Buchbergers seelische Gleichschaltung des ganzen deutschen Volkes
Vor 90 Jahren wurde Michael Buchberger ins Bischofsamt gehoben. Wie kaum ein zweiter Kirchenhierarch hat Buchberger den Nationalsozialismus begrüßt. Da Buchbergers zweideutiges Verhältnis zum Nationalsozialismus, seine bedenklichen Wortmeldungen und antisemitischen Werke bislang nicht untersucht worden sind, sollen in einer vierteiligen Aufsatzserie wesentliche Aspekte dieser stadtgeschichtlich relevanten Zusammenhänge skizziert werden. Zweiter Teil unserer Serie.
Nachdem im ersten Teil anhand seiner Schrift Gibt es noch eine Rettung? von 1931 Buchbergers unbedingte Feindschaft gegenüber allen sozialistischen und liberalen Ansätzen, seine nur bedingte Ablehnung des Nationalsozialismus und der von ihm propagierte christliche Antisemitismus aufgezeigt wurden, soll nun sein Verhalten bis zum Kriegsbeginn skizziert werden. Hirtenworte, Briefe, kirchliche Amts- und Sonntagsblätter werden dafür herangezogen. Doch zunächst zur politischen Entwicklung in die Diktatur und den Vorgängen in Regensburg.
Weg in die Zustimmungsdiktatur
“Mit Gott für Deutschland”
Die politische Lage in der Weimarer Republik verschärfte sich, als die NSDAP in den beiden Reichstagswahlen von 1932 die relative Mehrheit der Stimmen errang. Nach mehreren Kabinettsumbildungen wurde Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt. Bis zur Wahl am 5. März regierte er mit Notverordnungen. Aus dieser ging die NSDAP mit 43,9 Prozent als Wahlsieger hervor. Mit dem rechtswidrigen Ausschluss der gewählten Mandate für die KPD erreichte die NSDAP die absolute Mehrheit im Reichstag.
Für den letzten legalen Schritt in die Diktatur, die Verabschiedung des sogenannten „Ermächtigungsgesetzes“, war aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Reichstag notwendig. Eine solche konnte die NSDAP nur mit der Zustimmung der katholischen Parteien erreichen, da die Sozialdemokraten ihre verweigerten. So kam es, dass das Zentrum und die BVP am 24. März für das „Ermächtigungsgesetzes“ votierten, das die Regierung Hitlers mit allen gesetzgebenden und diktatorischen Befugnissen ausstatte. Die Zentrumspartei erklärte damals, sie wolle auch früheren Gegnern die Hand reichen, „um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu sichern.“ Parallel zum Ermächtigungsgesetz nahm Vizekanzler von Papen die Verhandlungen für ein Reichskonkordat zwischen Deutschland und dem Vatikan auf. Am 20. Juli wurde der Vertrag in Rom ratifiziert und bereits etwa zwei Wochen zuvor hatten sich die BVP (4. Juli) und die Zentrumspartei (5. Juli) selbst aufgelöst.
Irritationen wegen Kurswechsel der BVP
An der katholischen Basis in Bayern kam es wegen der Zustimmung der BVP zum Ermächtigungsgesetz zu starken Irritationen. Denn bis zuletzt riefen Bischöfe und Kleriker dazu auf, die BVP zu wählen, um den Nationalsozialismus zu verhindern. Im Regensburger Sonntagsblatt – Wochenschrift für das Bistum Regensburg von Februar 1933 heißt es noch: „Geht vollzählig zur Wahl!“ Es gehe um eine „grundstürzende Reichs- und Verfassungsreform“ und „diesmal mehr als je um Bayerns Selbständigkeit“. Nur christliche Grundsätze würden „eine Gesundung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ ermöglichen. „Darum, Katholiken schließt die Reihen! Gebt eure Stimme am 5. März der Bayerischen Volkspartei!“
Nach der Wahl jedoch hatte die BVP weder die Selbständigkeit Bayerns verteidigt, noch den politischen Wählerauftrag für eine christliche Reform wahrgenommen, sondern Hitler zum Diktator ermächtigt. So auch der Regensburger BVP-Reichstagsabgeordnete Hans Herrmann, der damals Mitglied der von Buchberger aufgerufenen „Katholischen Aktion“ gewesen war und später zum Nazi-Bürgermeister arrivierte.
Regensburger Sonntagsblatt – Buchbergers Wochenschrift
Das Sonntagsblatt wurde seit 1926 vom Domkapitular und Vorsitzenden des Diözesan-Caritasverbands Regensburg, dem Domkapitular Dr. Robert Reichenberger, herausgegeben. Es galt als Unterhaltungsblatt für Katholiken, das neben einer religiösen Titelstory aus einer Nachrichtenseite, religiösen Erbauungstexten und Fortsetzungsromanen aus mehreren Seiten Werbung bestand. Vor wie nach der Ermächtigung Hitlers von März 1933 konnte man darin etwa auch die Fortsetzungsgeschichten des rechtsradikalen Heimatdichters und späteren Chefredakteurs des „Altöttinger Liebfrauenboten“ Franz Schrönghamer lesen, der bereits 1919 die Hetzschrift „Judas der Weltfeind. Was jeder über die Juden wissen muß: die Judenfrage als Menschheitsfrage und ihre Lösung im Lichte der Wahrheit“ publizierte.
Während die Berichte im Sonntagsblatt vor der Reichstagswahl vom März 1933 hinsichtlich der Nationalsozialisten analytisch distanziert, teils despektierlich ausfielen und man den Huldigungsbegriff der Nazis, „Führer“, nur in Anführungsstrichen benutzen wollte, befürwortete man den nationalen Aufbruch nach der Wahl umso mehr. Schriftleiter der Wochenschrift war durchgehend Ludwig Hämmerle, der 1945 nach einem kurzen Schreibverbot durch die Amerikanische Militärregierung bei der Mittelbayerischen Zeitung unterkam.
