Dogmatismus im Landeanflug
Diesen Mittwoch unternahm das Theater Regensburg den Versuch eines “Regensburger Religionsgesprächs” zur Bedeutung des Glaubens in der Gesellschaft. Zwei christliche Gläubige und ein Atheist teilten sich das Podium und waren nur selten einer Meinung. Dies war zwar unterhaltsam, führte aber zu wenig Erkenntnisgewinn. Vor allem die Kirchenvertreter waren sparsam mit Argumenten.
Die vierte Ausgabe der Regensburger Gespräche des Stadttheaters Regensburg in Kooperation mit dem Mittelbayerischen Medienhaus war die bislang kontroverseste. Kein Wunder, hatte man das Thema „In Gottes Namen. Religion zwischen Sinnstiftung und Dogmatismus“ auserkoren und das Podium mit einem Katholiken, einem Lutheraner und einem Atheisten streitlustig besetzt.
Ein spannendes und anspruchsvolles Gesprächssetting, das ob seiner thematischen Breite und grundsätzlichen Themenstellung allerdings ein wenig zum Scheitern verurteilt ist. Daran kann auch eine zumeist souverän fragende, jedoch zu zurückhaltend moderierende Jana Wolf (MZ) nicht viel ändern, zumal ihre Fragen von den drei Männern am Podium häufig lediglich mit Ignoranz quittiert werden. Sie wollen meist etwas anderes sagen.
Auf diesem Podium in der MZ-Zentrale diskutieren und streiten Sigmund Bonk (Direktor des Akademischen Forums Albertus Magnus des Bistum Regensburg, Diakon, Philosophiedozent und Marienverehrer), Hans-Martin Weiss (evangelischer Regionalbischof) und Philipp Möller (Autor und Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung).
Protest und wirkungsloser Impuls
Noch bevor die Beteiligten auf ihren Stühlen Platz nehmen, schlägt die Stunde von Kurt Raster (Bund für Geistesfreiheit, Recht auf Stadt), der mit einer in Mönchsgewand gekleideten Gruppe abermals etwas nach dem Regensburger Faschismus-Opfer Elly Maldaque benennen möchte. Diesmal die D.-Martin-Luther-Straße. Eine Kundgebung hierzu findet diesen Sonntag statt. Die flashmobartige Aktion stört die Podiumsdiskussion nicht sonderlich und verläuft eher im Sande.
Ebenfalls ohne besondere Resonanz bleibt der als Impuls gedachte, von Schauspielerin Susanne Berckhemer gelesene Ausschnitt der fiktiven Antrittsrede von Päpstin Johanna II. aus Esther Vilars Drama „Die amerikanische Päpstin“. Der Impuls findet beim anschließenden Gespräch keinen Widerhall. Die Rolle der Frau in der Religion, insbesondere in der katholischen, wird angesichts der thematischen Fülle des Abends nicht diskutiert und lässt die kurze Lesung dadurch ziemlich obsolet erscheinen.
Möller: „Turbokapitalistische und bigotte Jesuskonzerne“
Besprochen werden hingegen Themen wie die Bedeutung des Glaubens in der Gesellschaft, der Einfluss der (christlichen) Religion in der und auf die Öffentlichkeit, die Finanzierung der Kirchen sowie die Plausibilität christlich begründeter Moral. Erwartungsgemäß spielt sich der größte Schlagabtausch zwischen Bonk und Möller ab, Bischof Weiss kommt zu keinem Zeitpunkt argumentativ besonders in Fahrt, moderiert sich die an ihn gestellten Fragen selbst erstmal zurecht, bevor er antwortet und setzt in der Diskussion keine wesentlichen Akzente.
Für die Pointen ist ohnehin der talkshowerfahrene Atheist Möller zuständig. Den persönlichen Glauben sehe er als weniger problematisch an, Religion sei allerdings „institutionalisierte Mythologie“ und die Kirchen „turbokapitalistische und bigotte Jesuskonzerne“. „Die ältesten Fakenews der Welt“ sei die Bibel und Jesus nach wie vor ein „mythologisches Moment“.
Kirchliches Arbeitsrecht – „Narrenfreiheitsparagrafen“
Für solche und ähnlich provokante Sätze erntet er regelmäßig starken Applaus von den offenbar religionskritischen unter den insgesamt deutlich über 100 Anwesenden und einiges Kopfschütteln, Murren und schimpfendes Murmeln von Gottgläubigen. Seine Hauptkritik gilt jedoch – wie er mehrfach bekräftigt – dem kirchlichen Arbeitsrecht, das beispielsweise kein Streikrecht vorsehe und das er als „Skandal“ betrachte. Aufgrund ihrer „Narrenfreiheitsparagrafen“ hielten sich Diakonie und Caritas nicht an geltendes Recht und betrieben eine „Paralleljustiz“.
