Deutsche ohne Waffen
Ein Antrag auf einen Staatsangehörigkeitsausweis kann schmerzhafte Konsequenzen haben. So verloren zwei Schützen aus dem Landkreis Cham vor zwei Jahren ihre Waffenbesitzkarten, weil sie das Landratsamt deshalb für Reichsbürger hält. Dagegen klagten sie nun vor dem Verwaltungsgericht Regensburg.
Helmut und Bernd F., Vater und Sohn aus dem Landkreis Cham, mussten Ende 2018 ihre Waffenbesitzkarten abgeben. Dagegen klagten sie nun vorm Verwaltungsgericht Regensburg, wo am Dienstag die mündliche Verhandlung stattfand.
Staatsangehörigkeitsausweis mit „reichsbürgertypischem Jargon“
Der Grund für den damaligen Bescheid des Landratsamtes Cham (Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis): Beide haben im Jahr 2015 im Zuge der sogenannten „Flüchtlingswelle“ einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt und erhalten. Nach Einschätzung des Landratsamtes hätten Helmut und Bernd F. im Antrag Angaben in „reichsbürgertypischem Jargon“ gemacht, wodurch ernste Zweifel an der Zuverlässigkeit der beiden bestünden, Waffen besitzen zu dürfen.
Die Behörde beruft sich dabei insbesondere auf die ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (hier und hier), wonach es für die Unzuverlässigkeit genügt, wenn Personen Staatsangehörigkeitsausweise mit „reichsbürgertypischen Angaben“ beantragen. Seit dem „Polizistenmord in Georgensgmünd“ im Oktober 2016, bei dem ein Reichsbürger einen Polizisten erschoss und drei weitere mit Schüssen verletzte, ist diese rechte Szene auch verstärkt in den Fokus von Behörden und des Verfassungsschutzes geraten. Die Rechtsprechung ist da eindeutig: wer Reichsbürger ist, darf kein (legaler) Waffenbesitzer sein.
Geboren im Königreich Bayern
Die Situation bei den Sportschützen Helmut und Bernd F. ist jedoch weniger eindeutig. 2015 „mit Beginn der Flüchtlingswelle“ sei das Thema Staatsangehörigkeitsausweis „bei uns in der Abteilung rumgegangen“, sagt Vater Helmut. Ein Arbeitskollege bei BMW in Regensburg habe dabei auf ihn und weitere Kollegen eingewirkt, sich den Ausweis zu besorgen, um die deutsche Staatsangehörigkeit nachweisen zu können. Sonst könne man, so das Argument, enteignet werden oder den Wohnraum verlieren.
Um diese befürchteten Nachteile nicht zu haben, habe der zwischenzeitlich pensionierte Helmut F. den Antrag ausgefüllt und dabei diverse Angaben vom Arbeitskollegen abgeschrieben. So komme es auch zum Reichsbürger-Jargon. Im Antrag steht unter anderem drin, F. sei im Königreich Bayern geboren. Außerdem wird sich auch auf das (nicht mehr gültige) Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 des Deutschen Kaiserreichs berufen.
Der Vater berichtet, dass er für das begehrte Dokument aufwändig seinen Stammbaum recherchiert habe und einige nötige Abstammungsunterlagen habe besorgen müssen. Seinem Sohn habe er gesagt: „Mach’s auch.“ Und schon hatten die beiden ihren Ausweis.
Ein amtliches Dokument
Der Staatsangehörigkeitsausweis ist ein vom Landratsamt ausgestelltes offizielles Dokument der Bundesrepublik Deutschland und nicht etwa eines Fake-Reiches oder Pseudo-Staates, welche ebenfalls eigene „Ausweise“ anbieten. Er wird auch „Gelber Schein“ genannt und geht auf oben genanntes Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zurück.
Laut Bundesverwaltungsamt brauche man diesen Ausweis in der Regel nur, „wenn Zweifel an [der] deutschen Staatsangehörigkeit bestehen und ein solcher ausdrücklich von einer Behörde verlangt wird“. Dies könne etwa bei Adoptionsverfahren, zur Beantragung von Rente oder Sozialhilfe im Ausland oder in diplomatischen Kontexten relevant sein.
„Gelber Schein“ bei Reichsbürgern beliebt
Der „Gelbe Schein“ erfreut sich aber eben auch in der Reichsbürgerszene großer Beliebtheit, weil Reichsbürger die Existenz der Bundesrepublik leugnen und damit Reisepass oder Personalausweis für wertlos halten. Der Staatsangehörigkeitsausweis dient dabei vielen als anerkannter Nachweis ihrer deutschen Abstammung. Zwar ist auch der Gelbe Schein mit „Bundesrepublik Deutschland“ überschrieben, doch geht er eben auf ein Gesetz des Deutschen Kaiserreichs zurück.