Die oberhirtliche Gesamtverantwortung für das sechzehnseitige Sonntagsblatt trug jedoch, wie für alle kirchlichen Publikationen, der Bischof. Die Wochenschrift lag indes ganz auf der Linie von Michael Buchberger. Insbesondere hinsichtlich seiner aggressiven Haltung gegen Liberale, SPD und KPD, deren Verfolgung unmittelbar nach dem Wahlerfolg einsetzte.
Sonntagsblatt will Kommunismus wirklich ausrotten
Wie Helmut Halter in seiner Untersuchung „Stadt unterm Hakenkreuz“ schreibt, wurden gleich am Morgen nach der Wahl vom 5. März die ersten Regensburger KPD-Mitglieder verhaftet und im Straubinger Zuchthaus inhaftiert. Ende des Monats stieg die Zahl der Inhaftierten KPD- und SPD-Funktionäre auf 70, die meisten davon wurden im am 22. März in Dachau errichteten Konzentrationslager als „Schutzhäftlinge“ festgehalten.
Schon am 12. März begrüßte das Sonntagsblatt die Verhaftung der Kommunisten und forderte zur Bewältigung der „bolschewistischen Gefahr“ weitere Maßnahmen. Es brauche „eine geschlossene und einige Front aller aufbauwilligen Kräfte“ aus allen Parteien, um „den Kommunismus in Deutschland wirklich auszurotten“. Dazu gehöre in erster Linie „eine Neuordnung der Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse auf dem Boden praktischen Christentums.“ Den deutschen Katholiken falle bei der Mitarbeit im Staate „eine besonders wichtige Aufgabe“ zu.
Jahre später ging es dem Sonntagsblatt um nichts weniger als die Rettung der ganzen Welt, wozu das national und religiös erweckte Deutschland erwählt sei. In der Titelstory vom 10. Oktober 1937 heißt es unter der Überschrift „Der Todfeind Gottes“, der Russe Lenin, habe vor 20 Jahren „dem lieben Gott den Krieg erklärt“, die Bolschewisten würden die „Entgottung der Welt“ und den „Atheismus durch ganz Europa und durch die Welt tragen“ wollen“. Ihnen gehe es „wie den Juden von damals: kaum hat man Christus getötet, da lebt er schon wieder.“
Gott habe aber noch nicht eingegriffen, er lasse Lenin und Stalin „einen Augenblick“ gewähren, „wir warten vergebens auf Zeichen und Wunder“. Man dürfe den Bolschewismus weder über- noch unterschätzen, Völker und Erdteile könnten „von seinem Gift angesteckt werden“, um das zu verhindern, brauche es „die entschlossene Abwehr des Staates“. Das neue Deutschland habe „der Welt ein Beispiel gegeben“, die „nationale und religiöse Wiedererweckung des Volkes“ würde aber zur Immunisierung gegen dieses Gift gebraucht. Wer den Bolschewismus am meisten hasse, müsse „Feldherr der Völker im Kampf gegen den Todfeind Gottes sein – Christus. Stalin wird sterben; Christus aber wird leben.“
Die Bekämpfung des Kommunismus verband die Katholische Kirche bis zuletzt mit dem Nationalsozialismus.
Regensburg und sein antijüdischer Eifer
Gleich nach seinem Amtsantritt vom 20. März ordnete der Nazi-Bürgermeister Otto Schottenheim an, jüdische Geschäfte zu boykottieren. Kurz darauf wurden die erste Juden von der SA verschleppt und inhaftiert, so der jüdische Viehhändler Samuel Mann und oder der zum Christentum konvertierte Moritz Engländer. Am 30. März verschleppte die Regensburger SA über 100 jüdische Männer und vier Jüdinnen in die Augustenburg und sperren sie in „Schutzhaft“. Die allermeisten kamen am nächsten Tag wieder frei, einzelne blieben jedoch bis zu sechs Monate inhaftiert, wie etwa der Rechtsanwalt und Vorstand der jüdischen Gemeinde Fritz Oettinger.
Tags darauf forderte ein Demonstrationszug mit Nazis und christlichen Handwerkerinnungen die Stadtbevölkerung (90,8 Prozent Katholiken, 8,2 Prozent Protestanten) auf, sich von jüdischen Geschäften, Anwälten und Ärzten zu fern halten. Auch die Parole des bereits erwähnten Historikers Treitschke war auf Plakaten zu lesen: „Die Juden sind unserer Unglück!“
Die von Judenhass und Antisemitismus diverser Spielarten angetriebenen Ereignisse in Regensburg zeugten von außergewöhnlichem Eifer. Es dürfte im ganzen Nazireich keine weitere Stadt gegeben haben, in der bereits Ende März 1933 fast alle erwachsenen jüdischen Familien- und Geschäftsvorstände willkürlich inhaftiert werden konnten, ohne dass es nennenswerte Proteste aus der Stadtgesellschaft gegeben hätte. Der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April verlief in Regensburg nach außen hin ruhig, wohl geordnet und ohne öffentlich sichtbare Gewalttätigkeiten. Während die Druckerei der sozialdemokratischen Zeitung „Volkswacht“ bereits am 10. März 1933 zerstört worden war, verurteilte die offiziell noch nicht „gleichgeschaltete“ Tagespresse die Ereignisse nicht. Buchbergers Regensburger Sonntagsblatt hingegen begrüßte die Übergriffe und stand der antisemitischen Hetze der Nazis in Nichts nach.
