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Buchvorstellung

Brisante Details – nicht nur über die Resl von Konnersreuth

Ein Buch über das Leben der Äbtissin Benedicta von Spiegel gewährt spannende Einblicke in das antinazistische Engagement ihres Freundeskreises, zu dem der Journalist Fritz Gerlich und Therese Neumann gehörten. Gleichzeitig liefert es brisante Details, welche die Seligsprechung der Resl von Konnersreuth in Frage stellen könnten  und die Rolle des Regensburger Bischofs Michael Buchberger im Nationalsozialismus beleuchten. Nun war die Autorin in Regensburg.

Gerlinde von Westphalen bei der Buchvorstellung im Diözesanzentrum Obermünster. Foto: RvW.

Ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes und relevantes Buch hat die Publizistin, Galeristin und Kuratorin Gerlinde von Westphalen vorgelegt. Es handelt vom Leben der Äbtissin der Eichstätter Benediktinerinnenabtei St. Walburg: Benedicta von Spiegel (1874-1950). Eine ungewöhnliche Ordensfrau, „weltläufig, politisch und im Widerstand gegen die Nationalsozialisten“. Außerdem war sie eine Freundin von Therese Neumann, besser bekannt als Resl von Konnersreuth, zu der das Buch erstmals brisante Akten präsentiert. Doch dazu später.

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Als 26-jährige entschied sich Benedicta, Geburtsname: Elisabeth von Spiegel, gegen den Willen der Familie für das Leben in einem belgischen Kloster, das sie kriegsbedingt 1915 verließ, um nach Zwischenstationen 1918 nach St. Walburg im oberbayerischen Eichstätt zu gehen. Im Jahre 1926 wurde sie dort zur Äbtissin gewählt und führte die Abtei bis zu ihrem Tod, auch durch die NS-Zeit. Im Jahr 1934 gründete sie in Boulder/Colorado ein Schwesterkloster „als Fluchtort vor den Nazis“. An der kampflosen Übergabe von Eichstätt an die amerikanischen Truppen, war sie laut Westphalen maßgeblich beteiligt.

Grimmige Kritik aus Konnersreuth

Letzten Dienstag hat Gerlinde von Westphalen ihre Arbeit auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) und des Akademischen Forums Albertus Magnus in Regensburg vorgestellt. Die Reaktionen darauf waren überwiegend positiv, bis hin zu freudiger Zustimmung und emotionaler Betroffenheit ob der Ereignisse. Doch es gab auch grimmige Kritik von einem Paar aus Konnersreuth, die der Autorin „Interpretationen“ vorwarfen. Statt sich an „den Fakten“ zu orientieren, über die man sich doch informieren könne – im mit staatlichen Geldern errichten und vom Markt Konnersreuth betriebenen Museum zu Ehren der Therese Neumann.

Schon das Titelfoto des Buches von Mitte der 1930er deutet an, dass es darin nicht (nur) um das Leben einer zurückgezogenen Ordensfrau geht. Es zeigt die Äbtissin Benedicta in Ordenstracht, wie sie ihrer mit weißem Kopftuch eingehüllten Freundin vertraut zulächelt – der damals schon international bekannten Therese Neumann.

Im Hintergrund stehen der Eichstätter Theologe Franz Wutz, sowie der Vater Ferdinand und Thereses Schwester Ottilie. Die Bande zwischen dem Eichstätter Kreis und der Familie Neumann waren eng und vielfältig. Ottilie führte den Haushalt eines Theologieprofessors, zwei ihrer Brüder wohnten dort während ihrer Schulzeit.

Beziehung zu Resl zieht sich durch das ganze Buch

Spiegels Beziehung zur tief gläubigen, zuletzt als Bauernmagd tätigen Resl aus dem oberpfälzer Marktflecken Konnersreuth zieht sich durch ganze Buch. Diese war nach einem Unfall (1918) gelähmt und erblindet und deshalb sieben Jahre ans Bett gefesselt. Im Laufe des Jahres 1925 soll Neumann auf wundersame Weise gesundet, aber in der Folge mit Blutungen „stigmatisiert“ gewesen sein.

