Die schrägen Musikanten hatten Großes vor
Am Donnerstag waren die Goldenen Zitronen in der Alten Mälzerei in Regensburg zu Gast. Die Hamburger Pop-Institution tourt gerade mit ihren neuen Album “More Than a Feeling”. Ein Konzertbericht.
„Hey hello, hello / Hier spricht der Investor“, ächzt Schorsch Kamerun ins Mikrofon. „Ihr seid die kreativen Diven / Wir entziffern eure Hieroglyphen / Wir haben auch so unsere Visionen / In denen könnt ihr arbeiten und wohnen.“ Bereits als dritter Song ertönt „Der Investor“ vom 2013er Album „Who’s bad?“. Eine anstrengend-monotone Synth-Bass-Nummer, die glatt als Regensburg-Hymne der Gegenwart durchgehen könnte. Passen würde sie jedenfalls wie die Faust aufs Auge, ein Luxusloft aufs Schlachthofviertel oder ein Kreativzentrum aufs Hafengelände.
Auch mit ihrem neuen, mittlerweile 13. Album „More Than a Feeling“ gastieren die Goldenen Zitronen in der Alten Mälzerei in Regensburg. Ein ungewöhnlich intergenerationelles Publikum empfängt die Hamburger Popgröße in der vollen Mälze. Das Sextett hat nicht nur die erst kürzlich veröffentlichte Platte mitgebracht, sondern ein zweistündiges Gesamtprogramm und eine ausgesprochen gute Laune.
Unbedarfter Dilettantismus einer nicht dilletantischen Band
In ihrer bunten Jahrmarktskluft balancieren Kamerun, Ted Gaier, Mense Reents und Co. über zu kurze Kabel, Kabelsalate und andere Fallstricke auf der kleinen Club-Bühne, ohne sich weder davon noch von gelegentlichem Ziepen und Surren der reichlich in die Jahre gekommen Amps beirren zu lassen. Im Gegenteil. Die Goldenen Zitronen erfreuen sich daran, wechseln sich in einer Tour an den Instrumenten ab und zelebrieren regelrecht einen unbedarften Dilettantismus.
Die Band freilich ist alles andere als dilettantisch. Seit über drei Jahrzehnten sind die Goldies eine der bedeutendsten Referenzen deutschsprachiger Popkultur. Musikalisch abgedreht und nicht immer leicht zugänglich, gesanglich schräg, textlich teilweise fast essayistisch, inhaltlich niemals konformistisch und gefällig, sondern in der Botschaft klar und konsequent, ohne parolenhaft zu sein. Und das alles bei steter Wandlung des Bandsounds und kompromissloser Experimentierbereitschaft und -freude. Kompromisslos und wandlungsfähig zugleich. Die Band weiß um diese Widerspruch.
“Baut doch eure Scheißmauer quer übers Land”
Der größte Widerspruch auf der Bühne ist vielleicht die schlagereske Performance mit „hühnerhaftem Geflatter“ (Schorsch Kamerun in Spex 384) und Kameruns grinsender Vortrag, der stets radikale Kritik ist. An den Verhältnissen ganz allgemein, an Nationalismus, Kapitalismus, Mietpolitik und Gentrifizierung, der bigotten Abschottungspolitik Europas. „Über euer scheiß Mittelmeer käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär‘ / Oder als Flachbild-Scheiß – ich hätte wenigstens einen Preis“, heißt es etwa in „Wenn ich ein Turnschuh wär“ oder „Baut doch eine Mauer quer übers Meer / Tut nicht so verlogen, als fiele euch das schwer / Baut doch eure Scheißmauer quer übers Land / Euch fehlt’s doch sowieso an Empathie und Verstand“, zischt der herumhampelnde Zeremonienmeister Kamerun zu Beginn des neuen Songs „Gebt doch endlich zu euch fällt sonst nichts mehr ein“ ins Mikrofon.
Keine Scheu vor dem Situativen
Auch nach 35 Bandjahren sind die Goldenen Zitronen nicht bequemer geworden. Das wird nicht nur anhand des neuen Albums deutlich, von dem sie am Donnerstagabend viele Stücke spielen, sondern auch im Drang keine Scheu zu haben, sich gegebenenfalls mit dem Publikum anzulegen, es verbal und musikalisch herauszufordern und auf Reaktionen ihrerseits zu reagieren. Das Schlimmste für die Zitronen dürfte sein, sich auf der Bühne einfach einzurichten und Show für Show perfekt und bruchlos abzuliefern und das Situative auszublenden. Das machen sie natürlich nicht.
Im Vorprogramm unterstützt das Elektopop-Duo Shari Vari um Sophia Kennedy die Goldenen Zitronen. Wie auch auf “More Than a Feeling” singt letztere gemeinsam mit Kamerun „Bleib bei mir“. Eine Art schräge Romanze „zwischen allem Unkonkreten / zappelnden Diversitäten“ im urbanen, ja urbanisierten Umfeld inmitten seiner Widersprüche. Eine wunderbare Spielwiese für prekäre Kreative und finanzstarke Investoren. Herzlich willkommen in Regensburg, liebe Goldies.
Bernd
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Danke für die gut geschriebene Besprechung.
“Über euer scheiß Mittelmeer käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär‘” :-(
Mal sehen, was diesmal rauskommt (https://www.bundeswahlleiter.de/europawahlen/2019.html)
Piedro
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Wirklich gut geschrieben, man wünscht sich dabei gewesen zu sein. Aber ein Duo um jemanden – das ist irgendwie gemein.