14 Jun2010
Des Rattenfängers beste Freunde: Gurkentruppen und Wildsauen
Am 8. Juni 2010 unterhielten sich der Moderator Stefan Parrisius und Dr. Michael Weigl zusammen mit Zuhörern live in einem Studio des Bayerischen Rundfunks (Zum Mitschnitt der Sendung). Auslöser für das Thema des Tagesgesprächs auf Bayern2 waren die derzeitigen Verbalinjurien der „zwei kleinen Kinder“ FDP und CSU: „Gurkentruppe gegen Wildsau, kann man so zusammen regieren?“
Nach Meinung des Moderators: „das haben ja gestern ein, zwei Beobachter gesagt, was da grade passiert, ist wie der Streit von zwei kleinen Kindern, und allmählich nervt das Gezanke […], was da zwischen FDP und CSU abgeht“ konnte diese Frage für niemanden wirklich unerwartet kommen. So wollte Parrisius vom Münchner Politikwissenschaftler Dr. Michael Weigl wissen: „Haben die Kolleginnen und Kollegen aus der Politik den Ernst der Lage noch nicht begriffen, den Schuss nicht gehört? Muss das jetzt nicht zurück stehen angesichts […] dieser Schuldenzahlen […]?“
Doch so viel Ignoranz wollte Weigl den Herren und Damen der beteiligten Parteien dann doch nicht zubilligen: „Ich glaube schon, dass sie den Ernst der Lage erkannt haben […] wenn wir uns einfach mal anschauen, […] wie funktioniert Politik, und zwar auch jetzt nicht nur: wie wünsch’ ich mir, dass es funktioniert, sondern, wie funktioniert es notwendiger Weise bei uns? Dann hat das halt nun mal was mit Kompromissen zu tun, […] dass ich auch meine Inhalte nur durchsetzen kann, wenn ich gewählt werde.“ Weigl sieht im aktuellen Konflikt eine momentane Zuspitzung, „aber das ist ja letztlich nichts neues. Also, es gab ja immer wieder Entscheidungen, wo man schon […] Jahre lang sagt: Warum tut ihr nichts? Und plötzlich war’s dann so akut, dass dann was gemacht werden musste.“ Er empfahl: „geht beherzter ran, streitet euch nicht die ganze Zeit, also dass da Unmut ist, kann ich sehr gut verstehen“.
Auch vor den Folgen, die derartige Querelen zwischen den Parteien zeitigen, warnte Weigl deutlich. So wollte der Moderator der Sendung wissen: „Wem nützt den der Unmut im Augenblick? […] also wenn jetzt Wählen wären, da kann weder die Union noch die FDP Interesse daran haben – SPD? Na ja. Erstaunlich ist ja – und das ist wohl eine deutsche Sondersituation – wenn man’s mit den Niederlanden […] und mit Frankreich vergleicht, dass hier kein Rattenfänger rumläuft, erfreulicher Weise, der da irgendwelche Frustrierten aufsammelt und abholt, und da plötzlich eine gewisse Stärke erreicht.“ Weigl erklärte dazu: „Also ich glaube, […] – wenn ich mir da das Parteiensystem in Deutschland anschaue – Platz für einen solchen Rattenfänger wäre!“
Welchen Wert man dieser Einschätzung beimessen muss, zeigen beispielsweise die Geschehnisse des auf die Sendung folgenden Tages in den Niederlanden. Dort wurde am 9. Juni 2010 in vorgezogen Wahlen über das gesetzgebende Organ der Zweiten Kammer der Generalstaaten abgestimmt. Und bei unseren Nachbarn kennt man die Rattenfänger bereits namentlich, die in Deutschland nach Einschätzung der Gesprächspartner ihre Rädelsführer noch suchen: Die Partij voor de Vrijheid (PVV), eine rechtspopulistische Partei, konnte bereits bei den vorletzten Wahlen (2006), damals vom Stand aus, einen Zulauf von 9 Prozent verzeichnen. Belohnt wurde dieser Eifer mit neun von 150 Mandaten im Parlament. Bei den jüngsten Wahlen wurde die Partei gar drittstärkste Kraft im Lande. Unter dem Vorsitz des rechtspopulistischen „Rattenfängers“ Geert Wilders wurden der PVV nun 24 Mandate „zugewählt“. Auch wollte der amtierende Ministerpräsident Balkenende (Christdemokratischer Appell – CDA) im Vorfeld der Wahlen und nach dem Bruch der christlich-sozialen Regierungskoalition eine Zusammenarbeit mit Wilders nie ausschließen.