Obendrein gaben Neumann und ihr Unterstützerkreis an, außer einer täglichen Hostie, sprich den Leib Christi, ohne Nahrung und Ausscheidung ausgekommen zu sein. In einem ihrer 16 Kapiteln beschreibt Westphalen das Schicksal der Therese Neumann weitestgehend sachlich, ohne sich die stark divergierenden Beschreibungen, Erzählungen und Legenden um die Resl zu eigen zu machen.

Ein Aktenfund von hoher Brisanz

Das überrascht zunächst, da Westphalen das Kapitel mit der eher affirmativ wirkenden Überschrift „Freundin aus Konnersreuth – DIE STIGMATISIERTE THERESE NEUMANN“ überschreibt. Doch bei einer Wiedergabe der seit Jahrzehnten stark polarisierten Positionen und Ereignisse um die Resl bleibt es nicht.

Von hoher Brisanz ist ein Aktenfund Westphalens, der in ihrem Buch erstmals öffentlich darstellt und interpretiert wird. Demnach wusste der engere Kreis um Neumann, also auch die Äbtissin, dass die Nahrungslosigkeit nur vorgetäuscht war.

Therese Neumann, bekannt als Resl von Konnersreuth. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-00241 / Ferdinand Neumann – Bild urheberrechtlich geschützt / CC-BY-SA 3.0

Nach Abstimmung mit dem damaligen Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli (später Papst Pius XII.) soll im Umfeld der Äbtissin im Mai 1938 der Plan diskutiert worden sein, sich die Nahrungslosigkeit von einem angesehenen Arzt bestätigen zu lassen. Demnach, so Westphalens Darstellung weiter, war angedacht, keinen

„Feld-, Wald- und Wiesenarzt zu nehmen, sondern das Beste vom Besten, eine art [sic] von internem Sauerbruch, den man gut zahlt und dem Th. N. [Therese Neumann, R.W.] gewissermaßen sagt: ‚Ich behaupte nichts zu essen; bitte, untersuchen Sie die Sache und schicken Sie mir dann die Rechnung‘, sodass sie die Auftraggeberin ist und nicht irgend ein bischöflicher Bürokratismus“.

Westphalen spricht deshalb von „frommen Betrug“ und nennt weitere bislang unbekannte Zeugen dafür, dass Neumann sich auch als Gast der Eichstätter Benediktinerinnen gütlich getan habe. Die Köchin habe sie nachts in der Klosterküche beim Essen beobachtet.

Bischöfe lange skeptisch gegenüber dem Resl-Kult

Der besagte und vom Resl-Kreis bekämpfte bischöfliche Bürokratismus ging vom damaligen Bischof Michael Buchberger aus. Dieser stand dem immer größer werdenden und sich seiner Kontrolle entziehenden Konnersreuther Kult um die angeblich nahrungslose und stigmatisierte Resl überaus skeptisch gegenüber.

Ihre Nahrungslosigkeit zweifelte nicht nur Buchberger massiv an, deshalb wollte er Neumann von seinen Ärzten und nach seinen Bedingungen über längere Zeit untersuchen lassen. Was die Familie Neumann mit tatkräftiger Unterstützung des Eichstätter Freundeskreises beharrlich, bis zu ihrem Tode ablehnte.

Westphalen zeichnet die damaligen teils heftig geführten Auseinandersetzungen zwischen Bischof Buchberger einerseits und Therese Neumann mit ihren Eichstätter Unterstützerinnen andererseits anhand von teils erstmals ausgewerteten Akten diverser Herkunft detailliert und überzeugend nach.

Gerhard Ludwig Müller leitete Seligsprechung ein

Während die ersten zwei Nachfolger von Bischof Buchberger, Rudolf Graber und Manfred Müller, dem Resl-Kult abwartend bis skeptisch gegenüberstanden, leitete Gerhard Ludwig Müller schon ein Jahr nach seinem Ruf nach Regensburg die Eröffnung des Seligsprechungsprozesses im Oktober 2003 ein.

