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Erlebnisse eines Betreuers

Bis die Gemeinheit euch scheidet: Die Geschichte von Josef und Anna

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Vom Anfang und Ende einer Liebesbeziehung zweier Bewohner eines Regensburger Altenheims.

Von Otmar Spirk, Betreuer und Rechtsanwalt

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Als ich Josef kennenlernte, ging es ihm gar nicht gut. Wegen eines Schlaganfalls saß er im Rollstuhl und war gerade ins Altenheim gekommen. Im Reha-Zentrum , dass ihn aufpäppeln sollte, hatte man ihn schlecht gepflegt: Dekubitus Grad 3, also Wundliegen bis auf den Hüftknochen und Nekrose an der Ferse. So etwas passiert, wenn es zu wenig Pflegepersonal und zu wenig an staatlicher Kontrolle gibt. Josef hat mir von Anfang an gut gefallen: Gleich in unserem ersten Gespräch stellte er klar, dass er jetzt zwar im Altenheim war, aber deswegen noch lange nicht blöde sei. Ich solle mich zwar um seine Angelegenheiten kümmern, aber das letzte Wort habe er – nicht das Altenheim oder ich.

Dass zwei im Altenheim so eine enge Beziehung haben gehört sich doch nicht…

Als erstes kümmerte ich mich darum, dass Josef von der Haftpflichtversicherung des Reha-Zentrums Schmerzensgeld bekam: 15.000 Euro holte ich heraus. Das hat Josef sehr gefreut. Obwohl er Zeit seines Lebens schwer gearbeitet hatte, war er ein armer Schlucker geblieben. Die Rente reichte nicht mal für die Kosten des Altenheims. Aber das Schmerzensgeld durfte er behalten.

Auch sonst ging es Josef bald besser: Er lernte im Altenheim Anna kennen. Anna war eine hübsche, ältere Frau. Sie litt an Demenz. Es war schön zu sehen, wie die beiden bald unzertrennlich zusammen hingen. Aber das hat aber weder dem Altenheim noch dem Sohn von Anna gefallen, der Generalvollmacht für seine Mutter hatte.

Es wurde immer offener getuschelt, dass es sich nicht gehört, dass da zwei im Altenheim so eine enge Beziehung haben. Und: So einer muss ein Heiratsschwindler sein. Für mich war natürlich klar: Ich stehe zu Josef. Ein Altenheim ist keine Verwahranstalt, bis der Tod eintritt. Jedenfalls sollte es das nicht sein. Ich fand es einfach schön anzusehen, dass Josef so aufgeblüht war. Auch andere sahen das so. Seine Hausärztin sagte zu mir: „Mir gefallen die beiden. Josef ist der Kopf und Anna ist die Beine, das passt gut.“

Getuschel und Schikanen

Dann rief mich der Sohn von Anna an: Josef wiegele seine Mutter gegen ihn auf . Ihr Verhältnis ginge ihn nichts an, der habe sich gefälligst rauszuhalten. Ich solle auf Josef einwirken. Die Streitpunkte: Anna bekam von ihrem Sohn im Monat etwa 50 Euro Taschengeld, obwohl sie vermögend war. So ging es aus den Aufzeichnungen von Annas Taschengeld hervor, die Josef mir zeigte. Wenn der Bezirk Altenheim-Bewohner wegen Mittellosigkeit unterstützt erhalten diese immerhin gut 100 Euro. Und, das sagte Anna mir: Sie hätte gerne regelmäßig gewusst, wie es um ihr Vermögen bestellt sei. Ich dachte mir: Wie erbärmlich.

Das Getuschel über Josef und Anna wurde immer lauter, das Verhalten schikanöser. Josef erzählte mir, die Pflegedienstleitung habe ihn dermaßen schwach angeredet, dass er kollabiert sei und ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Doch Josef fand einen Ausweg: Er ließ sich mit Anna nach christlichem Ritus verloben. Und ich führte ein klärendes Gespräch mit der Pflegedienstleitung. Einige Jahre gingen ins Land, und die beiden wurden tatsächlich in Ruhe gelassen. Na also, es geht doch, dachte ich mir – wenn du als alter Menschen jemand im Rücken hast, der für dich einsteht. Wenn ich Josef und seine Anna sah, dachte ich mir: Schön, dass so etwas im Alter noch möglich ist. Denn was ich sonst im Altenheim sah, hat mich einfach entsetzt: Dieses Dahinvegetieren, dieses Warten auf den Tod…

Dann ließ der Sohn Anna verlegen

Was mich allerdings zunehmend bekümmert hat, war die Anna. Ich merkte,dass sie immer dementer und dementer wurde. Bei jedem Besuch hat sie mich das Gleiche gefragt. Am Schluss hat sie mich gerade noch so erkannt.

