Ein Seehofer ohne Mumm, ein Wulff ohne Souveränität und ein Verfassungsschutz, der NS-Verbrechen verharmlost
Selten drängeln sich die Medien derart im Regensburger Gewerkschaftshaus. Doch wenn Gregor Gysi dem hiesigen DGB schon mal einen Besuch abstattet, kommt sogar das ZDF. Vielleicht, so die Hoffnung, sagt der redegewandte Chef der Linken-Fraktion im Bundestag ja was zu Christian Wulff, dem Bundespräsidenten, der sich seit Wochen selbst zur Witzfigur degradiert und der – es beginnt zu nerven – täglich die Gazetten füllt. Das tut Gysi – allerdings erst auf Nachfrage.
„Tritt Wulff zurück, kippt die Koalition!“
„Er hat die schlechtesten Berater, die es auf Erden gibt“, sagt Gysi mit Blick auf Wulffs Mailbox-Drohungen bei Bild-Chef Kai Diekmann. Einen Rücktritt fordert er – da sieht man manchem Medienvertreter die Enttäuschung an – ausdrücklich nicht. „Ich stelle mir aber schon die Frage, inwiefern Herr Wulff sein Amt noch unabhängig und souverän ausfüllen kann.“ Wulff sei nicht mehr überparteilich.
Die Regierungsfraktionen aus CDU/ CSU und FDP sind die einzigen, die den angeschlagenen Bundespräsidenten noch stützen. Ob er da der Regierung noch die Unterschrift unter ein Gesetz verweigern könne – so wie es sein Amtsvorgänger Horst Köhler drei Mal getan hat? „Da habe ich doch erhebliche Zweifel.“ In einem ist sich Gysi sicher: Tritt Wulff zurück, kippt auch die Bundesregierung. „Dann haben wir 2012 Neuwahlen.“
Der Schwerpunkt des Pressegesprächs liegt aber naturgemäß bei den Gewerkschaftsthemen. Für Nachhaken bleibt da nur wenig Zeit. Gysi gefällt sich als Redner. Und obwohl er die eigentlich für das Pressegespräch vorgesehene halbe Stunde gehörig überzieht und auf 60 Minuten anwachsen lässt, bleibt gerade mal Zeit für fünf, sechs Fragen.
„Deutschland ruiniert Länder wie Griechenland!“
Höhere Löhne, höhere Renten, höhere Sozialleistungen – das müsse sein, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln, nennt Gysi den Schwerpunkt für 2012. „Deutschland ist die einzige Industriegesellschaft, in der die Reallöhne in den letzten zehn Jahren gesunken sind.“ Deshalb sei man auch Vizeweltmeister beim Export – auf Kosten anderer Staaten. „Wir ruinieren dadurch Länder wie Italien und müssen sie dann mit Steuergeldern wieder aufbauen.“ Da hätten einige noch nicht begriffen, dass die EU ein gemeinsamer Wirtschaftsraum sei.
Apropos EU und ruinierte Staaten: Warum erst Banken mit viel Geld und zu günstigen Zinsen vom Staat gerettet werden und dann mit höheren Zinsen Geld an Griechenland oder Italien verleihen, kann Gysi nicht verstehen. „Warum gibt man diesen Ländern das Geld nicht direkt über staatliche Banken?“ Die Politik müsse die Macht über die Finanzmärkte wieder gewinne, Banken verkleinern und verstaatlichen. „Dann übernimmt der Steuerzahler nämlich nicht nur wie jetzt in vollem Umfang die Verluste, sondern profitiert auch von den Gewinnen.“ In einem ist sich Gysi sicher: „Wenn die Politik nicht die Macht über die Finanzen wiedergewinnt, beschädigen wir dauerhaft die Demokratie.“
„Wenn Seehofer keinen Mumm hat, soll er nicht so ein Gerede machen.“
Dass der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sich zwischenzeitlich gegen die Rente mit 67 ausspricht, freut den Linken-Fraktionschef. Er frage sich aber, weshalb es dann von Bayern keine Initiative im Bundesrat gebe, um diese Pläne auszusetzen. „Wenn Herr Seehofer dazu nicht den Mumm hat, soll er nicht so ein Gerede machen.“ Sonst wecke er nur „gefährliche Illusionen“.