Die beiden Mitdiskutanten wollen dies freilich nicht so stehen lassen. „Die Kirche beteiligt sich massiv an sozialen und karitativen Aufgaben“ und müsse präsenter und selbstbewusster werden, so Bonk. Weiss sieht zwar ein „Plausibilitätsproblem der Kirche“, betont aber zugleich, dass sie genau deshalb ihre Botschaft breiter vermitteln müsse. Die Diakonie kümmere sich um Menschen und unternehme „sehr differenzierte Sachen“, die man nicht pauschal schlechtreden könne.
Reichsdeputationshauptschluss – „Eine der größten Ungerechtigkeiten, die es jemals gegeben hat“
Der Kritik von Möller, wonach kirchliche Trägerstrukturen in Bildung, Erziehung, Pflege und Medizin mit ihrem Sonderarbeitsrecht überwiegend durch die öffentliche Hand finanziert werden, entgegnet Bonk, dass dies Folge der Säkularisation kirchlichen Eigentums aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 sei. Den Hauptschluss selbst bezeichnet Bonk als „eine der größten Ungerechtigkeiten, die es jemals gegeben hat“.
Im Verlauf des Abends wird das Gespräch zunehmend philosophischer und theologischer. Es geht um die Bedeutung des Glaubens für Moral und eine glückliche Lebensführung, wenngleich auf theoretisch niedrigem Niveau. Symptomatisch hierfür sind Diakon Bonks glaubensideologische Einlassungen und argumentative Luftnummern, die im liturgischen Kontext besser aufgehoben wären, als bei einer Podiumsdiskussion.
Glaube als Geschenk, Gott als Nordpol und die Landebahn des Heiligen Geistes
Der Glaube sei ein „Akt der Gnade“, dem man sich allerdings öffnen müsse, damit man mit ihm beschenkt werde. Und weiter: Glaube und Liebe seien nicht zu trennen: „Nur wer glaubt, liebt und nur wer liebt, glaubt.“ Mit dem Glauben bereite man „dem Heiligen Geist eine Landebahn“. Auch für Weiss ist der Glaube, wenn er geschehe, ein Geschenk.
Laut Bonk haben Menschen einen inneren geistigen Kompass, bei dem Gott wie der Nordpol fungiere und die (moralische) Nadel anziehe. Die Bildsprache Bonks klingt plakativ, phantasievoll und gelehrsam, ersetzt aber dennoch keine Argumente für die Notwendigkeit eines Glaubensfundaments für die Moral, die er diesen Abend schuldig bleibt. Stattdessen beruft er sich etwa auf sein Unbehagen, das ihm „der Hedonismus“ bereite, mit Menschen, die nur an sich und ihre nahen Verwandten denken und häufig wechselnde Geschlechtspartner hätten.
Möller lässt diesen Seitenhieb auf „den negativ besetzten“ Hedonismus nicht gelten und betont, dass für ihn Moral durch Selbstbestimmung des Menschen in „Aushandlung mit Mitmenschen“ entstehe und nach Fairness und Unfairness frage und nicht dem religiös gesetzten Gegensatzpaar von Gut und Böse.
Theodizee-Problem: Gott spielt Verstecken
Geradezu albern wird es bei Bonks Umgang mit dem sogenannten Theodizee-Problem, also der Frage wie ein allwissender, allmächtiger und insbesondere allgütiger Gott Böses zulassen könne. Für ihn sei dies zwar „ein gewaltiges Problem“, Gott nehme sich aber eben zurück und verhalte sich „ein bisschen kindlich, (nicht kindisch)“ wie eine Tochter, die sich vor der Mutter verstecke.
Wirklich unredlich ist zudem ein Konter Bonks auf Möller im Zuge einer kurzen Auseinandersetzung um das Verhältnis von Willens- und Handlungsfreiheit des Menschen. Ihm als Philosophiedozenten müsse man bei dem Thema nichts vormachen, Handlungsfreiheit setze schließlich Willensfreiheit voraus. Mit Verweis auf seine fachliche Autorität stellt Bonk dem Publikum diese Position als unumstößliche philosophische Tatsache dar und unterschlägt, dass es sich dabei lediglich um (s)eine Überzeugung handelt, die keineswegs unumstritten ist.
