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Glosse

Die Tolerantel: Über Fliegerbomben und Stadtbahnen in Regensburg

Toleranz ist eine löbliche Eigenschaft, die den meisten Menschen aber erst mühsam eingeprügelt werden muss. Wenn’s in die Zukunft gehen soll, überlegt der Regensburger schon ganz genau, mit welchem Gefährt das passieren könnte. Völlig zu Recht.

Größere bauliche Veränderung von Dauer: der neue Belag der Steinernen Brücke. Foto: Archiv

Vielleicht ist von den zahllosen bewundernswerten Eigenschaften des Regensburgers, die zu besingen ich hier nicht müde werde, seine geduldige und Weise Art der abwartenden Vorausschau ganz besonders hervorzuheben. Die jahrtausendalten Steine seiner Heimat dienen dem Regensburger auch als stete Mahnung, nur nicht zu hudeln und lieber erst einmal abzuwarten. Oder auch zweimal.

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Grad bei der Abstimmung zur Stadtbahn hat es sich wieder gezeigt, dass man ein Nahverkehrskonzept ungern auf einer Perspektive von wenigen Jahrzehnten aufbaut. Es ist schon ganz richtig: was machst du denn, wenn du mühsam deine Schienen verlegt hast, und auf einmal kann man sich auch gemütlich vom Liefer-Quadrocopter vom Amazon geschwind mit zum Bäcker nehmen lassen? Na also. Immer schön abwarten.

Regensburg denkt langfristig, am liebsten in der Kategorie von Immobilien

Größere bauliche Veränderungen in Regensburg müssen von Dauer sein, wie etwa der neue Brückenbelag der Steinernen, bei dem man sich sich sicher sein kann, dass sein Anblick auch in 800 Jahren noch akute Hämorrhoidalblutungen verursachen wird. Darüberhinaus darf es den Regensburgern ja wirklich eine Lehre sein, wenn sie sehen, dass einfach nichts weitergeht in dieser Stadt, wenn vorher nicht der Rieger Franz geschmiert worden ist.

Man denkt langfristig in Regensburg, am liebsten in der Kategorie von Immobilien, und nicht umsonst ist eine Immobilie im Wortsinn etwas Unbewegliches. Ich stelle mir vor, wie die Römer damals ihre Sachen gepackt haben, weil’s ihnen hier dann doch zu langweilig geworden ist, und sofort ein lokaler Immobilienentwickler die verlassenen Bauten in Beschlag genommen und vermarktet hat, womöglich unter dem griffigen Namen „Das Castra“; hochmoderne Achtpersonenappartements in Toplage zu marktgerechten Konditionen, manche bereits mit sanitären Einrichtungen, die es erlaubten, direkt in die Donau zu kacken.

Seit den Römern ist nicht mehr viel passiert in dieser Stadt

Dabei ist es im Grunde genommen seither geblieben, und nach wie vor kann man aus den besten Regensburger Wohnungen heraus direkt in die Donau defäkieren. Die freie Reichsstadt, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, all das sind klingende Namen, die vor allem für Kontinuität im Immobilienwesen stehen, und schon planen die ersten Vermieter Werbekampagnen mit dem Slogan „2.000 Jahre Wohnen ohne Wärmepumpe“.

Es ist einfach paradiesisch hier.

Allerdings ist jetzt halt auch seit den Römern nicht mehr viel passiert in dieser Stadt, und das nagt schon auch ein wenig am Selbstbewusstsein. Gut, ein bisserl Napoleon, ein bisserl Goethe, aber das war’s dann auch schon, und, ganz ehrlich, gerade die beiden waren eh so ziemlich überall, da braucht man sich dann auch nichts drauf einbilden. Und unser schöner immerwährender Reichstag? Regensburg at it’s best. Die Delegierten haben viel gesoffen und politisch nichts bewegt, und saufen und politisch nichts bewegen kann man in Regensburg nach wie vor ganz hervorragend.

Ansässige Berüchtigtheiten statt Berühmtheiten

Moderne Berühmtheiten gibt’s hier schon lange keine mehr, weshalb man sich mit den ansässigen Berüchtigtheiten zufrieden gibt und so tut, als wäre das das Gleiche, und das ist ja auch völlig in Ordnung, weil gerade in der heutigen Zeit der Unterschied eh zunehmend verschwindet.

Wenn aber das globale Pensionistentum von den Donauschiffen steigt und in altersgemäßem Tempo hinter dem Fähnchen des Guides durch die Stadt zockelt, dann wird eines schmerzlich klar: die Reputation Regensburg liegt in seiner Vergangenheit, und dass von dieser Vergangenheit noch so viel da ist, liegt daran, dass Regensburg immer bedeutungsloser wurde, je näher es an die Moderne rückte.

Das hat sich dann vor allem im zweiten Weltkrieg bezahlt gemacht, als es bis auf ein bisschen Flugzeugbau in Regensburg einfach nix gegeben hat, was eine alliierte Bombe wert gewesen wäre.

Survival of the Irrelevant

Also, nicht falsch verstehen: kein Mensch will gerne bombardiert werden. Wenn aber, so als Alternativbeispiel, in jedes Haus in der Nachbarschaft eingebrochen wird, nur bei einem selber nicht, dann ist das natürlich einerseits erfreulich, aber andererseits ein deutliches Indiz dafür, dass man wahrscheinlich kein heißer Kandidat für „Schöner Wohnen“ ist.

