers schiere Weigerung den Engertschen Nachlass nachvollziehbar auszuwerten verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, dass er 1996 eine heldenmäßige Biografie zu dessen Bruder Thaddäus publizierte. Der katholische Priester und Theologe Thaddäus Engert wurde 1908 wegen sogenannter modernistischer Tendenzen exkommuniziert, wechselte daraufhin zunächst ins lutherische und in der NS-Zeit ins Lager der Deutschen Christen Thaddäus Engert wollte im Rahmen des NS-Regimes eine andere Kirchlichkeit, ein deutsch-völkisches Christentum aufbauen. Genau darin trafen sich die Engert Brüder: Beide wollten das NS-Regime auf ein völkisch-christliches Fundament stellen. Im Sommer 1940 besuchte Thaddäus Engert seinen Bruder Josef in Regensburg, wo sie sich vermutlich auch über ihr weiteres Vorgehen austauschten. Hausberger erwähnt nur diesen Besuch, geht aber den völkischen Gemeinsamkeiten der Brüder aus dem Weg.
Untiefen in der kirchlichen Zeitgeschichte Regensburgs
Warum untersuchte Hausberger die im Druck vorliegenden völkisch-christlichen Manifeste Engerts nicht? Warum bewertete Hausberger Josef Engert nur vorläufig
Hausbergers Problem dabei: Bischof Graber adelte Adam 1976 in seinem Festvortrag anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Katholischen Fakultät zum „Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Theologie“. Strippenzieher des Vortrags und der Ehrenpromotion für Graber von 1976 waren der damalige Regensburger Professor Joseph Ratzinger und der bereits erwähnte Wolfgang Nastainczyk, damals Dekan der Fakultät.
Die von völkischen Theologen wie Engert und Adam propagierte Zusammenarbeit von Nationalsozialismus und Christentum stieß innerhalb der katholischen Kirche freilich bereits in der NS-Zeit auch auf Prostest. So zum Beispiel von Seiten des Berliner Domprobstes Bernhard Lichtenberg, der dem nazifreundlichen Theologen Adam energisch widersprochen hatte und als Nazi-Gegner auf dem Weg zur Internierung im Konzentrationslager Dachau verstarb.
Demgegenüber konnte Adam seine völkische Theologie 1934 sogar auf einer Veranstaltung im Rahmen des Katholikentags in Stuttgart unters Kirchenvolk tragen. Seine rhetorische Frage von damals lautete, ob nicht ein neues deutsches Volk im Werden sei, ein Volk „das zurückkehrt zum ererbten Blut, zum heimischen Boden und zu jenem Urtum und Heiligtum, aus dem es von jeher seine besten Kräfte nahm, zum christlichen Glauben?“
Katholische Resistenz und Anregung durch Nicht-Katholiken?
Die pronationalsozialistische Propaganda der Theologen Engert und Adam dürfte viel dazu beigetragen haben, dass sich die angeblich vor dem März 1933 vorhandene katholische „Resistenz“ gegen die nationalsozialistische Ideologie, die auch Hausberger hochhält, weitestgehend verflüchtigte. Diese kirchengeschichtlichen Zusammenhänge historisch und theologisch aufzuarbeiten, das wäre eine sehr lohnenswerte Arbeit für einen Lehrstuhlinhaber. Hausberger leistete sie nicht, er emeritierte im Jahre 2009. Er stand unter der Kuratel von Bischof Gerhard Ludwig Müller, der sich wiederholt mit strategisch gesetzten, inhaltlich jedoch abstrusen NS-Vergleichen ins Rampenlicht stellte.
In der Zeit zwischen den Weltkriegen war Karl Adam ein international bekannter Dogmatiker, in etwa so wie heutzutage Gerhard Ludwig Müller mit seinem Werk. Liest man in Müllers Katholischer Dogmatik (1996) nach, erfährt man, dass sich die katholische Theologie in der Kriegszwischenzeit mit „der nicht-katholischen Kultur“ breit anregen habe lassen. Eine schwammige Floskel, die auch dahingehend gedeutet werden könnte, der Dogmatiker Adam habe sich von der völkischen NS-Bewegung anregen lassen. Müller geht auf dessen NS-Engagement freilich nicht ein. Adam habe, so Müllers Dogmatik lapidar, „den Geist der Tübinger Schule“ weiter entwickelt, ebenso wie seinerzeit Professor Josef Ratzinger.
Da Müllers Nachfolger Rudolf Voderholzer bei der Amtseinführung just Bischof Graber zu seinem Vorbild auserkoren hat, dürfte der generationenübergreifende Verdrängungskomplex seitens der Theologen hinsichtlich NS-Geschichte noch eine Zeit lang Bestand haben.
„Brücken bauen“ in der „Josef-Engert-Straße“
Josef Engert kann seine völkische Theologie, seinen Antisemitismus und Rassismus schon lange nicht mehr persönlich verbreiten – er starb vor bald 50 Jahren, am 7. Oktober 1964. Der geschönte und unredliche Umgang mit Engert, dem Brückenbauer zum NS, schwebt jedoch über der Stadt und in der Diözese. Sein verdrängtes oder verleugnetes NS-Engagement kommt zutage, sobald man an der gedenkpolitischen Fassade ein wenig kratzt, auch dann, wenn der Katholikentag „Brücken bauen“ will.