Sonntagsblatt mit Fake-News im NS-Jargon
In der Ausgabe vom 9. April 1933 berichtete das Sonntagsblatt nicht über die Regensburger Vorfälle, sondern nur über die angeblichen Hintergründe des reichsweiten Boykotts der jüdischen Geschäfte. Unter der alles verdrehenden Überschrift „Greuelpropaganda im Ausland – Deutschlands Antwort und Abwehr“ stellte man die Ereignisse kontrafaktisch als Reaktion auf die vorgebliche Hetze von ausländischen sozialistischen Zeitungen dar, die in blutrünstigen Meldungen über angebliche Greuel „an Angehörigen der jüdischen Rasse“ in Deutschland berichtet hätten. Da das deutsche Volk „schon einmal, während des Weltkriegs“ Greuelpropaganda und ihre satanische Wirkung verspürt habe, seien Regierungsstellen dieser „sofort mit aller Entschiedenheit“ entgegen getreten, woraufhin die ernsthaftere englische und amerikanische Presse von der Deutschenhetze abgerückt sei. Gewisse Kreise aber hätten ihre „haßvollen Verdächtigungen“ verdoppelt und zum Boykott deutscher Waren und Geschäfte aufgerufen.
Unschwer zu erkennen: Das Sonntagsblatt vertrat die offizielle, aber kontrafaktische Position der NS-Regierung voll und ganz. Indes ließ es sich Buchbergers Wochenschrift nicht nehmen, die amtliche antisemitische Hetzpropaganda noch grell auszumalen und bereits emigrierte Juden ins Spiel zu bringen. Als hauptsächlich treibende Kräfte der angeblichen „Deutschenhetze“ nennt das Sonntagsblatt: „sogenannte jüdische Intellektuelle, Schriftsteller usw., denen der Boden in Deutschland zu heiß geworden ist.“ Trotz aller Richtigstellungen wäre „der haßvolle Verleumdungsfeldzug gegen Deutschland“ jedoch weiter gegangen, wobei sich „die polnische jüdische Presse stark hervorgetan“ hätte. „Als Antwort und Abwehr dieser Hetze“ hätte sich in ganz Deutschland eine Bewegung gebildet, „die einen planmäßigen Boykott jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte“ durchführe.
An der Spitze dieser schlagartigen deutschlandlandweiten Bewegung stehe der nationalsozialistische Abgeordnete Streicher. Von der Parteileitung eingesetzte örtliche Aktionskomitees seien dafür verantwortlich, „daß der ganze Abwehrkampf sich in vollster Ruhe und größter Disziplin“ vollziehe.
Der „Abwehrkampf“ hat also noch angedauert, als Regensburger Katholiken den auf der Linie des NS-Regimes liegenden Propagandabericht des Sonntagsblattes vom 9. April lesen konnten.
Buchberger für die Volksgemeinschaft und gegen Juden
Doch wie äußerte sich der Regensburger Bischof Buchberger persönlich zum Aprilboykott 1933? Buchberger drückte sich öffentlich etwas vorsichtiger aus, wie die Katholizismusforscherin Antonia Leugers aufzeigt. Buchbergers Reaktion auf den Aprilboykott sei, so Leugers in ihrem Aufsatz „Die deutschen Bischöfe und der Nationalsozialismus“ (S. 51), angesichts seiner Schrift „Gibt es eine Rettung?“ von 1931 als wenig erstaunlich und folgerichtig zu bezeichnen. Buchberger habe den Boykott der jüdischen Geschäfte „auch im Nachhinein noch zu würdigen“ gewusst.
Im von ihm verfassten Hirtenwort der bayerischen Bischöfe von Anfang Mai 1933 meinte Buchberger, die Staatsregierung könne nicht
„tatenlos zusehen, wenn einige wenige wirtschaftlich starke Kräfte immer weiter Wirtschaft und Handel fast für sich allein in Beschlag nehmen und die Schwächeren vollständig erdrücken. Es ist durchaus im Sinne des Wirtschaftsprogramms unseres Hl. Vaters, wenn die Staatsregierung die Volksgemeinschaft vor völliger Vermachtung durch einzelne Kreises schützt, und wenn sie auch die Handhabung des Rechts auf Sondereigentum abstimmt auf die Erfordernisse des Gemeinwohls.“
Bischof Buchberger, der schon um 1931 einen christlichen Antisemitismus propagiert und von „gerechter Notwehr“ gegen ein übermächtiges „jüdisches Kapital“ gesprochen hatte, konnte sich mit dem Aprilboykott gegen Juden bestätigt sehen.
Buchberger gegen Seuchenherde in Berlin
In seinem Brief an den Münchner Kardinal Michael Faulhaber vom 6. April 1933 legte Buchberger gegenüber seinem Duzfreund seine damaligen Positionen unverblümt dar. Demnach sollten die bayerischen Bischöfe in einer Denkschrift die Mitarbeit an der Erneuerung des nationalen Staates anbieten und dabei ihre Forderungen freimütig stellen:
„Keinerlei staatliche Eingriffe in die Rechte, in die Ordnungen und in die Zuständigkeiten der Kirche, unbedingte Heiligkeit des natürlichen und positiven Rechts, namentlich des Eigentumsrechtes, keine gewalttätige Unterdrückung und Vergewaltigung unserer katholischen Vereine, keine politische Entrechtung Andersdenkender, solange sie auf vaterländischem Boden stehen.“
Diese Zusammenfassung stellt Buchbergers kirchenpolitisches Credo dar, das er die folgenden Jahre immer wieder anstimmen wird. An die internierten und verprügelten Regensburger Sozialdemokraten, Sozialisten und Juden dachte Buchberger dabei offenbar nicht.
Die katholischen Schulen seien durchs Konkordat gesichert, glaubte Buchberger damals noch in völliger Verkennung der Situation. Über die Schüler, Jugend und Studenten machte er sich aber Sorgen, ein Drittel sei schon umgefallen oder wankend – also ins braune Lager gewechselt oder kurz davor. Indes verspürte der Regensburger Bischof offenbar, dass seine alte Führungsposition gerade zerbröselt und eine im neuen nationalsozialistischen Staat keineswegs gesichert ist.
