Regensburger Herbstsymposion und die Causa Boll: Kontroverse ohne Inhalt
Eine eigene Sektion und mehrere Vorträge widmete das Regensburger Herbstsymposion der „Ära Boll“. Vor einer offensiven Auseinandersetzung mit der Rolle Bolls scheut die renommierte Veranstaltung zurück. Befremdlich wirkt der Versuch, Bolls Rolle im Nationalsozialismus als Kontroverse abzuhandeln, ohne den Nationalsozialismus und die Rolle des NS-Multifunktionärs zu thematisieren.
Zu einer Kontroverse gehören mindestens zwei. Zwei Parteien, die sich in einer offenen Sachfrage streiten. Streiten um Erkenntnis oder Wahrheit, sei es in theologischen, politischen oder historischen Fragen.
Beim ersten Tag des diesjährigen Regensburger Herbstsymposions für Kunst, Geschichte und Denkmalpflege ging es um die Causa Walter Boll. Ein Thema, über das man durchaus streiten kann. Und tatsächlich sprechen Referenten und Referentinnen von einer Kontroverse. Doch worum es bei dieser Kontroverse geht, erfährt der interessierte Zuhörer nicht. Mehr noch: Es kommt nur eine Partei zu Wort, die Positionen der zweiten bleiben unerwähnt.
Allenfalls eingeweihte Besucher (Die über 100 Anwesenden wurden von Kulturreferenten Wolfgang Dersch persönlich begrüßt, etwa 30 waren über Zoom zugeschaltet.) des renommierten Symposiums dürften die Hintergründe und Zusammenhänge um den NS-belasteten Denkmalpfleger Walter Boll näher verstanden haben.
Walter Boll: NS-Karrierist und von den Nazis hochgelobt
Die Vorgeschichte der Causa Boll ist lang und reicht vor die Zeit des Nationalsozialismus zurück. Der mit 21 Jahren promovierte Kunsthistoriker Boll (geboren 1900) kam 1928 als Konservator nach Regensburg, unter anderem um ein Heimatmuseum aufzubauen. Im Nationalsozialismus stieg er zum Direktor des daraus entstandenen nazistischen Ostmarkmuseums und zum NS-Multifunktionär auf. Als SA- und NSDAP-Mitglied organisierte er Nazi-Kunstausstellungen und holte die Schau „Entartete Kunst“ nach Regensburg.
Dafür wurde er vom NS-Bürgermeister Hans Herrmann gelobt. Die Ausstellung zeige „den systematischen Vergiftungskampf in der Kunst, der von jüdischen ‚Künstlern‘, jüdischen Kunsthändlern und vor allem der gesamten jüdischen Presse der Nachkriegsjahre geleitet“ worden sei, so Hermann.
Der Bürgermeister hetzte gegen Juden, sprach von einem „undeutschen Kunstschaffen“, von „jüdisch-bolschewistischer Kulturverhöhnung“, begrüßte die „Ausmerzung und Überwindung aller artfremden Elemente und undeutschen Erscheinungen in Wissenschaft und Kunst, in Funk und Film“ und lobte den verdienten Obmann der NS-Kulturgemeinde Walter Boll, der sich für die „Wiederaufrichtung einer reinen und echten“ deutschen Volkskultur verdient gemacht habe.
Walter Boll: Arisierer mit unrühmlicher Rolle beim Tod der Familie Seligmann
Unter Bolls Regie wurde anlässlich eines Hitler-Besuchs 1937 das städtische Rathaus umgebaut und Regensburg als die „Stadt des Reiches“ präsentiert. Die NS-Presse lobte ihn dafür.
Der Museumsdirektor Boll kaufte sogenanntes Judensilber aus Zwangsabgaben und verfolgungsbedingt günstig zu erwerbende Kunstobjekte auf. Als Denkmalpfleger war er aktiv an sogenannten Arisierungen beteiligt und sah es „als dringend erforderlich“ an, dass ein „Anwesen endlich in arischen Besitz übergeleitet“ werde.
Unter anderem wegen Bolls Intervention konnten die jüdischen Besitzer des besagten Regensburger Anwesens Lerchenfelder Hof, Fanny und Albert Seligmann, den Machtbereich der Nationalsozialisten nicht mehr verlassen. Sie wurden am 20. November 1941 in das berüchtigte Fort IX im litauischen Kaunas deportiert und dort erschossen.
Walter Boll nach dem Krieg: unangefochten und ohne Karrierebruch
Als Boll nach der Zerschlagung des NS-Regimes „entnazifiziert“ werden sollte, wurde er als NS-Funktionär zunächst als belastet eingestuft. Er selber bezeichnet sich als „Mitläufer“. Nach der Vorlage vieler Persilscheine kontrafaktischen Inhalts plädierte er 1947 auf „nicht belastet“ und wurde auch so beurteilt.
Da er gegenüber Amerikanischen Offizieren aber falsche Angaben machte und diese NS-Funktionäre aus der Führung des aufzubauenden entnazifizierten Kulturbetrieb fernhalten wollten, sperrten sie Boll sieben Monate ins Amberger Gefängnis, das er erst im Mai 1948 verlassen durfte. Bald darauf kehrte Boll zurück ins Amt, eröffnete das jetzige Museum und wirkte in Regensburg ohne öffentliche Anfechtung seiner Person bis zu seinem Tod.
