Blöder Unfall oder Autobumser?
Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr muss sich derzeit ein Rollerfahrer vor Gericht verantworten. Vieles deutet darauf hin, dass er einen Unfall provoziert hat, um anschließend Geld zu kassieren.
„Gib mir sofort 1.000 Euro. Ich könnte dich sofort umbringen.“ Aggressiv geht Armin T. (alle Namen geändert) auf sein Gegenüber verbal los. Es ist Freitagmittag. Soeben hat Matthias N. sein Auto abgestellt. An der gesamten linken Seite zieht sich eine Lackspur. Am Roller von Armin T. ist der Auspuff sichtlich beschädigt. Für ihn ist klar: Matthias N. wollte ihn eben über den Haufen fahren. Der 43-Jährige spricht gar von einem „Mordversuch“. Doch die Polizei will er den vermeintlichen Unfallverursacher nicht rufen lassen.
Später wird Matthias N. seinen Anwalt zu Rate ziehen. Seine Geschichte über das, was am 9. Oktober 2020 auf der Straubinger Straße Richtung Innenstadt, kurz nach der Ikea-Filiale passiert ist, klingt deutlich anders. Sein Anwalt ist überzeugt: Der Zusammenstoß war fingiert und sein Mandant wurde Opfer einer Betrugsmasche. Auch die Staatsanwaltschaft geht von versuchtem Betrug aus. Den Unfall habe Armin T. provoziert und sich so des vorsätzlichen, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Ermöglichung einer Straftat schuldig gemacht. Seit dieser Woche läuft vor dem Amtsgericht Regensburg deshalb ein Verfahren gegen Armin T.
Das Opfer hatte eine Kamera im Auto
An besagtem Oktobertag ist der Geschädigte Matthias N. gerade auf dem Rückweg vom Familienbesuch in Straubing. Im Rückspiegel wird er auf einen Rollerfahrer aufmerksam – Armin T. Der sei auffällig nah aufgefahren und habe nach vorne gedrängt. „Ich habe selbst einen Motoradführerschein und weiß, dass man lieber etwas Abstand von Autos hält“, erklärt N. vor Gericht. Der 33-Jährige sagt, er selbst habe sich an die erlaubten 70 km/h gehalten. Recht viel schneller geht es aufgrund des Verkehrsaufkommens auch gar nicht. Das zeigen die Aufnahmen seiner Dash-Cam recht deutlich. Er sei froh, die Kamera gehabt zu haben, sagt der Zeuge gegenüber dem Schöffengericht. „Sonst hätte ich ja gar keine Beweise gehabt über den Vorfall.“
Doch Armin T. wird ungeduldig, hat es laut eigener Aussage eilig. Schließlich dreht er am Gasgriff und zieht links vorbei. Die durchgezogene Mittellinie beachtet er nicht und kommt auch kurz in den Gegenverkehr. Er ordnet sich zunächst mittig vor Matthias N. wieder ein. Dann reduziert der Rollerfahrer merklich die Geschwindigkeit. Auch das ist auf der Videoaufnahme zu sehen. Ebenso, dass T. zur Mittellinie zieht. Mit der linken Hand deutet er seinem Hintermann, er möge doch vorbeiziehen.
Verteidiger: „Wir haben den falschen Angeklagten.“
„Weshalb überholen Sie zuerst, wenn Sie dann selbst überholt werden wollen“, will Richterin Andrea Costa während des Verfahrens wissen. Eine wirkliche Antwort liefert der Angeklagte darauf nicht. Matthias N. habe ihn von hinten bedrängt und ihm zuvor den Mittelfinger gezeigt. Beides verneint der Zeuge. Doch T.s Anwalt Gerhard Ilg ist überzeugt: „Wir haben den falschen Angeklagten.“ Wirklich decken mag sich diese Einschätzung mit dem Video nicht. Allerdings ist die entscheidende Szene darauf nicht mehr zu sehen.
