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Film: 20 Tage in Mariupol

Das Grauen des Krieges nach Regensburg in den Hörsaal geholt

Ein ukrainisches Team der Nachrichtenagentur Associated Press dokumentierte den Krieg und das Leid der Zivilbevölkerung in der von russischen Truppen eingeschlossenen Stadt Mariupol vor ihrem Fall. Der oscarprämierte Film „20 Days in Mariupol“ wurde nun an der Uni Regensburg im Rahmen einer Vorlesung von Politik-Professor Stephan Bierling gezeigt und bewegte die Gemüter im Hörsaal. Anschließend standen die Journalistin Julia Dragan und etwas später auch Oleg Golovchenko vom Verein Hromada für Fragen zu Verfügung.

Oleg Golovchenko (Bildmitte) rief zu weiterer Hilfe für die Ukraine auf. Links Professor Stephan Bierling, rechts Julia Dragan. Foto: bvg

Der Film von Mstyslaw Tschernow, veröffentlicht im Jahr 2023, wurde an 20 Tagen in der zunehmend umkämpften Stadt Mariupol nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 gedreht. Die Reporter hefteten sich mit ihrer Kamera an Soldatentrupps. Sie befragten Zivilisten, die zu düsterem Hintergrund-Sound in der Stadt umherirrten oder sich in Kellern und Luftschutzräumen zu verbergen suchten.

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Vor allem aber begleiteten sie Sanitäter und holten das Blut und das Leid von Verwundetentragen und Operationsplätzen mitsamt den trauernden Angehörigen auf den Bildschirm. Insbesondere dokumentierten die Filmemacher den Angriff auf die Geburtsklinik von Mariupol, der durch die westlichen Medien ging, und weitere russische Angriffe auf zivile Ziele, die die Massengräber füllten.

Mit „unglaublichem Mut“ ein Zeitdokument gerettet

Aus einem weiteren Krankenhaus entkamen die Kriegsreporter, kurz bevor es von den Russen eingenommen wurde. Aus der Stadt entwichen sie dann mit dem Auto, mit sie anschließend hundert Kilometer durch von den Russen besetztes Gebiet fuhren. Dabei überstanden sie 15 russische Checkpoints, denen nicht auffiel, dass eine Kameraausrüstung unter den Sitzen versteckt war.

So rettete das Team mit „unglaublichem Mut“ ein seltenes Zeitdokument von hohem historischen Rang für die Welt aus einer belagerten Stadt, resümiert Bierling im Nachgespräch am Dienstag. Im Hörsaal sieht man Studentinnen während der Vorführung am Dienstag nach dem Taschentuch greifen. Bierling meint im Nachgang, der Film stehe für „die bewegendsten 90 Minuten“ in seiner Universitätslaufbahn.

Ein Film, der Gefühle aufwühlt

Dass „20 Days in Mariupol“ keinen wissenschaftlichen Anspruch hat, weil die Einordnung durch Experten fehlt, bemerkt auch Bierling. Er erhofft sich aber dennoch vorab einen Erkenntnisgewinn durch den Film, der Teil einer Vorlesungsreihe zur Einführung in die Internationale Politik war.

Aus den Fragen nach der Vorführung aus dem studentischen Publikum wird jedoch deutlich, dass der Film, der mit Hilfe der Friedrich-Naumann- und Thomas-Dehler-Stiftung präsentiert wurde, eher Gefühle als Erkenntnisse aufwühlt.

„Wut, Verzweiflung und Hass“ habe der Film in ihm erregt, berichtet ein Student, der wissen will, welches die vorherrschende Gefühlslage in der Ukraine sei. Julia Dragan, die ursprünglich aus der Westukraine stammt, mittlerweile in Regensburg lebt und an der Uni als Fotoredakteurin arbeitet, berichtet, dass sich in der Ukraine in der Tat mittlerweile eine tiefe „Müdigkeit“ und Erschöpfung breit gemacht habe.

„Irgendwann kann man nicht mehr wütend sein.“

„Irgendwann kann man nicht mehr weinen, nicht mehr wütend sein“, fasste sie die Folgen der Dauerkonfrontation der Ukrainer mit dem Kriegsleid zusammen. Junge Männer lebten in Angst, eingezogen zu werden, und manche versteckten sich, eine Lösung für den Konflikt wüsste niemand. Zur Lage in der stark russophonen Ostukraine bemerkte sie, dass die Menschen dort der russischen Propaganda viel stärker ausgesetzt seien.