Boll galt (und gilt) in Regensburg als graue Eminenz, oft als Retter der Altstadt, bei nicht wenigen als der eigentliche Vater und Wegbereiter des Titel Welterbe Regensburg. Zu seinen Lebzeiten blieb er unangefochten, obwohl sein Mittun mit den Nazis öffentlich zu sehen und bekannt war.
Zu seinem 70. Geburtstag spendierten ihm seine Freunde (böse Zungen sagen: er sich selbst) eine Bronzebüste, die feierlich ins Historischen Museum gestellt wurde. Eine kritische, öffentlich wahrnehmbare Auseinandersetzung mit den NS-Multifunktionäre Boll kam erst 2019 mit den Recherchen der Regensburger Autorin Waltraud Bierwirth in Gang.
Stadt reagiert spät und auf Druck von außen
Erst durch Bierwirths beharrliches Insistieren beim städtischen Amt für Denkmalpflege kamen die Akten zu der bereits erwähnten Arisierung des Lerchenfelder Hofs von 1940 ans Licht. Nachdem Bierwirth ihre diesbezüglichen Rechercheergebnisse öffentlich präsentierte, kam die Stadtverwaltung in Zugzwang und kündigte die Überprüfung der Rolle Bolls im Nationalsozialismus an.
Robert Werner veröffentlichte weiterführende Forschungsergebnisse zu Boll im Band Täter-Helfer-Trittbrettfahrer und auch hier bei regensburg-digital.
Schließlich wurde reagiert: Im Hebst 2022 organisierte des Regensburger Kulturreferat ein mit 30 Spezialisten besetztes Arbeitstreffen, das das weitere Vorgehen in der Causa Boll besprechen und festlegen sollte.
Eines der damaligen Ergebnisse war laut Pressemitteilung von März 2023, „sowohl kurzfristige als auch langfristige Forschungs- und Vermittlungsstrategien“ anzustreben. Beschlossen wurde Anfang 2023 unter anderem, das Wirken des Denkmalpfleger Boll „im Rahmen des diesjährigen Regensburger Herbstsymposions für Kunst, Geschichte und Denkmalpflege“ zu thematisieren.
Selbstdarstellung des Regensburger Herbstsymposions:
„Seit 1986 wird alljährlich im November das Regensburger Herbstsymposion für Kunst, Geschichte und Denkmalpflege veranstaltet – eine gemeinsame Veranstaltung des Amtes für kulturelles Erbe der Stadt Regensburg, des Fachbereichs Kunst und Denkmalpflege des Bistums Regensburg, des Heimatpflegers der Stadt Regensburg, des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, des Oberpfälzer Kulturbund e.V. und der Vereinigung Freunde der Altstadt Regensburg, e.V.
Ziel der Tagung ist es, die interessierte Öffentlichkeit auf wissenschaftlich hohem Niveau, aber in allgemein verständlicher Form über stadtgeschichtlich relevante Themen zu informieren und für denkmalpflegerische Problemstellungen zu sensibilisieren. Auf eine Tagungsgebühr wird daher bewusst verzichtet.“
Über Bolls Rolle im Nationalsozialismus erfuhren die Zuhörer nichts
Was wurde aus diesem Beschluss? Das Herbstsymposion mit dem Thema „50 Jahre Bayerische Denkmalschutzgesetz aus Regensburger Sicht“ vom letzten Wochenende beschäftigte sich in einer Sektion mit Boll aber gar nicht mit seiner NS-Vergangenheit.
In der Sektion I (Die Ära Boll: Denkmalschutz in Regensburg vor dem Denkmalschutzgesetz) stellten zwar fünf Referenten ihre Forschungsergebnisse vor. Sie sprachen über Boll und erwähnten gelegentlich eine angebliche Kontroverse um dessen NS-Verstrickungen. Doch über den Inhalt dieser Kontroverse sprachen sie nicht.
Die Zuhörer erfuhren nichts von Bolls SA- und NSADP-Mitgliedschaft. Sein antisemitisches Wirken als Museumsdirektor, Arisierungsgehilfe und NS-Mulitfunktionär blieb unerwähnt. Seine Ankäufe, sein Verstecken und Vertuschen von Nazi-Kunstraubgut und „Judensilber“ war kein Thema bei all den Vorträgen zur „Ära Boll“.
Vortrag I: NS-Belastung „ausdrücklich nicht Thema“
Den ersten der fünf Vorträge durfte Dr. Eugen Trapp, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Regensburg, präsentieren. Unter dem Titel Schutz und Schöpfung – Walter Boll und sein denkmalpflegerisches Konzept wiederholte Trapp im Wesentlichen seinen kenntnisreichen Vortrag von 2019 (den er damals unter dem Titel Walter Boll und die Vision vom autogerechten Mittelalter – oder: die verkehrsplanerische Dimension Schöpferischer Denkmalpflege in Regensburg darbot).
Während Trapp 2019 die NS-Belastung Boll stillschweigend überging, erklärte er am Wochenende, dass diese NS-Belastung „ausdrücklich nicht Thema“ seines Vortrags sei.
Vortrag II: Ein Nazi-Kollege, über den man gern mehr erfahren hätte
Als zweiter Referent stellte Dr. Roman Smolorz seine Rechercheergebnisse zu einem Nazi-Kollegen Bolls vor. Thema: Richard Eckes und die Anfänge institutioneller Archäologie in Regensburg 1936. Eine biographische Skizze im Schatten der NS-Ideologie.