Und es wirkte kaum tröstlich, dass Parrisius im Gespräch mit Weigl im Hinblick auf ein deutsches Pendant zum Rattenfänger Wilders meinte: „Aber es ist keiner da“. Bekräftigte da doch sein Gesprächspartner noch einmal: „Aber das ist eher eine Personenfrage glaub’ ich. Also […] wir haben auf der rechten Seite, sozusagen rechts von der Union, Platz für eine Partei. Wir hätten auch definitiv – das zeigen auch immer wieder, Erhebungen […] ein gewisses Potential für eine populistische Partei. Und zwar jetzt im rechtspopulistischen Sinn. Wir reden nicht von einer rechtsextremen Partei, um es ganz deutlich zu sagen. Das ist tatsächlich ‘ne deutsche Sondersituation. Also, etwas wie die NPD wird niemals zweistellige Prozentzahlen bekommen. Aber für ‘ne rechtspopulistische Partei wäre sicherlich Platz. Nur: dafür bräuchte ich die geeignete Person, die gibt’s halt nicht. Aber ich glaube, dass ist eher ein Personenproblem, was wir da haben.“
Doch des Rattenfängers bester Freund – in der Sendung leider nicht thematisiert – kommt manchmal auch auf ganz leisen und „unzählbaren„ Sohlen daher: Ein Blick auf die Wahlbeteiligung zum Bundestag zeigt einen deutlichen Trend: 2009 wurde mit einer Beteiligung von 70,8 Prozent gewählt. Die niedrigste Wahlbeteiligung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland! Im „Rekordjahr“ von 1972 nahmen 91,1 Prozent der Berechtigten am Urnengang teil. Betrachtet man auf den Zeitraum der vergangenen zwanzig Jahre, so lag einzig 1998 die Wahlbeteiligung mit 82,2 Prozent noch über der 80-Prozent-Marke. Und richtet man den Blick auf die letzten Kommunalwahlen in Bayern, so fällt das Ergebnis örtlich beängstigend düster aus: Gerade einmal 41,87 Prozent der Wahlberechtigten wollten 2008 überhaupt noch an die Urnen zur Stichwahl in Regensburg. Welche Lichtgestalt diese Negativrekorde hierzulande wieder ins Positive kehren mag, bleibt abzuwarten.
ureinwohner
| #
@ mirwald
wieder im Bio-Unterricht nicht aufgepaßt. Deswegen können sie eine Wildsau nicht vom hier abgebildeten Hängebauschwein unterscheiden.
Es ist wirklich schlimm wie schlecht recherchiert wird von der Journalie wenn Foto und Text keinen Sinn ergeben.
Britt
| #
@ureinwohner
ja. wirklich schlimm. und die gurken sind auch nicht echt …
Hans Mirwald
| #
@ urweinwohner: Danke für Ihren Hinweis, entschuldigen Sie bitte, Sie haben natürlich Recht.
Ich möchte mich hiermit ausdrücklich bei allen Hängebauchschweinen entschuldigen, sie unverschuldet in eine Nähe zu den Wildschweinen gerückt zu haben. Die Abgebildete habe ich selber schon gefüttert und hätte bei der Gelegenheit – selbstredend – feststellen müssen, dass sie keinerlei Ähnlichkeit zu den im Text zitierten Wildsauen aufweist. Und Gurkentruppen stell ich mir ebenfalls eher in Reih und Glied geordnet vor, in Uniform auf dem Exerzierplatz oder halt dort, wo sie derzeit sonst noch so vermuten werden.
Also: Entschuldigung noch mal!
ureinwohner
| #
@ britt
stimmt, die stammen bestimmt nicht aus biologischen Anbau – lach.
