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Glosse

Die Tolerantel: Der Korruptions-Index

Toleranz ist eine löbliche Eigenschaft, die den meisten Menschen aber erst mühsam eingeprügelt werden muss. Wenn’s ums Geld geht, muss man vielleicht auch beim ein oder anderen unmoralischen Angebot Toleranz üben – es fragt sich halt, ab welchem Betrag.

“Gleichnis für eine Form, die Sender und Empfänger zugleich ist, die Anregungen einsammelt und bündelt wie ein Parabolspiegel”: der “Gedankenblitz”, den das Bayernwerk seit 2005 verleiht. Foto: Alex Schelbert

Dicht & Ergreifend ist eine Musikgruppe, die hauptsächlich rappt, also so Sprechgesang macht. Auf bairisch. Kenn ich natürlich, auch wenn ich jetzt nicht den ganzen Tag ununterbrochen sowas höre. Aber die wichtigen Rapper kenne ich trotzdem alle. Falco, Robbie Williams, Komantsche 4711, wie sie alle heißen. Dicht & Ergreifend haben jetzt einen Preis gekriegt, und weil die moderne Welt ja eh permanent toleranter wird, war das ein Kulturpreis. Fürs Rappen.

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Aber dann haben sie den Preis nicht mal gewollt! Abgelehnt haben sie ihn! Weil der Sponsor von dem Kulturpreis die Bayernwerk AG war, und sie nicht für ein Trinkgeld die Bühnenaffen von so einem Milliardenkonzern sein wollten.

Sehr löblich! Bin ich komplett dafür! Mit 5.000 Euro war der Preis dotiert, und die Band hat das auch sehr schön in Relation gesetzt zu dem, was da sonst so umgesetzt wird in so einem Laden. Auch die Rapper rappen selten ohne Strom, und da könnte man eigentlich sagen, dass sie die 5.000 Euro, die sie da gekriegt hätten, vorher selber eingezahlt haben.

5.000 Euro – viel oder wenig, je nach Gesichtspunkt

5.000 Euro. Das ist jetzt viel oder wenig, je nach Gesichtspunkt, nach Steuersatz oder nach Pflegestufe.

Noch vor zehn Tagen hätte ich den Kulturpreis ganz genauso abgelehnt, kategorisch und empört, aber jetzt war ich letzte Woche zufällig im Ingolstadt Village und hab da ein bisschen über die Stränge geschlagen, und jetzt würde ich den Preis vielleicht nur noch partiell ablehnen.

Also, tatsächlich, wenn das Bayernwerk das hier liest und sie haben die 5.000 Flocken noch nicht für Kugelschreiber oder Windfähnchen oder Schlüsselanhänger ausgegeben, dann würd ich schon was nehmen. 2.400 Euro vielleicht, weil ich dann schon noch mehrheitlich gegen diese abscheuliche Vereinnahmung der Kultur protestieren würde. 2.480. Aber dann langt’s auch.

Es geht halt auch immer ein bisserl um die Verhältnismäßigkeiten. Um die Luft in der Chipstüte. Und um das Fleisch und die Beilage. Braucht es in der Metzgerei anlässlich der Übergabe einer Leberkäsesemmel eine Blaskapelle zur Untermalung? Ich führe das mal ein bisschen weiter aus.

Den Preis darf man halten – fürs Foto

Kennen Sie den Thomas Bernhard? Den Schriftsteller? Wenn nicht, seien Sie froh. Thomas Bernhard lesen versaut einem so sicher die Stimmung wie der Jahresbericht des Bundes der Steuerzahler. Jedenfalls, der Bernhard hat mal sowas gesagt wie, dass er nicht auf Preisverleihungen geht, weil die dazu da sind, dass man sich auf den Kopf kacken lässt. So ungefähr. Glaub ich.

Wenn man sich diesen Kulturpreis anschaut, dann versteht man ziemlich genau, was er da so meint. Vielleicht meint so der Durchschnittsbürger, dass es bei so einer Preisverleihung um die Leute geht, die wo so einen Preis kriegen. Mitnichten, kann ich da nur sagen. Wenn du da ein Preisträger bist und meinst, es geht um dich, dann bist aber schön blöd.

Wenn ein Politiker im Wahlkampf ein Kind streichelt, dann geht’s auch nicht um das Kind, sondern um das Foto. Und genau so ist das auch bei diesen Preisverleihungen. Da kriegst du als Preisträger einen Preis, und den darfst du dann tragen. Also, halten. Für ein Foto mit dem Bayernwerk in dem Fall, und dann darf das Bayernwerk noch erzählen, wie genau sein Strom dir dabei geholfen hat, den Preis zu kriegen.

Das Preisgeld ist nicht so prickelnd

Wenn man bedenkt, was so eine Werbeminute kostet, dann ist so eine Gala ja im Grunde eine ziemlich günstige Dauerwerbesendung mit Preisträgerplatzierung. Bisserl Glamour, das ist doch in diesen trüben Zeiten was Schönes, und wenn man schon Werbung für ein seriöses Unternehmen machen will, dann kann das ja nicht so billig daherkommen wie bei „Der Preiß ist heiß“. Wobei, wenn jeder Preisträger seinen Gewinn zwischen Tor eins, zwei oder drei aussuchen müsste, dann wär’s schon auch recht unterhaltsam. Sollte man mal vorschlagen.

So gibt’s halt bloß 5.000 Euro und den sogenannten Gedankenblitz als Trophäe, und da hat man zur Kultur ja auch wieder irgendwie ein bisschen Strom dabei, zwecks dem Blitz. Besonders das Preisgeld finde ich jetzt vor dem Hintergrund nicht so prickelnd. Ja freilich, 5.000 Euro, das ist kein Hühnerdreck, aber das ist jetzt auch keine Summe, für die zum Beispiel eine Nutzungsänderung für einen Baugrund schneller durchgeht.