Hält Richtigstellung von Fake-News für wichtig und notwendig: Julia Dragan. Foto: bvg

Aus ihrer Schul- und Studienzeit in der Ukraine kann Dragan sich erinnern, dass der Zweite Weltkrieg im Vergleich zu deutschen Verhältnissen relativ wenig vermittelt wurde, wenn, dann mit der Roten Armee als Befreier, dafür der „Holodomor“, die im Stalinismus initiierte Hungerkatastrophe in der Ukraine, umso intensiver.

Bierling kritisiert „Appeasement-Politik im Quadrat“

Den Maidan 2014 habe sie als Schülerin miterlebt. Viele aus ihrer Gegend seien damals nach Kiew gefahren, ihr Freund sei dort bei Auseinandersetzungen mit prorussischen Kräften verletzt worden. In der nachfolgenden Zeit habe sich angesichts der westlichen „Appeasement-Politik im Quadrat“, wie Bierling es bezeichnet, Hoffnungslosigkeit breit gemacht.

Als Journalistin befragt, wie am besten mit russischer Propaganda umzugehen sei, rechtfertigt Dragan die Blockade russischer Medien, meint aber auch, dass Aufklärung, etwa in Form von Fake-News-Richtigstellung notwendig sei.

Oleg Golovchenko koordiniert mit dem Verein Hromada die humanitäre Ukraine-Hilfe in Regensburg, organisiert aber auch Kundgebungen. Er rechnet sich zu den Russischsprachigen, die zur Ukraine stehen. Er ruft die Menschen in Deutschland zu Zivilcourage und weiterer Hilfe auf: „Jeder kann etwas in die Hand nehmen.“

Von der deutschen Regierung erwartet Golovchenko vor allem Hilfe bei der Bewaffnung, insbesondere Raketenabwehrsysteme und Flugzeuge würden gebraucht, etwa zur Verteidigung der Stadt Charkiw, der ein ähnliches Schicksal wie Mariupol drohen könnte.

Der Film „20 Tage in Mariupol“ (OT: 20 Days in Mariupol) kann noch bis zum 19. Juni in der Mediathek der ARD angesehen werden.

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Kommentare (12)

  • Spartacus

    |

    Großen Respekt vor dem unglaublichen Mut!
    Traurig dass soviele Menschenleben gerettet hätten werden können, hätten USA und NATO damals in der Türkei nicht entschieden die Ukraine zu opfern um Russland militärisch zu schwächen und die heimische Rüstungsindustrie zu fördern!
    Noch trauriger dass die Ukrainer*innen einsehen werden müssen dass Mariupol nie wieder ukrainisches Gebiet sein wird.
    Alles in allem eine unfassbare Tragödie.

  • Günther Herzig

    |

    Was die russischen Mörder dort und an beliebigen weiteren Orten begangen haben und täglich neu begehen, ist hoffentlich geeignet in unserer Gesellschaft zu verankern, wie notwendig die Unterstützung der Ukraine ist. Findet dann zeitgleich eine Diskussion darüber statt, ob die Wehrpflicht wieder eingeführt werden soll, müssten eigentlich die Kritiker dieser Überlegungen verinnerlichen, dass die ukrainischen Soldaten auch jetzt bereits auch für unsere Freiheit kämpfen.

  • Mr. B.

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    Zu Günther Herzig
    13. Juni 2024 um 11:04 | #

    Wie recht Sie haben.

  • Spartacus

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    @„Ich bin Spartacus“

    Und wegen Butscha werden jetzt weitere Hunderttausend geopfert? Denken Sie wirklich es war die Entscheidung der ukrainischen Elite, geschweige denn der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung?

    Oder sind sie tatsächlich so naiv und denken die Ukraine kann diesen Krieg noch „gewinnen“?
    Ja es ist wahnsinnig ungerecht dass Russland diesen Krieg „gewinnen“ wird, aber das ist leider die Realität und jetzt ist es auch viel zu spät für Verhandlungen, der Kriegsverbrecher im Kreml hat keinen Grund mehr zu verhandeln. Die einzigen die im Moment von diesem Krieg profitieren sind westliche und russische Rüstungskonzerne und Energieunternehmen.

    Man sollte endlich die, die an der Front sterben entscheiden lassen ob sie das noch wollen oder nicht!

