Die Monumente von Paterson, NJ
Eine verspätete Kritik zu Jim Jarmuschs „Paterson“ von Flamingo (Maximilian Schäffer).
Kürzlich betrat ich den Starbucks am Kurfürstendamm, es hätte jeder andere Starbucks sein können. Wie alle Anderen musste ich mich für meinen Kaffee im Pappbecher und das Stück Red Velvet Cake in der Schlange anstellen, ich wurde geduzt, mein angeblicher Name notiert und dann wartete ich. Neben mir recht normale Menschen, alle recht verschieden, doch vereint in der kuscheligen Franchise-Höhle. Mistelzweige und Sahnehäubchen kündigten bereits das nahe Weihnachten an und Lounge-Jazz heiterte die Stimmung auf, während mein Weihnachtskaffee eingefüllt wurde. Starbucks ist die Kaugummiwelt der kleinen Geschichten von positiven Menschen, von Authentizität und einem kleinen Bisschen abgepackter Zufriedenheit mit den kleinen Dingen.
Ein Mann klinkt sich aus
Patersons Freundin ist der lebende Starbucks, sie bäckt Cupcakes, dekoriert die Wohnung mit Formenpattern und versucht sich jeden Tag aufs Neue an Kleinkunst und Kunsthandwerk in Heimarbeit. Es wird erwähnt, sie besitze ein Macbook, ein iPad und ein iPhone – naheliegend ist also, dass sie Fotos von ihren kleinen, feinen Sachen schießt und sie ins Universum teilt.
Näher an der Wirklichkeit kann man kaum sein, im Jahr 2016, wo sich die Generation Y in die kleinsten sozialen Einheiten zurückgezogen hat, weil ihr die globalisierte, digitale Realität zwar Tag für Tag ihre Vorteile schenkt, aber wenig Wärme außerhalb der perfekten Buttons. Eine riesige Community der vereinsamten Paare.
Paterson ist Night on Earth, ist Coffee & Cigarettes, ist Broken Flowers
Paterson hingegen, hat sich ausgeklinkt. Er fährt seinen Bus, abends trinkt er sein Bier und er schreibt Gedichte über seine physische Umgebung. Kein Smartphone besitzt er, er wacht von selbst um 6:15 neben seiner ihm zugewandten Liebsten auf, fährt seinen Bus und hört den Leuten zu. Diese Geschichte erzählt Jim Jarmusch eigentlich seit 30 Jahren.
Paterson ist Night on Earth, ist Coffee & Cigarettes, ist Broken Flowers. Einer, der sich ausklinkt, um den Anderen zuzuhören, aber einer, der kein Außenseiter, sondern funktionales Puzzlestück der Gesellschaft ist. Jarmuschs Geschichten sind immer jene der Entfremdung, doch werden seine Protagonisten immer durch die Liebe gerettet. Sie ist der große rote Faden seiner Filmographie, das stabilisierende Element in der kuschligen Leere seiner Fiktionen, die ansonsten schnell in kühle Dystopie ausarten würden.
Paterson und Laura lieben sich. Die alte, analoge Welt liebt die neue, akzeptiert sie, bewundert sie auch ein bisschen. Und dennoch ist dieser Film ein Schwanengesang auf die Schönheit der Verbindlichkeit des Vergangenen. Jarmusch findet sein Biotop im suburbanen New Jersey, das nicht ambitionslos, dröge und rau ist, aber dafür im Zustand milchgläserner Amnesie. Niemand erinnert sich mehr daran, dass dieser Ort Inspiration für William Carlos Williams, Allen Ginsberg und Robert Smithson war. Stattdessen sammelt man Streichholzschachteln und bemalt Vorhänge. Nur ein bisschen Kleinstadtleben und städtische Busse, die sich durch die üblichen Straßen ziehen.
Abgeschnitten von der großen Welt
Paterson aber ist zufrieden, er möchte hier nicht weg, er möchte nicht unbedingt berühmt werden und er möchte nichts mit niemandem teilen, der nur als eine Buchstabenreihe auf einem Bildschirm existiert. Jarmusch zeigt uns, dass dieses langsame Leben Stabilität ist, nicht Stillstand. Zwar freut sich der Busfahrer Abends über seinen avantgardistisch gefüllten Kuchen, inspiriert vom Food-Blog, aber er sieht eben nur gut aus. Im Inneren Rosenkohl und Cheddar. Nein.
Patersons Welt wird umso wichtiger und persönlicher, desto abgeschnittener sie von der großen, weiten Welt ist. In ihrer Isolation lässt sie Platz für die Gefühle und Probleme der Unwichtigen: den Kneipenwirt, den Hund, den herzgebrochenen Kumpel, den jammernden Kollegen und seine Freundin.
Kein Filmemacher hat das bisher so subtil und poetisch eingefangen, kein Film mehr Raum zur Reflexion über den Status Quo der Starbucks-Welt gelassen. Vielleicht eben darum, weil genau Jarmuschs Werk die falschverstandene Blaupause der postmodernen Puppenstube war, die sich jetzt an Kuchen und Kleinbürgerlichkeit erfreut.
Ein bisschen durchschnittliche Poesie und Leere
Paterson ist ein Selbstkommentar des Regisseurs und genauso intelligent wie prophetisch. Denn: Was soll eigentlich werden mit den Figuren im Film, was mit unserer Welt? Was vereint, ist gefährlich, denn man lebt in einer Dauerschleife von Bruce Springsteens „Born To Run“, als America und die Welt noch great waren und das schon vor 40 Jahren. Die Schallplatte nostalgisch in 4k-HD auf dem Retina-Display.
Lernen wir also die digitale Hydra sanft in den Griff zu bekommen und selbstbewusst mit ihr zu leben, so wie der Busfahrer, oder gleiten wir ab in die tagtägliche Verwirrung von großartigen Träumen, die wir irgendwann nur noch mit einem Kahlschlag lösen können? Und dann: Great again, oder ist es doch unwiederholbar – mit dem Mädchen am Ice Cream Parlour und dabei alles Glück dieser Erde?
Paterson bietet darauf zum Glück keine Antworten oder derart penetrante Überlegungen. Nur ein bisschen durchschnittliche Poesie und Leere und ein paar Menschen, die suchen, aber genug Antwort sind: Liebe.
5 von 5 Flaming Ingos.
J.B.
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Sehr schöner Artikel, wieso nimmt eingentlich nie jemand zu solchen Dingen Stellung.
Jeder kommunale Pfurz wird mit zig Beiträgen “geehrt” .
HK
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1) Danke an J.B.!
2) für mich ist der Film ein Film der vielen kleinen (?) Begegnungen !