Bierstreik! Brauerei Kneitinger lahmgelegt
Etwa seit 1530 gibt es die Brauerei Kneitinger, seit 1991 in den Händen einer Stiftung. Am heutigen Montag wurde zum ersten Mal in der Brauereigeschichte gestreikt.
Viel sagt Martin Sperger nicht, als er kurz nach halbacht in der Kreuzgasse direkt hinterm Arnulfsplatz ankommt. Man solle ihn durchlassen, meint er nur zu den Leuten, die dort seit sechs Uhr früh mit Fahnen und Warnwesten auf ihre Forderungen aufmerksam machen. Dann fährt der Geschäftsführer der Brauerei Kneitinger rein in den Innenhof, verschwindet in seinem Büro und hängt sich ans Telefon. Merklich angefressen.
Denn heute geht nichts bei der Regensburger Stiftungsbrauerei. Bereits seit Februar laufen die Verhandlungen um einen neuen Haustarif. Vergangenen Freitag ist den Beschäftigten und deren Verhandlungsführer Rainer Reißfelder, Bezirksgeschäftsführer der Gewerkschaft NGG, der Kragen geplatzt.
Der erste Streik seit fast 500 Jahren
Sie haben die Verhandlungen für gescheitert erklärt und gegenüber Sperger weitere Schritte angekündigt. Von dem ganztägigen Warnstreik, an dem sich am Montag alle 19 Beschäftigten von Brauerei und Logistik beteiligen, scheint er dennoch völlig überrascht worden zu sein. Es ist der erste Streik in der fast 500-jährigen Geschichte der Brauerei (den Namen Kneitinger trägt sie erst seit 1861).
Man liege doch gar nicht so weit auseinander, ärgert sich Sperger darüber. Es gehe doch nur noch um ein Prozent. Dass da gleich der ganze Betrieb lahmgelegt werde. Das wieder reinzuholen, werde eine Mammutaufgabe. Zwischen 100 und 150 Hektoliter Bier werden in der Kreuzgasse jeden Tag gebraut – heute nichts. Und es wird auch so gut wie nichts ausgeliefert.
„Wer weiß, ob wir morgen abfüllen können“, so Spergers Befürchtung. Falls nicht, dann werde man in vier Wochen ein Problem beim Flaschenbier bekommen. Er habe da jedenfalls kein gutes Gefühl. „Das war völlig unnötig. Das ist purer Populismus. Anscheinend hat die Gewerkschaft in Regensburg zu wenig Mitglieder und will sich profilieren.“ Er sei „echt enttäuscht“, so Sperger.
Irgendwann kommt Arbeitsrechtler Dr. Christian Schild dazu. Er berät die Brauerei und versucht, Sperger zu beruhigen. Das bringe doch jetzt nichts, so emotional zu werden. Die Beschäftigten dürften natürlich streiken – und nun müsse man eben prüfen, wie man mit deren Forderungen umgehe.
„Das war schon lange überfällig.“
Der Herr Sperger nehme das alles leider ein bisschen zu persönlich, heißt es draußen von den Beschäftigten. Die meisten seit Jahrzehnten dabei, zum Teil noch von Sophie Kneitinger eingestellt. Und kaum eine lässt einen Zweifel daran, dass man sich dem Betrieb schon verbunden fühlt. Grundsätzlich jedenfalls.
Aber dieser Schuss vor den Bug von Geschäftsleitung und Stiftungsrat sei „schon lange überfällig“ gewesen, meint Gisela Regn, seit 23 Jahren bei Kneitinger. Im Dezember 2020, einer Hochzeit von Corona-Beschränkungen und Kurzarbeitergeld war Regn noch Motiv auf einem Werbemotiv der Brauerei bei Facebook, wo man der „ausgewiesenen Spezialistin für Fassbier“ mit Herz und Christbaumkugel für ihren Einsatz dankte.