Die erste große Eucharistiefeier und der Hauptgottesdienst des Regensburger Katholikentags, jeweils zelebriert von Bischof Voderholzer, fanden just im Uni-Stadion an der Josef-Engert-Straße statt.
Auffällig ist, dass sich das gigantische Programm zum Katholikentag so gut wie nicht mit Fragen zum Nationalsozialismus beschäftige. Allein das Leben des 1934 im KZ Dachau erschossenen Journalisten Fritz Gerlich, der gegen das NS-Regime angeschrieben hatte, wurde thematisiert. Gerlich gilt deswegen als Vorzeige-Katholik, zumal er dazu angeblich von Resl von Konnersreuth animierte worden und sogar zum katholischen Glauben übergetreten war. Bischof Voderholzer ließ es sich von daher nicht nehmen, eine Veranstaltung zum Wirken Gerlichs persönlich zu begleiten.
Unerträglicher Preis
Auch wenn der gesellschaftliche Umgang mit NS-Sympathisanten und NS-Tätern in anderen Städten grundsätzlich kaum anders gewesen sein dürfte, ist die Regensburger Situation eine besondere. Am Beispiel Engert zeigt sich erneut, wie unauflöslich verquickt die NS- bzw. Unigeschichte der Stadt mit der der katholischen Kirche ist. Bezüglich Engerts Meriten, die er anlässlich der Unigründung erworben haben soll, stimmten in das polyphone und medial aufgegriffene Lobeslied ein: die Stadtpolitik, der wirtschaftsnahe „Verein der Freunde der Universität“, die Selbstdarstellung der Universität und das bischöfliche Ordinariat.
Angesichts dieser Phalanx wäre es eine Überraschung, wenn das Ergebnis dieser Recherche, die Engert als ein völkischen Theologen, Antidemokraten, Antisemiten und untragbaren Namenspatron zeichnet, einen Kurswechsel in der unredlichen Gedenk- und Vergangenheitspolitik bezüglich Engert einläuten würde. Engert steht exemplarisch für eine moralisch verwüstete Generation, die 1933 die völkische NS-Ideologie mit ihrem Antisemitismus und Rassismus aktiv verbreitet und sich nach 1945 mit Selbstbetrug und Lügen der Entnazifizierung entzogen haben. Gerade solche Figuren wurden in der deutschen Nachkriegsgesellschaft mehrfach ausgezeichnet.
Andererseits ist es fünfzig Jahre nach dem Tod Engerts längst an der Zeit, dass die Universität ihre wohlfeile Selbstdarstellung und die tendenziöse Verklärung der Person Josef Engert aufgibt. Es ist an der Zeit, dass der „Josef-Engert-Preis“ abgeschafft oder besser: umbenannt wird.
Ein Preis für Raphael Straus
Anbieten würde sich der jüdische Historiker Raphael Straus, der 1933 vor den Engerts und anderen Nazis geflohen ist, und 1947 im amerikanischen Exil verstarb. Wie kein zweiter hat sich Strauß unschätzbare Verdienste nicht nur um die Erforschung der jüdischen Geschichte Regensburgs erworben, indem er jahrelange Quellen- und Aktenstudien betrieb und diese editierte.
Von außen gedrängt, veranstaltete das Kulturreferat 2006 ein Symposium, in dessen Rahmen das Werk von Straus in Regensburg erstmals ansatzweise gewürdigt wurde. Allerdings reichte die Motivation zur Würdigung von Straus nicht so weit, dass die damaligen Redebeiträge, wie angekündigt, vom Stadtarchiv auch publiziert wurden. Beides ist überfällig: die Distanzierung von Josef Engert und eine angemessene Ehrung von Raphael Straus. Eine Umbenennung des untragbaren Josef-Engert-Preises zu einer nach Raphael Straus benannten Auszeichnung böte sich an.
Michael W. Zach
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Besten Dank an Herrn Werner für diese neuerlichen, höchst interessanten Ausführungen zu Regensburgs Stadtgeschichte, wie man diese sonst leider nirgends finden kann. Da gibt es also noch jede Menge aufzuarbeiten, wobei sich bestimmte Dinge politischer wie kirchlicher Natur jetzt im Nachhinein viel besser erklären lassen.
R. Werner
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Zu Raphael Straus sendete BR 2 einen hörenswerten Beitrag, in dem die Auseinandersetzungen zu Wilhelm Grau und Straus thematisiert werden. Ebenso gibt es einen Hinweis auf das 2010 eingestampfte Buch von Klaus Fischer, “Regensburger Hochfinanz” (2003), das vom Stadtarchiv herausgegeben wurde und den Nazi-Historiker Grau als seriösen Wissenschaftler abhandelte.
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/land-und-leute/wilhelm-graus-gestohlener-doktortitel-tree-100.html
Mathilde Vietze
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Es ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenn es
künftig “Preis der Universität Regensburg” heißt. Ich
bezweifle, ob das unter einem CSU-Oberbürgermeister
so gelaufen wäre.