Obwohl der Nationalsozialismus durch das Vorgehen seiner untergeordneter Stellen viel Enttäuschung und Verbitterung geschaffen habe, sehen laut Buchberger „viele Gutgesinnte noch heute in ihm einen mutigen Vorkämpfer gegen Bolschewismus, gegen eine Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit, die alle Dämme zu durchbrechen drohte.“ Die Politik der Zentrumspartei in der gerade untergegangen Weimarer Republik hingegen enttäuschte ihn. Obgleich das Zentrum zuletzt in der Berliner Regierung saß, hätten „die Gottlosen sich alles erlauben dürfen“ und die Sittenlosigkeit und Schamlosigkeit wäre mit einer geradezu unerhörten Frechheit aufgetreten. Buchberger:
„Daß der Nationalsozialismus in diese Seuchenherde hineingegriffen hat, das hat ihm viel Sympathie beim Volk eingebracht und verdient auch wirklich Dank.“
Was die Zentrum-Partei schändlich versäumt habe, korrigierte also endlich die NSDAP, so Buchberger voll der Anerkennung gegenüber den neuen Machthabern. Aus heutiger Sicht verwundert es nicht, dass sich die katholische Jugend von ihrem (mutlosen) Hirten und seinen Vereinen weitgehend ab- und den Verbänden der braunen „mutigen Vorkämpfern“ zugewandt hat. Das Beispiel Regensburger Domchor macht diese Entwicklung deutlich: Ein Jahr nach dem Boykott, im April 1934, sollen bereits rund 90 Prozent der Zöglinge der Domspatzen in der Hitlerjugend organisiert gewesen sein, obwohl dazu noch keine Verpflichtung bestand.
Seelsorge im von Gott gegeben NS-Staat
Doch nicht nur der Regensburger Bischof ging auf die neuen braunen Herren zu. Nachdem Reichskanzler Hitler in seiner Regierungserklärung vom 23. März in den „beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums“ gesehen und vorgegeben hatte, die bestehenden Verträge und Kirchenrechte zu respektieren, erklärten die deutschen Bischöfe am 28. März, dass die „allgemeinen Verbote und Warnungen“ gegen die Nationalsozialisten nicht mehr notwendig seien. Auf der katholischen Sitten- und Glaubenslehre und der Kritik bei einer Abweichung von derselben beharrte man allerdings. Da die römisch-katholische Lehre jede staatliche Ordnung als von Gott gegeben betrachtete, kamen die Bischöfe aufgrund ihres Selbstverständnisse zunächst nicht umhin, auch das NS-Regime als solches zu achten und anzuerkennen, zumal es mit Hilfe der katholischen Parteien im Grunde legal an die Macht gekommen war.
Die braunen Machthaber gingen bald aber auch gegen missliebige christliche Beamte, Katholiken und Geistliche vor. Da Mitte April 1933 laut Sonntagblatt etwa 5.400 Personen in sogenannter Schutzhaft festgehalten wurden, regten die bayerischen Bischöfe beim kommissarischen Ministerpräsidenten von Epp (erfolgreich) an, „für die großen Konzentrationslager der politischen Gefangenen die Einrichtung einer Seelsorge“ zu gestatten.
Bischof Buchberger drängte am 1. April darauf, katholische Gefangene vor Ostern freizulassen, da „für alle Katholiken die Osterpflicht“ bestehe. Weiter regte er an, darum zu bitten, „daß jene Männer, die jederzeit ihre Pflicht gegen Volk und Vaterland treu erfüllt haben und jetzt nur aus politischen Gründen ihrer Stellung beraubt wurden“, wieder in ihre Ämter eingesetzt würden.
Buchberger: für eine harmonische Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche
Nachdem Ende Juni etwa 20 katholische Geistliche festgenommen wurden, fasste Buchberger sich Anfang Juli ein Herz und schrieb an Adolf Hitler direkt. Da er nirgends Auskunft erhalten hätte, wende er sich an Herrn Reichskanzler persönlich (eine Antwort ist nicht überliefert).
Buchberger beklagte die Umstände der Verhaftung und die „besondere Härte“, die darin bestehe, dass ohne diese Priester keine Gottesdienste möglich wären. Die Verhafteten seien treue Kriegsteilnehmer und opferwillige Geistliche, „die Opfer der Abneigung und des Hasses von Kreisen“ geworden seien, die „bis von kurzem nicht einmal national gesinnt“ gewesen seien. Darüber hinaus bat der Bischof den Reichskanzler, den er wie einen gleichrangigen Bischof mit „Ew. Excellenz“ anredet, um die Freilassung der Ende Juni 1933 verhafteten aktiven BVP-Mitglieder und BVP-Funktionäre. In Anbetracht von aufgelösten und ausgeraubten katholischen Vereinen bittet Buchberger „Ew. Excellenz um den verfassungsrechtlichen Schutz des kirchlichen Vermögens und des Eigentums unserer Vereine.“
Abschließend erklärte Buchberger seine ehrliche Bereitschaft mitzuarbeiten am „Wiederaufbau unseres Vaterlandes, namentlich zur geistigen und seelischen Gleichschaltung des ganzen deutschen Volkes auf christlicher und vaterländischer Grundlage.“ Buchberger lag, wie er meinte, „nicht das Interesse einer Partei, sondern das Wohl unseres geknechteten Vaterlandes am Herzen“. Er wünsche eine harmonische „Zusammenarbeit von Staat und Kirche.“ Teilweise wurde sein Wunsch auch Realität. So etwa in seiner einvernehmlichen und finanziell erträglichen Zusammenarbeit mit der Kanzlei des Führers für die europaweite Propagandatätigkeit der Domspatzen für das NS-Regime.