Dieser Dank soll sich jetzt eben auch auf dem Bankkonto niederschlagen, fordert Regn. Man habe zugunsten des Betriebs wegen Corona ja auch ein Jahr auf eine eigentlich anstehende Lohnerhöhung verzichtet. Die in der Belegschaft vorhandene Loyalität habe aber auch Grenzen. Und die seien eben jetzt überschritten.
Es geht um ein Prozent mehr Gehalt
Darum geht es im Detail. Die Brauerei Kneitinger ist bereits vor vielen Jahren aus dem Flächentarifvertrag der Bayerischen Mittelstandsbrauereien ausgestiegen. Der Kneitinger Haustarif liegt um 182,50 Euro pro Monat darunter.
Zu Beginn der Verhandlungen im Februar hatten Beschäftigte und Gewerkschaft eine Vorweganhebung der Löhne und Gehälter um diesen Betrag sowie eine generelle Steigerung um zwölf Prozent ab 1. April gefordert.
Zwischenzeitlich hat man sich angenähert. Das letzte Angebot der Brauerei lag laut Geschäftsführer Sperger bei einer Erhöhung um fünf Prozent für 2023 und um weitere vier Prozent ab 2024, plus Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro. Beschäftigte und Gewerkschaft hätten ein Prozent mehr gefordert.
„Da hätte man sich doch zusammensetzen können“, beklagt Sperger. Schließlich sei Kneitinger ja keine Aktiengesellschaft. Alles sei teurer geworden – Strom, Gas, Diesel. Mit einer Brauerei, die auf zwei Standorte aufgeteilt sei – Regensburg und Grünthal – habe man einen Effizienzmangel. Und man wolle in diesem Jahr den Bierpreis auf keine Fall erhöhen. „Sonst verlieren wir Hektoliter.“
„Das sollte sich eine Stiftungsbrauerei leisten können.“
Die Zahlen seien im Grunde richtig, heißt es von den Beschäftigten draußen. „Aber der Brauerei war auch klar, dass das eine Prozent unser ultimativ letztes Angebot war“, sagt einer. „Es ist doch unglaublich, dass wir wegen Löhnen für 19 Beschäftigte schon seit Februar verhandeln müssen“, ärgert sich ein anderer.
Im Grunde gehe es bei dem einen Prozent mehr Lohn um etwa 35 Euro pro Beschäftigten und Monat. Eine Gesamtsumme von vielleicht 8.000 Euro. „Das sollte sich eine Stiftungsbrauerei leisten können, die auf der anderen Seite Millionen ausgibt, um ein Gebäude wie den Prüfeninger Schlossgarten, der uns nicht einmal gehört, kernsanieren zu lassen.“
Bier wird rechtzeitig abgefüllt
Um die rechtzeitige Bierabfüllung muss sich Martin Sperger übrigens keine Sorgen machen. „Wir wollen den Betrieb ja nicht ruinieren“, sagt Gisela Regn beim Gewerkschaftshaus in der Richard-Wagner-Straße, wo die Beschäftigen den Warnstreik ausklingen lassen. Die Schicht um 18 Uhr werde wieder ganz normal ihren Dienst antreten und für einen reibungslosen Ablauf sorgen. „Darauf haben wir schon geschaut.“
Währenddessen klingelt bei Gewerkschaftssekretär Reißfelder das Telefon. Arbeitsrechtler Schild ist dran, um einen neuen Verhandlungstermin zu vereinbaren. Am 20. Juni will man sich nochmal zusammensetzen, um zu reden, auch wenn es das nicht wirklich brauche, meint Reißfelder unter zustimmenden Rufen der Anwesenden. „Unsere Forderungen sind ja klar.“ Das hat man heute mit Nachdruck bekräftigt.
Der Stiftungsrat ist jetzt am Zug
Das letzte Wort hat allerdings nicht Geschäftsführer Martin Sperger, der am Montag mit dem Warnstreik kalt erwischt wurde, sondern der Stiftungsrat der Sophie-Kneitinger-Stiftung, der die Brauerei seit 1991, dem Todesjahr von Sophie Kneitinger, gehört.