Eines schlimmen Tages erhielt ich – leider viel zu spät – die Nachricht aus dem Altenheim: Der Sohn habe beschlossen, seine Mutter in ein anderes Heim zu bringen, das nah bei seiner Wohnung sei. Josef ging es gar nicht gut damit. Ob der Sohn Anna überhaupt gefragt hat, keine Ahnung. Josef jedenfalls hat er nicht gefragt.

Josef war am Boden zerstört. Das andere Altenheim war eigentlich ganz nah – aber für Josefs Möglichkeiten hätte es auch am anderen Ende der Welt sein können. Einige Wochen später wurde Josef ins Krankenhaus eingeliefert, wo er länger bleiben musste. Als er ins Altenheim zurück kam, war er nur noch ein Schatten des lebenslustigen Josef.

Aber Josef wäre nicht Josef gewesen, wenn er jetzt einfach mit sich hätte machen lassen, was andere sagen. Er sagte mir, er werde nicht mehr ins Krankenhaus zurück gehen. Wozu auch die ganze Quälerei noch. Mit denen vom Altenheim wolle er auch nichts mehr zu tun haben.

Jetzt, ein paar Wochen später, ist Josef gestorben.

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Kommentare (6)

  • El

    |

    Lieber Otmar Spirk

    vielen herzlichen Dank für Ihre berührende Erzählung.
    Sie ist sehr traurig.

    Und zeigt sehr deutlich auf, wo der Hase langläuft in den Altenheimen, auch in Regensburg.

    In Kumpfmühl, beim Sauern Gockel, haben jahrelang Frauen ehrenamtlich einen Flohmarkt abgehalten. Mit Dingen, die sie von den BewohnerInnen dort bekommen hatten. Sie haben mit den alten Menschen gespielt, gesungen …. getanzt. Welcher Verein oder welcher lose Zusammenschluß das gewesen ist, weiß ich nicht mehr.

    Eines Tages fand der letzte Flohmarkt statt . Auf meine traurige Frage, warum denn diese schöne Tradition nicht weitergeführt würde, erzählten mir die Frauen, dass sie im neuen Sauren Gockel keinen Platz mehr hätten. Da gäbe es “keinen Raum” mehr für sie. Ich war hellauf entsetzt und riet ihnen, dies öffentlich zu machen.

    Da heißt es doch immer, dass keineR sich um die alten Menschen kümmert, viele vereinsamen und keinerlei Ansprache hätten.
    Dann sind da Frauen, die das ehrenamtlich machen, lange und gut und liebevoll und ihnen wird einfach der Rahmen genommen dies zu tun. Unter Vorgabe von Argumenten, die nur “Pseudo” sein können. Ich riet den Damen damals, dies öffentlich zu machen : Einerseits ein neues, angeblich bessere Heim hinzustellen und auf der andren Seite sowas !! Außen “hui” und innen “pfui” sozusagen. Die Frauen waren aber zu enttäuscht, sich da zu wehren.

    Beim Umzug vom alten in den neuen Gockel mussten die alten Menschen ihre persönlichen Möbel wegschmeißen. So, wie ich den Gesprächen mit den Alten entnommen habe, gibt es jetzt eine standardisierte Möblierung, die einem Einheitsgedanken entspricht und sicher problemlos keimfrei gehalten werden kann.

    Alten Menschen gerade auch dieser Generation, die ohnehin durch Krieg und Flucht oft alles verloren haben, in ihren letzten Jahren die gewohnte Umgebung unterm Hintern wegzuziehen, ist empathielos bis zum Würgen.

    Die Alten, mit denen ich damals gesprochen habe, nahmen es mit einem “Da kann man nichts machen” , hin.