Eckes war Prähistoriker, Mitglied der 68. SS-Standarte in Regensburg und Teil der SS-Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. Eckes, der zu der Urnenfelderkultur in Ostbayern 1936 promovierte und 1943 im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion starb, kam 1936 als Archäologe nach Regensburg. Kein geringerer als Walter Boll machte sich für ihn beim Landesamt stark, was Smolorz nicht erwähnt.
Zum Verhältnis Boll-Eckes trug Smolorz nichts vor – obwohl das durchaus interessant gewesen wäre. Immerhin fungierte Eckes offenbar auch als Vertreter von Walter Boll als Leiter des Ostmarkmuseums. Akten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv zeigen dies.
Die von Smolorz präsentierten Ergebnisse blieben meist so unklar, dass ein Zuhörer nachfragte, worin diese denn nun bestehen würden.
Unerwähnt ließ Smolorz auch die Ergebnisse seiner derzeitigen Tätigkeit an den Museen der Stadt Regensburg. Dort ist er zuständig für Provenienzforschung und die Restitution von Kunstobjekten, die Boll unter anderem in der NS-Zeit erwarb. Derzeit bereitet die Stadtverwaltung die Restitution von Silberschmuck an die jüdische Gemeinde vor, den Boll um 1940 als “Juden-Silber” erwarb.
Vortrag III: Wabern um eine angebliche Kontroverse
Unter dem Titel Hierbei ist in jedem Falle die vorher eingeholte gutachtliche Stellungnahme des Museumsdirektors Dr. Boll mitvorzulegen referierte Dr. Maximilian Fritsch interessante Datails über den Vollzug von Denkmalvorschriften durch Walter Boll. Laut Fritsch, Jurist am Amt für Denkmalschutz, gebe es in Regensburg in Sachen Boll eine problematische Lagerbildung zwischen Leuten, die in Boll den „Retter der Altstadt“ sehen würden einerseits und andererseits jenen, die der Stadtverwaltung in Sachen Boll Untätigkeit vorwerfen würden.
Fritsch plädiert stattdessen für wissenschaftlich sorgfältige Recherchen. Er sieht im teils willkürlichen Vorgehen des Denkmalschützers Boll „ein Kind der Zeit“, aber „keine fanatische Unterstützung“ der NS-Ideologie. Wie allen anderen Referenten unterlässt es aber auch Fritsch, die Positionen in dieser angeblichen Kontroverse darzustellen. Die bahnbrechenden Recherchen Bierwirths oder ihren Namen erwähnt auch er nicht.
Gerne hätte der interessierte Zuhörer erfahren, ob es in den Handakten und Beständen des Denkmalschutzamtes nicht noch weitere antisemitische Gutachten aus der Feder Bolls gibt. Oder in welchem Umfang Boll Akten vernichtete. Oder warum das Amt nicht von sich aus seine regimetreue und antisemitische Rolle im Nationalsozialismus untersucht hat, warum dies erst jetzt ansatzweise geschieht.
Der von Fritsch für sich reklamierte Sprechort als sorgfältiger Wissenschaftler entpuppte sich über weite Strecken als Ort der Vermeidung des Sachstandes in der Auseinandersetzung um den NS-Funktionär Boll und als Schutz der eigenen städtischen Institution.
Vortrag IV: Unverfängliches, unterhaltsam vorgetragen
Dr. Peter Morsbach, Professor für Bauforschung an der OTH und wie Eugen Trapp seit vielen Jahren im Wissenschaftlichen Beirat des Herbstsymposions, handelte in seinem Beitrag ein weniger verfängliches Thema nach der NS-Zeit ab: Das Keplermuseum als ein Denkmal in der Ära Boll.
Morsbach, seit vielen Jahren aktiv im Verein Freunde der Altstadt Regensburg, hob sich zwar mit seiner erfrischend unterhaltsamen Vortragsweise hervor, brachte aber wie alle anderen Referenten hinsichtlich der NS-Belastung Boll keinerlei Neuigkeiten.
Vortrag V: Mal was Positives…
Den Abschluss bildete ein versöhnlich wirkender Vortrag von Simone Huber und Lilli Mirlach. Die zwei Referentinnen studierten bis vor kurzem in Regensburg Bauingenieurwesen und präsentierten zum Abschluss des Tages und der „Kontroverse Boll“ etwas Positives.
Unter dem Thema Walter Boll und sein Kampf für den Denkmalschutz am Fallbeispiel „Sauseneck“ zeichneten sie Bolls erfolgreiches Engagement für den Erhalt des Sausenecks in der Keplerstraße nach. Das Verhalten des NS-Mulitfunktionärs Walter Boll und der Umgang damit kam auch im letzten Vortrag nicht zur Sprache.
Kein Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung
Insofern hat das Regensburger Herbstsymposions zur versprochenen „wissenschaftlichen Aufarbeitung zu Person und Wirken Walter Bolls“ nicht wirklich etwas beigetragen. Der Versuch, Bolls Rolle im Nationalsozialismus als Kontroverse abzuhandeln, ohne den Nationalsozialismus und die Rolle des NS-Multifunktionärs Walter Boll zu thematisieren, wirkt hilflos und befremdlich.
Bleibt die Hoffnung, dass sich zumindest die von der Stadt finanzierten und in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg zu erstellenden zehn Forschungs-Dissertationen zur Stadtverwaltung im Nationalsozialismus auch der Causa Walter Boll widmen.
tom lehner
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Gibt es da wirklich zwei Meinungen? Und wenn ja, wie lässt sich das rechtfertigen?
