“Ein Spiegelbild der Wiederentdeckung der Geschichte.”
„Seit sechs Jahren gedenkt die Stadtgesellschaft am 23. April allen Opfern des Nationalsozialismus“, heißt es in einer Presseerklärung der Stadt Regensburg im Vorfeld des diesjährigen Gedenkwegs, der aufgrund der Corona-Pandemie in Form eines virtuellen Rundgangs stattfindet. Doch ganz richtig ist diese Aussage nicht. Schon lange bemühten sich einzelne Regensburgerinnen und Regensburger um ein würdiges Gedenken der Opfer – ohne die Stadt. Eine kleine Geschichte der Regensburger Gedenkpolitik
Als am 23. April 1945 US-Truppen das Konzentrationslager Flossenbürg in der nördlichen Oberpfalz befreiten und noch am gleichen Tag die Donau überquerten, war auch in Regensburg das Ende des Krieges gekommen. Wenige Tage später war die Stadt unter alliierter Kontrolle. Deshalb wird in Regensburg am 23. April im Rahmen eines Gedenkwegs der Opfer des Nationalsozialismus gedacht – dieses Jahr Corona-bedingt digital.
„Trotz der aktuellen Einschränkungen unserer Bewegungs- und Versammlungsfreiheit dürfen wir den 23. April 1945 als den Tag des Kriegsendes in Regensburg nicht aus unserem Gedächtnis streichen“, teilt Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer in der Presseerklärung der Stadt mit und bedankt sich darin bei den Mitarbeitern der Verwaltung sowie den Kooperationspartnern für die Umsetzung des virtuellen Gedenkwegs auf der städtischen Homepage.
Dahinter verbirgt sich letztlich nichts anderes als eine Sammlung von Texten, die unter den sechs Stationen des antifaschistischen Gedenkweges die Geschichte der Stadt während der NS-Zeit beleuchten. Dass es dieses Wissen überhaupt gibt, ist dabei insbesondere dem persönlichen Interesse mancher Bürger und den Ursprüngen des Gedenkweges in der Zivilgesellschaft zu verdanken.
Denn tatsächlich begannen schon 1971 Regensburgerinnen wie Luise Gutmann, heutige Vorsitzende der VVN-BdA Ortsgruppe, sich die Frage zu stellen, welche Rolle Regensburg während der NS-Zeit gespielt hatte. „Das konnte ja eigentlich nicht sein, dass der Faschismus an Regensburg völlig vorbeigegangen ist.“ Doch genau das sei ihnen damals immer wieder vorgebetet worden, erzählt Gutmann heute.
Bereits seit 1971 wird den Opfer der NS-Zeit gedacht
„Lediglich an die Geschichte der Frauendemonstrationen, die am 23. April 1945 auf dem Moltkeplatz – dem heutigen Dachauplatz – eine friedliche Übergabe der Stadt forderten, erinnerte man sich.“ Deren Aufruf folgten damals auch Domprediger Johann Maier, Josef Zirkl und Michael Lottner. Alle drei wurden von der Gestapo festgenommen, Lottner erschossen, Maier und Zirkl noch in der selben Nacht erhängt. Dies war der Ausgangspunkt der ersten Gedenkkundgebung, die lange Zeit als stationäre Veranstaltung auf dem Dachauplatz stattfand.
Als dort 1975 das Denkmal an die Opfer der NS-Zeit eingeweiht wurde, wurde in einem Flugblatt dann die Frage gestellt, wie es denn 30 Jahre nach Kriegsende um die Demokratie bestellt sei. „Gerade das Thema Verjährung war für uns zu jener Zeit besonders wichtig“, so Gutmann. Zusammen mit Personen wie Paul Pustet und Hannah Zellner versuchte die damalige Studentin die Erinnerung an die Kriegszeit und den Holocaust in der Stadtgesellschaft wach zu halten.