Gut, die Gewinner dürfen da bestimmt später noch mit den wirklichen Gästen ans Büfett und einen Teriyaki-Gockerlhax essen, aber trotzdem. 5.000 Euro? Bei RTL gibt’s jeden Mittag einen Tausender, wenn man weiß, ob ein Schlitten bergab oder bergauf schneller fährt.

Wo liegt die ethische Sollbruchstelle?

Keinesfalls möchte ich da übrigens den DichtundErgreifenden was von der Ehre abschneiden. Aufrechte Burschen sind das, ganz zweifellos! Ich stelle da nur fest: 5.000 Euro, das ist jetzt allgemein nicht der Bereich, wo der Reaktor kritische Temperatur erreicht.

Ansonsten interessiert mich, rein akademisch, die ethische Sollbruchstelle bei solchen Geschichten. Das ist ja wie mit dem Fremdgehen: Moral ist, wie es so schön heißt, letztlich oft bloß auf den Mangel an Gelegenheit zurückzuführen. So ein verhunackelter Baumhausbewohner aus der Zonenrandförderung kann leicht treu sein.

Andererseits muss man ja auch nicht gleich ein Dasein als wandelnder Geldbriefkasten führen, mit 24-Stunden-Einwurfschlitz, wie unser Ex-Landtagsabgeordneter, der Diridari-Franze. So jemanden bestechen ist jetzt auch nicht grad die Herausforderung des Jahrhunderts.

Der Generaldirektor-Heinrich-Haffenloher-Index

Ich mag da einen Mittelwert finden, ganz wissenschaftlich, so ungefähr: Ab welchem Druck verflüssigt sich bei Raumtemperatur ein Gewissen?

Für die finanzielle Untreue gäbe es für mich einen Index, den ich aus einer bekannten Fernsehserie entlehnen täte, und die dürfen Sie dann erraten, wenn Sie mögen. Obacht: Der Punkt, der auch eine intakte Grundmoral in die Erosion treiben könnte, bemisst sich für mich nach dem Generaldirektor-Heinrich-Haffenloher-Index.

Mancher wird’s jetzt wissen, mancher wird’s googeln, und manchem wird’s wurscht sein. Dieser Index jedenfalls bemisst sich darin, nicht willfährige Kontrahenten so lange – verzeihen Sie den Ausdruck – mit Geld zuzuscheissen, bis sie nicht mehr nein sagen können.

Da hat die Sache natürlich schon präfiskalisch eine ganz andere Relevanz. Ab wann knickt man ein? Ab wie vielen Feinunzen Gold geht man in die Knie, schon um die Gelenke zu schonen?

Das Verhältnis von Wertschätzung zu Wertschöpfung

Ich wüsst ja nicht mal selber, wo ich mich da einsortieren täte. Ich kauf ja auch nur ganz selten im Ingolstadt Village ein. Die CSU-Basisschulung Gemeinderat hab ich andererseits auch nie gemacht; so sehr hat mich Geld anscheinend dann doch nie gereizt. Interessant, das alles.

Jedenfalls, um auf Dicht & Ergreifend zurückzukommen: Die hätten schon auch größere Summen abgelehnt, das glaub ich ohne Probleme. Und sie haben den Satz vom Bernhard irgendwie schon kapiert, auch wenn sie ihn nicht gelesen haben. Die Reaktion vom Söder, der da so eine Art Verständnis für spätpubertäres Verhalten geäußert hat, spricht ja auch Bände, was das Verhältnis von Wertschätzung zu Wertschöpfung angeht.

Nicht nur käuflich, sondern auch noch billig…

Vom Bayernwerk kam da ja auch nur ein achselzuckendes „Ja mei“. Ich weiß nicht, ob da diese in Regensburg ansässige Firma ihren möglicherweise von der Regensburger Vergangenheit geprägten Investitionsrahmen ein bisserl anpassen muss.„"

So, wie sie es gemacht haben, war ja eigentlich eine doppelte Beleidigung inbegriffen: Nicht nur vorauszusetzen, dass man käuflich wäre – sondern auch, dass man billig ist. Und das darf schon gleich überhaupt nicht sein.

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Kommentare (5)

  • Luchs

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    Stein- Index: Ab welchem Phrasen- und Schwurbelgrad verdampft die thematische Relevanz einer Kolumne? Bei offensichtlich konstantem Unterdruck.

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  • Informant

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    Kontext:
    https://www.youtube.com/watch?v=NcyD9G-4q8Q&t=4s

    Mit deren Kunst kann ich so gar nichts anfangen, aber alle Achtung vor diesem Statement. Hätte ich gar nicht mit bekommen. Danke für den Hinweis und ein Weiteres typische steinsches Werk.

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  • Stefan Aigner

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    Danke. Das bette ich gleich mal ein.

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  • Mane

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    Die Jungs sind einfach stabil.
    Sie machen schon immer Musik mit Augenzwinkern, Humor und Haltung.
    Da war die Aktion zwar wenig überraschend aber definitiv sehr stark

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  • Jane

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    Kaum zu glauben. Stein schwafelt über DuE, die in einer coolen PR-Action den bayr. Kultpreis abgelehnt und poltische Haltung gezeigt haben. Und was fällt Stein dazu ein?. Erliebäugelt selber mit genügend großer Preiskohle, ab der er sich korrupieren würde. Vorschlag: Hr. Stein suchen sie sich ein Ehrenamt und schreiben über das Elende dieser Welt. In den Libanon können sie derzeit ja auch nicht, um Alkoholica zu testen.

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Kommentare sind deaktiviert

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