22 Aug2008
Der einzelne Bittsteller
Mit Engelszungen redete Sozialbürgermeister Joachim Wolbergs auf Richard Spieß (Die Linke) am Donnerstag ein. Der hatte im Ferienausschuss beantragt, einen Schulmittelfonds für bedürftige Kinder aller Jahrgangsstufen einzurichten. Gegen Gutschein sollten die benötigten Schulsachen gekauft werden können. „Kein schlechter Antrag“, befand Wolbergs unisono mit seinem Fraktionschef Norbert Hartl. Vor dem Antrag (den Spieß erstmals im Juli gestellt hatte) habe man nicht einmal gewusst, dass es so etwas wie einen Schulmittelfonds gebe, zum Beispiel in Kelheim. Nur zustimmen, nein, zustimmen könne man diesem Antrag nicht.
„Wir haben im Moment ein anderes System“, so Wolbergs. 50-Euro-Gutscheine für Erstklässler. „Dabei geht es nicht um die 50 Euro.“ Man habe die Information breit gestreut, sämtliche Betroffenen angeschrieben und darauf hingewiesen, dass es Gutscheine zur Abholung gebe. „Es geht darum, Kontakt herzustellen.“ Dann könne man auch andere Probleme lösen. Zum Beispiel die Bitte eines Kindes nach einer erschwinglichen Mitgliedschaft im Sportverein erfüllen. „Da kümmern wir uns drum.“ Oder nach einem Zuschuss zum Ausflug ins Schullandheim. „Es ist noch keine Bitte eines Kindes unerhört geblieben“, sekundierte auch Oberbürgermeister Schaidinger. Jeder wolle doch, dass Kinder „gleiche und faire Chancen“ haben. Allerdings wisse man aber auch nicht, was der „Weisheit letzter Schluss“ sei, ergänzte wiederum Wolbergs. Er plädiere allerdings für „individuelle Lösungen“. Und hatte Wolbergs noch im Juli nicht von der Möglichkeit eines Schulmittelfonds gewusst, so konnte er am Donnerstag schon berichten, dass es Städte gebe, die einen Schulmittelfonds hatten und wieder abgeschafft haben.
„Wir nehmen ihren Antrag in unsere künftigen Überlegungen auf, wenn sie ihn zurück ziehen“, versprach der Sozialbürgermeister. „Ich komme da auf sie zu.“ Wolbergs ließ Spieß aber auch wissen: „Wir haben überhaupt kein Problem, ihren Antrag niederzustimmen.“ Und so stimmte Spieß einer Vertagung des Themas Schulmittelfonds auf unbestimmte Zeit zu. Zuvor hatten auch die Vertreter der übrigen Parteien Wolbergs’ Sichtweise unterstützt.
Man solle nicht „bewährte Systeme“ durch einen solchen Fond gefährden, meinte etwa Gabriel Opitz (FDP). „Wenn Schüler die Schulsachen der älteren Geschwister benutzen oder sich günstige Schulranzen bei einem Basar kaufen, dann ist das auch ökologisch sinnvoll.“
Die Linke geht von ca. 2.000 Schulkindern aus einkommensschwachen Familien aus. Im vergangenen Jahr verteilte die Stadt Regensburg eigenen Angaben zufolge rund 5.000 Euro – 100 Mal 50 – an Erstklässler aus bedürftigen Familien. Bis auf Weiteres bleibt es bei diesem System des individuellen Bittstellers.
Fritz
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Den Begriff “Bittsteller” hätten Sie sich verkneifen sollen Herr Aigner.
Wenn die Stadt ein Programm für Kinder auflegt wie die 50-Euro-Gutscheine, dann sind diejenigen die dieses Angebot in Anspruch nehmen Leistungsempfänger, die man nicht mir dem Begriff “Bittsteller” stigmatisieren sollte.
Ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl wäre bei der Formulierung angebracht gewesen.
Daniela Camin
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lieber herr wolbergs, auch wie gern würde ich sie einladen, andere bildungssysteme in anderen ländern zu bestaunen. keine lehrmitteldebatten. privatlehrer auf staatl. kosten für schüler anderer nationen. kinder die gefördert werden! kinder denen möglichkeiten eröffnet werden. kinder, die von 7.20 uhr bis 17.00 uhr in der schule betreut werden, eine zweite lehrkraft in der klasse. ach, was könnten sie lieber herr wolbergs alles lernen, wenn sie einmal über den regensburger tellerrand in die welt blicken würden. wie würden sie staunen, dass sozial bereits im kleinkindesalter lernbar ist, dass toleranz und achtung der menschenwürde nicht nur halbleere worte sind. 50 € sind sicherlich 50 € für erstklässler. nur was kriegen sie für 50 €? aber sie wollen ja noch einmal darüber nachdenken, das ist gut, tun sie es, wenn schon andere das nachdenken anregen. ich finde es schade, dass sie nicht selbst darauf gekommen sind. und sehr geehrter herr fritz, “bittsteller” mag wohl wirklich etwas fatal klingen, wenn es sich doch um einen Antrag handelt, einen antrag auf leistungen, weil man selbst einkommensschwach ist. oder freideutsch, ein kind (ALG II) hat pro monat 208 € für alles zur verfügung, wohl ca. 1,70 € davon sind für Schulbedarf gerechnet. 1,70 x 12 upps, da kriegen sie in etwa 24 schulhefte DIN A 4 48 Blatt. was im durchschnitt 2 hefte pro monat macht. und dies gerade während der klassen 1 – 3, weil es da eine besondere liniatur braucht. nix für ungut, aber ich würde mich weniger über das fingerspitzengefühl der redaktion aufregen, als das der hiesigen politiker.