Stadt zeigte von Beginn an wenig Interesse
Doch erst heute wisse sie, dass dies ein entscheidender Prozess für die Aufarbeitung der städtischen Geschichte im Gesamten war. „Der Gedenkweg geht heute nicht entlang des tatsächlichen Geschichtsverlaufs sondern ist vielmehr ein Spiegelbild der Wiederentdeckung der Geschichte.“
Vieles war bis in die 80er Jahre noch nicht bekannt. Das Interesse, sich tiefergehend mit der Vergangenheit zu beschäftigen, fehlte. „Die Stadt hat sich selten und wenn dann vor allem abfällig zu den Forderungen einer Aufarbeitung der Geschichte geäußert“, lässt Gutmann wissen.
1983: Wiederentdeckung des Außenlagers
So bekam etwa Hans Simon-Pelanda von der ARGE ehemaliges KZ Flossenbürg 1983 aus dem Regensburger Rathaus zu hören: „Wenn Sie öffentlich machen, dass es hier ein KZ-Außenlager gegeben hat, werden Sie die Konsequenzen tragen.” Simon-Pelanda fand damals zusammen mit Schülern der BOS im Rahmen eines Geschichtsprojektes heraus, dass es in Stadtamhof mit dem Colosseum auch in Regensburg ein Außenlager des KZ Flossenbürg gegeben hatte.
Regensburg fiel es auch in der Folgezeit durchaus schwer, sich der eigenen Geschichte zu stellen. So waren es am 9. November 1993 erneut Regensburger Schüler, die einen wichtigen Beitrag leisteten und den mindestens 65 im Colosseum ermordeten Menschen eine Gedenktafel widmeten.
Gedenkstein ohne Bezug zum Ort der Grausamkeit
Dieser „Schwarzbau“, wie ihn damals die CSU bezeichnete, hing zunächst ohne Genehmigung der Stadt an der Steinernen Brücke, ehe unter der SPD-Oberbürgermeisterin Christa Meier ein Jahr später in Stadtamhof ein Gedenkstein enthüllt wurde – jedoch ohne einem direkten Hinweis auf das Colosseum.
2008 scheiterte dann ein Antrag der Grünen, eine Gedenktafel am ehemaligen Außenlager anzubringen an CSU und SPD. Am 23. April 2011 wurde von der Stadt in aller Stille eine verharmlosende Bodenplatte vor dem Gebäude verlegt, die nach vehementer Kritik wieder entfernt wurde. Und so findet sich erst seit November 2017 am Colosseum eine Informationstafel – mit Hinweis auf ausführlichere Informationen zum KZ-Außenlager auf der anderen Straßenseite – in Erinnerung an das Leid zahlreicher Menschen, die in Stadtamhof als Zwangsarbeiter untegebracht waren.
Kick lässt Zeitzeugen zu Wort kommen
Auch in vielen anderen Bereichen waren es immer wieder Einzelpersonen, die aus eigenem Interesse heraus Teile der Vergangenheit genauer herausarbeiten wollten. 1985 beschäftigte sich der Regensburger Wilhelm Kick in seinem Buch „Sag es unseren Kindern“ dann erstmals ausführlich mit Zeitzeugen.
Nicht nur für Gutmann war das ein weiterer wichtiger Schritt in der Aufarbeitung. „Kick lieferte viele neue Erkenntnisse, die zwar heute nicht mehr alle zu 100 Prozent stimmen mögen, aber durchaus ein neuer wichtiger Bezugspunkt für unsere Arbeit waren.“ Zahlreiche Zeitzeugen wurden daraufhin in den kommenden Jahren als Redner zum Gedenktag eingeladen.