Buchberger für wahre Volksgemeinschaft
Dass der Regensburg Bischof auch die „Schottenheim-Siedlung“, das „Blut und Boden“-Projekt des Bürgermeisters und SA-Generals Otto Schottenheim, mit aufrichtiger Freude begrüßt hat, kann man im Sonntagsblatt vom 10. September 1933 nachlesen. Er, Buchberger, wolle „auch kirchliche Kreise für den Siedlungsplan interessieren“ und stellte finanzielle Mittel in Aussicht. Im April 1935 ließ Buchberger im Sonntagsblatt verbreiten, dass er die Pfarrgemeinde St. Konrad „mit besonderer Liebe“ umsorge und die dazugehörige Schottenheim-Siedlung eine wirklich soziale Tat und „ein Werk wahrer Volksgemeinschaft“ sei. Otto Schottenheim träumte von einer „rassenhygienisch“ optimierten Volksgemeinschaft, von ihm stammt der Spruch, der „beste Volksgenossen ist gerade gut genug“ für die neue Siedlung.
Auch wenn man Bischof Buchberger taktisches Vorgehen zugute halten mag, ist bei ihm mehr als eine formale Anerkennung und Unterwerfung gegenüber dem NS-Staat erkennbar. Buchberger scheint es tatsächlich um harmonische Zusammenarbeit, um Kollaboration, um „seelische Gleichschaltung“ des deutschen Volkes gegangen zu sein. Freilich ohne Juden, „Vaterlandslose“ aber unter christlicher Schirmherrschaft und Prägung. Dass er dabei aus Eigeninteresse am Alten Testament als Teil der christlichen Heilsgeschichte festhielt, steht dazu nicht im Widerspruch. Seine Diözesansynode von 1938 legte jedoch allen Klerikern deutlich nahe, die „Geschichte des israelitischen Volkes“ nur „kursorisch durchzunehmen, denn „die jüdische Geschichte als solche“ sei nur von untergeordneter Bedeutung. Mit den aktuell verfolgten Juden wollte Buchberger nicht zu schaffen haben,
„Ariernachweise“
Buchbergers oben genannter Bittbrief an den „Führer“ für die inhaftierten und abgesetzten Beamten hing mit der Umsetzung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 zusammen, das neben missliebigen Christen vor allem auf Juden abzielte. Während erstere sich teilweile noch anpassen konnten, war der Ausschluss von Juden gesetzlich gefordert. Eine Forderung, die auch der christliche Antisemitismus eines Dr. Buchberger abdeckte.
Das Beamtengesetz basiert auf dem sogenannten „Arierparagraphen“, wonach „Beamte nicht arischer Abstammung“ aus dem Berufsbeamtentums zu entfernen sind. Als „nichtarisch“ galten Personen mit mindestens einem jüdischen Großelternteil.
Wie konnten die vier geforderten „arischen“ Großeltern belegt werden? Da die Geburts-, Taufe-, Ehe- und Sterbeeinträge der Kirchenbücher (die sog. Pfarrmatrikel) weiter zurückreichten als die Einträge der bayerischen staatlichen Standesämter, die erst 1876 überall eingeführt worden waren, kam diesen eine zentrale Bedeutung zu. Nach Manfred Gailus, der diese Zusammenhänge in seinem Aufsatz „Kirchenbücher, Ariernachweise und kirchliche Beihilfen zur Judenverfolgung seit 1933“ (2008) untersucht hat, seien die Kirchen plötzlich „wieder gefragt“ gewesen. Gailus geht davon aus, dass ab 1933 „allein während der ersten zwei Jahre circa 12,5 Millionen Kirchenbuchauszüge von den Pfarrämtern für politische Funktionsträger in der NSDAP, der SA und SS, für andere Amtsträger sowie weitere Nachweispflichtige ausgefertigt worden“ sind.
Um die Erstellung der Nachweise zu standardisieren, kreierte der „Reichsverband der Standesbeamten Deutschlands“ noch im Frühjahr 1933 den sogenannten „Ahnenpaß“, den auch Pfarrämtern erstellen und Angaben bis zur fünften zurückliegenden Generation erhalten konnten. Um sicherzustellen, dass die „Kirchenbuchführer bei der Ausfertigung von Personenstandsurkunden sowie bei der Ausstellung und Beglaubigung von Ahnenpässen“ gemäß der nationalsozialistischen Rassengesetze korrekt handeln, gab es eigens Broschüren des Parteiverlags, die im diözesanen Amtsblatt empfohlen wurden.
Ahnenforschung im diözesanen Amtsblatt
Wie anderswo klagten auch im Bistum Regensburg Pfarrer 1933 darüber, dass die laufende Erstellung der geforderten „Ariernachweisen“ die eigentliche Seelsorge stark einschränke. Die starke Anfrage für die erforderlichen Dokumente stieg nach der Verabschiedung der sogenannten „Nürnberger Rassengesetze“ von September 1935 nochmals an. Da die Unterlagen nicht immer vor Ort erbracht werden konnten, gab es in diversen Ausgaben des „Amtsblatts für die Diözese Regensburg“ eine Rubrik „Matrikelsachen“, in der dutzendfach nach Tauf- und Geburtsscheinen gesucht wurde. Gewerbliche „Sippenforscher“ und „Ahnenforscher“ oder auch Privatpersonen boten sogar einen Finderlohn für die Zustellung der ersehnten Unterlagen an. In solchen Fällen erhofften sich die Suchenden wohl, einen „reinen“ Stammbaum erstellen zu können.
Auch staatliche Stellen waren auf der Suche. Im Amtsblatt vom 15. März 1943 etwa sucht das Innenministerium „Archiv-Abteilung für die Beschaffung von Abstammungsnachweisen“ einen in Bayern 1927 ausgestellten Trauschein für eine bestimmte Person.
Die Abstammungsfrage wurde allerdings auch grundsätzlich aufgeworfen. So wird im diözesanen Amtsblatt vom 5. Februar 1942 darauf hingewiesen, dass die Orts- und Familiengeschichte der Pfarreien ungeahnt bereichert werde, „wenn die zahlreichen Bearbeitungen der arischen Abstammung aufbewahrt und fachgemäß geordnet“ würden. Der Priester der Gemeinde solle deshalb „die Auszüge von Pfarrmatrikeln als wertvolles Quellenmaterial familiengeschichtlicher Forschung sammeln“ und ordnen.
