„Ein wichtiges Werkzeug – mit Luft nach oben“
Noch bis zum 7. Februar können Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund den neuen Integrationsbeirat in Regensburg wählen. Das 2015 geschaffene Gremium soll die politische Teilhabe ausländischer Mitbürger stärken und den Stadtrat bei Fragen der Integration und Migration beraten. Das volle Potential habe man bisher aber noch nicht ausgeschöpft, sagt ein scheidendes Mitglied.
„Das war jetzt die erste Legislaturperiode, daher ist natürlich vieles noch verbesserungswürdig“, erklärt Pedro Paquay Rovira, stellvertretender Vorsitzender des Integrationsbeirats. Vor sechs Jahren wurde er in das damals neugeschaffene Gremium gewählt. Wenngleich die gegebenen Handlungsspielräume begrenzt seien und auf Grund der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht selten schlicht die Zeit gefehlt habe, zieht er gegenüber unserer Redaktion ein weitestgehend positives Fazit.
Schließlich habe man mit der Schaffung einer städtischen Antidiskriminierungsstelle einen wichtigen Baustein im Umgang mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzen können. „Wir haben mittlerweile auch angestoßen, dass sich die Stadt mehr mit ihrer eigenen Migrationsgeschichte auseinandersetzen wird“, so Paquay Rovira. Die Stadt sei da sehr aufgeschlossen gewesen. „Ein genaues Konzept, wie das am Ende umgesetzt werden soll muss aber erst noch erarbeitet werden.“ Auf Grund fehlender Gelder im Haushalt könnte das Thema aber eher ein längerfristiges werden, deutet der gebürtige Spanier an.
Interessensvertretung für ein Drittel der Regensburger
Ein weiteres wichtiges Ziel stelle die Vernetzung zwischen den Migrantenvereinen, Kulturvereinen und den Religionsgemeinschaften dar. Im Rahmen der „Interkulturellen Wochen“ und auch durch die Veranstaltungen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“, die seit einigen Jahren regelmäßig stattfinden, seien solche Kontakte hergestellt worden. „Dennoch haben wir uns bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Vernetzung bisher eher schwer getan.“ Genau das müsse aber ein wesentlicher Bestandteil der Beiratsarbeit sein und ganz oben auf die Agenda stehen, meint Paquay Rovira. Denn nur wenn der Integrationsbeirat als Interessensvertretung auch wahrgenommen werde, könne er langfristig etwas bewirken.
Der fehlende Rückhalt derer, die einen Migrationshintergrund haben – immerhin 30 Prozent aller Regensburger – war bereits ein Problem der beiden Vorgängergremien. An der letzten Wahl des Ausländerbeirats 2009 nahmen lediglich 6,2 Prozent der Stimmberechtigten teil. „Dies ist allerdings kein spezielles Regensburger Phänomen, da die meisten anderen bayerischen Integrations- und Ausländerbeiräte mit einer ähnlichen Entwicklung zu kämpfen haben“, hieß es 2013 im städtischen Integrationsbericht.
Fehlender Rückhalt trotz Neujustierung
Dennoch sah man wohl ein gewisses Repräsentationsdefizit, als unter Joachim Wolbergs 2014 der Ausländer- und der Aussiedlerbeirat zum neuen Integrationsbeirat zusammengeführt wurden. Dass sich zur diesjährigen Wahl mit 54 Kandidaten – aus 33 Nationen – zehn Personen mehr aufstellen lassen als 2015, bewertet man bei der Stadt als positive Entwicklung.