Andreas Angerstorfer beschäftigte sich in der Folgezeit mit den Mitgliedern der sogenannten Neupfarrplatzgruppe, die 1942 festgenommen und nach Flossenbürg gebracht wurden. „Später kamen dann noch Clemens Cording, dessen Buch über die Krankentransporte von Karthaus-Prüll [heute Bezirksklinikum, Anm. d. Red.] aufklärte und Wolfgang Wallers Erkenntnisse zum Widerstand der Zeugen Jehovas.“ Mit einer Gedenktafel am Minoritenweg wird seit einigen Jahren auch Waller und den Zeugen gedacht.
Auf Kaffee und Kuchen nach Stadtamhof
Einen wichtiger Wegmarker stellt für Gutmann dann die Zeit Ende der 90er Jahre dar. „Damals hatten wir mehrere Freunde und Zeitzeugen aus Tschechien eingeladen, mit uns den 23. April zu begehen. Dazu wollten wir uns natürlich etwas Besonderes überlegen.“
Auf Kaffee und Kuchen traf man sich zunächst im Schildbräu in Stadtamhof und begann dort den Gedenkweg am Colosseum. Weitere Stationen waren der Neupfarrplatz, die jüdische Gemeinde, sowie der Dachauplatz. „Für mich hatte dieses Konzept eine eigene innere Logik, daher beschlossen wir es so beizubehalten.“
“Ich spreche nur mit Zwangsarbeitern.”
Doch weiterhin hielt sich die Stadt fern und auch die Kirche, die stets am 24. April ein eigenes Gedenken im Dom abhielt, war noch nicht mit an Bord. „Auch noch unter Hans Schaidinger gab es wenig Gesprächsmöglichkeiten“, so Gutmann. „Mich wollte er schon erst recht nicht sehen.“ 2005 lehnte der CSU-Politiker ein Treffen mit einem Überlebenden mit den Worten ab. „Ich treffe mich nur mit ehemaligen Zwangsarbeitern, nicht mit Kriegsgefangenen.“
Erste Annäherungsversuche vonseiten der Stadtpolitik gab es ab 2010 von der SPD, als einzelne Städträte, darunter Christa Meier, am Gedenkweg teilnahmen. Es dauerte aber weitere fünf Jahre bis tatsächlich Bewegung in die Sache kam. Dann ging alles plötzlich ganz schnell.
Annäherung der SPD und eine unerwartete Möglichkeit
„Wir hatten nach der Wahl 2014 Wollbergs recht bald die Schirmherrschaft vorgeschlagen, zunächst jedoch keine Rückmeldung bekommen“, so Gutmann. Anfang März 2015 kam es tatsächlich zu einem Gespräch mit dem damaligen OB Joachim Wolbergs und am 17. März zu einem Treffen mit allen Beteiligten sowie Vertretern der Kirchen.
„Nun gab es die Möglichkeit endlich gemeinsam arbeiten zu können. Und lustigerweise ging es bei dem Treffen gar nicht unbedingt mehr um das „ob“, sondern eher um einzelne Details.“ So habe der evangelische Dekan auf dem Neupfarrplatz eine Rede halten wollen. „Andreas Schmal vom DGB stellte aber sofort klar, dass dort der Neupfarrplatzgruppe erinnert wird.“
23. April wird offizieller Gedenkweg
Eine andere Frage war der Schriftzug auf dem gemeinsamen Fronttransparent. Doch auch in dieser Frage wurde man sich schließlich einig. Dem im April 2015 erstmals unter städtischer Schirmherrschaft organisierten Gedenkweg blieb am Ende lediglich die CSU fern.
Seit sechs Jahren also begeht die Stadt Regensburg gemeinsam mit der Stadtgesellschaft den Gedenkweg am 23. April. Ob nun digital oder als Demonstrationszug, als Ruhmesblatt dürfe dieses Projekt nie verstanden werden, wie Christa Meier vor einigen Jahren sagte. Und auch für Luise Gutmann stellt das Gedenken vor allem eine Ermahnung an die Gegenwart dar.
joey
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Jeder darf (und soll) gedenken. Dazu braucht man keine Stadtverwaltung.