Dort sitzen aktuell Diplomingenieur Michael Naumann als Vorsitzender, der als Insolvenzverwalter bekannte Rechtsanwalt Dr. Rudolf Dobmeier, Dr. Alois Plössl, Chef der Rhaner-Brauerei in Cham, und der Steuerberater Maximilian Gradl. Der fünfte Posten im Stiftungsrat ist derzeit unbesetzt. Und auch am Verhandlungstisch mit Gewerkschaft und Beschäftigten sitzen die Stiftungsräte selbst dem Vernehmen nach eher selten.
Mr. T.
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Warum ist eine Erhöhung der Bierpreise schweiriger als eine Erhöhung des Lohns? Kneitinger ist nicht unbedingt dafür bekannt, von Wirkungstrinkern des Preises wegen bevorzugt zu werden. Bei dem Preis in den eigenen Gatsstätten für eine Halbe dürfte der reine Bierpreis eh kaum ins Gewicht fallen.
Spartacus
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Jede Solidarität den Streikenden! Lasst euch nicht abspeisen, ihr seid es wert!
Und einen großen Respekt an die NGG die es geschafft hat alle Mitarbeitenden zur Teilnahme zu bewegen, jeder Streik ist effektiver wenn es keine Streikbrechenden gibt!
Bierdimpfl
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Vielleicht wäre ein Schluck Bier nötig das zu sie zu Freunden macht.
Günther Herzig
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Spartacus
5. Juni 2023 um 16:03 |
Was hat das mit Abspeisen zu tun, wenn es ums Trinken geht.
Aber Spaß beseite, das Kneitinger Bier ist unverhältnismäßig teuer. Wenn die für ihre Beschäftigten keine Lösung finden, gehen die der Stiftung stiften.
Wilfried Süß
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Nur diese geschlossen zueinanderstehende Belegschaft wird es dem Geschäftsführer ermöglichen, den Auftrag des Stiftungsrats umzusetzen, die Brauerei weiterhin erfolgreich zu führen. Viele Unternehmen wären froh, auf einen derart treuen Mitarbeiterstamm bauen zu können.
Martin
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Streik o.k. , aber muss es deswegen eine Diskussion über´s Bier sein. Trotzdem
# Günther Herzig: “das Kneitinger Bier ist unverhältnismäßig teuer.”
Sie wissen anscheinend, was ein gutes Bier kosten soll, gleichzeitig aber nicht über die Produktionsverhältnisse Bescheid.
Bei ALDI gibt´s Grafenreuther und billigeren Wein als in der Enotheka haben die auch.
Gotthold Streitberger
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Mein Respekt und meine Hochachtung den Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft NGG! Es liegt am Arbeitgeber bzw. dem Geschäftsführer,ihnen ein für sie akzeptables Angebot zu machen.
Günther Herzig
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@Martin
ich wohne im Landkreis Cham. Vergleichen kann ich die Preise in den Getränkeläden.
Auch ausgesprochen gepflegte Biere sind zum Teil erheblich billiger, z. B. Augustiner, die so gut wie nicht werben und die in Gaststätten und Restaurants im bayerischen Wald ziemlich stark verteten sind. Wein kaufe ich auch in der Fattoria La Vialla in Rosenhof, beim Winzer oder online, zum Beispiel bei Hawesco.
Aber ich gestehe, ich habe Kneitinger zu Hause. Wenn man 40 Jahre am Möblerstammtisch gesessen hat, kann man nicht einfach wechseln. Das wäre Verrat! Zufrieden?
Gotthold Streitberger
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Mit dem Wissen der geschlossen zueinander stehenden und streikbereiten Belegschaft schmeckt (mir) das Kneitinger Bier noch besser. Zum Wohl!