Ein NS Funktionär, “Mitläufer” genannt, der von einem kranken, menschenverachtenden System profitierte und dafür sorgte das Menschen ihr Heim und ihr Leben verloren. “Arisieren” nannte er das als Mitglied der “Herrenrasse”.
Nicht erst seit dem 7. Oktober diskutieren wir wieder über Antisemitismus in Deutschland. Genau das ist der Boden auf dem relativiert und verharmlost wird.
Die AfD wird es dankend zur Kenntnis nehmen. Für mich darf es dazu keine “Zweite Meinung” geben.
xy
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Kommentar gelöscht. Niemand zwingt Sie, hier zu lesen oder zu kommentieren.
idefix
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Durch den Zufall des Geburtsdatums habe viele Nachgeborene nach 1945 die Gnade der späten Geburt und somit das Glück, nicht in die Machenschaften des Dritten Reichen verwickelt worden zu sein, und so im Gegensatz zur vorherigen Generation Schuld auf sich geladen zu haben. Doch dies ist kein Freispruch für die Verantwortung der Nachkriegsgeneration und folgende. Es ist deshalb legitim, sich zum Verständnis des Vergangenen mit der Geschichte von Menschen zu beschäftigen, die sich dem nationalsozialistischen System angepasst haben und durch ihr Handeln Schuld auf sich geladen haben. Dies dient der geschichtlichen Aufarbeitung zur Mahnung an die fogenden Generationen.
Doch „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.» (Johannes 8,7) erinnert uns vom christlichen Verständnis her, dass wir zurückhaltend in der Anklage und Verurteilung vom Menschen sein sollen, weil auch wir keine Engel sind. Ein Leben ohne Schuld gibt es nicht. Ganze Nationen können schuldig werden, wie die Deutschen zur Zeit des Nationalsozialismus.
Weil sich aber Schuldbeladene nur schwer vergeben können, können wir scheinbar Schuldlosen dem anderen vergeben („Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“). Wer andere ständig mit dem Blick auf ihre Schuld sieht, sie vielleicht sogar hasst, wird innerlich unfrei und schafft Unfrieden anstatt zu versöhnen.
Gerade wenn ein Mensch nicht mehr lebt, können wir Nachgeborenen nicht beurteilen , ob er nicht innerlich trotzdem unter seiner Schuld gelitten, bereut und um Vergebung gebeten hat („Vergib uns unsere Schuld“). Da wir es nicht wissen, beurteilen wir einen Menschen nach seinem öffentlichen Wirken zu schlechten und guten Lebzeiten. Was er aber an Schuld mit ins Grab genommen hat, entzieht sich unserer nachträglichen Beurteilung. Es bleibt immer ein persönliches Geheimnis. Er hat jedoch ein Anrecht auf Ruhe im Frieden.
Allerdings den Toten immer wieder mit Hinweis auf seine Schuld ständig auferstehen zu lassen und so die Totenruhe zu stören, ist unwürdig und menschenverachtend. Man kann jemanden nur verurteilen, wenn er noch lebt. Nachträglich kann man durchaus seine Fehler und seine Schuld aufarbeiten aber auch seine Verdienste zu Lebzeiten würdigen. Doch selbstgerecht im Glashaus zu sitzen und ständig mit den Steinen auf einen, wie wir alle, schuldigen Menschen zu werfen, führt zu keiner Versöhnung sondern zu Unfrieden in der Stadtgesellschaft und wie sich aktuell zeigt, bei den Völkern zum Krieg. So machen wir uns dann selbst schuldig.
Vielleicht sollten wir in Abwandlung von Matthäus 7.3 selbstkritisch auch erst den Splitter im eigenen Auge bemerken, bevor wir den Balken im Auge des anderen sehen und mehr Erbarmen mit uns und anderen haben..
St. Schrödinger
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@Idefix:
nicht umsonst bedarf der christlichen Vergebung lt Katechismus zunächst mal der Reue.
Und Reue, oder gar Buße sollte man als jemand, der Vergebung predigt, aber auch zulassen.
Und um uns mal aus dem Themenfeld Religion zu entfernen – für eine erfolgreixhe Therapie ist ein Eingeständnis des Problems quasi zwingende Voraussetzung.
Natürlich muß das aufgearbeitet werden.
@ tom lehner:
Richtig!
Gizmo
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Kommentar gelöscht. Bitte sachlich.
tom lehner
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@ idefix:
“Allerdings den Toten immer wieder mit Hinweis auf seine Schuld ständig auferstehen zu lassen und so die Totenruhe zu stören, ist unwürdig und menschenverachtend……Nachträglich kann man durchaus seine Fehler und seine Schuld aufarbeiten aber auch seine Verdienste zu Lebzeiten würdigen. Doch selbstgerecht im Glashaus zu sitzen und ständig mit den Steinen auf einen, wie wir alle, schuldigen Menschen zu werfen, führt zu keiner Versöhnung sondern zu Unfrieden in der Stadtgesellschaft und wie sich aktuell zeigt, bei den Völkern zum Krieg. So machen wir uns dann selbst schuldig.”
Es tut mir leid. Das ist die gern genommene Argumentation der Nachkriegszeit. “Wir haben davon nichts gewusst”, “Irgendwann muß man nach vorne schauen” “Das Geschehene ruhen lassen” und all die anderen, unsäglichen Allgemeinplätze.
Das ist heute genauso verlogen wie es damals schon war. Dazu brauche ich auch keinen Matthäus. Wir haben eine Verantwortung und die Pflicht die Verbrechen des Dritten Reichs zu benennen und alles dafür zu tun um die Erinnerung an die Toten als Mahnung für kommende Generationen “Am Leben” zu halten.