Aber auch der Integrationsbeirat hat mit einer eher geringen Wahlbeteiligung zu kämpfen. Paquay Rovira rechnet erneut mit einem niedrigen zweistelligen Wert und ordnet das durchaus kritisch ein. Denn eigentlich soll das Gremium laut Statut „die Teilhabe der zugewanderten ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, der Eingebürgerten sowie der Aussiedlerinnen und Aussiedler verbessern und das gesellschaftliche Miteinander von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund fördern“. Paquay Rovira merkt aber an: „Wir sind die Interessenvertretung vieler Menschen in der Stadt. Wenn wir nicht deren Rückhalt haben, dann fällt es uns sehr schwer, Forderungen gegenüber der Politik zu formulieren.“
„Konflikte sind der Teil der Willensbildung”
Er selbst lebt seit mehreren Jahren mit seiner Familie in der Domstadt und hat hier an der Universität studiert. Regensburg nimmt er als offene und vielfältige Stadt war und das zeige sich auch in der Gremienarbeit. „Dort kommen die unterschiedlichsten Menschen mit den verschiedensten Ansichten zusammen.“ Demokratietheoretisch sei das eine „spannende und tolle“ Sache, so der studierte Politikwissenschaftler.
Auch wenn das die Entscheidungsfindung nicht immer einfach gestallte und kulturelle und religiöse Konflikte nicht ausgeschlossen seien. „Aber das gehört zur politischen Auseinandersetzung eben dazu.“ Schließlich soll der Beirat bei der kommunalpolitischen Willensbildung mitwirken und den Prozess der Integration fördern. Dazu müssten die unterschiedlichen Positionen auch gehört werden.
Brücke tritt mit eigener Wahlliste an
Dass dieses Mal mit der Brücke sogar ein Wahlverein mit eigener Stadtratsfraktion eine Wahlliste aufstellt, bewertet Paquay Rovira als „klare Aufwertung“. Dennoch sei man sich im Beirat nicht ganz einig, was davon zu halten sei. „Wenn ich das richtig im Blick habe, dann ist das ein Novum. Bisher hat in keiner Stadt eine Partei eine eigenen Wahlliste für einen Integrationsbeirat aufgestellt.“ Dass die Brücke aber sonderlich viele der zu vergebenden Sitze bekommen werde, glaubt er nicht. „Ich denke, dass sich das recht gleichmäßig auf die verschiedenen Wahllisten verteilen wird.“
Von den insgesamt 21 Sitzen des Integrationsbeirates stehen ohnehin nur neun zur Wahl. Die Anzahl der Sitze basiert auf der aktuellen Bevölkerungszusammensetzung der Stadt Regensburg und wird dementsprechend auf die Gruppen der Ausländerinnen und Ausländer (neun Sitze), der Eingebürgerten sowie der Aussiedler (jeweils vier) verteilt. Hinzu kommen vier Expertinnen in Fragen der Migration und Integration sowie Vertreterinnen und Vertreter der Stadtratsfraktionen. Letztere sollen einen engen Austausch zwischen Gremium und Stadtpolitik herstellen. Zudem kann der Integrationsbeirat weitere beratende Mitglieder ernennen.
Während die neun Sitze für die Vertreter der ausländischen Mitbürger gewählt werden, können sich Interessierte derzeit für einen der jeweils vier Sitze der Eingebürgerten und der Aussiedlerinnen bewerben. Ende Februar werden die Vertreterinnen und Vertreter dieser Gruppen und auch der Gruppe der Expertinnen und Experten vom Stadtrat berufen.
Kein Ersatz für wichtige politische Leitlinien
„Eines Tages“, so die Hoffnung von Paquay Rovira, „spielt das Thema Migration keine Rolle mehr.“ Doch dazu brauche es mehr als einen Beirat. „Integration ist nicht nur ein Thema der Migranten und auch keine Einbahnstraße, in der die Migranten etwas liefern müssen.“ Die Gesellschaft müsse sich ebenfalls weiterentwickeln und anpassen. Dazu gehöre am Ende auch ein kommunales Wahlrecht für Personen ohne EU-Bürgerschaft. „Bürger aus sogenannten Drittstaaten dürfen hier nach wie vor nicht wählen. Und das obwohl sie oft schon seit vielen Jahren hier leben, arbeiten und Steuern zahlen.“ Diese seien dadurch aus der politischen Entscheidungsfindung weitestgehend ausgeklammert. „Ein demokratisches Defizit“, wie Paquay Rovira findet, das auch ein Integrationsbeirat nicht ausräumen könne.