Weil Armin T. weiter herunterbremst, geraten beide nahezu auf gleiche Höhe. Dabei kommt der Roller laut dem Geschädigten immer weiter nach rechts. „Entweder ich fahre in den Seitengraben oder ich beschleunige nach vorne weg“, schildert Matthias N. die verbliebenen Möglichkeiten. Er tut letzteres. Auf Höhe der Fahrertüre kommt es zum Kontakt und zur erwähnten seitlichen Beschädigung.
Der Rollerfahrer wollte Geld und keine Polizei
Auch hier fährt der Angeklagte eine gänzlich andere Geschichte auf. Er sei vom Geschädigten hinten getroffen worden, dadurch ins Drehen gekommen und konnte mit etwas Glück aber noch stehen bleiben. Ein Zeuge bestätigt dem Gericht hingegen die Aussage von Matthias N. Der Roller habe das Auto seitlich touchiert, wohl weil Armin T. rüber gelenkt habe. Der Roller sei dabei kurz ins Schlingern geraten, habe aber weiterfahren können. „Sonst wäre ich ja sofort stehen geblieben“, betont N. Da er im Rückspiegel sieht, dass nichts Schlimmeres passiert ist, fährt er zunächst weiter, biegt aber an der nächsten Möglichkeit sofort ab und bleibt dort stehen, dicht gefolgt von Armin T.
„Wenn ich ein Unfallopfer bin, dann hole ich doch als erstes die Polizei dazu“, wundert sich Matthias N. darüber, dass er vom Angeklagten am Notruf gehindert wird. Der 43-Jährige habe ihn stattdessen bedrängt und „sofort 1.000 Euro“ gefordert. Auch der Zeuge hält einige Meter entfernt von den beiden Männern an und verfolgt den Streit. Wieder bestätigt er die Aussagen des Geschädigten, was bei Armin T. im Sitzungsaal für Kopfschütteln sorgt.
Er sieht sich weiterhin als eigentliches Opfer. Sein Anwalt will auch noch nicht klein beigeben und beantragt deshalb vor Gericht, einen Sachverständigen zu Rate zu ziehen. Der soll anhand des Videos und der Beschädigungen an den Fahrzeugen den Unfallhergang möglichst genau rekonstruieren und in einigen Wochen die Auswertung präsentieren. Sollte das Gericht auch dann von den Vorwürfen überzeugt sein, könnte dem Angeklagten eine Haftstrafe drohen.
Autobumser-Masche?
Warum Armin T. diesen Unfall überhaupt provoziert haben soll, bleibt vermutlich unbekannt. Der Vorfall hat allerdings gewisse Anzeichen einer seit Jahren schon beliebten Betrugsmasche sogenannter „Autobumser“. Damit werden fingierte oder provozierte Verkehrsunfälle bezeichnet. Jeder zehnte Unfall in Deutschland fällt laut Versicherern in diese Kategorie. Oft handelt es sich dabei um Auffahrunfälle, Vorfahrtsverletzungen oder das Fahren gegen abgestellte Fahrzeuge. In vielen Fällen stecken professionelle Betrügerbanden hinter den Taten.
In Offenbach wurden 2013 mehrere Mitglieder einer Großfamilie festgenommen. Sie hatten über längere Zeit mehr als 70 Verkehrsunfälle und so einen Versicherungsschaden von mindestens 150.000 Euro verursacht. Ebenfalls 2013 nahm die Polizei in Weiden einen 49-Jährigen fest. Auch er hatte Verkehrsunfälle am laufenden Band produziert und insgesamt 90.000 Euro von den Versicherungen kassiert. Das Landgericht Weiden verurteilte den Mann damals zu fünfeinhalb Jahren Haft. Er habe regelrecht auf ältere Autofahrer und Frauen gelauert, sei auf Parkplätzen gekreist wie ein Adler und habe bewusst die Unfälle herbeigeführt, begründeten die Richter das Urteil, wie der BR damals berichtete.
Der Prozess in Regensburg wird voraussichtlich Ende März fortgesetzt.