Für Müller war die Nahrungslosigkeit Neumanns eine Tatsache. Auch, dass sie

„insbesondere am Karfreitag in ekstatischen Visionen vom bitteren Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus so erfasst“ gewesen sei, und „dass wie aus den Wunden Christi auch ihr das Blut aus den Stigmata hervorfloss“.

Während Westphalen der Zugang zu über 35 Archiven gewährt wurde, blieb ihr ein solcher zum Regensburger Diözesanarchiv übrigens versperrt. Gegenüber unserer Redaktion erklärt sie, dass ihre Anfragen unter anderem vom jetzigen Bischof, dem Nachfolger und Schüler Müllers, Rudolf Voderholzer, abgelehnt worden seien. Begründung: Das laufende Seligsprechungsverfahren erlaube dies nicht. Zum Verfahren selber äußert sich von Westphalen nicht. Ihre Forschungsergebnisse habe sie aber dem zuständigen Ordinariat übergeben.

Die Resl als Nukleus eines Kreises von NS-Gegnern

Von Westphalen kommt in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Therese Neumann wie ein gemeinsamer Nukleus des festen Eichstätter Freundeskreises wirkte, der sich bereits in der Weimarer Republik bildete. Schon um 1930 engagierten sich ihre Freunde politisch gegen die immer mehr an Bedeutung und Einfluss gewinnende NSDAP unter Adolf Hitler.

Öffentlich auftretende Personen des Kreises waren der Journalist und Kopf des Münchner Zeitungsprojekt „Der gerade Weg“ Fritz Gerlich und der ebenfalls publizistisch wirkende Eichstätter Kapuzinerpater Dr. Ingbert Naab (der im Juni 1933 vor den Nazis fliehen musste und 1935 im französischem Exil starb).

Im Hintergrund standen neben dem Geldgeber des Projektes, Erich August Fürst von Waldburg-Zeil, die Eichstätter Theologieprofessoren Joseph Lechner und Franz X. Wutz. Und eben die Äbtissin Benedicta von Spiegel, so von Westphalen.

Äbtissin schwieg über ihre Rolle

Gerlich wurde am 9. März 1933 in „Schutzhaft“ genommen, gefoltert und nicht mehr freigelassen. In Nacht zum 1. Juli 1934 wurde er im Zuge der sogenannten „Röhm-Affäre“ ins KZ Dachau verschleppt und dort am Schießplatz ermordet.

Im Jahre 2017 leitete der Bischof von München-Freising Reinhard Marx das Verfahren zur Seligsprechung von Fritz Gerlich ein.

Nach dem Ende des NS-Regimes habe die Äbtissin ihre Rolle in dem widerständischen Freundeskreis nicht öffentlich thematisiert, so von Westphalen bei der Buchvorstellung. Nicht zuletzt, weil ehemalige Nazis oftmals in Amt und Würden geblieben seien. Oder im Zuge der meist folgenlosen gebliebenen „Entnazifizierung“ und deren Amnestien zurückgekehrt sind.

„Frontalangriff gegen die adeligen Unterstützer der NSDAP“

Der von den Münchner Neuesten Nachrichten kommende Journalist Fritz Gerlich konvertierte nach einem Besuch der Resl in Konnersreuth vom Calvinismus zum Katholizismus und ließ sich im Jahre 1931 in Eichstätt taufen. Mit spitzer Feder griff er im Geraden Weg nicht nur Hitler, die nationalsozialistische Ideologie und ihre Unterstützer an, sondern verschonte dabei auch nicht die eher zögerliche Politik der Bayerischen Volkspartei. Auch die Hitler unterstützenden Industriellen und Adeligen nannte Gerlich beim Namen.

Als prominentes Beispiel für dieses außergewöhnliche publizistische Engagement erwähnt Westphalen die Ausgabe des Geraden Wegs vom 10. Juli 1932. Diese habe unter dem rot gedruckten Titel „1000 Prinzen und ein Schlosser“ einen „Frontalangriff gegen die adeligen Unterstützer und Parteimitglieder der NSDAP“ eröffnet.

Der gerade Weg vom 10. Juli 1932: unter den 1000 adeligen Hitler-Unterstützern war Prinz Franz von Thurn und Taxis.

