15 Nov.2008
Don Quichotte und die Windmühlen,
die Politik und die Banken
„Mit Schatten?“ fragte Sancho „Gut!“
„Mit Schatten habt ihr Euch geschlagen?
Wer sehend eine Torheit tut,
was soll man von dem Manne sagen?!“
Miguel Cervantes lässt seinen geistig verwirrten Helden, den Ritter Don Quichotte, mit vermeintlichen Riesen kämpfen. In Wirklichkeit handelt es sich um Windmühlen, gegen die der tapfere Recke von der traurigen Gestalt anreitet. Immer wieder mutieren im Laufe der Erzählung harmlose Dinge zu etwas ganz anderem. Genau so verhält es sich mit dem Rettungsplan der Bundesregierung für die Finanzbranche. Einmal sind sie die Banken die Bösen, denen von Seiten des Staates unbedingt das Handwerk gelegt werden muss. Dann plötzlich werden aus den Akteuren der Finanzbranche die armen Engel, die tief gefallen sind und denen die Regierung unbedingt helfen muss. Solidarität tut Not, auch mit den Banken. Oder nicht? Wie dem auch sei: Don Quichotte reitet wieder!
Heuschrecken!
Am 17.April 2007 prägte der SPD-Politiker Franz Müntefering in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ den Begriff „Heuschrecken“ für Private Equity Firmen. Sie kauften damals – zu ihren besten Zeiten – überall auf der Welt Firmen auf. Auch in Deutschland.
Das Geschäftsmodell war immer das gleiche: Mit Krediten, die später zu Lasten der gekauften Firmen gingen, übernahmen die Finanzinvestoren die Unternehmen. In der Zwischenzeit mussten die aufgekauften Firmen mit dem Schuldenberg fertig werden, den ihnen ihre neuen Eigentümer aufgebürdet hatten und daneben noch eine ansehnliche Rendite abwerfen. Ein Konzept, das nicht gut gehen konnte. Trotzdem fanden sich immer wieder Banken, die den Private Equity Firmen Geld liehen. Firmen wie ATU, WMF, Hugo Boss oder Märklin gehören seitdem Private Equity Firmen. Was tat die Bundesregierung? Mit halbherzigen Aktionen und Sonntagsreden sah sie dem Treiben zu. Viele Politiker, wie beispielsweise der FDP-Bundestagsabgeordnete und Finanzexperte Frank Schäffler, forderten gar eine Förderung der Private Equity Firmen (Pressemitteilung des MdB Frank Schäffler vom 25.06.2007), um ein Abwandern dieser Firmen zu verhindern. Unzählige Arbeitsplätze vernichteten Private Equity Firmen in Deutschland, nachdem sie Unternehmen übernommen hatten. Damals hatten die Investmentgesellschaften und ihre Finanziers eine klare Rolle: Die Bösen!
REITS!
Ein denkwürdiger Tag war der 11. Oktober 2007. Seit vielen Jahren forderte die Initiative Finanzstandort Deutschland – getragen wird sie von der deutschen Finanzbranche –, dass REITS an der Börse gehandelt werden dürfen. Bei REITS (Real Estate Investment Trust) handelt es sich um Immobilien-Aktiengesellschaften, die an der Börse notiert sind. Am 11. Oktober 2007 konnten die Aktien der Alistra Office AG auf dem Parkett gehandelt werden. Allerdings erfüllte das REITS-Gesetz nicht die Erwartungen der Branche und von manchen konservativen bzw. liberalen Politikern. Diese forderten, dass nicht nur Gewerbeimmobilien, sondern auch Wohnimmobilien zu den REITS gehören sollten. Durch ein entsprechendes Gesetz konnte der Bundesfinanzminister derartiges verhindern.
Wohnimmobilien und deren Mieter wären dadurch zu Spekulationsobjekten mutiert. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestags-CDU, Michael Meister, warf dem Bundesfinanzminister Schwäche vor. Ebenso kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Dekabank, Franz Waas, das REITS-Gesetz. Er vertrat die Meinung, der Finanzplatz Deutschland könnte eine Schwächung erfahren.