Merken Sie eigentlich was Sie da schreiben? Die Toten ruhen lassen und Ihrer Mörder für Ihre Verdienste würdigen.
An dieser Stelle erinnere ich an die vielen Mißbrauchsfälle rund um die Katholische Kirche. Das ist ein ganz anderes Thema, aber der Umgang damit ist der Gleiche. Daraus sollten wir lernen und die Opfer kein zweites Mal zum Opfer machen.
Wehret den Anfängen
Zapfnmandl
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Wieso muß man beim Thema Boll immer auch gleich sein Nazivergangenheit aufarbeiten? Der Titel des Symposions war „50 Jahre Bayerische Denkmalschutzgesetz aus Regensburger Sicht“. Wieso sollten da irgendwelche Beiträge zu Boll’s Nazivergangenheit interessieren? Die habt doch damit gar nichts zu tun. Wenn ich auf eine Tagung zum Thema Äpfel gehe, dann erwarte ich doch keine Beiträge zum Thema Birnen.
Das hat nichts mit Geschichtsvergessenheit zu tun sondern einfach mit dem Thema der Tagung. Insofern versteht ich die Kritik in diesem Artikel nicht.
Wer sich näher mit Boll und seiner Nazivergangenheit beschäftigen will, nur zu: es steht jedem frei selbst eine entsprechende Tagung zu organisieren.
Hthik
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@idefix 29. November 2023 um 00:17 | #
“Durch den Zufall des Geburtsdatums habe viele Nachgeborene nach 1945 die Gnade der späten Geburt und somit das Glück, nicht in die Machenschaften des Dritten Reichen verwickelt worden zu sein, …”
Was niemandem. gleich aus welcher Generation, das Recht gibt, sie für dumm zu verkaufen.
“Allerdings den Toten immer wieder mit Hinweis auf seine Schuld ständig auferstehen zu lassen und so die Totenruhe zu stören, …”
“die Totenruhe zu stören”? Das tut keiner. Die Damnatio memoriae ist nicht die Methode der Aufklärung. Die Methode der Aufklärung ist es die Fakten möglichst vollständig an das Tageslicht zu bringen und richtige Schlüsse daraus zu ziehen. Das in ethische Kategorien einzuordnen bleibt jedem Einzelnen überlassen. Insbesondere natürlich auch Autoren, die Dinge ans Licht bringen und richtige Schlüsse ziehen. Wer meint, dass er unschuldig ist, weil er ja innerlich an dem, was er getan hat, schrecklich gelitten haben könnte, was theoretisch nicht völlig auszuschließen ist, darf diese Meinung ja auch vertreten – auch hier, wie man sieht.
“… aber auch seine Verdienste zu Lebzeiten würdigen.”
Die Kritik war nicht, dass die Vorträge IV und V existieren, sondern, dass Nummer VI nicht existiert.
Die friedlsche Kunstaktion braucht ein Update. Die Ecke im ersten Bild sollte man mit einer dieser schwarzen Hightechfarben streichen, so dass man nur noch die dunklen Konturen der Bollbüste sieht, die über einem endlosen, schwarzem Abgrund, ohne erkennbare Unterstützung, die aber doch da sein muss, schwebt.
Dafür, dass hier, außer von RD,-Autoren, von den eigentlich Zuständigen mal ähnlich relevante Artikel geschrieben, sehe ich auch erheblich schwarz.
idefix
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@ tom lehner und Hthik
Sie haben meinen Beitrag nicht vollständig gelesen und picken sich nur das heraus, was ihnen zur Gegenrede passt. Denn ich habe nicht gesagt, dass man vergangenes Unrecht und menschliche Verstrickungen nicht aufklären und nicht darüber berichten soll, um ein für alle Mal den Mantel des Schweigens darüber zu legen. Ganz im Gegenteil. Deshalb zitiere ich zur Klarstellung meine eindeutige Aussage:
„Es ist deshalb legitim, sich zum Verständnis des Vergangenen mit der Geschichte von Menschen zu beschäftigen, die sich dem nationalsozialistischen System angepasst haben und durch ihr Handeln Schuld auf sich geladen haben. Dies dient der geschichtlichen Aufarbeitung zur Mahnung an die folgenden Generationen.“
Was anderes ist es, wie die Aufklärenden mit den schuldig gewordenen verstorbenen Personen, die sie ja nicht persönlich kennen, umgehen sollen. Haben wir das Recht, uns ihnen gegenüber zu Richtern aufzuspielen, ihre Existenz als Menschen und ihren Namen ein für alle Mal auszulöschen? Meist wird dadurch gerade das Gegenteil erreicht. Tyrannen und Diktatoren etwas werden dadurch nur noch bekannter.
Grundsätzlich stellt sich mir aber trotzdem die Frage, wie wir mit der Schuld von Menschen, die gefehlt haben, umgehen sollen. Macht nicht jeder von uns persönlich die Erfahrung, dass nicht Hass, Ausgrenzung und ständige Vorwürfe zum Frieden führen? Ist Vergebung und Versöhnung, auch wenn es schwer fällt angesichts der Schuld nicht der friedfertigere Weg, ohne die Schuld dabei zu vergessen und diese zu relativieren?