Namentlich genannt werden darin neben Kronprinz Friedrich Wilhelm und Prinz August Wilhelm von Preußen „eine Reihe von Vertretern aus dem deutschen Hochadel, Aristokraten mit militärischen Funktionen und Großgrundbesitzer als aktive Förderer der Nationalsozialisten wie an einem Pranger aufgelistet“.

Zwei Lager im deutschen Adel?

Laut Westphalen müsse man Gerlichs „Attacke auf ‚1000 Prinzen‘ “ auch vor dem Hintergrund lesen, dass es

„im deutschen Adel seit Anfang der 1930er Jahren zu einer sich vertiefenden Spaltung zwischen einem sich völkisch rechts radikalisierenden, vernehmlich im westfälischen und norddeutschen Adel verbreitenden Lager und einem betont christlich konservativen, im Kern antinationalsozialistisch positionierten, vorzugsweise bayerisch-süddeutschen Gebiet verorteten Lager gekommen“ sei.

Zu letzterem gehöre auch der Freudenkreis der Äbtissin Benedicta. Da von Westphalen diese These kaum begründet, mangelt es ihr allerdings an Überzeugungskraft.

Hitler-Unterstützer Prinz Franz (Joseph) von Thurn und Taxis 

Dass sich unter den von Gerlich genannten adeligen Hitler-Unterstützern auch der süddeutsch-katholische Regensburger Prinz Franz (Joseph) von Thurn und Taxis (1893 – 1971) befand, spricht jedenfalls gegen eine strikte Spaltung von nord- und süddeutschen Hitler-Unterstützern.

Der seit 1952 als „Fürst von Thurn und Taxis“ angesprochene Franz Joseph wurde 1963 Ehrenbürger der Stadt, im Regensburger im Kasernenviertel verläuft noch heute eine anachronistisch klingende Erbprinz-Franz-Joseph-Straße.

Scharfe Kritik an Buchberger und NS-Proaganda durch die Domspatzen

Westphalen bringt in ihrer Arbeit weitere aufschlussreiche, bislang unbekannte Details, die nicht nur für die Diözese Regensburg relevant sind.

So etwa eine scharfe Kritik des Theologieprofessors Joseph Lechner an Bischof Michael Buchberger wegen dessen steter Freigabe der Domspatzen für die NS-Propaganda. Diese Kritik zielte auch auf Domkapellmeister Theobald Schrems, der „sich und den Chor dem Nazi-Regime andiente“.

Um 1953 schrieb Lechner: Während Leute um Therese Neumann

„wie schon während des Aufstiegs des Nazismus, so nun auch während seiner höchsten Machtentfaltung aus völliger Klarheit über den Gang der Ereignisse einen ausdauernden und gefahrvollen Kampf gegen die diabolischen Mächte des Nazismus führten, sah man in Regensburg andere Dinge; (…) es erfreute der Regensburger Domchor (…) den ‚Führer‘ auf dem Obersalzberg mit seinen Liedern (…) und es wurde die Begrüssung des Führers noch auf dem letzten Parteitag, jenem ‚Großdeutschlands‘ eingeleitet mit dem ‚herrlichen Wach-Auf-Chor aus den ‚Meistersingern‘ (…). “

Ein Brief über die Aktion T4 in Reichenbach

Aus den Beständen des Abteiarchivs St. Walburg stammt auch ein „erschütternder Brief“, den Westphalen erstmals (fast) vollständig dokumentiert. Er wurde verfasst von einem pflegebedürftigen Sohn einer Eichstätter Nonne, die nach dem Tod ihres Ehemannes, dem Vater des Pfleglings, ins Kloster eingetreten war.

Die Rede ist Rainer Rattinger (Jg. 1886), der Anfang 1940 aus der oberpfälzer Heil- und Pflegeanstalt Reichenbach an seine „Liebe Mama“ ins Kloster geschrieben hat. Rattinger:

„Es ist möglich, dass dieser Brief mein allerletzter ist, denn ich habe in den letzten Tagen Dinge erfahren, dass mir geradezu die Haare zu Berge standen.“

Den Tatsachen entsprechend berichtet er seiner Mutter, dass am 13. September 1940 alle jüdischen Pfleglinge aus der vom Orden der Barmherzigen Brüder geführten Einrichtung in Reichenbach abgeholt worden sind.

