“Im Stadtrat kam die junge Generation bislang zu kurz.”
Der künftige Stadtrat wird bunter und jünger werden, davon ist bereits jetzt auszugehen. Bei einigen der etablierten Parteien kam es bei den Listenaufstellungen zu großen Bewegungen. Und auch neue Wahlvorschläge bringen junge und neue Leute für den Stadtrat in Stellung. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen. Heute in der Serie „Nichts zu melden, aber was zu sagen“: Tarek Carls-Littwin von den Jungen Liberalen.
Mit durchschnittlich 45 Jahren bilden die Kandidatinnen und Kandidaten der FDP Wahlliste ziemlich genau die Mitte aller Parteien ab. Die Liberalen stehen damit zwischen der Partei der extremen Mitte DIE PARTEI (32 Jahre) und der AfD (57 Jahre). Mit jeweils ähnlichem Abstand sind die SPD (48) und die CSU (43) positioniert. Einer der Kandidaten ist Tarek Carls-Littwin, Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen. Der 25jährige Psychologiestudent ist auf Platz 5 geführt.
Kommunalpolitik ist nicht gerade eine dankbare Aufgabe. Für die FDP anzutreten ist zudem für junge Menschen nicht unbedingt eine Erfolgsgarantie. Warum wagen Sie dennoch den Versuch?
Ich höre oft die Frage, warum ich eigentlich bei der FDP bin. Offenbar passt das nicht zu einem jungen Menschen, der zudem aus einer Arbeiterfamilie stammt. Für mich ist die FDP hingegen genau die richtige Partei. Ich sehe es als notwendig an, allen Menschen möglichst auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu verwirklichen. Ich beende demnächst mein Masterstudium der Psychologie und aus der Psychologie wissen wir, dass Menschen immer dann besonders erfolgreich sind, wenn sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Doch dazu muss es die richtigen Voraussetzungen für alle geben. Bereits 2017 bin ich über die Hochschulpolitik bei den Jungen Liberalen gelandet und habe mich da sofort gut aufgehoben gefühlt, da es dort im Kern genau um diese Frage geht. Ich weiß noch, dass auf meinem Mitgliedsantrag der FDP stand: „Du kannst alles werden.“
Das mit den Voraussetzungen ist aber so eine Sache. Gerade im Bereich Bildung spielt es noch immer eine große Rolle aus welchen Milieus man kommt.
Nix zu melden, aber was zu sagen
Das ist vollkommen richtig. Ich hatte wahnsinniges Glück in einer Familie aufzuwachsen, die mich schon immer in meinen Plänen unterstützt hat. Und das obwohl vor mir niemand studiert hatte. Ich habe aber auch gemerkt, welchen Unterschied genau dieser Fakt macht, sobald ich auf der Uni war. Mir konnte dann niemand mehr beiseite stehen. Ich musste mich dort selbst zurecht finden und lernen, wie das mit den Anmeldungen zu den Prüfungen läuft, wie ich an Praktika komme oder wie überhaupt dieser ganze Uniapparat funktioniert. Ich habe gelernt, selbstständiger zu werden. Aber viele andere Studierende hatten da einfach bessere Startbedingungen. Gesamtgesellschaftlich ist das Aufstiegsversprechen in Deutschland in den letzten Jahren immer mehr ins Stocken geraten. Deshalb müssen wir dieses Versprechen wieder mit Leben füllen. Genau dafür setze ich mich ein.
Und dieses Aufstiegsversprechen würden Sie gerne auf kommunaler Ebene herstellen?
Die Kommunen können durchaus wichtige Grundvoraussetzungen schaffen. Bildung fängt bereits im Kindesalter an. Wir müssen das Angebot an Kita-Plätzen unbedingt ausbauen und vor allem kostengünstig und sozialverträglich zur Verfügung stellen. Das löst nicht alle Probleme, aber eine bessere frühkindliche Förderung könnte, so meine Hoffnung, die Startbedingungen vieler Kinder verbessern. Es ist wohl kein Geheimnis, dass vor allem in Bayern der Selektionsmechanismus schon bei der Einschulung beginnt. Die Schulen selbst müssen zudem besser ausgestattet werden. Und zwar alle Schultypen, nicht nur die Gymnasien.