SPD-Mitglied
| #
Es wäre wirklich ungut, wenn man so einige Schreiberlinge (pardon: Kommentatoren!) in die Nähe
von Wildsäuen rücken täte, schließlich möchte keiner von uns mit dem Tierschutzgesetz in Konflikt
kommen.
gifthaferl
| #
In Deutschland braucht es keinen Rattenfänger, das haben die Parteien bereits erledigt.
Diktaturen haben viele Gesichter, das muss nicht einer sein, der da “führt”.
Wenn man die Herrschaft einer Gruppe – in dem Fall der Parteien – durch Wählen nicht mehr brechen kann – offensichtlichst seit Schröder/Fischer, dann lässt man es halt.
Es ist egal welche Parteien sich da grade gegen das Volk verbünden und Politik gegen das Volk machen, und dem Kapital ist es eh wurscht wer unter ihm “regiert”.
Flutscht doch wunderbar, seit der “Feind im Osten” weg ist
Das hat fast ein Drittel des Volkes ja klug erkannt – und in Regensburg sind es gar fast 60%
@ SPD-Mitglied
Können Sie eigentlich was anderes als pöbeln?
Das “Volk” anpöbeln?
Tiere beißen die Hand nicht, die sie füttert, das scheint bei (SPD-)Parteimitgliedern ja offensichtlich anders zu sein.
Heinz Lerche
| #
Wir finden die Schülerinitiative in http://www.demokratielieder.de als Beitrag gegen Politikverdrossenheit
sehr gut.
H.Lerche
gifthaferl
| #
@ Heinz Lerche
Welche Schülerinitiative ist das?
Und diese Lieder finden Sie gut?
Mir persönlich sind diese Lieder ja viel zu radikal, und musikalisch zu anspruchsvoll.
Eigenartigerweise landet man nach den “Demokratieliedern”, Weltjugendtagsliedern und all sowas, über die Suche nach diesem WHM- Musikverlag plötzlich bei “Freiheitsliedern:”
http://www.amatok.de/index.html
Übrigens Wilde Rosen sind hierzulande nicht gelb, aber macht ja nichts, wer nimmt das schon genau.
Und dann da:
http://mitmachen.fdp.de/webcom/show_article.php/_c-1544/i.html
Der “mit mach arena der FDP”
Heiliges Kanonenrohr, so ging das mit dem erstaunlichen Wahlergebnis der FDP?
Ich wusste gar nicht, dass man beim letzten Mal offenbar schon im Kindergartenalter wählen durfte.
Da schiene mir dieses Lied beispielsweise aktuell realistischer:
http://www.stamokap.org/mp3/arbetlose.mp3
grace
| #
Wo sind die Perlen?
Oder ist die BRD so minimalistisch geworden, dass es auch ein paar Gurken tun?
Anna
| #
Ich hätte nix dagegen, wenn die WählerInnen klug wären. Dass die 30-60 % NichtwählerInnen jeweils das Spiel durchschaut haben, glaube ich aber wiederum nicht.
Nur ein recht kleiner Teil der Nicht-WählerInnen (anarchistInnen und sonstige Splittergruppen, individualistInnen …) dokumentiert mit dem Verzicht aufs Wählen die Ablehnung des politischen Systems.
Es ist einem großen Teil schlichtweg wurscht, was in politischen Gremien beschlossen wird.
Es ist ein großer Teil der WählerInnen frustriert (und aus der Ecke kommen gern “kluge” Äußerungen wie: “Da bräucht es wieder mal einen der durchgreift!”).
Für mich ist es klar beunruhigend, dass immer weniger Leute wählen gehen: Das heißt, derzeit gibt es keine Partei, die sie wählen möchten.
Sobald eine scheiß-rechtspopulistische Partei wie einst Republikaner, wie die Freiheitlichen in Ö mit einem charismatischen (Partei)Führer daherkommt, verändert sich die Parteienlandschaft in D nochmal gewaltig, wieder einmal!
Dagegen muss Aufklärung betrieben werden – auf die Intelligenz des Großteils von WählerInnen, die sich von Fußball, Eurovision (“ich liebe deutsche Land”, toll!), Germany’s Next … etc. bedudeln lassen, mag ich mich da ned verlassen – und das hat nix mit Arroganz zu tun, redet mal mit “ganz normalen Leuten”, da graust manchmal selbst der Sau, um im Bild zu bleiben.
Es w