In Bayern wurden in den Jahren 2015 und 2016 fast 2.000 beziehungsweise knapp 3.300 Staatsangehörigkeitsausweise ausgestellt, wie aus einer Antwort der Bayerischen Staatsregierung auf eine parlamentarische Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Florian Ritter aus dem Jahr 2017 hervorgeht. Im Landkreis Cham waren es in denselben Jahren 18 und 26. Zum Vergleich: In der Stadt Regensburg wurden 2015 19 und 2016 elf „Gelbe Scheine“ ausgestellt. Im Landkreis Regensburg waren es 30 und 39.
Schütze habe den deutschen Staat „immer anerkannt“
Helmut F. betont jedoch mehrfach, dass er mit der Reichsbürgerszene nichts zu tun zu habe. Er habe „immer den deutschen Staat anerkannt“ und immer einen Personalausweis besessen. Er wisse, dass die Beantragung und die Angaben im Antrag „eine Riesendummheit“ gewesen sei. Dass er auch noch seinen Sohn Bernd überzeugt habe, täte ihm „im Nachhinein leid“. Er habe von der Reichsbürgerszene überhaupt erst durch den Polizistenmord – also nach seiner Antragsstellung – erfahren. Ob er das „Königreich Bayern“ nicht hinterfragt hätte, möchte der Kammervorsitzende wissen. Er habe das auf seine Vorfahren bezogen, so Helmut F.
Gerät man also in den Verdacht Reichsbürger zu sein, nur weil man ein amtliches Dokument beantragt? Und können aus der Beantragung allein Konsequenzen folgen, wie etwa die Untersagung des Waffenbesitzes? Für die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts – so klingt es zumindest an – könnte das problematisch sein. Sie scheint Vater und Sohn zu glauben, dass sie mit der Reichsbürgerbewegung nichts zu tun haben.
Sonst keine Hinweise auf Reichsbürgerideologie
Einige Male erkundigen sich der Richter und seine Beisitzerinnen in der Verhandlung, ob es außer den Ausweisen weitere Anhaltspunkte gebe, dass Helmut und Bernd F. sich der Reichsbürgerszene verbunden fühlen. Beklagtenvertreter Robert Schinabeck (Landratsamt Cham) verneint dies. Er berichtet sogar, die beiden F.s hätten sich in Telefongesprächen mit dem Amt „vehement“ von der Reichsbürgerbewegung distanziert. Auch sei ihre Waffenunterbringung nicht zu beanstanden gewesen.
Letztlich aber, so Schinabeck, bleibe ein „Restrisiko“ bei der Einschätzung der Zuverlässigkeit der beiden im Umgang mit Waffen. Ob dieses Risiko nicht bei jedem Waffenbesitzer bestehe, fragt der Vorsitzende Richter in Richtung Landratsamt? Die Entscheidung, ob Vater und Sohn künftig wieder schießen dürfen, ist noch nicht gefallen. Der Prognose der Kammer zufolge wird sich wohl ohnehin in höherer Instanz der Bayerische Verwaltungsgerichtshof noch mit der Frage befassen müssen.
Update 19.10.2020:
Wie das Verwaltungsgericht Regensburg heute mitteilt, wurden die Bescheide des Landratsamtes Cham aufgehoben. Damit erhalten Helmut und Bernd F. ihre Waffenbistzkarten (sowie ebenfalls eingezogene Jagdscheine) zurück. Berufungen wurden zugelassen, sodass sich möglicherweise der Bayerische Verwaltungsgerichtshof noch mit der Sache wird beschäftigen müssen.
Stefan Egeli
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“Der Staatsangehörigkeitsausweis ist ein vom Landratsamt ausgestelltes offizielles Dokument der Bundesrepublik Deutschland und nicht etwa eines Fake-Reiches oder Pseudo-Staates”
Da stellt sich für mich die Frage, warum ein Behörde überhaupt so einen Ausweis ausstellt, wenn der Antragsteller Deutscher Staatsangehöriger ist UND und im Besitz eines gütigen Personalausweises ist.
Christian
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Widerspruch gegen “Widderspruch” ?
Christian
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Sorry, falsch kluggeschissen: Widderruf ist der Tippfehler
Martin Oswald
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@Christian Danke, ist korrigiert.
KW
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Da kann man nur hoffen dass das Urteil in dem Sinne ausfällt, dass die Erlaubnis zum Waffenbesitz entzogen wird. Sei es wegen Reichsbürgertum oder mangelnder Intelligenz. Mögicherweise trifft auch beides zu.
joey
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@Stefan Egeli
ich habe auch so einen Ausweis. Der war erforderlich, weil meine Frau eingebürgert werden wollte.
Dabei kam bei tiefen Recherchen heraus, daß ich gar kein Deutscher bin, obwohl ich seit meiner Geburt einen deutschen Paß habe. Also ein Verwaltungsirrtum, ich war Bürger eines weit entfernten Landes, dessen Sprache ich nicht spreche und wo ich noch nie war. Daß ich 50% Migrationshintergrund habe, wußte ich. Allerdings ist eine wirksame Einbürgerung meiner Vorfahren nie erfolgt.