Wenn wir ein paar Schritte weiter gehen und den Stadtrat ansehen, dann zeigt sich auch dort durchaus ein Missverhältnis. Dort sitzen, wie fast immer in der Politik, vor allem Menschen mit einem akademischen Hintergrund. Das Handwerk und andere Berufssparten bilden die Ausnahmen. Es ist auch nicht verwunderlich, wenn der BMW-Arbeiter neben seiner Schichtarbeit keine Zeit für Politik findet. Das ist aber vor allem auch ein Defizit der Parteien. Wir müssten noch viel bewusster Personen fördern, die nicht dem klassischen Milieu entstammen. Dadurch würden wir meiner Meinung nach eine Repräsentationslücke der Politik schließen.
Würde das auch wieder mehr Vertrauen in die Regensburger Politik schaffen?
Ich für meinen Teil habe derzeit nicht unbedingt das Gefühl, dass uns die Menschen überhaupt nicht mehr vertrauen würde. Wir waren auch viel in den Haushalten unterwegs und wollten den Menschen direkt auf Augenhöhe begegnen, um ins Gespräch zu kommen. An den Infoständen gab es ebenfalls viele gute Gespräche. Da hat übrigens niemand meine Kompetenzen aufgrund meines Alters in Frage gestellt.
Natürlich schwebt die Korruptionsaffäre über diesem Wahlkampf und wird uns auch die kommenden Jahre beschäftigen. Ich finde es daher gut, dass Horst Meierhofer, unser OB-Kandidat, immer wieder betont, dass die FDP nur noch Spenden annimmt, die wir auch veröffentlichen dürfen. Egal wie hoch der Betrag ist, wir wollen das transparent machen und stets mit Namen veröffentlichen. Es bringt schließlich nichts, wenn die Veröffentlichungsgrenze herabgesetzt, aber weiter gestückelt wird.
Chancengleichheit ist ein wichtiges Thema. Doch am Ende kann auch die beste Bildung nicht garantieren, dass man sich die Mieten leisten kann.
Regensburg muss weiter bauen und die Mieten müssen runter. Auch das steht nicht zur Debatte. Es ist eben nur die Frage, wie wir das schaffen wollen. Die FDP lehnt einen Mietendeckel ganz klar ab, da er das Problem nicht lösen wird. In Stockholm hat sich zum Beispiel gezeigt, dass davon am Ende eigentlich nur diejenigen profitiert haben, die bereits seit längerem dort in ihren Wohnungen leben. Alle, die auf Wohnungssuche sind, warten auf eine Wohnung länger als Ostdeutsche damals auf einen Trabi. Durch solche Maßnahmen drängen wir diejenigen vom Markt, die sich schon jetzt schwer tun eine neue Wohnung zu finden.
Im übrigen halte ich das Feindbild des bösen, großen Investors für realitätsfern. In Deutschland sind die meisten Wohnungen im Besitz von Einzelpersonen, die vielleicht eine oder zwei Wohnungen zur Altersvorsorge haben. Aus städtischer Sicht sind die Baukosten einfach viel zu hoch. Da können Kommunen aktiv werden indem sie Genehmigungsverfahren überprüfen und, wo möglich, vereinfachen. Und nach wie vor gilt die FDP Forderung, die Grunderwerbssteuer abzuschaffen. Auch das würde unserer Meinung nach helfen, die Baukosten und damit die Mieten zu drücken.
Sie haben bereits davon gesprochen, dass die Politik auf Augenhöhe mit den Bürgern agieren müsse. Was bedeutet es, unter diesem Aspekt, der Jugend eine Stimme im neuen Stadtrat zu geben?