Das Herbstsymposion beschäftigte sich allein mit der Person Boll aufgrund seiner Verantwortung und seiner Leistungen für den Kultur und Denkmalbereich der Stadt Regensburg zu ideologisch unterschiedlichen Zeiten. Es war Gott sei Dank kein Gesinnungstribunal, wie manche erwartet hätten.
tom lehner
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@ idefix
Es geht nicht um ein Betrügen bei einem Mensch Ärgere Dich Nicht Spiel.
Es geht um die klare Kenntlichmachung eines menschenverachtenden Systems und seinen Schergen die die Ermordung von 6 Millionen Juden nicht nur mitgetragen, sondern dieses Verbrechen auch aktiv unterstützt und sich persönlich bereichert haben. Bei dem der genannte Protagonist nicht nur als “Mitläufer” sondern als Akteur in SS Uniform zu seinem persönlichen Vorteil und “Ansehen” mitgewirkt hat. Zudem hat er vieles was seine eigene Vergangenheit und die damit verbundene Verantwortung für sein Tun belegt vertuscht und verschleiert.
Wie dreist kann man sein um eine Schuld “Relativieren” zu wollen. Einen Unterschied zu konstruieren weil es “Ideologisch unterschiedliche Zeiten” waren. Sie legen wert darauf festzustellen das ich den Menschen ja nicht “Persönlich” kenne. Spielt das eine Rolle?
Himmler galt als sehr loyal, verantwortungsbewusst und führsorglich.
Macht es das besser? Nein. Himmler war ein Verbrecher und viele andere auch. Es ist eine Schande das so viele der damaligen Akteure wieder in ihre “Positionen” zurückkehren konnten. Ein schönes Leben genossen. “Angesehen” waren als Kulturschaffende, als Richter, als Dozenten an den Universitäten, als Mediziner, als Polizisten und weiter partizipierten von den Menschen die sie verachteten, oder früher sogar ins KZ gesteckt, oder der Euthanasie überlassen hätten.
Zur Versöhnung gehört Vergebung. Das kann ich nur wenn sich jemand mit seinen Taten ehrlich auseinandersetzt. Zeigt das er weiß etwas schreckliches angerichtet zu haben. Boll hat das nachweislich nicht getan. Er war stolz auf sein Tun und wir als Gesellschaft gaben ihm mit unserer Haltung und unserer Wertschätzung das Gefühl richtig gehandelt zu haben.
Dieses Gedankengut und ein derartiger Umgang damit ist eine Schande. Ob Sie das nun hören wollen oder nicht. Dazu gibt es nur eine klare Haltung.
idefix
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@tom lehner
Sie wollen mir doch nicht unterstellen, dass ich die Protagonisten des Nationalismus und seine Opfer gutheiße? Gegen diese Unterstellung muss ich mich als Christ und Demokrat nachdrücklich verwahren.
Es geht mir darum, wie man mit Schuld, Vergebung und Versöhnung im Sinne des Friedens umgeht, ohne die begangenen Sünden zu vergessen.
Als Nachgeborene nach 1945 mussten wir zwangläufig mit einer ideologisch missbrauchten, traumatisierten Elterngeneration umgehen, die vom Krieg geläutert, mit uns in einem kriegszerstörten Land überleben wollte. Sie musste sich uns zuliebe, an Leib und Seele verletzt und desillusioniert, zwangsläufig den neuen schwierigen Lebensumständen anpassen. Über das Dritte Reich wollte sie nicht gerne reden, weil sie sich innerlich als Teil des Volkes durchaus mitschuldig fühlte, ohne es gerne zuzugeben.
Wer dann aber seinem Vater und einfachen Soldaten ständig seine vermeintliche Mitschuld, ohne die Zeitumstände zu kennen, vorgeworfen und erinnert hat, warum er in den Krieg gezogen ist und keinen Widerstand geleistet hat, hat sicherlich die Konfrontation bis hin zur Entzweiung der gesamten Familie herausgefordert. War es da nicht besser im Sinne des Familienfriedens bei aller etwaigen individuellen Schuld erst zuzuhören und dann trotz allem die Versöhnung und die Vergebung zu suchen, anstatt ständig im uns verächtlichen Vergangenen zu wühlen und den Unfrieden zu suchen? Wurde der Name des Vaters, den wir tragen, einfach ausgelöscht? Hier hat jeder seine eigenen Erfahrungen gemacht bis hin zur eigenen Traumatisierung, was jetzt von einer moralisierenden Generation, die die Zeitumstände nicht nachvollziehen kann, kaum mehr verstanden wird.
Übrigens auch heute gibt es wie früher genug Mitläufer und Opportunisten, die sich geschickt den jetzt demokratischen Umständen anpassen, um voranzukommen und zu überleben. Oftmals zu Lasten der eigenen Zivilcourage und des fehlenden Mutes, seine Stimme zu erheben und nicht alles mit-zumachen. Auch dies kann unsere sehr zerbrechliche Demokratie gefährden, wie sich aktuell zeigt.
Mit diesem Statement möchte ich meine Kommentierung zu dem Thema aus einer anderen Sichtweise abschließen. Mir war bewusst, dass diese missverstanden werden kann. Ich möchte mich aber auch für den konträren Dialog durchaus bedanken.
Fanny
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@idefix Ja, das ist ja sehr bedauerlich, dass sie als Enkel von NS-Tätern, Soldaten oder unschuldigen Deutschen leiden und dies mit christlichen Motiven bewältigen müssen.