Für finanzierbar hält Gysi die Beibehaltung des derzeitigen Renteneintrittsalters allemal. Ebenso die Rückkehr zur alten Formel, 60 statt 40 Prozent des Gehalts als Rente. Dazu müssten alle – nicht nur die abhängig Beschäftigten – in die Kassen einzahlen. Auch die Beitragsbemessungsgrenzen müssten fallen. „Dann müsste ein Herr Ackermann die Beiträge für seinen tatsächlichen Verdienst in die Kassen einbezahlen.“ Dass CDU, FDP und Grüne eine solche Forderung nicht unterstützen, verwundert Gysi nicht. „Ich begreife allerdings nicht, weshalb die SPD diesen Weg nicht geht.“ Käme von deren Seite eine entsprechende Forderung, „hätte man wenigstens eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über dieses Thema“.
Am Ende kommt Gysi auch auf die rechtsextremistische Mordserie zu sprechen, über deren Ursprung und Zusammenhänge seit nun drei Monaten gerätselt wird. So wie es aussieht, soll es nun einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zu dem Thema geben. Lediglich die SPD reagiert darauf noch verhalten.
„Alles nützt nichts, wenn der Verfassungsschutz rechtsgerichtet denkt.“
Was bringt ein solcher Ausschuss? „So lange Sie den nicht haben, erzählen Ihnen Behördenvertreter nur das, was ihnen ihr Chef erlaubt.“ Im Untersuchungsausschuss aber gilt die Strafprozessordnung – bei Falschaussagen macht man sich strafbar. „Das mögen deutsche Beamte nicht so gern. Insofern kommt man mit einem solchen Ausschuss der Wahrheit wenigstens näher.“
Dass die Praxis der V-Männer in der rechtsextremen Szene aufgegeben werden muss, davon ist Gysi überzeugt. Die Erfahrung zeige: „Entweder diese Leute wissen nichts oder sie wissen etwas und sagen es nicht.“ Was mit dem Geld für die V-Leute geschehen sei, ob der Steuerzahler über die Saläre des Verfassungsschutzes letztlich die Verbrechen mitfinanziert habe, gehöre nun vernünftig aufgeklärt.
Generell gibt Gysi zu bedenken: „Keine Daten oder Erkenntnisse nutzen Ihnen etwas, wenn die Leute beim Verfassungsschutz rechtsgerichtet denken.“ Und wenn man Schulungsmaterial betrachte, dass etwa unter Helmut Roewer, bis 2000 Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, herausgegeben wurde, dann müsse man konstatieren: „Das ist einer Verharmlosung der NS-Verbrechen und spiegelt ein völlig verzerrtes Gesellschafts- und Geschichtsbild wider.“
Die jetzige Chance sei ein parteiübergreifender Konsens von CSU bis Linke, um die Verbrechen aufzuklären und Strukturen offenzulegen. Eines dürfe aber bei aller Aufklärung nicht vergessen werden: Die Opfer der Mordserie und deren Familien. Dass sie vom Staat – allein schon durch die Verharmlosung durch das Wort „Döner-Morde“ – und den Medien, allen voran der Bild-Zeitung, kriminalisiert und diffamiert wurden und dafür entschädigt und rehabilitiert werden müssten, müsse ebenfalls ein Schwerpunkt des Untersuchungsausschusses sein
Und hier kehrt Gysi noch einmal zu Christian Wulff zurück: „Er hat diese Familien eingeladen und eine wirklich gute und berührende Rede gehalten.“ Man habe Wulff angemerkt, dass er das ehrlich gemeint habe. Immerhin.
mkveits
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Zum “rechtsgerichteten” Denken die Frage, wo die Blindheit auf dem rechten Auge beginnt ein aufklärenden Beitrag von
Jakob Jung.
http://jacobjung.wordpress.com/2012/01/16/unertraglich-die-ausfalle-des-hans-peter-uhl-csu/, auf den heute auch von die nachdenkseiten.de Bezug nehmen.
Sehr lesenswert. Wird doch deutlich, wie die CSU arbeitet, um an das rechte Wählerspektrum zu kommen. Mitgetragen wird derlei von der Mehrheit der CSU-Schweiger, die es unterlässt, ihr Parteimitglied satzungsgemäß zu behandeln.