Frischer Wind ist immer gut. So kommt Bewegung in festgefahrene Strukturen oder kann einer Verkrustung vorbeugen. Es geht mir aber auch darum, den Stadtrat als Repräsentation der gesamten Gesellschaft zu verstehen. Und da kam die junge Generation in den vergangenen Jahren definitiv zu kurz. Die Jugendlichen brauchen ihre eigenen Vorbilder, wenn sie sich mit der Politik auch identifizieren sollen. Ich selbst möchte so ein Vorbild sein, auch deshalb kandidiere ich. Ich halte auch die Forderung das Wahljahr auf 16 zu senken für sehr richtig. Denn die Jugend kann und soll auch mehr Verantwortung übernehmen. Die kommunale Ebene ist dafür eigentlich auch bestens geeignet. Denn nirgends ist die Politik so greifbar. Die Bürger melden einem sofort zurück, was sie von den eigenen Vorschlägen und den getroffenen Entscheidungen halten. Wer Verantwortung übernehmen will, muss dann aber eben damit zurecht kommen. Das hat Thüringen vor kurzem eindrücklich gezeigt.
Wenn Sie es schon ansprechen lassen sie uns kurz darüber sprechen. Was muss die FDP aus der Situation in Thüringen lernen?
Die FDP in Thüringen, aber auch wir hier in Regensburg, haben das völlig unterschätzt und die Kollegen in Erfurt haben da einen ziemlich Bock geschossen. Es hat sich gezeigt, dass die passive Haltung gegenüber der AfD nicht mehr funktioniert. Es braucht eine klare Haltung und eine kollektive Absage an eine Zusammenarbeit mit der AfD. Das muss auch für den kommenden Stadtrat gelten. Es ist dringend geboten den parlamentarischen Arm der rechtsextremen Strukturen trocken zu legen.
Vielen Dank für das Gespräch.
joey
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Grunderwerbssteuer: ein Grund, keine Wohnung zu kaufen. Eine Verhinderung von örtlicher Mobilität. Eine Bremse gegen Eigentum und Selbstverantwortung.
Aber: ist das ein Thema (Zuständigkeit) für Stadträte? Da wird ein schwarzer Peter verschoben.
“Genehmigungsverfahren”. In der Organisation und besonders bei kommunalen Auflagen kann man in R was ändern, das Verfahren selbst ins Landesvorschrift.
“Aufstiegsversprechen”: es geht mittlerweile schon eher um Abstiegsangst. Immer mehr wird auf die Mittelschicht gepackt.
Piedro
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“Durch solche Maßnahmen drängen wir diejenigen vom Markt, die sich schon jetzt schwer tun eine neue Wohnung zu finden.”
Warum das denn? Es verhindert, dass Menschen aus ihren Wohnungen verdrängt werden, die sich die Miete nicht mehr leisten können. Und es verhindert, dass die Mieten für noch weniger Menschen leistbar sind. Das ist Verdrängung vom Markt?
S
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Von
“Das werd ich meinen Kindern noch erzählen.
„Alles begann damit dass wir ein paar FDP-Glückskekse an Autotüren geklemmt haben. Und ein paar Wochen später war der Kemmerich Ministerpräsident.“”( Tarek Carls, 5.2.20)
Zu:
“Die FDP in Thüringen, aber auch wir hier in Regensburg, haben das völlig unterschätzt und die Kollegen in Erfurt haben da einen ziemlich Bock geschossen.” (4.3.20)
Da hat Carls wohl den selben Bock zweimal geschossen…
Der König
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Immer wieder schade zu sehen, dass auch junge Menschen so wenig Charakter haben und in diese Partei gehen und diese Propaganda verbreiten.
R.G.
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@Piedro
“Warum das denn? Es verhindert, dass Menschen aus ihren Wohnungen verdrängt werden, die sich die Miete nicht mehr leisten können.”
Am Beispiel Wiens, dessen Wohnpolitik meistens als Allheilmittel für Regensburg angeführt wird: bei den Vierteln mit unter “Mieterschutz” stehenden Wohnungen (Gründerzeitviertel) gab es da bewährte kriminelle Ausmietungsmethoden; die Stadt eröffnete schließlich extra eine Abteilung, um Betroffenen zu helfen, sich wenigstens rechtlich verteidigen zu können.
Wohnungen mit Richtwertmietzins hat und gibt es dort zwar offiziell auf dem freien Markt, jedoch funktioniert das Sytem der legalen und illegalen, sehr hohen Ablösen immer wunderbar.
