Corona – „Brennglas auf katastrophale Missstände“
Bereits im Juni hatte die Linken-Bundestagsabgeordnete Eva-Maria Schreiber vorgehabt, das Regensburger Ankerzentrum und die Gemeinschaftsunterkunft in der Dieselstraße zu besuchen und sich über die dortige Situation zu informieren. Doch aus Infektionsschutzgründen gab die Regierung der Oberpfalz erst für diesen Montag grünes Licht.
Corona habe gezeigt, dass die bestehende Praxis der Abschiebelager beendet und geflüchtete Menschen sicher und menschenwürdig untergebracht werden müssten, so die Bundestagsabgeordnete Eva-Maria Schreiber am Montagabend bei einer Pressekonferenz der Regensburger Linkspartei. Hintergrund war ihr Besuch im Ankerzentrum Regensburg und der Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Geflüchtete in der Dieselstraße.
Bereits nach dem Corona-Ausbruch Ende Mai in der GU hatte Schreiber versprochen, so bald wie möglich persönlich vorbeizukommen. Doch erst jetzt gab auch die Regierung der Oberpfalz grünes Licht. Man könne unter den aktuellen Hygienebedingungen einen Besuch nicht gewährleisten hatte es bisher von Seiten des Bezirks geheißen.
„Leider hat sich nichts geändert”
„Leider hat sich seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren wenig zum Positiven geändert“, stellt Schreiber dann am Abend fest. Die bestehende Unterbringungspraxis der Massenunterkünfte bedeute Isolation, fehlende Privatsphäre und ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko. „Da betroffene Einrichtungen im Infektionsfall meist komplett unter Quarantäne gestellt werden, sind die Bewohnerinnen und Bewohner dann einem deutlich erhöhten Risiko ausgesetzt.“ Das falle den Verantwortlichen nun in der Pandemie besonders auf die Füße, wie die Massenausbrüche im Mai gezeigt hätten. Damals wurde die GU in der Dieselstraße und ein Teil des Ankerzentrums vorübergehend komplett unter Quarantäne gestellt.
Bei den derzeit auch in Regensburg wieder ansteigenden Infektionszahlen sei der nächste Ausbruch „nur eine Frage der Zeit“, betonte auch Michael Waffler vom Bündnis gegen Abschiebelager. Wie auf engstem Raum in gemeinsam genutzten sanitären Einrichtungen und Küchen vorgeschriebene Abstände eingehalten werden sollen „ist mir völlig schleierhaft“, so Waffler. „Nicht umsonst empfehlen das Robert-Koch-Institut und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Bielefeld die Einzelunterbringung.“
Fehlende Kapazitäten oder mangelnder Wille?
Die fordern auch Flüchtlingsorganisationen wie BI Asyl oder die Seebrücke Regensburg, die ebenfalls an der Pressekonferenz teilnehmen. Laut Schreiber habe die Regierung der Oberpfalz während der Besichtigung erklärt, man habe kaum Kapazitäten, alle Geflüchteten im Zuständigkeitsbereich entsprechend unterzubringen. Bereits im Juli hatte Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer bei einer Stadtratsdebatte hingegen ausgeführt, dass der Bezirk bisher keinen Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten angemeldet habe. Die Bundestagsabgeordnete sieht daher eher einen fehlenden Willen der Verantwortlichen.
Auch die 30 neuen Wohnungen in der Benzstraße für Flüchtlinge mit positivem Aufenthaltsbescheid könnten kaum Abhilfe für das Problem schaffen. „Die Unterbringung von Geflüchteten muss generell und unabhängig ihres Aufenthaltsstatus dezentraler organisiert werden“, fasst Schreiber ihre Forderung zusammen. Sie werde sich weiterhin des Themas annehmen und versuchen, mit der Regierung der Oberpfalz im Gespräch zu bleiben.
Niemand darf zurück gelassen werden
Bereits am 16. September hatte die Linkenpolitikerin zu einem Videochat unter dem Motto „Leave no one behind“ eingeladen. Im Gespräch mit der Bundesbeauftragten für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe Dr. Bärbel Kofler (SPD), Dr. Andreas Wulf von Medico International und weiteren Teilnehmern versuchte Schreiber auf die weltweit bestehenden sozialen Verwerfungen und Fluchtursachen zu blicken. „Corona hat wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht, wo es überall katastrophale Missstände gibt.“ Ob Flucht, die katastrophalen Zustände für Erntehelfer in Deutschland oder der Skandal um Tönnies. Weltweit würden viele Menschen immer weiter abgehängt werden.