Kirche und „die Reizthemen“
Dem für die Veranstaltung titelgebenden Dogmatismus im Namen Gottes konnte man teilweise förmlich beim Landeanflug zusehen. Übrigens auch bei den anschließenden Publikumsfragen, die überwiegend keine Fragen, sondern Statements und Parallelreferate waren. Eine Christin, bei deren langem Beitrag man sich genötigt sah ihr letztlich das Mikrofon aus der Hand zu nehmen, beklagte sich etwa über „den Genderismus, der sehr im Vordergrund“ stehe und warnte vor der Gefährlichkeit der Sexualkunde in Schulen.
Möglicherweise sind mitunter genau das die „Reizthemen“, die Jana Wolf in ihrer letzten Frage anspricht, indem sie wissen möchte, ob sich die Kirchen den Diskussionen dafür mehr öffnen müssten. Für Weiss, einen Gegner der Ehe für alle – wie er betont -, tue das seine Kirche, man sollte jedoch grundsätzlich von Überheblichkeit, Besserwisserei und „Pharisäertum“ wegkommen.
Ein Plädoyer, auf das man sich auf dem Podium trotz aller Kontroversen angesichts der Frage der Religion zwischen Sinnstiftung und Dogmatismus in der Theorie wahrscheinlich einigen könnte, käme nicht plötzlich wieder von irgendwoher der Heilige Geist angeflogen.
weder-theist-noch-atheist
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Wenn es Gott gibt, dann ist es das Leben.,Gott’ ist im lebendigen zu finden , und nicht in toten sogenannten Heiligen Büchern. Gottesdienst heisst für mich , ein lebendiges Leben zu führen, trotz aller Konditionierung auf ,du musst aber…!!!’ aus der Kindheit. Glaube ist für mich das Wissen, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als wir uns vorstellen können (Goethe).
Insofern ist der norm-ale Gläubige mit seinen Glaubensdogmen ein Gotteslästerer.
Lenerl
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Das kirchliche Arbeitsrecht ist zurecht der Hauptkritikpunkt des Herrn Möller. Leider konnten die Kirchenvertreter scheinbar einmal mehr keinen einzigen schlüssigen Grund nennen, warum diese Ausnahmeregelung weiterhin Bestand haben sollte. Nur zur Erinnerung: wir leben im Jahr 2017 nach Christus, es gibt in der BRD ein Sozialgesetzbuch mit 12 Büchern, der Staat lässt massiv soziale Leistungen erbringen und die Kirchen sind zwei Träger von vielen. Fakt ist, dass die Steuerzahler und Sozialversicherungsnehmer die Mehrheit der sozialen Leistungen in der BRD finanzieren und der Kirchensteuerzahler und Opferstock- Bestücker legt quasi noch was drauf, damit die Kirche ihren karitativen Auftrag auch darüber hinaus erfüllen kann.
Die Kirche hat eine sehr lange „handwerkliche“ Tradition in der „Bearbeitung“ „sozialer Problemlagen“, das schlägt sich natürlich in ihrem „Marktanteil“ nieder. Nichts rechtfertigt allerdings, dass staatlich anerkannte Fach- oder Hilfskräfte in kirchlicher Trägerschaft, die staatliche Leistungen erbringen, welche sich aus sozialstaatlichen Gesetzen ergeben und die aus staatlichen Steuer- und Sozialversicherungsgeldern finanziert werden, einem anderen Arbeitsrecht unterliegen als der Rest der Arbeitnehmerschaft in der BRD.
Von mir aus können die Kirchen ihr Arbeitsrecht gern bei ihren Pfarrern, deren Haushälterinnen, den Ordinariats- Sekretärinnen, Pfarrbüro- Verwaltern, etc. anwenden. Ich meine, da gehört es auch hin. Wozu braucht es das kirchliche Arbeitsrecht aber darüber hinaus in sozialen Einrichtungen? Träger ohne kirchlichen Hintergrund erbringen diese Leistungen ebenso. Das geht.
Hier sind ja immer Erklär- Theologen am Mitlesen. Was sagt man dazu?
Vielleicht sollten sich die Kirchen schön langsam eine logische und aktuelle Begründung und Legitimationsgrundlage für ihr Arbeitsrecht zurechtlegen. Ausweichendes Blabla (das man scheinbar Dogmatismus nennt) wird sicher nicht mehr lange reichen.