Während ein erbrachter „Ariernachweis“ einen Platz in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft versprach, ging es andernfalls um Ausschluss von dieser, um Verfolgung und Vernichtung.
Kirchliche Beihilfe bei der NS-Verfolgung
Der bereits erwähnte Historiker Manfred Gailus konstatiert zusammenfassend:
„Die kirchlichen Partizipationen an und die konkreten, auch materiellen Hilfeleistungen für dieses historisch einmalige nationale Rassenwahnprojekt sind erheblich.“
Es sei um etwa 500.000 Personen gegangen, die von den NS-Gesetzen zur heterogenen Gruppe der „Nichtarier“ erklärt wurden und meist aus sogenannten Mischehen oder Konvertiten stammten. Gailus, der vor allem die Vorgänge in protestantischen Kirchen erforscht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass es sich in vielen Fällen um kirchliche Mittäterschaften, um handfeste kirchliche Beteiligungen an der Ausgrenzung und Verfolgung von Juden, Konfessionslosen und Christen jüdischer Herkunft gehandelt habe.
Bereits am 20. April 1933 erörterten die bayerischen Bischöfe auf einer Konferenz in Regensburg, ob sie für die „nicht-arischen“ Geistlichen und konvertierten Juden eintreten sollten. In Bayern ging es etwa um 1.100 deutsche StaatsbürgerInnen, die entweder katholisch getauft oder getraut waren und dennoch den „Rassengesetzen“ unterworfen waren. Anfang Mai wurden in den bayerischen Bistümern Listen der Betroffenen erstellt und Bischof Buchberger versandte am 24. Mai 1933 „ein Verzeichnis der konvertierten Israeliten“ an seinen Metropoliten Faulhaber nach München. Im Jahre 1936 lieferten die deutschen Bistümer Zahlen über die „Judentaufen“ an staatliche Stellen, teilweise wurden sogar ganze Kirchenbücher übergeben.
Als ob man den grassierenden Antisemitismus von kirchlicher Seite noch zusätzlich untermauern wollte, wärmte das diözesane Sonntagsblatt etwa zur gleichen Zeit jene antisemitischen Legenden auf, die Juden rituelle Schändungen von Hostien zuschreiben. So wurden im September 1936 die mittelalterlichen Beschuldigungen wiederholt, die für Passau tradiert sind oder zur Wallfahrt der sogenannten „Deggendorfer Gnad“ führten. Ein Jahr später feierte man in Deggendorf „600 Jahre Gnadenzeit“ und Bischof Buchberger schritt mit einer feierlichen Prozession durch ein Meer von Hakenkreuzfahnen.
Als ein weiteres Beispiel für die Übernahme von christlich-judenfeindlichen Traditionen in die Hetze der Nazis, sind die Regensburger Ritualmordbeschuldigungen aus dem 15. Jahrhundert zu nennen. Auch diese gingen in die Nazipropaganda ein und zierten die Titelseite einer STÜRMER-Sondernummer vom Mai 1939.
Nochmals zurück zu den Kirchenbüchern. Diese spielten auch bei der Erfassung von sogenannten „Erbkranken“, bei den Zwangsterilisationen und bei der Erstellung von Sippentafeln eine wesentliche Rolle.
Buchberger verweigert Hirtenwort gegen Sterilisation
Das zweite aus einer rassenhygienischen Motivation heraus geschaffene Gesetz war das „Sterilisationsgesetz“ von Juli 1933. Dieses sollte Personen mit gewissen Krankheitsmerkmalen oder -symptomen von der Fortpflanzung ausschließen und zum Jahresbeginn 1934 in Kraft treten. Die „Rasse“-Gläubigen, darunter als seriös geltende Wissenschaftler, glaubten dadurch eine Gesundung und „Aufartung“ der „Rasse“ und des „deutschen Blutes“ erreichen zu können. Da die katholische Glaubenslehre jedwede Verhinderung von Fortpflanzung und dementsprechend auch körperliche Eingriffe ablehnte, sandte der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram, noch Anfang September eine Protestnote an den Reichsinnenminister und bezog Stellung gegen das Gesetz, das vor allem zwangsweise, also ohne Einwilligung der Betroffenen, umgesetzt wurde.
Das Regensburger Sonntagsblatt hingegen, in dem Buchberger das Sagen hatte, druckte am 17. September 1933 in einem Bericht über den Parteitag der NSDAP, wo das Gesetz Thema war, seine uneingeschränkte Befürwortung desselben aus. Der Autor schwärmte im kriegerischen Duktus davon, dass per Gesetz „ein umfassender Feldzug gegen den Geburtenrückgang und erbkranken Nachwuchs und für Rassenreinheit eingeleitet“ würde.
Als eine Erklärung der deutschen Bischöfe gegen das Gesetz vorbereitet wurde, sprach sich Bischof Buchberger mehrfach gegen eine Verurteilung aus. So etwa im Schreiben an Faulhaber vom 15. Dezember 1933, in dem er meint, ein Hirtenwort, das ein „heikles Thema wie die Sterilisation oder auch nur den Abortus und Mißbrauch der Ehe“ behandle, vor der ganzen Gemeinde mit Kindern und Jugendlichen vorzutragen, sei unangebracht. Angesichts des derzeitigen Überlebenskampfes der heiligen Kirche habe dieses Thema laut Buchberger nur untergeordnete Bedeutung. Zudem würden weder Volk noch Regierung einen Protest verstehen. Buchberger:
„Was haben die meisten unserer Pfarrgemeinden praktisch mit der Frage der Sterilisation zu tun?“
Buchberger gegen „sexuelle Exzesse“ in Anstalten
Darüber hinaus befürwortete Buchberger bestimmte Zwangssterilisationen ausdrücklich. Es gebe nämlich, so der Regensburger Bischof offenbar aus eigener Anschauung zehrend, „in Anstalten geistig, körperlich und moralisch so abnorme und kranke Menschen, daß die sexuellen Exzesse, die bei ihnen etwas Alltägliches sind, zu dem Schmutzigsten und Schrecklichsten gehören“ würden, was man sich denken könne. Für solche Fälle gebe es „faktisch keine andere Möglichkeit der Verhinderung als einen operativen Eingriff.“
Hier stellt sich die Frage, wieso der offenkundig von gewissen sexuellen Phantasien geleitete Bischof glaubte, sich hinter seinem katholischen Volk verstecken zu können oder müssen. Jedenfalls befürwortete Buchberger den Feldzug für „Rassenreinheit“ und gegen den „erbkranken Nachwuchs“, so wie er deren angeblichen sexuelle „Exzesse“ in kirchlich (?) geführten Anstalten verabscheute.