Cayman Inseln!
Schweizer Zustände unter karibischer Sonne. Die Cayman Inseln sind nicht, wie in den Medien oft unrichtig dargestellt, ein typischer „Bananenstaat“, sondern britisches Hoheitsgebiet (Das Vereinigte Königreich ist bekanntlich ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union). Dank absoluter Steuerfreiheit stieg die Hauptstadt George Town mit seinen 21.000 Einwohnern zu einem der größten Finanzplätze der Welt auf. Wer glaubt, dass nur Kriminelle ihr Geld auf den Cayman Inseln legalisieren, irrt sich. Sämtliche großen Banken aus aller Welt haben im karibischen George Town einen Briefkasten. Jeder will ein Stück vom milliardenschweren Kuchen haben, der alljährlich auf den Cayman Inseln umgesetzt wird. Woher das Geld kommt, interessiert in George Town niemanden. Ebenso gering ist das Interesse der Branche daran, dass die Konteninhaber in ihren Heimatländern Steuerhinterziehung begehen. Diese Klientel ist nicht mit Steuerzahlungen an den Rettungsfonds für die Banken beteiligt.
Auch in Europa. Liechtenstein, Kleines Walsertal, Gibraltar, Kanalinseln, Luxemburg, Monaco und Schweiz nehmen Steuerflüchtlinge gerne auf. Bei diversen Steuerdebatten im Bundestag oder den Medien erklären Politiker Staaten, welche deutschem Schwarzgeld Asyl gewähren, gerne zu einer Finanzachse des Bösen. Andererseits wird der Bundesregierung wenig Konkretes unternommen, um Druck auf diese Staaten auszuüben. Die Tatsache, dass sämtliche großen Banken auf dem Cayman Inseln vertreten sind, verschweigen die edlen Retter aus dem Bundestag.
Schweden!
Die schwedischen Banken hatten von 1990 bis 1992 eine tiefe Krise. Durch ein niedriges Zinsniveau und ein Steuersystem, bei dem Kreditzinsen zu 50 Prozent von der Einkommenssteuer abgesetzt werden konnten, heizte der Staat einen unglaublichen Immobilienboom an. Der wirkliche Immobilienwert und die Höhe der vergebenen Kredite hatten, grafisch dargestellt, eine Scherenform. Immer weiter gingen diese beiden Werte auseinander. Die Katastrophe begann 1990. Kleinere Banken gingen insolvent. Ein Jahr später traf die Krise auch die großen Akteure. Der Staat reagierte in Schweden umgehend und wurde bei einigen Banken Mehrheitsaktionär. Kritische Kredite gingen auf eine „Bad Bank“ über. Von diesen Altlasten befreit, konnten nun die schwedischen Banken freier agieren.
Im Herbst 1992 erreichte die Krise in Schweden ihren Höhepunkt. Die schwedische Krone befand sich unter einem massiven Druck. Im September musste die Reichsbank in Stockholm die Leitzinsen um 500 Prozent erhöhen. Wenige Tage später übernahm der schwedische Staat Garantien für die Einlagen bei den Banken. Eine konservative Regierung führte diese Eingriffe am Geldmarkt durch. Die Folgen waren weitreichend: Die Wirtschaft lief wieder an, Banken mussten fusionieren oder Geschäftsbereiche abtreten. Auch wurden Boniprogramme bei den Banken eingestellt. Schwedische Kreditinstitute sollten ihren Mitarbeitern keine Anreize mehr geben, spekulativ zu agieren. Bei der Reichstagswahl 1994 konnten die schwedischen Sozialdemokraten einen Sieg aus der Opposition heraus erringen. Den meisten Schweden war der Preis für die Rettung der Banken wohl zu hoch.
Budget!