Aber haben Sie noch gar nicht davon gehört, dass die Stadt fast 10Mio € ausgibt, u.a. um den NS-Täter Walter Boll zu erforschen? Sitzt die Stadtverwaltung deshalb auch in dem von ihnen bemühten Glashaus?
Was würden sie denn den Nachfahren der Familie Seligmann sagen, die u.a. wegen dem Denkmalschützer und „Arisierer“ Boll deportiert und erschossen wurden.
Was würden Sie mir sagen, wenn ich ein Nachkomme von Regensburgern wäre, deren „Juden-Silber“ Boll für sein Nazimuseum ergaunert hat, und nach Ende der Naziherrschaft vor den Amerikanern versteckt und verleugnet hat, zusammen mit seiner Gehilfin Irmi Diepolder?
Trotzdem Danke für den Einblick, den Sie uns in ihr schuldbeladenes Herz gewährt haben. Es macht den Stand der Auseinandersetzung mit NS-Tätern in ihrer Stadt deutlich.
Lenzerl
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Als Teilnehmerin des Herbstsymposiums habe ich alle fünf genannten Vorträge über Boll gehört und kann den Eindruck der Autoren des Artikels nur bestätigen. Aber erlaubt sei die ernstgemeinte Frage: Hatten Sie ernsthaft einen anderen Tenor der Veranstaltung erwartet?
Ich fand es dennoch sehr erhellend, Details über die sehr patriarchale und stets interessengeleitete Arbeits und Denkweise Bolls in seinem Umgang mit Denkmälern auch nach 1945 zu erfahren. Ich denke mir, dass sich diese Haltung von ihm auch auf die NS-Zeit übertragen lässt.
Ich erwarte gespannt die kommenden Forschungsergebnisse.
Jakob Friedl
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Hier meine Eindrücke vom Freitag vor einer Woche:
Eigentlich wollte man sich beim Herbstsymposium mit dem Thema „50 Jahre Bayerisches Denkmalschutzgesetz“ in der Sektion I mit „Die Ära Boll in Regensburg – Denkmalschutz vor dem Denkmalschutzgesetz“ beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit Ideologie, NS-Verstrickungen und der Person Boll wolle man der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Uni überlassen – wie auch in den einleitenden Worten erklärt wurde.
Der skizzen- und lückenhafte Vortrag von Dr. Roman Smolorz, zuständig für die Provenienzforschung im Historischen Museum, fiel dabei deutlich aus dem Rahmen, beschränkte er sich doch im Wesentlichen darauf Entlastendes zur Person eines Nazifunktionärskollegen Bolls finden zu wollen. Der Vortrag lässt sich so zusammenfassen: “Der junge Archäologe in leitender Funktion, Richard Eckes, war SS-Mann, Teil der SS-Forschungsgemeinde deutsches Ahnenerbe und NSDAP-Mitglied, aber ein loyaler Wissenschaftler, der wohl zwischen Mühlen verschiedener NS-Organisationen und anderen Karrieristen geriet und möglicherweise deswegen an die Ostfront geschickt worden sein könnte – wo er bald starb.“
Dr. Eugen Trapps Beitrag „Schutz und Schöpfung – Walter Boll und sein denkmalpflegerisches Konzept“ fand ich z.B. im hinsichtlich des Baus des Museums, in dem nach wie vor alt und neu nicht vollständig gekennzeichnet ist, interessant. Die Translokation baulicher Features, z.B. Fenster, Bögen aus Abrissmaßnahmen, wurden auch hier dem Um- und Neubau einverleibt um das Gebäude wertiger erscheinen zu lassen. Die Bauteile stammen aus für unbedeutend erachteten mittelalterlichen Häusern. Lediglich 50 % der Altstadt wurden von Boll als erhaltenswert erachtet, den Rest könne man abreißen. In Trapps Vortrag wurden unwiederbringliche Eingriffe in den Baubestand der Stadt genau beleuchtet, während die ideologischen Komponenten Bolls schöpferischer Denkmalpflege nur gestreift wurden.* Die Ausgestaltung des Herzogshofs zeigt auch heute noch, dass Boll mit seiner schöpferische Denkmalpflege kreativ im Sinne der Naziideologie arbeitete. Vgl. Bolliwood: https://ribisl.org/re-represent-walter-boll/#herzogssaal
*Vgl. hierzu auch Daniel Rimsls Vortrag im Showroom „Broken Boll“ .
Der Vortrag von Maximilian Fritsch „Hierbei ist in jedem Falle die vorher eingeholte gutachterliche Stellungnahme des Museumsdirektors einzuholen“ beleuchtete gewachsene Ambivalenzen in der Zuständigkeit und willkürliches Handeln in Bezug auf den Erhalt von Bausubstanz im Sinne einer Inszenierung des Altstadtraums. Auch des Beseitigens von verdichteten Armenquartieren war Teil dieser Maßnahmen. Letzterer Aspekt führte im Anschluss zu der interessanten Frage Prof. Achim Hubels, ob Ziel dieser Abrissmaßnahmen auch die Beseitigung von dort vermuteten kommunistischen Milieus und politische Kontrolle durch mehr Übersichtlichkeit war. Fritsch berichtete, dass sich anders als in Aussicht gestellt, viele der Ausquartierten in Notunterkünften wiederfanden, während die übersichtlichen Neubauten am damaligen Stadtrand von Wohlhabenderen bezogen wurden.