Andere Bischöfe drängten in Verhandlungen mit Regierungsvertretern darauf, zumindest Katholiken die Mitarbeit bei den eigentlichen Eingriffen zur Unfruchtbarmachung zu untersagen (was später auch geschah) und das Gesetz öffentlich abzulehnen. Zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes wurde in den Sonntagsgottesdiensten vom 14. Januar 1934 eine Erklärung der deutschen Bischöfe verlesen, die Anträge auf die Sterilisierung gemäß katholischer Lehre nicht erlaubte. Allerdings nicht in den bayerischen Bistümern, wegen einer angeblichen Panne bei der Verteilung sprachen die dortigen Kanzelreden das problematische Gesetz nicht an.
Klare Worte, wenn es um eigene Privilegien ging
Als Anfang 1936 einige Bischöfe auf ein entschiedenes Hirtenwort gegen die Sterilisationen drängten, sprach sich Buchberger erneut offen dagegen auf. Da sich das Gesetz „in der Hauptsache ausgewirkt“ hätte (was nicht stimmte, da die Zahlen etwa in Regensburg 1936 nochmals stiegen) und „ein gewisser Stillstand eingetreten“ wäre, sollte man „nicht neuerlich dazu Stellung nehmen“, zumal das Thema von untergeordneter Bedeutung sei. Er, so Buchberger in seinem Brief an Kardinal Faulhaber vom 3. Januar 1936 weiter, habe in seiner „Diözese wegen der Ausführung noch keine Schwierigkeiten gehabt“, die zuständigen Gerichte hielten sich sehr zurück und so viel er wisse, seien die Ordensschwestern „nirgends zur Teilnahme an der Ausführung verpflichtet“ worden.
Wenn es um eigene Privilegien ging, konnte Buchberger auch anders. Zu den von der Landesregierung angedrohten Gehaltskürzungen für die bayerischen Bischöfen und Domkapitulare meinte er im selben Brief:
„Wir müssen die Würde und Rechte unseres Standes gegenüber solchen Formen und Angriffen mit aller Entschiedenheit wahren.“
Rassenhygienische Propaganda des Professors Engert
Da Buchberger im selben Brief auch davon berichtet, dass er in Regensburg mit dem Rektor der Philosophisch-theologischen Hochschule (PTH) „einmütig zusammenarbeite“ und der Geist seiner Theologen „gut und geschlossen“ sei, bietet es sich zur Abrundung an, auf die rassenhygienischen Phantasien des von 1923 bis 1948 an der PTH lehrenden Theologen Josef Engert hinzuweisen.
Der Geistliche Josef Engert, dessen weithin verdrängte Nazivergangenheit von regensburg-digital erst 2014 aufgedeckt wurde, publizierte jahrelang nationalsozialistisches Gedankengut in theologischen Zeitschriften, katholischen Blättern und gerne auch im Kleruskalender.
In dem für letzteren vorgesehenen Manuskript „Staat und Rasse“ (1939) begrüßte Engert den Zweck der Nürnberger Gesetze, „das weitere Einsickern jüdischen Blutes zu verhindern, ebenso das von Negern, Zigeunern und Bastarden.“ Engert erhob es zur Pflicht des völkischen Seelsorgers, „mit der Stärkung durch sittlich-religiöse Beweggründe sinngemäß an der Rassenpflege des Staates mitzuwirken.“
Aus dem Faktum, dass der Theologe Engert der lehramtlichen Kontrolle des Diözesanbischofs unterlag, ist schon zu folgern, dass Buchberger keine grundsätzlichen Einwände gegen die langjährige „Rassenpflege“ seines Professors erhob. Dass man in Buchbergers Ordinariat Engerts rassenhygienischen Kampf gegen das weitere Einsickern „artfremden“ Blutes zumindest kannte, wenn nicht begrüßte, zeigt sich an der warmen Kaufempfehlung für „den immer wieder verbesserten“ Kleruskalender, die im diözesanen Amtsblatt von Dezember 1940 erschien. Wohl auch in Anerkennung und Wertschätzung von politischen Gemeinsamkeiten ernannte der Regensburger Bischof Josef Engert im Jahre 1942 zum Rektor der PTH.
Kurz nach Kriegsende, bereits im Juni 1945, wurde Buchberger zusammen mit Engert bei der amerikanischen Militärregierung vorstellig, um die noch geschlossene PTH zur baldigen geistig-moralischen Erneuerung des deutschen Volkes wieder in Betrieb nehmen zu dürfen.
Überblickt man Buchbergers Bekenntnisse, Briefe, Blockaden von Protesten und Personalentscheidungen ist zugespitzt zusammenzufassen, dass der Regensburger Bischof den völkischen Vorstellungen von „der Rassenreinheit“ und der darauf bauenden Verfolgungspraxis des nationalsozialistischen Staates näher gestanden haben muss als den Opfern dieser Verfolgung.
