„Die Epoche der Juden ist nicht vorbei.“
Im Jahre 321 wurden Juden erstmals in einer kaiserlichen Urkunde auf dem Gebiet des heutigen Deutschland erwähnt. 1.700 Jahre später mahnen Politiker und Vertreterinnen der jüdischen Kultusgemeinde zum Auftakt des Festjahres 2021 vor dem wieder zunehmenden Antisemitismus und beschwören das Miteinander.
„Die Epoche der Juden ist nicht vorbei.“ Die Worte von Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden und bis heute Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in München, wirken wie ein Versprechen. Gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und dem amtierenden Präsidenten des Zentralrats der Juden Josef Schuster nahm Knobloch vergangene Woche an der Auftaktveranstaltung des BR zum Festjahr 2021 teil. „Seit 1.700 Jahren haben jüdische Menschen die Geschichte dieses Landes mitgeschrieben“, betonte Knobloch in ihrer Videobotschaft. Die heute 89jährige hat als Kind die Shoa überlebt und kämpft seitdem für ein friedlicheres Miteinander. Etwas, das es in den vergangenen Jahrhunderten nur selten gab, wie die Geschichte zeigt.
Dass heutzutage in vielen Städten wieder Synagogen gebaut werden und sich Jüdinnen und Juden in Deutschland niederlassen, bezeichnet Ilse Danziger, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Regensburg, als Wunder. „Jüdische Menschen sind wieder präsenter in der Gesellschaft. Es gibt für uns eine Zukunft“, freut sich Danziger.
Aufschwung nach kam mit den Kontingentflüchtlingen
Dabei stand es Mitte der 80er Jahre nicht besonders gut um die hiesige Gemeinde, zählte sie doch damals nur einige wenige Familien. Aufschwung kam wie in vielen anderen Städten erst durch die sogenannten Kontingentflüchtlinge Anfang der 1990er Jahre aus der ehemaligen Sowjetunion (genaueres zum Hintergrund der Kontingentflüchtlinge findet sich hier).
Heute zählt die Regensburger Gemeinde rund 900 Mitglieder und ist damit eine der größten in Bayern. Ein besonderer Höhepunkt war die Fertigstellung der neuen Synagoge 2019. Einen erheblichen Anteil an deren Umsetzung und an der positiven Entwicklung der Gemeinde hat Ilse Danziger, die sich seit Jahrzehnten vor Ort engagiert. 2019 erhielt sie dafür die Bezirksmedaille der Oberpfalz.
„Der fünfte Stamm Bayerns“
Wie genau die Feierlichkeiten in diesem Jahr begangen werden können, hängt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Eigentlich sollte es bundesweit eine Vielzahl an Veranstaltungen, Konzerten, Ausstellungen und zahlreiche Orte der Begegnung geben. Dennoch wolle man auch in der Pandemie ein wichtiges Zeichen der Zugehörigkeit und des Miteinander setzen, wie Vertreter der Politik und der jüdischen Kultusgemeinde einstimmig verlautbaren lassen. Zum Auftakt des bayerischen Festjahres sprach Markus Söder in einer Videobotschaft gar vom „fünften Stamm Bayerns“ und versicherte: „Bayern möchte für Juden das sicherste Land in Deutschland sein.“
Angesichts des „wieder wachsenden Übels Antisemitismus“ müsse festgestellt werden, dass „antisemitisches Gedankengut sich in unserer Gesellschaft ausbreitet“, so Söder. „Nie wieder“, dürfe keine Phrase sein, „sondern Auftrag an uns alle“. Worte, die auch Charlotte Knobloch in ihrem Beitrag aufgriff. Auch sie sieht die Entwicklungen insbesondere im Kontext von Corona mit Sorgen. Ob es nun Aussagen wie von Alexander Gauland (AfD) – „ein Vogelschiss der Geschichte“ – der Vergleich des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis 1933 oder Anne Frank-Vergleiche auf Querdenken-Kundgebungen seien. „Relativierung ist der erste Schritt zu mehr“, sind sich Knobloch und Söder einig.
„Mehr als die Schrecken der Vergangenheit“
Danziger verfolgt die Entwicklungen ebenfalls sehr aufmerksam. Dennoch betont sie, dass die jüdische Geschichte mehr sei als „die Schrecken der Vergangenheit“. Es sei „ganz wichtig, das Judentum nicht nur mit der Vernichtung in Verbindung zubringen“. Der Blick müsse endlich mehr auf die bedeutende Geschichte und die Beiträge von Juden zu Kultur und Wissen gelegt werden. „Allein in Regensburg haben Juden bedeutend dazu beigetragen, was heute das Weltkulturerbe ist.“ Die hiesige Gemeinde war im Jahr 981 auch die erste bayerische Gemeinde, die urkundlich erwähnt wurde. Im frühen Mittelalter zählte sie zu den florierendsten in Europa und hatte gerade ihrer Intellektuellen wegen große Strahlkraft.