Dann habe ich ein eigenes (recht kurzes) Einbürgerungsverfahren durchlaufen und bin nun “echter” Deutscher.
Ja, sowas gibts. Prüfen Sie mal selbst, ob bei Ihren Vorfahren alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
KW
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@Joey
Danke für die Ausführungen. Sollte irgendwas davon auf den im Artikel geschilderten Fall zutreffen, nehme ich meine Aussage von weiter oben natürlich zurück.
joey
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@KW
wollte nur S.E. darlegen, warum solche Ausweise ausgestellt werden. Es gibt viele Menschen, die als Deutsche registriert sind und Personalausweise kriegen – und doch keine Deutschen sind.
Dem Ausweis gehen intensive Recherchen bei Geheimdiensten, Sicherheitsbehörden und Archiven voraus.
osuh
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erstmal sollte im deutschen gesetz begriffe wie Zuverlässigkeit, öffentliche Sicherheit etc.. genau definiert werden! dann ist die richterliche auslegung auch nicht mehr erforderlich und wir können die richter durch logarythmen ersetzen die können schneller und günster arbeiten als ein 11 punkte richter!
Mr. T.
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Nö, KW, steht ja im Artikel wie die Motivationslage war. Und wer Angst hat, dass er von seiner Regierung enteignet wird, darf auf keinen Fall im Besitz von Waffen sein.
Meiner Meinung nach sollte man das eh auf die beschränken, die aus irgendeinem Grund unbedingt Waffen haben müssen. Sowas braucht’s nicht für normale Leute.
R.G.
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Man kläre das schnellstens.
Für den Fall, dass nun doch bald ein Toni Trumpf eine Abstammung aus Bayern nachweisen möchte, unter Beibehaltung des Rechts auf das Tragen einer Waffe.
KW
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@osuh “logarythmen”
Ich vermute Sie reden von Algorithmen. Und wenn das von Ihnen so gemeint war, dann vermisse ich die Kennzeichnung als Ironie, oder wollen Sie tasächlich die Gerichtbarkeit durch Computerprogramme ersetzen? Das hätte sich ja George Orwell nicht schlimmer ausmalen können!
Bei aller menschlichen Fehlbarkeit möchte ich doch niemals auf RichterInnen aus Fleisch und Blut verzichten.
awe
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Der Richter hatte “Besitzerinnen”? Da tun sich ja Abgründe auf.
Riafan
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@ Günther Herzig
Lesen hilft
Sie haben ja überhaupt keine Ahnung
Hier geht es nicht um einen Waffenschein- sondern um
Waffenbesitzkarten
Aber sofort los ledern
Genau mein Humor
Martin Oswald
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@awe Ups, danke.
Tom
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@ Günther Herzig
„Verkürzte Äußerung“ ???
Sie kennen offensichtlich den elementaren Unterschied zwischen Waffenschein und Waffenbesitzkarte nicht. Aber den Diskussionsgegenüber schnell mal als Wichtigtuer bezeichnen. Wenn man keine Ahnung hat, einfach……..
Stefan Egeli
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@Joey
Danke für die Aufklärung
Mr. T.
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Personen, die Angst davor haben, dass sie ohne Staatsangehörigkeitsausweis nach dem “Systemwechsel” oder von der aktuellen Regierung enteignet werden (das geht so nicht ganz aus dem Artikel hervor), sollten weder einen Waffenschein noch eine Waffenbesitzkarte haben dürfen. Denen sollte man nicht mal an der Schießbude auf der Dult eine Waffe in die Hand drücken. Das ist die Denke eines astreinen Reichsdeppen. Und sollten die angeführten Ausflüchte ehrlich sein, sind sie ebenso nicht geeignet, eine Waffenbesitzkarte zu erhalten bzw. zu behalten.
Aus dem Artikel geht leider auch nicht hervor, was denn der Grund ist, warum die beiden eine Waffenbesitzkarte haben/behalten wollen. Das wäre auch interessant.
Riafan
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@ Tom
Mit einem völlig ahnungslosem über den Unterschied zwischen Waffenschein und Waffenbesitzkarte zu diskutieren, macht keinen Sinn. Der ist einfach geistig nicht in der Lage, das zu verstehen.
Einen schönen Sonntag wünsche ich
PS
Ich besitze eine Waffenbesitzkarte aber habe keinen
Waffenschein-
Tom
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@ Günther
Da freut sich der Jurist. Absatz 1 oder Absatz 4? Ist doch völlig egal, ist ja alles § 10!
Wirklich amüsant, aber eine Diskussion macht da wirklich wenig Sinn.
Mr. T.
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Nicht gut, wenn solche Leute ihre Waffenbesitzkarten (und damit Waffen) weiter behalten dürfen. Wer sich gegen seine eigene Regierung mit Staatsangehörigkeitsausweisen rüstet, sollte sich nicht auch noch mit Waffen rüsten dürfen.