Ein bisschen Kulturkericht
Ein Blick auf’s Kulturelle in der vergangenen Woche – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Objektivität oder Wohlgefallen – übersichtlich in einer Ecke zusammengekehrt.
Der Künstler als Seismograph – diese Vorstellung hat es Oberbürgermeister Joachim Wolbergs angetan. Schon lange vor seiner Wahl wiederholte er sein Credo gern, wenn es ihm passend erschien. Man könnte es so umschreiben: So ein Künstler soll Bescheid geben, wann es rappelt im Karton. Doch was ein richtiges Erdbeben ist, das macht auch verdammt viel Dreck, und das will ja keiner, erst recht nicht in einer wunderschönen Stadt wie Regensburg und dann noch kurz vor dem Bürgerfest. Zeit, den Besen zu schwingen und mal ein bisschen Ordnung in die gute Stube zu bringen.
Kreative Tischdecken und der Wunsch nach Poolbildung
Zuletzt kam die Seismographen-Catchphrase des OB bei der Zusammenkunft der kreativen Köpfe Regensburgs vergangenen Freitag zum Einsatz. „Bayernkreativ“, die bayerische Initiative zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft, lud zum „Dialogforum“ in den Leeren Beutel. Der Andrang war nicht so groß, wie zunächst von den Veranstaltern erwartet – so manches vorbereitete Namensschildchen wurde nicht abgeholt. Zuerst gab es einige mitunter ausgesprochen interessante Input-Vorträge. So wurde zum Beispiel ein statistischer Blick auf das „Cluster“ Kreativwirtschaft geworfen und aufgedröselt, welche Branche welchen Anteil am erwirtschafteten Betrag hat und in welchem Verhältnis zur Gesamtwirtschaft die einzelnen Teilbranchen wachsen. Insbesondere die Games- und Softwarebranche ist ein Zugpferd der „KuKW“.
Doch eigentlich stand bei der Veranstaltung ja der Austausch im Vordergrund. Einmal mehr wollte man von den Kreativen wissen, was sie denn brauchen und wollen, und mal wieder war die einhellige Antwort: Netzwerke, Pools, Möglichkeiten zum Austausch. Es scheint so, als verzweifle ein ganzer Wirtschaftsbereich lediglich daran, miteinander zu reden. Mal sehen, was „Bayernkreativ“ hier für Lösungen parat haben wird. Die von den Anwesenden mit bunten Textmarkern beschriebenen Tischdecken wurden vom Veranstalter jedenfalls mitgenommen und ausgewertet. Die Stadt Regensburg hat auf das Netzwerk-Desiderat übrigens schon lange reagiert und eine eigene Stelle beim Amt für Wirtschaftsförderung geschaffen – ein lokaler Berufs-Netzwerker sozusagen, der aktuell die einzelnen Akteure besucht und sich ein Bild von der Lage macht.
Livekultur: Ist ein Paradigmenwechsel in Sicht?
Erstaunlich gering war die Schnittmenge zwischen denen, die beim Dialogforum von „Bayernkreativ“ dabei waren, und jenen, die wenige Stunden später am Bismarckplatz für „Mehr Raum für Livekultur“ eintraten. Eine ähnliche Kundgebung hatte es Anfang Mai gegeben. Damals musste man sich aufgrund der städtischen Auflagen für die Demonstration aber mit Livemusik und Redebeiträgen so zurückhalten, dass der Brunnen vor dem Haus der Musik das Aufbegehren von Künstlern, Veranstaltern und Unterstützern deutlich übertönte.
Diesmal hatte die Stadt den Brunnen rücksichtsvollerweise abgeschaltet. Dieser Akt des Erbarmens passt zu dem, was Tobias Maier, Miteigentümer der „Heimat“ und einer der Redner auf der Kundgebung, von seinem letzten Termin bei Josef Prantl im Ordnungsamt zu berichten hatte. Demnach steht ein Paradigmenwechsel in Sachen „Regel der zwölf Vergnügungen“ zumindest in Aussicht. Zudem wolle man stärker auf Zusammenarbeit mit den Veranstaltern setzen. Der Hintergrund: Bislang genehmigt das Ordnungsamt jeder Schankwirtschaft nur zwölf „öffentliche Vergnügungen“ pro Jahr. Diese Praxis, die auf einem Gerichtsurteil aus den 80er Jahren fußt, ist einer der Hauptkritikpunkte von Verfechtern einer freien und lebendigen Livekultur. Ebenso wie bei der Sperrzeitverlängerung ist unklar, ob diese Verfahrensweise einer gerichtlichen Überprüfung letztinstanzlich überhaupt standhalten würde. Es bleibt also spannend, wie es mit den Livebühnen in der Stadt weitergeht.