Regensburg profiliert sich reichsweit
Wie verhielt sich die politische Führung in Regensburg? Die Stadtverwaltung unter dem SS-Bürgermeister Schottenheim profilierte sich seinerzeit nazireichsweit, indem sie, im Einklang mit dem Amtsarzt Pius Scharff, dafür plädierte, dass auch Trinker als Volkschädlinge in Konzentrationslager eingewiesen und zwangsweise sterilisiert werden sollen. Laut Clemens Cording, der in seiner Studie „Die Regensburger Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll im ‚Dritten Reich‘ “ (2000) die Vorgänge untersucht hat, wurden bis 1939 allein in dieser Anstalt 572 Personen zwangsweise sterilisiert.
In Relation zu der Gesamtzahl der behandelten Patienten ausgedrückt, lag ein Anteil von 20 Prozent vor, über 60 Prozent davon waren Männer. Die Anzahl der Fünfzehn- bis Zwanzigjährigen betrug 35 Personen, wie viele davon in katholischen Einrichtungen untergebracht waren, ist unbekannt. Die Kirche bemühte sich jedenfalls um eine kirchliche Unterbringung, denn auf der Regensburger Diözesansynode von 1938 hieß es: Die „Anstaltsunterbringung von schwachsinnigen und sterilisierten Jugendlichen“ könne durch Vermittlung des Jugendfürsorgevereins in katholischen Anstalten erfolgen.
Welche „Krankheit“ wurde zur Begründung der Eingriffe vorgegeben? Drei Viertel der Betroffenen wurde mit der Diagnose „Schizophrenie“ belegt, etwa ein Zehntel mit „angeborener Schwachsinn“ und gut drei Prozent (insgesamt 18 Personen) wurden als chronisch Alkoholabhängige eingestuft.
Kirchen waren kein Bollwerk gegen Zwangssterilisation
Der 2012 verstorbene Theologe Andreas Angerstorfer untersuchte die Zwangssterilisationen für den Regierungsbezirk Niederbayern-Oberpfalz zu einer Zeit, als der damalige CSU-dominierte Stadtrat unter OB Hans Schaidinger sich über viele Jahre weigerte, einer nach dem Nazi-Autor und Sterilisationsbefürworter Florian Seidl benannter Straße einen anderen Namen zu geben . Die von Angerstorfer zusammen mit Annemarie Dengg 1999 veröffentlichte Studie über den Bezirk, der mit dem Gebiet des Regensburger Bistums fast deckungsgleich ist, spricht für die Jahre von 1934 bis 1945 von etwa 3.450 unfruchtbar gemachten Personen. Die christlichen Kirchen seien, so das Resümee der Studie, entgegen weitläufiger Behauptungen kein Bollwerk gegen Zwangssterilisationen gewesen.
Nach Kriegsbeginn wurden die Sterilisationen nicht nur in Regensburg deutlich weniger oft beantragt und durchgeführt – in Karthaus-Prüll bis Mai 1945 bei etwa noch 50 Personen.
Ende 1939 lief die Ermordung von Kranken, Behinderten, als „lebensunwert“ klassifizierten Menschen an. Davon soll in der nächsten Fortsetzung die Rede sein.
xy
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Eine wirklich höchst interessante Artikelserie! Vielen Dank für die eingehende Recherche und aufgewendete Mühe! Da könnte man doch eigentlich ein Buch daraus machen, oder? Bischof Graber soll ja übrigens auch nicht ganz unproblematisch gewesen sein…
Mit „Beicht und Kommunion“ in den Krieg » Regensburg Digital
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[…] im zweiten Teil die von Buchberger verfolgte geistige und seelische „Gleichschaltung des ganzen deutschen Volkes […]
Ronald McDonald
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“Ein Jahr später … in Deggendorf … Bischof Buchberger schritt in einer feierlichen Prozession durch ein Meer [!] von Hakenkreuzfahnen”.
Wo ist es denn, das swastikanische Meer?
Auf dem eingestellten Bild (Dank dür die Einstellung) jedenfalls nicht.
Monseigneur Buchbinder schreitet in und mit einer feierlichen Prozession an zwei mit je einer Hakenkreuz-Fahne beflaggten Häusern vorbei. Bei beiden Häusern sind die Fenster – bis auf eines – nicht geöffnet und mit Herausschauenden besetzt.
Hier handelt es sich – man ist immerhin im Jahre 1 nach Einstellung der Devisen- und Sittlichkeitsprozesse – um ein antiklerikales Flaggezeigen aus den Häusern von “Pgs” heraus gegen den Vorbeimarsch der “ultramontanen Römlinge und Pfaffenknechte” (polit-korrekter Originalton jener Zeit).
Das, die Los-von-Rom-Beflaggung, erforderte damals genauso viel persönlichen Mut wie das heutzutage skandierte “Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen”.
Angelika Oetken
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“Devisenprozesse” @Ronald McDonald: was meinen Sie damit genau?
VG
Angelika Oetken
Nemo Udeis
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Da kann man Ronald McDonald schon verstehen: Für die Aussage “Meer von Hakenkreuzfahnen” gibt es keinen wirklichen Beleg außer dem etwas dürftigen Bild … So eine “Beweisführung” bekommt man im Geschichtsstudium (sicher auch in Regensburg) zu Recht um die Ohren geschlagen.
Liest hier zufällig ein Deggendorfer mit, der den Bildausschnitt einordnen kann? Ist das evtl. der Treppenabgang an der Pfarrkirche hin zur Unteren Vorstadt?
Gibt es von dieser Artikelreihe auch eine wissenschaftlich überprüfbare Version – z.B. mit Belegen in Form von Fußnoten?
„Für ein neues dialogisches Miteinander in der Kirche“ » Regensburg Digital
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[…] „Am Opportunismus geht das echte Christentum zugrunde“. Erfolglos. Stattdessen legitimierte der Regensburger Bischof Buchberger den Boykott in einem Hirtenbrief, den e…. Am 1. Juli 1933 wurde der Friedensbund Deutscher Katholiken von den Nazis verboten, nachdem ihn […]