Die „von hier nach Eglfing überführten Juden sind bereits in Abraham´s Schoß“, schreibt Rattinger. Sie würden „in staatliche Anstalten transferiert, wo sie ins Jenseits befördert werden durch Gift im Essen oder eine Spritze (…)“

Über 400 Pfleglinge ermordet

Rattinger wusste also bereits relativ früh von Details der sogenannten T4-Aktion, wie etwa, dass die Betroffenen „in Autos mit bemalten Fenstern oder mit Milchglas wegtransportiert“ würden „in eine von der Außenwelt abgeschlossene Anstalt“, oder „dass in allen derartigen Anstalten Krematorien seien, wo die Leichen der getöteten Patienten verbrannt werden“. Danach würde es heißen, „der sei an einer Krankheit verstorben“, die Asche werde in Urnen an Angehörige gesandt.

Insgesamt wurde laut Westphalen von den Reichenbacher Pfleglingen alle 15 jüdischen (in Hartheim bei Linz) und rund 400 nicht-jüdische ermordet. Rattinger überlebte, vermutlich hat ihn seine Mutter rechtzeitig aus der Reichenbacher Einrichtung genommen, 1947 kehrte er dorthin zurück. Eventuelle Reaktionen des Eichstätter Freundeskreises auf die T4-Morde sind nicht überliefert.

Bischof Buchberger beschäftigten andere Probleme

Wie Rattinger wusste auch der zuständige Diözesanbischof Buchberger früh von den nicht zu verheimlichenden Morden an den Reichenbacher Pfleglingen. Soweit bekannt hat Buchberger nie gegen die T4-Morde protestiert, für jüdische NS-Opfer hat er sich eh nicht interessiert. Buchberger musste sich aber mit den Urnen aus den Tötungsanstalten befassen, da eine Feuerbestattung gemäß der damaligen katholischen Lehre (bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil der 1960er Jahre) verboten war.

Im Regensburger Amtsblatt der Diözese vom 31. Oktober 1940 ließ Buchberger deshalb unter der Überschrift „Beisetzung von Aschenurnen“ verkünden: Es bestehe „die Veranlassung über die kirchliche Bestattung von verstorbenen Katholiken, die ohne oder gegen ihren Willen eingeäschert worden sind, nachstehende Richtlinien“ aufzustellen. Diesen zufolge sei den Getauften die Bestattung zu erlauben, wenn sie nicht anderweitig unzulässig sei. Allerdings müsse das „kirchliche Geleit der Urne durch die Straßen und über den Friedhof“ unterbleiben. Ein solches könne nur gewährt werden, wenn die Beerdigung der Urne in einem Sarg vollzogen werde. (hier zu Buchbergers Haltung genauer)


Exkurs zu den jüdischen Opfern

Auf Anweisung der NS-Behörden mussten die Heimleitung die Namen aller jüdischen Pfleglinge bereits im Sommer 1940 melden. Die jüdischen Pfleglinge wurden dann im September 1940 unabhängig von ihrem Pflegegrad oder Arbeitsvermögen selektiert und als Juden vernichtet. Die systematische Vernichtung der Jüdinnen und Juden hat mit den jüdischen Pfleglingen begonnen. Die Namen der jüdischen Euthanasie-Opfer von Reichenbach werden im von Westphalen zitierten Brief Rattingers nicht genannt. Auch im Gedenkbuch vor Ort, das im Auftrag des bis heute zuständigen Ordens der Barmherzigen Brüder verfasst wurde, werden sie nicht als jüdische Opfer ausgewiesen.

