Chet is (not) back
Ein biographischer Drogenfilm mit ein bisschen Borderliner-Liebe und den gesammelten Klischees der Musikerbiographien der letzten zwanzig Jahre feiert am morgigen Donnerstag Premiere: Born to Be Blue.
Eine zartes Bürschchen vor einem Notenständer – sehr amerikanisch, mit südstaatlichem Kinn. Es singt vor allem von der verlorenen Liebe oder einer die es sowieso nie zu finden gibt. Vierzehn Lieder finden sich auf der ikonischen „Chet Baker Sings“, der ersten Vokal-Platte des Trompeters, die ihn Mitte der 1950er-Jahre, mit erst 24 Jahren in die Annalen des Jazz aufnehmen sollte.
Die Schönheit dieser Aufnahmen ist textlich schwer begreiflich zu machen, liegt sie doch in der unnachahmlichen, glasklaren Stimme und dem ebenso schnörkellosen Spiel des jungen Chet Baker. Er macht die Tragödie seiner Gefühlswelt zur Beiläufigkeit – vermeintlich federleichte Aufzugmusik – und die chronische Beiläufigkeit zur großen Tragik seiner Gefühlswelt.
„My heart should be well-schooled ’
Cause I’ve been fooled in the past
But still I fall in love so easily
I fall in love too fast.“
Lakonische Liebeslieder eines Mitt-Zwanzigers. Textlich ist das alles banal und geschrieben hat er es niemals selbst, wie er auch im Film zugibt. Doch was macht das schon, wenn diese überlebensgroße Figur den Mund aufmacht. Der Teenie-Schwarm, der sich innerhalb weniger Jahrzehnte an jeder erdenklichen Droge und vor allem dem Heroin zugrunde richtet. Der, der das Trompetespielen neu erlernen muss, weil ihm Gewalt und wieder das Gift die Zähne verderben.
„They’re writing songs of love, but not for me.
A lucky star’s above, but not for me.
With love to lead the way I’ve found more clouds of grey
Than any Russain play could guarantee.“
Da fragt ihn seine Filmfrau, die als Film im Film versteckt kommt, einmal, wieso er denn der Süchtige sei, der er ist. Ob ihn seine Eltern nicht lieb gehabt hätten, fügt sie spöttisch an. Und die Antwort kommt: „Ich bin einfach gerne high!“ – was ihm zurecht niemand glaubt. Ein Besuch in den Erinnerungen an die Kindheit, des aus dem Kiefer Blutenden, sieht grau und trüb aus. Der Vater verhöhnt seinen Sprössling, der ihm als zu weich, zu feminin, zu lotterlich daherkommt. Zwischen Maisfeldern und den Heubetten seiner Jugend, findet Baker trotzdem die Musik erneut und tauscht bald schon die Trompete gegen das Flügelhorn ein.
„Long ago my heart and mind
Got together and designed
The wonderful girl for me
Oh what a fantasy“
Wie muss das sein, wenn man den neuen Partner genauso aussehen lässt wie den alten? Die Freunde des Musikers erkennen in seiner Liaison die geschiedene Ehefrau wieder. Symbiotisch ist er mit dieser genauso wie mit seinen synthetischen Süchten vereint. Sie wird vom One-Night-Stand zur Ehefrau, zur Managerin, zur ständigen Begleiterin. In den schwärzesten Zeiten sitzt sie im Publikum, als er in Burger-Cafés in der gottverlassenen Provinz spielt und sich von Teenage-Girlies in Liebesumschlägen Heroin zustecken lässt. Er muss ertragen – sie noch viel mehr.
„Don’t change a hair for me
Not if you care for me
Stay, little valentine, stay
Each day is Valentine’s Day.“
Und er kommt zurück. In der spannendsten Szene ist er hin- und hergerissen zwischen Entzug, der Lust am Rausch und der simplen Notwendigkeit eines Geistes der sonst nicht arbeitsfähig sein will. Im Birdland, der Pilgerstätte des Jazz, dem Lourdes des Hardbop, steht und lehnt er dann mit dem Nimbusschein ums Haupt. Man mag ihn selbst hören, aber bitte nicht Ethan Hawke und fühlt sich kurz negativ erinnert an die sich ständig wiederholenden Inkarnationen von Jesusen im Popmusik-Legenden-Film. Johnny Cash, Ray Charles, Jim Morrison, Ian Curtis – die singenden Körperdoubles sollten im Allgemeinen lieber den Mund halten, wenn die Ikonenmalerei sich bereits selbst genug ist.
„Look for the silver lining
Whenever a cloud appears in the blue
Remember, somewhere the sun is shining
And so the right thing to do is make it shine for you.“
Ob die Sonne dann wieder scheint, das ist das Schöne am Film, bleibt dem Zuschauer selbst überlassen. Die Schlussmeldung, dass Chet Baker sein Leben lang süchtig geblieben ist, bleibt zumindest wertfrei. Was ist „Born to Be Blue“ also? Ein biographischer Drogenfilm mit ein bisschen Borderliner-Liebe und den gesammelten Klischees der Musikerbiographien der letzten zwanzig Jahre. Insgesamt aber einfühlsam, sich nicht ganz in historischer Verzerrung und mimischem Kopismus verlierend. Vielleicht ein Film zum kuscheln. Wer wirklich Interesse an Chet Baker hat, sollte lieber Bruce Webers Let’s Get Lost (1988) anschauen und sich zauberhaft desillusionieren lassen. Oder man legt sich die abgespielte Originalpressung von „Chet Baker Sings“auf den Plattenteller, macht die Augen zu und träumt vom Silberstreif am Horizont – das wäre die Empfehlung.
„There will be other songs to sing
Another fall, another spring
But there will never ever be
Another you.“
3 Flamingos von 5
Chat Becker
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Problem des Films ist doch, dass er die Biografie einer real existierenden Person komplett fiktionalisiert. Nur die Eckpunkte Bakers Leben dienen als Basis für eine neu erfundene Geschichte. Die Klischees und die aufgesetzte “Blueness” des Streifens wär ja erträglich, wenn man als Fan wenigstens eine gut recherchierte und auf Authentizität bedachte Story serviert bekäme. Dieser Film ist Corporate Hollywood Bullshit.
Empfohlen sei aber die hervorragende Doku “Let’s get lost”, welche ein genaueres Bild zeichnet.