  • Hthik

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    @Günther Herzig 13. Juni 2024 um 11:04

    “Findet dann zeitgleich eine Diskussion darüber statt, ob die Wehrpflicht wieder eingeführt werden soll, müssten eigentlich die Kritiker dieser Überlegungen verinnerlichen, dass die ukrainischen Soldaten auch jetzt bereits auch für unsere Freiheit kämpfen.”

    Merkwürdige Diktion. Ich ziehe es vor dieser Meinung zu sein, statt es zu “verinnerlichen”, was immer das heißen mag. Eine Meinung, die ich mir aufgrund von Argumenten gebildet habe und die der Revision offen ist, wenn bessere Argumente kommen sollten. Eine Meinung, die falsch sein kann, so wie es meine Meinung war, man hätte das durch die wirtschaftliche Bindung unter anderem durch den Erdgashandel verhindern können.

  • Hthik

    |

    Spartacus 12. Juni 2024 um 20:13

    Abgesehen davon, dass ein Krieg, wenn er nicht ganz ungleich ist, immer ein ökonomisches Gesamtdesaster ist und in diesem Sinne keinen “Gewinn” abwerfen kann, halte ich eine Niederlage für Putin für möglich. Was von der Schwarzmeerflotte noch übrig ist, musste fliehen. Sein Nachschub hängt an zwei dünnen Fäden, der Brücke über den Istmus von Kertsch und einer neuen Bahnlinie, die er durch die besetzten Gebiete baut. Es hängt von allerlei ab, wie den Wahlen in den USA. Glücklicherweise nicht mehr so sehr von der Stimmung von Elon Musk.

    @Spartacus 13. Juni 2024 um 15:17

    “Man sollte endlich die, die an der Front sterben entscheiden lassen ob sie das noch wollen oder nicht!”

    Ich sollte stark ein wie Superman, dann könnte ich das lösen.

    Die regulären Wahlen im März sind ausgefallen, da das Parlament den Kriegszustand verlängert hat.

    Da Putin jetzt das Ergebnis der Stadtbahnwahl kennt, wird er, glaube ich, über die Planung seiner oben genannten Bahnlinie wohl nicht abstimmen lassen.

  • joey

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    “… wenn der Westen im Frühjahr 2022 uns all das geliefert hätte, was er ja jetzt sowieso geliefert hat, zu all dem Geld, dann wäre dieser Krieg im Sommer 2022 schon vorbei gewesen…..” Marina Weisband neulich bei Maischberger. Da hat sie Recht. Inzwischen sind durch außenpolitische Unentschlossenheit viele hunderttausende Männer gestorben – übrigens auch viele “arme Teufel” auf russischer Seite, die rücksichtslos verheizt werden.

    Steinmeier hat 2014 das Minsk Abkommen vermittelt, wo russische Gebietsgewinne (Krim) faktisch anerkannt wurden. Es hat keinen Frieden gebracht, sondern eine Aufrüstungsphase.

  • tom lehner

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    Die Ukraine braucht unsere Unterstützung mehr denn je.

  • tom lehner

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    Was ich noch sagen wollte:

    Mit einem schönen Gruß an Frau Wagenknecht, den bezahlten Putin Freunden der AfD und allen anderen die denken die Ukraine könnte es jetzt aber mal gut sein lassen.

  • RegensburgerIn

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    tom lehner
    Haben Sie auch die ukrainischen Frauen und Mütter gefragt? Sie wollen nicht, dass auch der letzte Sohn fällt. Sie verkaufen alles, damit er aus dem Land ist. nach 2 Jahren geht kaum jemand freiwillig. Irgendwann sind auch die Gefangenen zu Ende.
    Sollen alle ukrainischen Männer (und auch Frauen – Gleichberechtigung!) zurückgeschickt werden?
    Sollen auch unsere Männer (und Frauen!) an die Front?
    Geld und Waffen reichen nicht aus. Man glaubt immer noch, dass unsere Waffen nur die bösen Russen töten. Ukraine verheimlicht wieviel Männer sie schon verloren haben! Das Volk will nicht mehr. Immer mehr Ukrainer sagen: Egal, hauptsache es hört auf! Über Patriotismus wird nur im Westen gesprochen, nicht in der Ukraine.
    Der Krieg ist schrecklich.

    https://www.youtube.com/watch?v=k2ZnqcAitMo

    Und nein, ich bin nicht für Putin. Aber es sterben viel zu viel Menschen.

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drin