Einer von ihnen war der aus dem nahegelegen Roding stammende Pflegling Heinrich Schwarz (geb. 21. Januar 1889). Seine 1937 in die USA emigrierten jüdischen Geschwister Hermine, Albert und Sigmund Schwarz überlebten die Shoa und reisten im Dezember 1947 aus New York an, als die Spruchkammerverhandlung gegen den NSDAP-Kreisleiter Norbert Breu stattfand. Sie wollten wissen, wer für den Tod des Bruders Heinrich verantwortlich ist und beschuldigten neben dem seit 1922 in Roding als Arzt wirkenden Norbert Breu (Freikorpskämpfen bei München und Kolbermoor beim Waldlerbataillon) den Rodinger Marktgemeindeinspektor, den Bürgermeister und einen Friseur. Die Umstände der Ermordung ihres Bruders erfuhren sie nicht.


Zurück zur vorliegenden Publikation. Gerlinde von Westphalen hat mit Lady Abbess Benedicta von Spiegel – Politische Ordensfrau in der NS-Zeit eine beachtliche und verdienstvolle Forschungsleistung vorgelegt. Wie sie in ihrer Danksagung anmerkt, verdankt ihr Buch „sein Entstehen der außerordentlichen Unterstützung anderer durch Kenntnisse und Quellenzugänge“. Sie hatte neben den öffentlichen Archiven unter anderem Zugang zum Nachlass der Äbtissin, zum Archiv der Aktei, zu diversen Familienarchiven.

Ihr Ehemann, Dr. Raban Graf von Westphalen, habe sie „auf das Leben seiner Großtante aufmerksam gemacht“. Ihm ist das Buch gewidmet. Ein lesenswertes Buch, das nicht nur in das adelig-monastische Leben und tief in das soziale Geflecht der Protagonistin eintaucht, sondern auch spannende Einblicke in das antinazistische Engagement des Freundeskreises der Äbtissin ermöglicht. Und nicht wenige brisante Details ans Licht zerrt. Eine Lektüre, die nicht nur für die eingangs erwähnten Konnersreuther und Anhängerschaft des Kults um Therese Neumann von Bedeutung ist.


Gerlinde von Westphalen: Lady Abbess Benedicta von Spiegel – Politische Ordensfrau in der NS-Zeit. Münster 2022.


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Kommentare (9)

  • Gerlindé

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    Muss man das Thema Reserl immer wieder neu aufwärmen?

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  • xy

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    Dass die Konnersreuther Resl Betrug ist, hat Josef Hanauer in mehreren Werken schon vor Jahrzehnten immer wieder überzeugend nachgewiesen. Das alles ist in keiner Weise irgendwie neu, wie überhaupt 95 % der sich immer wiederholenden Artikel zu diesem Themenkreis.

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  • Pflegewissenschaft

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    Die Reichenbacher “Pfleglinge” wurden ab 1941 entweder über die damaligen Sammelanstalten Regensburg Karthaus-Prüll oder Mainkofen nach Hartheim bei Linz deportiert, wo sie unmittelbar nach Ankunft mit Kohlenmonoxidgas ermordet wurden. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch die jüdischen Patientinnen und Patienten in Hartheim getötet wurden. Insgesamt waren es aus Regensburg 641 Menschen, die in Hartheim getötet wurden. Darunter waren 93 Opfer aus Reichenbach. Insgesamt wurden 197 Pfleglinge aus Reichenbach nach Regensburg zuverlegt.

    Nachzulesen bei Cording,C.: Die Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll im NS, Würzburg 2000

    Aas, N: Von der Logistik des Todes. In Kepplinger et al.: Tötungsanstalt Hartheim, Linz 2008.

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  • Tom

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    Kommentar gelöscht. Bitte beim Thema bleiben.

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  • Hartmut Kiener

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    Da genügt es, das Buch des katholischen Geistlichen Dr.Josef Hanauer “Konnersreuth – Lug und Trug” über die Konnersreuther Resl zu lesen – im Buchhandel/ebay…jederzeit erhältlich . Und: es liest sich wie ein Krimi – als in den 70ern ein Baum auf Dr.Hanauers Auto während der Fahrt stürzte, hätte man meinen können, das sei die Rache der Resl – usw………

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  • Robert Werner

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    @ Pflegewissenschaft. Ja, die Morde fanden in Hartheim bei Linz statt, dies habe ich nun im Text ergänzt, da Westphalen dies auch erwähnt.
    Cording berichtet nichts über die jüdischen NS-Opfer aus Reichenbach. Ob sie über Regensburg nach Eglfing kamen, ist nicht gesichert.
    Die Anzahl der jüdischen NS-Opfer aus Reichenbach wird in der Literatur unterschiedlich angegeben, während der Orden der Barmherzigen Brüder von 15 spricht, ergibt eine Suche im T4-Gedenkbuch des Bundesarchivs 11 Namen von Männern, die von Reichenbach aus am 13.9.1940 als Juden in die Vernichtung deportiert und in Hartheim ermordet wurden.