Claudia
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“Bittsteller”. das ist doch treffend. mit dem euphemismus “leistungsempfänger” gehts mir auch nicht besser, herr fritz. in wahrheit muss man doch um jeden cent betteln, der einem (eigentlich) zusteht. ich fühle mich als bittstellerin! danke für die 40 euro und die paar prozent rabatt bei papier liebl, herr wolbergs. danke, dass sie meinem kind helfen, beim sportverein aufgenommen zu werden. krieg ich bitte etwas mehr? bitte, bitte. damit es auch reicht. das hat nichts mit fehlendem fingerspitzengefühl zu tun. das benennt nur die tatsachen. ich weiß nicht ob ein fond zu teuer gekommen wäre. gerechter wäre er schon. und man muss nicht dauernd betteln
Fritz
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Sehr geehrte Frau Camin,
wer ist in Bayern für das Schulwesen verantwortlich? Herr Wolbergs und die Regensburger SPD, die mit den 50 Euro, die im letzten Jahr von Wolbergs als Fraktionsvorsitzendem als “Sandkorn” auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit beantragt wurden oder ist nicht vielmehr die CSU und die Bayerische Staatsregierung schuld daran, dass es in Bayern wie kaum wo anders vom Einkommen der Eltern abhängt wie der Schulerfolg der Kinder aussieht?
Ich glaube, dass die Antwort auf diese Frage eindeutig und unstreitig ist.
Die Kommune kann nicht die Fehler des Freistaats ausbügeln. Sie kann nur in Teilberechen die Rahmenbedingungen verbessern, siehe Forderung nach Ganztagsschulen und Ubernahme der Sachausstattung für dieselben, Verbesserung der Schulsozialarbeit und Unterstüzung sozialbenachteiligter Kinder in Rahmen der örtlichen Möglichkeiten durch Nachmittagsangebote.
Hoffen wir, dass die CSU endlich bei 50-x landet am 28. September, dann können die anderen Parteien endlich im Schulbereich die notwendigen Änderungen in Angriff nehmen, die bisher von der CSU abgeblockt werden.
Dafür müssen wir unsere Freund, Nachbarn und Bekannten an die Wahlurne bringen, denn jeder Nichtwähler ist ein CSU-Unterstützer, weil er deren Mehrheit nicht verhindern hilft.
Bezüglich des Wortes “Bittsteller” bleibe ich dabei, es war ein Fehlgriff.
Veits M.
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Roll-Back in 19.Jahrhundert – Das Bittstellertum führt in längst vergangene Zeiten zurück und widerspricht der WÜRDE des MENSCHEN!
Neue Wege gehen europaweit Initiativen, die jedem einzelnen Mensch, schlicht weil er Mensch ist, ein *bedingungsloses Grundeinkommen* zusprechen, womit er seine Grundbedürfnisse stillen und bei der sozialen Teilhabe am Gemeinschaftsleben nicht exkludiert wird.
Beispielhaft sei hingewiesen auf:
eine Podiumsdiskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen in Bremen am kommenden Montag, 25. August, hinweisen:
“Soziale Grundsicherung – Lösungsvorschläge in der Diskussion”
Beginn: 19:30 Uhr
Ort: EuropaPunkt Bremen, Haus der Bürgerschaft (Eingang Domseite), Am Markt 20, Bremen
mit
Otto Fricke, MdB, Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages
Wolfgang Luz, Vorstand “Der Paritätische Bremen”
André Presse, Universität Karlsruhe (TH)
Veranstalter ist die FDP-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft. Uwe Woltemath, MdBB und Fraktionsvorsitzender eröffnet die Veranstaltung. Dr. Magnus Buhlert, MdBB, moderiert die Diskussion.
Quelle: http://www.unternimm-die-zukunft.de/
Rose
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Manchmal muss man Dinge auch beim Namen nennen dürfen, ohne dass die Fraktion der politisch Korrekten gleich von Stigmatisierung oder Fehlgriff redet.
Das System des individuellen Bittstellers, in dem der Wohltäter gleich einem Gutsherrn Wohltaten verteilt, lässt sich politisch und medial sicher besser verkaufen als ein gerechtes System, in welchem Anspruchsvoraussetzungen klar definiert sind.
Wie am Wochenende in der Heimatzeitung zu lesen war (2x mit Bild) hat der Sozial-Bürgermeister wieder einmal zum großen Glück eines kleinen Jungen beigetragen, indem 150 Euro für den Kauf eines Fahrrads bei der Waisenhausstiftung abgerufen wurden.
Schön für den kleinen Jungen und schön für den Sozial-Bürgermeister.
Nicht so schön für die anderen Kinder im Kinderzentrum St. Vinzent, denen nach Aussage von Claudia Böken nur noch der Neid bleibt.
Das ist Sozialpolitik, die nicht nur ineffektiv, sondern auch gefährlich, ungerecht und gönnerhaft ist.
Ein Umdenken ist dringend erforderlich, Sozialpolitik von Gutsherren-Art gegenüber individualisierten Bittstellern ist keine Antwort auf die aktuellen sozial-politischen Fragestellungen – auch nicht in unserem schönen Regensburg.
Barbara Junghans
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Liebe Rose,
das waren auch meine Gedanken, aber wo die Profilierungssucht herrscht, da hat der gesunde Menschenverstand, der Takt und die Herzensbildung leider Sendepause.