Weltkulturerbe Regensburg, erhalten durch konsequente Belanglosigkeit. Survival of the Irrelevant. Da macht Hollywood keine Filme draus.

Jetzt haben in den Jahrzehnten mach Kriegsende sowohl Stadtplanung als auch Immobilienentwickler mit großer Mühe und nicht unerheblichem Talent daran gearbeitet, die ausgebliebenen Flächenbombardements nachträglich zu kompensieren, aber so ganz funktioniert das natürlich bei allem guten Willen trotzdem nicht. Es gab ja sogar mal den Plan in den Sechzigern, für die neu geplante Universität die marode Altstadt zu planieren; da hätte man natürlich auf einen Schlag nachgeholt, was der Weltkrieg versäumt hat.

Stolz sein auf die Knackersemmel

Jetzt ist man aber schon froh drum, dass man die amerikanischen Boat People nicht über die Steinerne Brücke in eine Sichtbeton-Mensa zum Essen führen muss, und überhaupt: selber kaputt machen macht ja den Minderwertigkeitskomplex der aus Desinteresse Verschonten nicht wett. Um wieder das Einbruchsbeispiel zu verwenden: wenn sich der Ganove partout nicht für das Eigenheim interessiert, dann bringt’s ja auch nichts, sich selber die Terrassentür einzutreten.

Ich bin froh, so wie es ist. Machen wir uns nichts vor: die bedeutendste kulturhistorische Errungenschaft der letzten 200 Jahre in dieser Stadt war die Erfindung der Knackersemmel. Das ist doch schön! Wenn ich weg war und wieder hierher zurückkomme, ist mir eine Knackersemmel der liebste Willkommensgruß. Ich finde, wenn man als Regensburger auf irgendwas stolz sein kann, dann auf die Knackersemmel. Die sollte meiner Meinung nach auch viel mehr Erwähnung finden, auf Tafeln an der Autobahn zum Beispiel oder gleich auf den Ortsschildern. Regensburg. Home of the Knackersemmel.

Reich, aber unbumsbar

Also, es gibt da meiner Meinung nach keinerlei Grund zum Lamentieren. Natürlich, wenn Berlin arm, aber sexy ist, dann ist Regensburg im Gegenzug reich, aber unbumsbar.

Was soll’s! Dafür kann man schön Kaffee trinken und Prosecco auch. Und in der Gesandtenstraße die Flaneure beobachten und die Regensburger Prominenz belauschen. Da sind welche dabei, die es sogar schon beinahe mal woanders zu etwas gebracht hätten. Kürzlich saß ich neben einem, der mal am Flughafen am Gepäckband neben dem Axl Rose gestanden hat. Der hat das so lebendig erzählt, dass ich fast das Gefühl gehabt hab, dass ich auch mit am Gepäckband gestanden habe.

Burgerbrater oder Döner, das ist hier die Frage

Und natürlich gibt’s auch immer noch die, die in der 67. Generation alte Römer-Kasematten vermieten und sich schon deshalb freuen, dass ihnen der zweite Weltkrieg keine größeren Spachtelarbeiten abgenötigt hat. So sind doch am Ende wieder alle zufrieden und glücklich in ihrer ungestörten Beschaulichkeit, in der man schon deshalb keine Stadtbahnen braucht, weil es eh kaum Gründe gibt, das Haus zu verlassen und etwa die Stadt von links nach rechts zu durchqueren.

Kaffee und Prosecco gibt’s vorne wie hinten, und für den kleinen Nervenkitzel sorgt regelmäßig die Frage, ob der neue Laden, der da grade am Umbauen ist, ein Burgerbrater wird oder ein Döner. Für Spannung ist also immer gesorgt in Regensburg.

Und das mit dem Renommee kriegen wir auch noch hin. Soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?

Die Sache mit den Bomben

Vor zwei Wochen wurde wieder eine Fliegerbombe gefunden. Passiert ja, in regelmäßigen Abständen. Man mag sich höchstens wundern, wo die immer wieder herkommen, angesichts der dürftigen Angriffslage seinerzeit. Das Geheimnis ist: es sind immer dieselben Bomben, die da gefunden werden. In einem öffentlich wenig bekannten städtischen Programm zur nachträglichen Urbanheroisierung sorgt man für regelmäßige Bombenfunde, um das Regensburger Image ein wenig aufzupolieren.

Meines Wissens besitzt die Stadt drei Bomben, intern Kaspar, Melchior und Balthasar genannt; zwei aus eigenen Beständen, und eine hat man mal aus München gekriegt. Natürlich sind die nicht mehr scharf, und so kann man sie gefahrlos zu Werbezwecken einsetzen. Schade, dass das mit der Stadtbahn nix geworden ist; da hätten sich die Bomben ganz schön oft finden lassen können, und das hätte der Modernisierung nochmal so einen richtigen Schub verpasst. Ja mei.

In der großen Koalition war das auch ein beliebtes Spiel: die CSU darf die Bombe vergraben, und die SPD muss sie dann finden. So ein lokalpolitisches Ostereiersuchen; sehr beliebt immer, aber da muss man sich jetzt eben eine neue Regelung überlegen. Da findet sich bestimmt was, ich bin da sehr zuversichtlich. Wenn Regensburg eines kann, dann ist das schließlich Vergangenheit.„"

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