Wilfried Süß
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Es besteht durchaus Hoffnung, dass die Brauerei nach dem Ende des Tarifstreits und -steiks gute Chancen hat, trotz Zugeständnissen an die Beschäftigten im Markt zu überleben. Susanne Horn hat es beim Lammsbräu Neumarkt vorgemacht, wie man eine Marke aufbaut und stabilisiert, so dass man das 10er-Tragl (0,5l) für 13,00 EUR verkaufen kann. Man muss sich nicht zwangsläufig nach unten orientieren. Aber ein hartes Geschäft ist es schon, Qualistätsbier zu verkaufen…
Tobias
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Weiter so!
Ich habe bisher noch nie gelesen, dass eine Firma einen “netto Realprofitverlust” akzeptiert hat; warum also immer die Beschäftigten?
Der Deutsche fängt langsam und endlich an, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Dieser Blödsinn wie “Hauptsache einen Job” in Zeiten irrwitziger Sozialleistungen ohne jegliche Gegenleistung aus der Zeit gefallen. Müde von der Arbeit kommen, obwohl jetzt erst die Zeit der Selbstentfaltung anfangen sollte, muss wieder so bezahlt werden, dass man davon auch mal etwas schönes kaufen kann. Der Deutsche hatte ja zwischenzeitlich in großen Teilen eine “Naja, Hauptsache ich habe essen und Wohnung”, aber inzwischen merkt man, dass man als (Vollzeit)Arbeiter auch Urlaub, ein Auto, Home-Enterntainment et cetera verdient hat – buchstäblich. Wird echt Zeit! Man kann sich die Statistiken ja gerne ansehen, wie Managergehälter und Inflation steigen; Preise werden innerhalb einer Woche erhöht, Gehälter bleiben jahrelang niedrig. Das ist ein dreistes Gesundstoßen auf Kosten der Mitarbeiter, die sich die eigenen hergestellten Waren immer weniger leisten können!
Charlotte
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Wow, jetzt bin ich aber ziemlich beeindruckt vom unglaublichen Wissen im Forum über erfolgreiche Unternehmensführung und der volkswirtschaftlichen Kompetenz hinsichtlich der Bekämpfung von Inflation. Wer von ihnen hat denn je erfolgreich über lange Zeit ein Unternehmen geführt und Arbeitsplätze geschaffen? Ich fürchte die Antwort ein wenig…
Wilfried Süß
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@Charlotte
Dieses Forum schätze ich wegen seiner Vielfalt. Diese erzeugen Menschen unterschiedlichster Prägung. In seiner Gesamtheit zeigt es ein Meinungsbild, durchsetzt von Insiderwissen, Fachkompetenz, Lebenserfahrung, Überzeugungen usw. – zwangsläufig manchmal ins Lächerliche abdriftende Äußerungen. Immer wieder versuchen Autoren (bedauerlicherweise unter Pseudonym), den anderen vorzuhalten, welche Dummköpfe sie doch sind. Zum Glück greift die Redaktion ein, wenn Verstöße gegen ihre liberale Einstellung drohen. Was dem einen als Unkraut erscheint, werten andere als Bereicherung in dieser Blühwiese. Einen ertragsoptimierten Acker zu bestellen, erfordert natürlich fundierte Voraussetzungen, wie Sie sie offensichtlich aufweisen können. Schütteln Sie Ihren Kopf, das lockert auf!
Paul
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Servus
Wilfried Süß
8. Juni 2023 um 10:25 | #
Vielen Dank
Auf den
.
gebracht.
Mr. T.
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Steht “Lohndumping” unter den von Sophie Kneitinger angedachten Zwecken der Stiftung? Wenn nicht, weiß der Stiftungsrat ja, wie er zu handeln hat.
Ein gutes Bier braucht eine ordentliche Anlage, ordentliche Zutaten und ordentliche Mitarbeitende. Die Kosten dafür muss man addieren, die weiteren Gemeinkosten dazu und dann durch den geplanten Ausstoß teilen. Dann weiß man, was man für das Bier zu verlangen hat.
Spart man an den Faktoren, führt das zu minderer Qualität und man begibt sich in Konkurrenz zu Bischofshof, Paulaner usw. auf ein Feld, auf dem es noch viel schwerer ist wirtschaftlich zu bestehen.