Wie der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) kürzlich in einer Pressekonferenz erklärte, seien vermutlich spätestens mit den Römern auch Juden in das heutige Deutschland gekommen. Zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurden Juden aber erst in einem Edikt Kaiser Konstantins vom 11. Dezember 321. Die Urkunde gestattete künftig die Berufung von Juden in Ämter der Stadtverwaltung von Köln. Das Berliner Puppentheater Bubales hat dazu ein Stück inszeniert, das nicht nur Kindern diese Geschichte näher bringt.
Wissenschaftler spricht von Geschichtsklitterung
Dass die folgenden Jahrhunderte keineswegs von einem gemeinsamen jüdisch-christlichen Miteinander geprägt gewesen sind, machte Axel Töllner, Leiter des Instituts für christlich-jüdische Studien und Beziehungen der Augustana Hochschule in Neuendettelsau, 2018 in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung deutlich. Töllner kritisiert darin den heute oftmals bemühten Verweis auf christlich-jüdische Werte, wie sie etwa vom bayerischen Ministerpräsidenten in seiner Videobotschaft bemüht wurden. „Der Begriff suggeriert, dass es historisch eine Gemeinschaft gab.“
Allerdings habe laut Töllner die christliche Mehrheitsgesellschaft über Jahrhunderte hinweg versagt, den jüdischen Bayern die Teilhabe an einem gemeinschaftlichen Zusammenleben zu ermöglichen. „Es war ein Kampf der Selbstbehauptung.“ Wer von christlich-jüdischer Wertegemeinschaft spreche, „betreibt Geschichtsklitterung“. Gleichzeitig geschehe diese Berufung auf ein Miteinander oftmals auch als Abgrenzung gegenüber anderen, so das Fazit des Wissenschaftlers.
Archivarbeit als ein Baustein der Aufarbeitung
Für die rund 18.000 Menschen der rund 15 jüdischen Gemeinden in Bayern dürfte dennoch das künftige Miteinander im Fokus der anstehenden Festlichkeiten stehen. Laut Spaenle arbeite man derzeit auch daran, jüdische Friedhöfe wieder zu erschließen und als historisches Zeugnis aufzuarbeiten. Eine dieser 300 Grabstätten war im Mittelalter auf dem heutigen Keplerareal vor dem Regensburger Hauptbahnhof. Ab 1210 bis zur Vertreibung der Juden aus Regensburg im Jahr 1519 waren hier um die 4.200 Menschen begraben. Entdeckt wurden die Überreste erst 2009 im Zuge von Grabungen auf dem Areal.
Neben den Friedhöfen sollen auch alte Archive ehemaliger Gemeinden weiter aufgearbeitet, digitalisiert und künftig zur Verfügung gestellt werden. Viele dieser Archive wurden von den Nazis nach der Reichspogromnacht im November 1938 beiseite geschafft. Zu welchem Zweck ist bis heute nicht geklärt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Dokumente nach Israel. Wissenschaftler sehen darin wichtige Zeugnisse, die die Gemeinden selbst zu Wort kommen lassen.
„Bayern sein jüdisches Gesicht zurückgeben“
Durch solche Projekte, die unter anderm in enger Kooperation mit dem National Archiv in Jerusalem realisiert werden, könne laut Spaenle „Bayern sein jüdisches Gesicht zurückgegeben werden“, das nicht nur durch den Nationalsozialismus zerstört worden sei. Besonders erfreulich sei dabei auch, dass in diesem Jahr die Jahrestagung der europäischen Rabbinerkonferenz im November in München tagen wird. Rund 400 Rabbiner werden hierzu erwartet.
Im Laufe des Jahres soll auch die Digitalisierung des in Jerusalem befindlichen Archivs der jüdischen Gemeinde Regensburgs abgeschlossen werden. Die digitalisierten Archivalien können anschließend online über das Stadtarchiv zur Verfügung gestellt werden, wie die Pressestelle der Stadt auf Anfrage erklärt. Sobald es wieder möglich ist, sollen dann auch die Museen das Jahresthema aufgreifen. So ist derzeit vom 13. April bis 9. Mai die Ausstellung „Erinnerung – Kunst gegen das Vergessen“ geplant. In Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft ehemaliges Konzentrationslager Flossenbürg e.V. werden Bilder jüdischer Gefangener im KZ Flossenbürg gezeigt. Die Städtische Galerie im Leeren Beutel möchte dann vom 31. Juli bis 31. Oktober eine weitere Ausstellung zeigen: „Landschaft die mich erfand“ Brunnen- und Wolkenmotive in der deutschsprachigen Dichtung der Bukowina.