Mit der Kampagne „#LeaveNoOneBehind“ versuchen seit April zahlreiche Organisationen genau auf dieses Thema den Blick zu richten. Es sei eine „politische Erklärung gewesen, niemanden zurück zu lassen“, so Schreiber am vergangenen Mittwoch. Im Gespräch mit den Teilnehmenden ging es in der Folge insbesondere um die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Bereits 2015 wurden diese 17 Nachhaltigkeitsziele – sie sind eine Art Weiterführung der UN-Milleniumsziele – beschlossen und mit der Agenda 2030 als neue Leitlinie verabschiedet. Die 17 SDGs sollen laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstmals alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Soziales, Umwelt, Wirtschaft – gleichermaßen berücksichtigen.
17 Ziele für eine bessere Welt – irgendwann
Wie Bärbel Kofler gegenüber Schreiber jedoch erklärte zeige sich allein schon beim Thema Flucht, wie weit man den Zielen hinterherhinke. „Die Situation von Geflüchteten hängt ganz klar mit der Agenda 2030 zusammen. Dort heißt es ja unter anderem, dass es ein Leitgedanke ist, Flucht zu erleichtern. Doch die Umsetzung wird nicht angegangen.“ Vor dem Hintergrund der derzeitigen Lage in den griechischen Lagern fordert die Menschenrechtsbeauftragte eine sofortige Aufnahme der Hilfesuchenden. Gleichzeitig brauche es natürlich auch eine europäische Regelung, um solche humanitären Katastrophen in Zukunft gar nicht erst entstehen zu lassen.
Die Nachhaltigkeitsziele spielten hier insofern eine Rolle, als dass sie langfristig für stabile Wirtschaftsbeziehungen und Wertschöpfungsketten vor Ort sorgen sollen. Damit könnten in der Folge auch stabilere soziale Verhältnisse für die Menschen realisiert werden. So zumindest die Theorie. „Humanitäre Hilfe kann immer nur reparieren. Wir sollten aber verhindern, dass Menschen fliehen müssen, dass es zu Kriegen kommt und zu Hunger und Elend“, so Kofler weiter.
Nachhaltigkeit bedeutet auch globale soziale Gerechtigkeit
Die Nachhaltigkeitsziele seien dabei nicht allein für Länder des globalen Südens gedacht. „Auch in Deutschland haben wir eine gravierende soziale Schieflage und Ungleichgewichte. Und auch hier soll die Agenda 2030 eigentlich greifen.“ Doch bisher habe es die Debatte nicht in eine breitere Öffentlichkeit geschafft und noch keine größere Wirkung entfalten können. „Wir müssen den Menschen den Zusammenhang zwischen ihrem Alltag und persönlichem Leben und den Zielen erklären. Wir alle stehen schließlich damit in Verbindung. Nachhaltigkeit ist ein globales Thema und steht im Mittelpunkt aller heutiger Überlegungen“, so Kofler weiter. Das gelte für Arbeitsbedingungen genau so wie für die Energiethematik.
Wie Dr. Andreas Wulf von Medico ergänzt, könne keines der 17 Ziele allein erreicht werden. „Es ist ein klares Zusammenspiel. Wenn wir zum Beispiel die Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen wollen, dann müssen wir im Bereich der Arbeit genauso tätig werden wie beim Thema Flucht und Migration.“ Die Bundesregierung verstecke sich seiner Meinung nach leider viel zu oft hinter der Suche einer europäischen Lösung. „Die deutsche Ratspräsidentschaft steht klar in der Pflicht, endlich Schritte nach vorne zu machen.“ Die Brände auf Moria und die soziale Kluft in den jeweiligen Staaten und weltweit müssten jetzt angegangen werden.
Verwundert
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Einzelunterbringung wäre auch gut in Alters- und Pflegeheimen.
Nach einer Lebensleistung im Mehrbettzimmer leben zu müssen ist eine Schande für die hier schon länger lebenden.
Wolfgang Reuschl
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Kommentar gelöscht. Sparen Sie sich abseitige Provokationen.
Wolfgang Reuschl
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Hthik
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@Verwundert 23. September 2020 um 13:51
“Einzelunterbringung wäre auch gut in Alters- und Pflegeheimen.”
Danke. Das ist völlig richtig und man muss sich eigentlich wundern, warum das nicht geändert wird und es keinen nennenswerten Protest gibt. Es wird wohl am “War schon immer so und außerdem ist mir das Nachdenken darüber unangenehm”-Effekt liegen. Dieser blockiert die Fähigkeit der 90% ihre Interessen zu erkennen und sich zu verbünden, um sie gegen die 10% zu verteidigen.
Ich bin sehr beeindruckt von Menschen wie Fussek https://de.wikipedia.org/wiki/Claus_Fussek und Graser https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/01/rk20160111_1bvr298014.html , aber die Wirkung ist nicht annähernd, was man nach der sachlichen Fundiertheit von deren Argumenten erwarten würde.
Wolfgang Reuschl@
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Kommentar gelöscht. Nutzer gesperrt.
Lagerbesuch – Bündnis gegen Abschiebelager Regensburg
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