Madama Butterfly am Stadttheater: Mal was für’s Abo
Von Livekultur zu Hochkultur: Am Theater Regensburg fand am Samstag die Premiere der Puccini-Oper „Madama Butterfly“ statt. Anders als der wagemutig inszenierte und den Vorwurf des Provinziellen zersprengende „Saul“ im April ist dieses Stück Musiktheater mal wieder „was für’s Abo“ in dem Sinne, dass hier die Interessen des durchschnittlichen Theater-Abonnenten voll befriedigt werden dürften: Gefälligkeit ist garantiert. Das ist nicht unbedingt negativ zu verstehen: Die Inszenierung von Johannes Pölzgutter ist sehenswert ausgestattet, kurzweilig und vor allem phänomenal besetzt. Insbesondere die Hauptparts der Butterfly (Hye-Sung Na) und des Pinkertons (Yinjia Gong), aber auch sämtliche sonstige Solisten waren bei der Premierenaufführung am Samstag ein echter Hochgenuss. Der lange, lange Applaus und die Standing Ovations für Hye-Sung Na kamen nicht von ungefähr.
Wohl aber dauerte es diesmal, bis die Inszenierung ihren „Kniff“, also ihren eigenen Zugang zum Werk, erkennen ließ. Mit netter Drehbühne und einer spiegelbildlich ausgestatteten zweiten Kulisse wurde nach der Pause eine Innenperspektive der tragischen Protagonistin geschaffen. Stimmig, einfach und gut umgesetzt, aber eben auch nicht besonders riskant und seicht unterhaltsam. Was soll’s – so darf Oper auch mal sein, insbesondere, wenn sie so viel für’s Ohr bietet wie diese „Madama Butterfly“.
„Woyzecks Delirium“ am Unitheater: Nicht ins Wasser gefallen
Nicht unerwähnt dürfen die Aufführungen von „Woyzecks Delirium“ am Unitheater bleiben. Der Büchnerstoff – in den vergangenen Monaten in Regensburg vielfältig inszeniert – wurde vom studentischen Ensemble noch stärker zerstückelt, als es im Original schon der Fall ist, und collagenartig auf die Bühne gebracht. Das Besondere: Woyzeck selbst spricht in dieser Fassung bis ganz zum Schluss („Der ist ins Wasser gefallen!“) kein einziges Wort. Das übernehmen vier Darsteller, die als seine „Gedanken“ stets um ihn herumschwirren und aufgrund ihrer Kostümierung ein wenig aussehen wie aztekische Totenpuppen, die aus einem Tim-Burton-Film entlaufen sind.
Abgesehen von diesem etwas willkürlichen Element und der gerade gegen Ende deutlich spürbaren Länge der Inszenierung muss man aber festhalten, dass die Aufführungen von „Woyzecks Delirium“ zurecht stark besucht waren. Der Umgang mit Büchners Dramenfragment war durchdacht, das Neuarrangement der Szenen machte durchweg Sinn. Es scheint so, als würde sich der Theater-Kosmos Regensburgs zwischen der Bühne auf dem Galgenberg und dem Stadttheater aufspannen – in der Mitte könnte ein Biotop für experimentelle, freie und unabhängige Projekte entstehen. So ist eine Regensburger Theaterszene, die Subkultur und Hochkultur verbindet, vielleicht doch schon lange auf dem Weg. Ist das nicht auch ein Thema für die Kreativwirtschaft?
Apropos Seismographen und Erdbeben: Jakob Friedl hat in der vergangenen Woche auch mal wieder von sich Hören gemacht. Genauer gesagt, er ist zum nächsten Brunnen weitergezogen und hat dort ein paar Betonköpfe angekettet, die „zum Denken anregen“ sollen.