In einem norwegischen Kindergarten betreut eine Erzieherin vier bis fünf Kinder. Deutsche Kindergartengruppen mit 25 Kindern haben zwei Erzieherinnen. Der Grund ist das Budget des Trägers. Auch wenn die Einkommen der Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen keine Spitzengehälter sind – sie belasten den Etat. Eine individuelle Förderung der Kinder, wie in skandinavischen Ländern, ist nicht möglich. Auch wenn die Angestellten in deutschen Kindergärten und Kindertagesstätten eine sehr gute Arbeit leisten: Sie können den Kindern nicht das Optimum bieten.. Dazu fehlt das Geld.
Die Bundeswehrsoldaten bei ihrem ISAF-Einsatz in Afghanistan müssen in ihren gefährlichen Auftrag auch noch selbst Geld investieren. Leistungsfähige Kocher oder warme Unterwäsche für die kalten Nächte im Hindukusch kaufen sich die Soldaten selbst. Die Ausrüstung ist alles andere als optimal. Auch bei der Bewaffnung wird gespart. Das eingesetzte Maschinengewehr MG 3 ist bereits 1969 an die Truppe übergeben worden. Die Technik und der Aufbau basieren auf dem MG 42. Dieses verwendete die Wehrmacht. Das Maschinengewehr ist schwer, sperrig und anfällig. Für ein neues Standard-MG fehlt das Geld. Auch nicht alles, was die Bundeswehr fliegen lässt, entspricht dem modernen technischen Anforderungen. Der eingesetzte Transporthubschrauber CH 53, er ist ein mittelschwerer Hubschrauber, hat einige Jahre auf den Rotorblättern: Die Indienststellung erfolgte 1966. Bisher fehlte das Geld für einen neuen Transporthubschrauber.
Das Frankfurter Institut für Bildungsmedien hat ermittelt, dass die Schulbücher der deutschen Schüler im Durchschnitt sieben Jahre alt sind. Die Bundesländer investieren immer weniger Geld in moderne Schulbücher. Ebenfalls auf finanzielle Gründe ging die Einführung der Studiengebühren zurück. Geld für die Hochschulen fehlt schon lange. Während mit den Studenten und deren Vertretern lange über die Studiengebühren gestritten wurde, gab es bei dem 480 Milliarden Bankenrettungsfonds kein großes Gefeilsche. Schließlich, so erklärten die Volksvertreter den Wählern, bricht ohne die Banken alles zusammen.
480 Milliarden! Westerwelle bei der LGT!
Wurde bei den verschiedenen Etats der Bundesministerien bisher immer um jeden Ausgabeposten gefeilscht, ging bei der Rettung des deutschen Bankensystems alles sehr schnell. In deutscher Gründlichkeit wurde die „Finanzmarktstabilisierungsanstalt“ (FMSA) gegründet. Ihre Aufgabe: die Verwaltung und Vergabe der 480 Milliarden Euro zur Rettung von angeschlagenen Banken. Dabei haben etliche Bundestagsabgeordnete ein sehr gutes Verhältnis zur Finanzbranche. Ein guter Teil der Nebeneinkünfte der Mandatsträger kommt aus dem Bankengewerbe. Absoluter Krösus ist dabei der ehemalige Arbeitsminister Walter Riester (SPD). Der fidele Schwabe erhielt alleine 2007 Nebeneinkünfte in Höhe von 162.000 Euro. Seine Vorträge lässt sich der Sozialdemokrat entsprechend vergüten, schließlich ist er der „Vater“ eines interessanten Finanzproduktes: der Riester-Rente. Bei der Sparda-Bank Baden-Württemberg eG in Stuttgart hielt er im Oktober 2006 einen Vortrag. Ebenso bei der Union Investment Privatfonds GmbH in Frankfurt am Main. Sogar mehrmals: 2006, März 2007 und Januar 2008. Dafür erhielt er nach eigenen Angaben mehr als 7.000 Euro.
Auch FDP-Chef Guido Westerwelle sucht die Nähe zur Finanzwelt. So sprach er im November 2007 bei der LGT Bank AG in Zürich. Seine Entlohnung lag seinen Angaben zufolge bei über 7.000 Euro. Den genauen Betrag muss der Abgeordnete nicht nennen. LGT, war da nicht was? Ja, genau: Die LGT ist die Liechtensteinische Bank, bei der Millionen von deutschem Schwarzgeld lagern. Auch sonst ist Herr Westerwelle ein gern gesehener Redner bei der Finanzbranche – ab 7.000 Euro aufwärts, egal ob Axa AG oder Sal. Oppenheimer jr. & Cie KG aA in Köln.