Während das zwar kein städtisches Thema sei, könne Regensburg mit einem eigenen Integrationskonzept die Leitlinien für das künftige Miteinander diskutieren, meint er zudem. „Es gibt Städte die schon lange an strategischen Linien für die Integrationspolitik arbeiten und allein durch den Prozess neue Debatten geführt und Menschen mit eingebunden haben.“ Doch das sei vor allem sein persönlicher Wunsch. So lange es derlei Konzepte und Beteiligungsformen nicht gibt, sei der Integrationsbeirat „ein wichtiges Werkzeug der Integration – mit Luft nach oben“.
joey
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nach ein paar Jahren kann man sich einbürgern lassen und dann wählen.
Nicht nur Aussiedler, sondern auch Einsiedler brauchen eine Vertretung. Ja, das war jetzt ein Humorversuch.
Matthias Beth
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Nach meiner Meinung ein völlig überflüssiges Gremium. Es gibt Wahlen zum Stadtrat und zur Bestimmung des Oberbürgermeisters. An diesem kann jeder Wahlberechtigte teilnehmen. Es gibt ja auch keinen Beirat für die alteingesessenen Regensburger, damit die Ihre Interesse außerhalb bzw. neben dem Stadtrat zur Geltung bringen können. Mich würde auch wundern, wenn ein Wolga-Deutscher aus Russland sich in einem Gremium vertreten fühlt, in dem andere Nationalitäten Ihre Partikular-Intereessen vertreten.
Hindemit
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Solange durch das reformbedürftige Wahlrecht weite Teile der Stadtgesellschaft von politischer Teilhabe ausschließt, solange braucht es so ein Gremium.
Meiner Meinung nach ein sehr wichtiges Gremium. Wer eine entsprechend lange Zeit seinen Hauptsitz in der Stadt hat, soll wählen dürfen. Steuern zahlen ja, Wahlrecht aber keins?
Julian86
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Ganz allgemein gilt: Ich bringe mich nur ein, wenn ich die Erfahrung habe, dass mein Engagement etwas bewirken kann. Denn der Mensch an sich will eine Rückmeldung, Selbstbestätigung, ja: Anerkenntung. Das gilt für jedermann. Also auch für unsere Mitbürger mit Migrations-Hintergrund (Bundesweit: ein Drittel der Bevölkerung).
Dies vorausgeschickt: Der Wolberg´sche Input der Installierung des Integrationsbeitrats ist zu begrüßen und fortzuentwickeln. Mit mehr Antragsrechten, Rechten der konkreten Mitwirkung.
Einschlägig ist zu lesen:
“Den Integrationsbeirat ergänzen stimmberechtigte Expertinnen und Experten im Bereich Integration und Migration, Vertreterinnen und Vertreter der Stadtratsfraktionen (nicht stimmberechtigt) sowie beratende Mitglieder (nicht stimmberechtigt).”
https://www.regensburg.de/integrationsbeirat
Was für den Beirat intern gilt sollte auf die Stadtratsebene gehoben werden: Welchen Einfluss können die Mitglieder des Integrationsbeirats auf die Gestaltung der städtsichen Politik konkret nehmen? Welche Rechte haben sie im einzelnen? In welcher Form können sie sich im Stadtrat einbringen? Haben die Antrags- oder sonstige Mitwirkungsrechte? Wie muss der Stadtrat mit potentiellen Anträgen der Mitglieder des Integrationsbeirats umgehen? Landen diese in den Verwaltungs-Schubläden? Und besteht die Verpflichtung, sich damit im Stadtrat auseinander zu setzen? Und ggf. aus der Mitte des Integrationsbeitrag gestellte Anträge zu verbescheiden, zu begründen?
Mithin: Will man im Ergebnis keinen “zahlosen Tiger”, sondern ganz im Sinne von Willy Brandt “Mehr (kommunale) Demokratie wagen!”, dann, ja dann solle das gesamte Gefüge auf gestaltende Wirksamkeit einer Überprüfung unterzogen werden, wobei das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung (des Mittuns) ein gewichtige Rolle spielen sollte. Ich vermute: fehlende Anerkenntung ist auch Grund für das ausbaufähige Engagement der Mitbürger mit MH.