    Eine Bekannte von mir hat dort eine Verwandte wohnen. Bei einem der Besuche dort fand sie diese mit Erbrochenem auf dem Pullover vor. Der Darmverschluss, aus dem dies resultierte, war vom Pflegepersonal nicht erkannt worden. Bei einem andren Besuch war die Klingel, die benötigt wird, um den PflegerInnen zu klingeln, einfach hochgehängt , so dass die alte Frau keine Möglichkeit hatte, um Hilfe zu bitten.

    Sowas für 3000 Euronen im Monat ?? (Ich lasse mich gerne korrigieren, sollte so ein Platz weniger kosten) Wenn man mal davon ausgeht, dass so eine Zimmer 300 Euro Miete kostet, und die Verpflegung vllt. nochmal 400 . Medikamente auch ein wenig bis mehr Euronen…
    Dann ist die Frage, wohin die gut 2000 Euro pro Monat fließen, die da noch über den Tisch geschoben werden müssen. Dafür ist doch eine Privatpflegerin bezahlbar und nicht eine, die vor lauter Arbeit zu nichts Menschlichem mehr in der Lage ist.

    Es ist höchste Zeit, dass sich da etwas ändert.

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  • Ursula

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    Die Alten werden doch gut versorgt. Hier und da ein Plausch mit Bürgermeisters und Foto mit 100jährigen. Und ab gehts zum nächsten Fotopoint.

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  • Christian Feldmann

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    Danke, Otmar. Ich bin jetzt 67 und der Gedanke, was vielen von uns möglicherweise bevorsteht, jagt mir das eiskalte Grauen über den Rücken.

    Diese zum Himmel schreiende True Story ersetzt viele kluge Bücher und Parteiprogramme. Ergänzend – auch zu @El, aber das wisst Ihr beide natürlich – sollte man vielleicht noch mal sagen, dass das Personal in solchen Einrichtungen oft genug am Rand des Nervenzusammenbruchs arbeitet und sich gedankenlos, unempathisch und gleichgültig verhält, weil es ums eigene Überleben kämpft. Der Fisch stinkt auch hier vom Kopf her, wo die katastrophale Personalsituation in den Heimen bekannt ist und nichts getan wird, um den Beruf attraktiver, prestigeträchtiger und schlicht besser bezahlt zu machen. Die Menschenwürde alter, schwerkranker und dementer “Insassen”, was für ein grauenhaftes Wort, leidet oft auch deshalb, weil man dem Pflegepersonal s e i n e Menschenwürde ebenfalls genommen hat.

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  • El

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    Dass die Altenheime so schrecklich teuer sind, ließ mir keine Ruhe und auf der Suche nach einer Erklärung fand ich,
    dass alle Altenheime eine Art Instandhaltungspauschale verlangen , die zwischen 500 – und 1000 Euro im Monat beträgt.

    Für Reparaturen u.a. Aufwändungen.

    Der Hammer – oder ?
    Und nur möglich, weil sie eine Monopolstellung haben,
    denn alle, die keine Kinder oder andere Menschen haben, bei denen sie wohnen können im Alter,
    müssen sich dieses alternativlose Produkt “antun” im Alter.

    Dieses Gedicht schrieb ich,
    als ich vor einiger Zeit öfter mal die BewohnerInnen des Sauren Gockel auf den Gängen herumsitzen sah ….müde wie verlorene Handschuhe im Winterschnee.

    Endscheidung

    Nein,
    ich werde nicht abwarten,
    bis meine Würde zusammenschmurgelt
    auf die Größe einer Schmerztablette.

    Bevor
    der Tod und seine Sippe den Zuschlag bekommen,
    kaufe ich mir ein Ticket
    bei den Bäumen.

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  • otmar spirk

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    @El und andere, die den Kopf nicht vor dem Alter in den Sand stecken:
    Besser als die Alternative Altenheim-Maschine oder Baum finde ich den Gedanken Alten-WG mit Pfleger-Unterstützung
    Auch das erfordert Einschränkung, aber im Unterschied zum Altenheim nicht Unterwerfung
    Und es wird nur gehen,wenn wir es anpacken,solange wir noch Kraft haben

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  • „Er hatte die Hand in ihrer Hose!“ » Regensburg Digital

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    […] nach Nähe. Wie es einem lebendigen Menschen in einem Altenheim ergehen kann, habe ich bereits in „Bis die Gemeinheit euch scheidet“ beschrieben. Und natürlich: Ganz viele Heime sind noch immer unter der Führung kirchlicher […]

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Kommentare sind deaktiviert

drin