Neben einem Kulturführer „Jüdische Spuren in Regensburg“, einem lokalen Kochbuch „Jüdische Küche erzählt“ und einem vermutlich digitalen offenen Bücherregal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung von Mai 1933 in Regensburg ist auch eine Theaterpremiere geplant. Am 6. Juni, dem Welterbetag wird, voraussichtlich digital, das Stück „Kamemereyt“ (Erinnerung) uraufgeführt werden.
Am 21. Februar wird es die Auftaktveranstaltung zu den bundesweiten Feierlichkeiten geben. Auf der Seite 2021jlid.de finden sich zudem viele interessante Informationen, Gespräche und vieles mehr rund um das Thema.
Joachim Datko
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Kommentar gelöscht. Themenfremd.
XYZ
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Auch wenn für Ratisbona kein schriftlicher Befund wie für Colonia Claudia von 321 vorliegen mag, ist von einer sehr frühen jüdischen Bewohnung schon im 4. Jhdt. auszugehen: Kaiser Konstantin erstreckte dann 10 Jahre später das Judenedikt mit Zugang zu Ämtern auf das ganze röm. Reich, und die syrische Legion III (Mark Aurel) kam über die Donau aus Syria/judea/Palästina. Da waren sicher viele Christen und Juden darunter. Die mehreren tausend jüdischen Grabsteine in Kumpfmühl, wenn auch aus späterer Zeit, und die Lage des jüd. Viertels innerhalb des ehemaligen castrum reginum sind da auch Indizien. All das wurde 1519 in R zerstört, wegen der Pest und angeblicher Brunnenvergiftung – und dann nochmals mit ebenso falschen Gründen – wann hört der Hass endlich auf?
Andreas
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@ Günther Herzig (und alle):
Wenn Sie wirklich wissen möchten, woher der moderne, säkulare Antisemitismus kommt, wo er seine Wurzeln hat, dann lesen Sie bitte diese zwei grandiosen wissenschaftlichen Rezensionen von Prof. Dr. Norbert Mecklenburg, Köln.
Lauter Augenöffner:
– https://literaturkritik.de/pangritz-theologie-und-antisemitismus-abschied-nicht-nur-vom-lutherjahr,24037.html
– https://literaturkritik.de/vermes-vom-jesus-der-geschichte-zum-christus-des-dogmas-von-der-theozentrik-zur-christozentrik,22944.html
Ein Standardwerk der Antisemitismusforschung, ein unglaublich ehrliches Buch eines christlichen Professors, Pfarrers und Gründers des Institus für religiöse Studien an der Universität von British Columbia. So ein Werk wird nur alle 50, vielleicht 100 Jahre geschrieben. Es gehört sich längst in Deutsche übersetzt:
– William Nicholls: Christian Antisemitism. A History of Hate (1993)
Nicholls zeigt, dass die christliche Lehre in erster Linie für Antisemitismus verantwortlich ist.
GSH
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In diesem sehr informativen Artikel geht es nicht um Antisemitismus.
XYZ
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Günther Herzig 10.43
R wurde vom Imperator Marcus Aurelius gegründet, steinerne Gründungsurkunde 179 vom Ostentor im historischen Museum, Sieger über die Sarmaten (Reiterkrieger). Es gibt auch eine Grabinschrift zu Sarmaninna (Sarmatin?), die mit in christo beginnt, ebenso hist. Museum. Es gab zwar auch unter Mark Aurel anfangs Verfolgungen, wenn keine ‘confessio’ zum römischen Staat abgelegt wurde, aber nicht zu verwechseln mit religiöser Konfession. In Rom und dem Vatikan sind mehrere Bildnisse unzerstört erhalten. Nur ein Zitat aus den Selbstbetrachtungen: “Mache dich von Vorurteilen frei, dann bist du gerettet”. Es wäre auch dessen zu gedenken, namentlich in R, wo wohl sowohl Juden wie Christen und Judenchristen wohl schon länger existent waren.
powidltaschkerl
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Ich empfinde es schon seit vielen Jahren als Schande für die deutsche Gesellschaft, dass jüdische Einrichtungen, wie z. B. Schulen, besonders bewacht und geschützt werden müssen. Leider ist das in letzter Zeit nicht besser, sondern eher noch schlimmer geworden.
XYZ
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G.Herzig 10.18
Das weiss eh niemand so genau – aber aus der steinernen Urkunde geht jedenfalls hervor, dass ein befestigtes castrum von Marc Aurel begründet wurde, wozu regelmässig, wenn auch erst allmählich, eine civitas gehörte, woraus sich die Stadt Regensburg entwickelte – das kann man im österreichischen carnuntum sehr schön sehen, das dann aber aufgegeben und völlig verlassen wurde – während es an der Mündung des Regen m.E. sicher anders war, ähnlich übrigens in Augusta Vindelicorum=Augsburg ( wo eine Christin Afra getötet wurde, Grabstein aber hier nicht vorhanden).