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  • Pflegewissenschaft

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    @Robert Werner.
    Womöglich geben die neuen Ergebnisse aus dem “Bayern”Projekt, das vor Abschluss steht, endlich mehr Aufschluss. Hier wurden die Daten in 2023 nochmal genauer gesichtet. Untersucht wurden hier die bayerischen “Sammel- und Abgabeanstalten” mit den Zielen Grafeneck, Hartheim, Pirna Sonnenstein. Meines Wissens noch nicht veröffentlicht. Dieses WE findet die Herbst AK Tagung in Hartheim statt. Da gibts nen Slot dazu.
    https://www.ak-ns-euthanasie.de/termine/
    Vermutlich müssen dann Ergebnisse aus Cordings Arbeit überarbeitet werden. Auch die, anderer “Sammel- und Abgabeanstalten” wie Regensburg.

    Danke auf jeden Fall für den -wie immer- sehr guten und informativen Text hier. Weiter so hier auch mit den Artikeln zu geschichtlichen Background. RD schliesst hier eine wichtige journalistische Leerstelle in Regensburg!

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  • Hthik

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    @xy 17. November 2023 um 20:30
    Ich weiß nichts über die Äbtissin, aber nach Hanauer erscheint Fr. Neumann,wenn sie unter Druck geriet, eher opportunistisch eingestellt gewesen zu sein.

    “Alles Mögliche brachte Therese noch vor, wobei sie zwischendurch immer wieder weinte und rief: “Heiland, hilf, daß nichts passiert!” Bald bat, bald drohte sie. So erklärte sie: “Ferdl ist zu einem Freund, der ist bei der Gestapo; den fragt er, was zu tun ist. Dann ist er sicher auch zum Rechtsanwalt.” Immer wieder wurde der Benefiziat in dieser Zeit unter Druck gesetzt, …”

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  • Karol W.

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    Bischof Buchberger war ein sehr eigenwilliger Herrscher.

    Vor 1933 vertrat und veröffentlichte er antisemitische Traktate und redete gegen das Nazitum, weil viele Katholiken ihm zuneigten. Als die Nazis an die Macht kamen machte er gemeinsame Sache mit den NS-Funktionären, unterstützte ihren Vernichtungskrieg, auch gegen die katholischen Polen.
    Die Vernichtung der Juden, der sog. Erbkranken und Zigeuner beschwieg Buchberger, die Verfolgung der Sozis, Kommunisten, Freimaurer und Juden begrüßte er, zumindest stillschweigend.

    Die antisemitische Wallfahrt um die erstunken und erlogene Hostienschändung in Deggendorf (glaub die letzte in Europa, verboten 1992) unterstützte bis zu seinem Tod! Den Kult um die Resl hätte Buchberger ebenso unterstützt, wenn sie und ihr Freundeskreis sich seiner Führung und Leitung unterworfen hätten.

    Vor wenigen Wochen wurde Buchberger in einem MZ-Artikel von der in R. lehrenden Historikerin Karin Boeckh als Vorbild gezeichnet. Für seine angeblich beispielhafte Hilfe für die deutschen Flüchtlinge aus dem Ende des Nazireichs. Buchbergers Antisemitismus, Hass auf Andersgläubige und Kriegsbegeisterung verschwieg Boeckh. Gute Voraussetzung dafür, dass sie eine vom Freistaat Bayern eigens geschaffene 500.000 € schwere Forschungsstelle in Regensburg leiten darf: „Kultur und Erinnerung. Heimatvertriebene und Aussiedler in Bayern“ heißt das Teil.
    Geschichte wird gemacht.

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