Daß “Konservative” lange Zeit keine Trennlinie zum NS hatten, ist traurig aber wahr. Die Diskussion zur Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren oder auch weiteren Verbrechensopfern ist sicherlich noch vielen geläufig, CSU MdB Norbert Geis etc.
In einer anderen Stadt redet nach wie vor ein ehem. Stadtrat der FW schlecht über eine Initiative junger Leute, die (gut recherchiert) an ein Endphaseverbrechen erinnern: es sei völlig anders gewesen. Demnach haben sich die Opfer also selber erhängt? Es gibt noch “Pflichtbewußte”, die jeden Mordbefehl verteidigen und nichts verstanden haben. Auch außerhalb der AfD.
Die AntiFa darf gedenken, aber ich stelle mich nicht neben sie. Genauso wie ich mich nicht neben Rechtsextremisten stelle, selbst wenn sie mal ganz korrekt erinnern.
Ich gedenke auf meine Weise – auch sehr aktiv und öffentlich. Als Konservativer.
highwayfloh
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@Günther Herzig, joey und allen die sich historisch interessieren:
Es ist sehr aufschlussreich, sich die Ausgaben der MZ über das Pressearchiv nachzulesen, insbesondere was die damaligen Spruchkammern abelangt und welche Urteile gefällt wurden.
Piedro
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@joey
“Die AntiFa darf gedenken, aber ich stelle mich nicht neben sie.”
Ich bleibe guter Hoffnung, dass Sie irgendwann begreifen, dass es “die Antifa” nicht gibt, außer in rechtsextremer Propaganda, und das Prädikat linksextrem nur auf einen Teil der Gruppierungen zutrifft, die sich so bezeichnen. Irgendwann.
Erwin Schmid
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Als Gründungsmitglied der Arge ehemaliges KZ Flossenburg und Vorsitzender vom Bund für Geistesfreiheit mein größter Dank an Luise Gutmann !!! für ihre so sehr wertvolle Erinnerungsarbeit und auch an Michael Bothner für seinen hervorragenden Artikel.
Sehr gut, dass es Regensburg Digital gibt !
Freundschaft Erwin Schmid
Mr. T.
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Der Neue Tag hat grad eine sehr interessante Artikelserie über die letzten Kriegstage in der nördlichen Oberpfalz:
https://www.onetz.de/themen/zweiter-weltkrieg
Über die vielen Tiefpunkte der Art und Weise wie die Stadt Regensburg mit der Vergangenheit umging wurde hier ja schon ausgiebig berichtet. Wolbergs hat sich bei diesem Thema dann von seiner besten Seite gezeigt. Das muss man ihm hoch anrechnen.
Gotthold Streitberger
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Danke für diesen sehr guten Artikel zur Stadtgeschichte der Erinnerungskultur zum 23. April. Den Toten zur Ehr, den Lebenden zur Mahnung. Nie wieder…!
Marc
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Vielen Dank für diesen Artikel, da er aufzeigt, dass es eben nicht die Stadt selbst war, die sich um das Gedenken gekümmert hat, sondern diejenigen, für die Gedenken ein Aufruf zum Handeln heute ist und war.
Aber eine Frage hätte ich noch: Auch wenn der “offizielle” Gedenkweg der Stadt ins Internet verlegt wurde, habe ich dieses Jahr am 23. April Jugendliche der FDJ am ehem. KZ Colosseum und an anderen Orten in Regensburg demonstrieren sehen. Waren Sie darüber nicht informiert oder ist es in ihrem Artikel bewusst weggelassen worden, dass es auch dieses Jahr jemanden gab, die außerhalb des Internets aufgetreten sind?
R.G.
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@Marc
Im Bayern von heute würde ich diese Fragen nicht stellen.
Sollte der Autor zugeben, jemanden beim Demonstrieren gesehen zu haben und dann verhört werden, um die Namen zu verraten?