Dass darüber hinaus Mitbürgern aus Drittländern ein (kommunales) Wahlrecht nach zu verankernden Regeln einzuräumen ist, wäre zum Gegenstand der Wahlen im Jahr 2021 zu erheben. Auch wenn die Konservativen dies nicht gerne sähen!!
Matthias Vernim
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@joey: oh wenn das mit der Einbürgerung so einfach wäre…ein Beispiel: Kosovaren stellen eine der größten Gruppen unter der örtlichen ausländischen Bevölkerung, über 1.200 Menschen. Für sie ist eine Einbürgerung gerade in Bayern in vielen Fällen ein Ding der Unmöglichkeit, selbst wenn sie es gerne wollen, weil der Freistaat Anforderungen stellt, die faktisch in vielen Fällen nicht erfüllbar sind.
Davon abgesehen spricht für mich nichts dagegen, auch Menschen mit kürzerem Aufenthalt die Möglichkeit zu eröffnen, in der politischen Debatte zumindest Gehör zu finden. Wenn es beispielsweise um die Beschulungssituation in Asylunterkünften oder um Rassismus geht, halte ich es für sehr wichtig, die Betroffenen mit am Tisch zu haben bzw. Ihnen die Chance zu eröffnen, selbst ihre Anliegen einzubringen.
Ergänzend ist es durchaus ein legitimes Anliegen vieler Menschen, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten zu wollen. Bei vielen potenziellen Einbürgerungen ist aber die Abgabe der ersten Staatsbürgerschaft weiterhin Voraussetzung, obwohl alle EU-Bürger und auch andere (Iran z.B.) beide Nationalitäten behalten dürfen. Eine Gleichbehandlung gibt es in diesem Feld definitiv nicht.
Transparenz: Ich arbeite bei der Stadt in der geschäftsführenden Stelle des Beirats.
Matthias Vernim
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@Matthias Beth:
“Es gibt ja auch keinen Beirat für die alteingesessenen Regensburger, damit die Ihre Interesse außerhalb bzw. neben dem Stadtrat zur Geltung bringen können.”
Der Seniorenbeirat existiert in Regensburg schon deutlich länger als jeder Ausländer- oder Integrationsbeirat ;-)
Daneben hat die Stadt noch eine Vielzahl anderer Beiräte, in denen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten werden: https://www.regensburg.de/rathaus/stadtpolitik/beiraete
“Mich würde auch wundern, wenn ein Wolga-Deutscher aus Russland sich in einem Gremium vertreten fühlt, in dem andere Nationalitäten Ihre Partikular-Intereessen vertreten.”
Im aktuellen Beirat arbeiten Vertreter*innen der Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen und der Deutschen aus Russsland durchaus kollegial mit den Vertreter*innen der eingebürgerten und ausländischen Bevölkerung zusammen. Um nationale Partikularinteressen geht es dabei allerdings selten bis nie.
joey
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@Matthias Vernim
ich bin 2008 selbst eingebürgert worden.
Für mich sowieso kein Problem, weil ich hier geboren bin und aufgewachsen – und die Sprache “meines Herkunftslandes” nie gelernt und gebraucht habe: volle Integration meines Vaters.
Wenn andere Staaten ihre Bürger grundsätzlich nicht entlassen, ist die Doppelte möglich. Daß das notorisch korrupte Kosovo und Ukraine etc. sowas nur gegen viel Geld machen, ist dann ein Problem, dem wir die Politik unseres Landes nicht unterwerfen können.
Es steht jedem deutschen Politiker frei, die Sorgen aller Bewohner anzuhören. Das wäre sogar wünschenswert.
Manche offiziellen Vertreter geben eher die Haltung des fremdstaatlich finanzierten Verbandes wieder statt die Integration wirklich zu befördern. Bei den Verbänden sind auch aggressive Nationalisten und religiöse Extremisten dabei.
Was ich beispielsweise von meinen türkischen Kontakten höre, sind diese häufig eben nicht dieser Ansicht. Das erklärt dann auch die winzige Wahlbeteiligung: “von diesen Leuten kann ich keinen wählen”.