Mit den liberalen Regierungen wurden – angeblich um den Markt zu entspannen – Befristungen von Mietverträgen ermöglicht; durch Eigeninvestitionen geschaffene Kategorieanhebungen schützten nicht mehr vor Erhöhung der Miete bei Übergabe; uralte “Mieterschutz”-Verträge konnten auslaufen; zum Richtwert gibt es vielerlei Aufschläge u.v.a.m. Gleichzeitig stellte man den Bau neuer Gemeindewohnungen ein und versuchte erolgreich die Wohnbauförderungen für Genossenschaften (Objektförderung), bzw. die Subjektförderung auszuhungern. Heute erzeugt sich zusätzlich Druck auf den Wohnungsmarkt durch AirBnb und Wimdu und wie sie alle heißen.
Da sich Österreicher gelegentlich immer noch wehrten, zum Beispiel zu den Schichtungsstellen gingen, um ungerechtfertigte Ablösen rückzufordern, vermieten viele Besitzer eben nur noch an Deutsche, Russen, Asiaten.
Wo immer, wann immer man die Besitzenden in ihrem Handeln nicht einschränkte und kontrollierte, ging es zum sehr großen Nachteil der Mieter bzw. Arbeitnehmer aus. In Berlin, Wien und Regensburg.
Alle jungen Hoffnunsträger der Regensburger Parteien haben wahrscheinlich den Älteren geglaubt, die durch schnellen Vergleich mit einem einzigen Aspekt auswärtiger Wohnpolitik (Berlin, München, Wien) die Auseinandersetzung mit dem Problem der rasanten Verteuerung des verknappten Gutes Wohnen vortäuschen, um oberflächliche Lösungsversprechungen vor der Wahl, zu rechtfertigen…
Da man gleichzeitig immer mehr Menschen einen gerechten Lohn vorenthält und auch Sozialleistungs-Empfänger nicht mehr mit genügend Geld ausstattet, um auf dem Wohnungsmarkt mithalten zu können, ist Not vorprogrammiert. Denn wer nicht mal mehr genug Geld zum Fressen hat, kann sich bald die Miete zwei Monate nicht leisten, und dann geht es los.
Ehrliche Debatten zum wirklich leistbaren Wohnen gehen mit der Schaffung gerechter Löhne einher.
GSH
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Ohne jetzt die Kommentare im Detail zu lesen:
Ich finde es hervorragend, dass sich junge Leute politisch betätigen und Verantwortung in Parteien übernehmen. Über alle Seiten des politischen Spektrums hinweg.
Diese Serie in RD finde ich hervorragend.
Was macht ihr Kommentatoren eigentlich so im Ehrenamt?
Joachim Datko
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Jeder nach seiner Façon
Zu “Der König” 21:37 – “Immer wieder schade zu sehen, dass auch junge Menschen so wenig Charakter haben und in diese Partei gehen und diese Propaganda verbreiten.”
Jeder gehe zu der Partei, zu der er gehen will. Auch wenn ich völlig anders wähle, lasse ich doch gerne jedem seine Meinung. Gestern habe ich mich beim Einwurf von Partei-Flyern in Briefkästen längere Zeit intensiv und respektvoll mit einem Wähler des politischen “Gegners” unterhalten.
Ich kenne den Versuch der Bevormundung vor allem aus meinem links-grünen Bekannten- und Freundeskreis.
me
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Liebe/r GSH,
schön, dass Sie sich hier für die Jungen stark machen und die Kommentatoren implizit zu mehr ehrenamtlichen Engagement und Milde und weniger Kritik auffordern.
Noch schöner wäre es, wenn Sie sich auch selbst dran halten würden (siehe Ihr äußerst kritischer Kommentar zu Sarah Hundt).
GSH
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@me: Gerne beschreibe ich Ihnen in einem persönlichen Gespräch meine ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Der Kommentar zu Sarah Hundt betrifft die Arbeit der Oposition und die Beschreibung des Systems der Kinderbetreuung im gelobten Skandinavien. Eine Kritik an Sarah Hundt enthält der Kommentar nicht.
Haben Sie Lust auf ein Gespräch? Gerne lasse ich Ihnen meine Kontaktdaten in einer persönlichen Nachricht zukommen.