14 Okt.2012
Filmriss
Die Wand – Schwafeln im Wald
In „Die Wand” liefert Martina Gedeck über 100 Minuten lang ein beachtliches Stück Schauspielkunst. Ansonsten krankt die Romanverfilmung aber an einer der größten Schwächen des Mediums.
Wenn ihnen der Alltag über den Kopf wächst, flüchten sich viele Städter ins Hinterland, nehmen eine Auszeit von allem, was Trubel und Hektik bedeutet. Die Vorstellung der Abgeschiedenheit bekommt etwas Anziehendes, beinahe Romantisch-Verklärtes; doch was wäre eigentlich, wenn wir von einem Tag auf den anderen tatsächlich von allem, was wir mit Zivilisation in Verbindung bringen, abgeschieden wären? Allein in der Wildnis, ohne menschlichen Kontakt?
So radikal wie in Julian Pölslers Verfilmung des gleichnamigen Romans „Die Wand” scheint dieses Motiv kaum jemals interpretiert worden zu sein. Eine namenlose Frau, die mit einem befreundeten Paar für ein Wochenende zu einer einsamen Jagdhütte in die Berge fährt, wacht morgens plötzlich mutterseelenallein auf; als sie sich auf die Suche nach ihren Begleitern macht, muss sie feststellen, dass sie über Nacht von einer unsichtbaren Wand eingeschlossen worden ist. Alles Menschliche bleibt durch diese undurchdringbare Wand von ihr abgeschieden, scheint durch sie hindurch leblos und zur Bewegungslosigkeit erstarrt.
Was Martina Gedeck in „Die Wand” abliefert, dürfte nicht weniger als eine der herausragendsten Leistungen einer deutschsprachigen Schauspielerin in den letzten Jahren sein. Im Prinzip spielt sich die Münchnerin in Pölslers Film im Alleingang durch die mehr als 100 Minuten Alpenland; die Auftritte anderer Darsteller sind ob Gedecks allumfassender Präsenz zu vernachlässigen. Ohne Frage macht ihre beachtliche Leistung die Hauptattraktivität von „Die Wand“ aus und dürfte gerechtfertigterweise noch einige Schauspiel- und Filmpreise für sie nach sich ziehen. Für den Film als Ganzes kann man das nicht sagen. Und das liegt an einem grundsätzlichen Problem, für das Pölsler und sein Team nichts können, das aber altbekannt ist: Es liegt an den Möglichkeiten des Mediums, deren Grenzen „Die Wand“ bilderbuchmäßig aufzeigt.
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Foto: Coop99 Filmproduktion.
„Der Mensch stürzt vorbei am Tier in den Abgrund”
Als sie sich vergewissert hat, dass sie keine Hilfe von außen erwarten kann, macht sich die Frau daran, ihr Leben in der Abgeschiedenheit zu organisieren. Je länger sie mit primitivem Ackerbau, Holzhacken und Jagen beschäftigt ist, desto zentraler wird für sie die Frage nach der menschlichen Existenz in der Einsamkeit; nur von Tieren umgeben, steht vor allem die Angst vor dem Wahnsinn im Mittelpunkt. Wird der Mensch unter Tieren selbst zum Tier? Nein, damit hätte zumindest die namenlose Protagonistin kein Problem. Doch sie glaubt, das menschliche Wesen stürze in der Isolation „vorbei am Tier in den Abgrund“.
Foto: StudioCanal Deutschland.
Jürgen Huber
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Interessante Besprechung. Jetzt will ich den Film gerne selber sehen. Merci.
j.h.