Jede Fraktion im Bundestag hat Abgeordnete in ihren Reihen, die dem Bankgewerbe nahe stehen. So ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau – auch diese halbstaatliche Bank legte einen gewaltigen Verlust hin – für 13 Bundestagsabgeordnete eine gute Einnahmequelle. Ebenso viele Pöstchen hält die BAFIN, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, bereit. Allerdings nicht für 400 Euro im Monat. Vor allem die BAFIN versagte im Vorfeld der Finanzkrise und des ruinösen Agierens der Sächsischen Landesbank bzw. der BayernLB total. Kein Wunder, dass bei den emsigen Nebenberuflern aus dem Bundestag die Finanzwirtschaft eine derart gute Lobby hat. Was sind da schon 480 Milliarden Euro?
Zocken!
Der englische Derivatenhändler Nick Leeson ruinierte 1995 mit seinen hochspekulativen Geschäften die traditionsreiche britische Barings Bank. Dafür musste er über sechs Jahre ins Gefängnis. Hätte Nick Leeson heute eine derartige Pleite hingelegt, er hätte eine ansehnliche Prämie bekommen. Wer nach der aktuellen Finanzkrise glaubte, dass die Casinozockerei der Banken ein Ende hätte, war entweder naiv oder schlecht informiert. In diversen Anlegerblättern und großen Tageszeitungen stehen nach wie vor großformatige Anzeigen, in denen für spekulative Anlageformen geworben wird. Das beste Beispiel war der vollkommen irreale Kurs der VW-Aktie durch Leerverkäufe. Mitten in der Finanzkrise.
Die egoistischen Spekulationen treffen alle. Nicht nur wegen der 480 Milliarden für den Rettungsfonds. Diverse Fonds haben beispielsweise Rohstoffe wie Kakao als Anlageobjekt entdeckt. Innerhalb von fünf Jahren stieg der Preis für eine Tonne Kakao von 1.482 Euro auf 2.679 Euro – trotz höherer Ernten. Gleiches gilt für andere Rohstoffe wie Erdöl oder Getreide. Alle Stimmen, die nach der Eigenregulierung der Märkte verlangen, müssen auch anerkennen, dass mit Zockern ein vernünftiges Marktgeschehen unmöglich ist.
Aber das große Zocken geht weiter. Wie bisher. Die nächste Finanzkrise ist vorprogrammiert. Die Grenzen, wer Schuldige und Opfer sind, können als fließend bezeichnet werden. Privatpersonen investieren Gelder in spekulativen Fonds und Anlageformen. Je höher die versprochene Rendite ist, umso besser. Die Gier schaltet das Denken aus. Banker brauchen das Geld. Schließlich müssen sie Gelder anlegen, um einen opulenten Bonus zu bekommen. Die Politiker wiederum sehen dem Treiben an den Finanzmärkten weiter zu. Sie können sich trösten. Instrumentarien zur Regulierung der überhitzten Märkte hätten sie. Doch die sind stumpf und wer in den Markt eingreift, wird sofort mit dem „Makel“ belegt, ein Linker zu sein. Die Party in der Finanzwelt ist nicht zu Ende. Sie hatte eine Pause. Für einen Atemzug lang.
Maier, Max
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Alles in Allem etwas plakativ, aber nicht falsch. Schade, dass die Verquickung zum Zentralbankensystem und deren Oberen etwas kurz kam. Insbesondere die Initiative Finanzstandort Deutschland, Frankfurt School of Finance and Management, Goethe-Uni FFM und Bundesbank wären schon fast einen extra Artikel wert. Ginge aber auch bei der Fed, BIS oder IWF. Also noch viel Stoff, sich kritisch zu positionieren.
MfG