Für die willkürliche und selektive Vorgehensweise beim Bau des Kaufhauses Horten wurde die Fassade der alte Wache erhalten, weil die unter ihr gelegenen bedeutenden römisch-jüdische Relikte geltend gemacht wurden, während von der dahinter liegenden riesigen Abbruchfläche historischer Schutt auf LKWs gebaggert wurde – unter den entsetzten Augen der Archäologen, die damit beschäftigt waren mit dem Auto hinterherzufahren um noch das eine oder andere Artefakt zu „retten“.
Der pointierte Vortrag von Prof. Dr. Peter Morsbach über den Bau des Keplermuseums (heute document Keplerhaus), Fertigstellung im Jahr 1961, veranschaulichte sehr deutlich, was nun im neu konzipierten Museum auch nachvollziehbar dargestellt sein wird: Das Haus wurde rücksichtslos und ohne Dokumentation bis auf einen vermeintlichen Urzustand entkernt, Stahlbetondecken eingezogen, die wieder darunter gehängte historischen Balkendecke, wie alle anderen Holzteile in giftiges Holzschutzmittel getaucht. Weitere Bauteile wie Decken, Bohlen, Dielen, Türen, Schlösser aus den Abrissmaßnahmen im dahinterliegenden Viertel fanden als historische Zutaten eine Wiederverwendung. Um eine Wohnsituation im 16 Jhd. atmosphärisch anzudeuten, wurden in München als Accessoires verschiedene Antiquitäten (Tische, Truhen etc.) aus unterschiedlichen, auch späteren Epochen, zusammengekauft und Keplergedächtniskunst ausfindig gemacht. Morsbach war es wichtig zu erfahren, ob die für das 1961 eröffnete Keplermuseum angefertigten technisch anmutenden Originalgrafiken eines regensburger Künstlers und die von der Firma Siemens rekonstruierten technischen Geräte im nun neu konzipierten document kepler erhalten und gezeigt werden.
Der Vortrag „Walter Boll und sein Kampf für den Denkmalschutz am Fallbeispiel Sauseneck“ beleuchtete im Wesentlichen die Dokumentation der Baugeschichte des spätgotischen Gebäudes durch Student*innen – beschäftigte sich jedoch nicht mit den gesellschaftspolitischen Umständen seiner Rettung oder der Rolle Walter Bolls dabei. Das sog. Lufthaus wurde enteignet, weil es samt Erker einer geplanten Stadtautobahn im Weg stand und verwahrloste jahrzehntelang leerstehend im Eigentum der Stadtbau. Die Sanierung unter einem neuen Eigentümer Anfang der 80er Jahre beinhaltet rekonstruierende, nachempfindende aber auch schöpferische Elemente. Die frühere Autowerkstatt wurde z.B. in die uns bekannte authentisch inszenierte Wirtshausstube umgebaut. Schön ist, dass hier mit dem Wirt Uwe Fritz ein subversiv denkender Mensch am Werk ist!
Eine durch Journalist*innen wie Robert Werner und Waltraud Bierwirth mit angestoßene Beleuchtung der Rolle des späteren Trägers der goldenen Bürgermedaille, Bau- und Museumsdirektor Walter Boll, und der NS-Kulturpolitik in Regensburg fand beim diesjährigen Herbstsymposium noch keinen Raum. Das Thema wird mit Unterstützung durch die Stadt Regensburg an der Uni Regensburg erforscht, sobald die dafür nötigen Stellen besetzt werden. Vgl. hierzu: https://ribisl.org/zwischenbericht-boll/ Pressemitteilung der Stadt Regensburg Januar 2023: „[…] Kurzfristige und langfristige Forschungs- und Vermittlungsstrategien […] Die intensiv geführte Diskussion befasste sich vor allem mit der Frage, wie die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung von Leben und Wirken Walter Bolls und die öffentliche Vermittlung der Forschungsergebnisse konkret ausgestaltet werden könnten. Einig war man sich zunächst darin, dass die Zusammenführung und Erschließung aller städtischen Quellenbestände zu Boll im Stadtarchiv eine grundlegende Voraussetzung dafür darstellt. Konkret angeregt wurden darüber hinaus sowohl kurzfristige als auch langfristige Forschungs- und Vermittlungsstrategien. So sollen bereits zeitnah verschiedene kleinere Formate für die interessierte Öffentlichkeit stattfinden, die laufend ergänzt werden können, beispielsweise eine Stadtführung zu denkmalpflegerischen Aktivitäten Walter Bolls durch den Stadtheimatpfleger oder die Thematisierung eines Teilaspekts von dessen Wirken im Rahmen des diesjährigen Regensburger Herbstsymposions für Kunst, Geschichte und Denkmalpflege.[…]“
Ein paar wichtige Schritte dazu wurden bereits gemacht. So wurde z.B. die alte Registratur des Museums an das Städtische Archiv übergeben.
Wir bleiben auch künstlerisch am Thema dran: Hier noch ein Link zum Showroom Broken Boll im neuen Kunstverein im Juni 2023, inkl. fragmentierter Bollbüsten an historischen Wirkungsstätten: https://ribisl.org/re-represent-walter-boll/ …und zu unserer Beteiligung an der Ausstellung „Regenbogenpräludium Nocturnal“ mit „Fontana Dachauia“, den Wackelbolls für die Ostdeutsche Galerie und dem „Bücher-Boll“ https://fraenkisches-museum.de/Kunstsommer/ Eine Live Cam ins Historische Museum wurde bereits programmiert und heute Abend 2.12. gibt es zu Musik von OQoO im KfE*, Guerickestraße 71a, Boll-Hype von FreibierCC.