BDS: Versäumnisse der Politik als Chance begreifen
Neues Jahr, neues Glück? Das fragen sich zur Zeit auch viele Selbstständige. Bei seinem traditionellen Neujahrsempfang versuchte der Bund der Selbstständigen trotz scheinbarer Dauerkrise Optimismus zu verbreiten.
„Wird’s besser? Wird’s schlimmer?, fragt man alljährlich. Aber seien wir ehrlich, Leben ist immer lebensgefährlich.“ Erich Kästners Worte, so scheint es zu Beginn des dritten Jahres im Zeichen der Corona-Pandemie, waren schon lange nicht mehr so aktuell. Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer dürfte sich das Zitat daher vielleicht geradezu aufgedrängt haben, als sie über einen Einstieg in ihre Rede auf dem Neujahrsempfang des Bund der Selbstständigen (BDS) grübelte.
Auf Einladung des Verbands, dem in Bayern rund 15.000 Unternehmen angehören, steht die OB vergangenen Sonntag im leeren Leeren Beutel. Denn vor Ort sind lediglich einige Verbandsvertreter und Technikpersonal, das sich um den Live-Stream kümmert. Ein paar Musiker sorgen für schwungvolle, manchmal aber auch leicht melancholische Jazz-Begleitung. Der bekannte Schweizer Prof. Dr. Dr. Hürtzele und Marietta Glanz führen charmant und wortgewaltig durch die zweistündige Veranstaltung.
Einfach mal über die ganz unwichtigen Dinge reden
Tatsächlich handelt es sich bei dem Moderationsteam um Martin Hofer und Undine Schneider vom Regensburger Turmtheater. In teils abstruser Art gehen sie zwischen den einzelnen Beiträgen den ganz, ganz unwichtigen Fragen nach, listen die Lottozahlen von 1955 auf und philosophieren über die Morgentemperatur von Julia Roberts. Maltz-Schwarzfischer ist hier dem eigenen Vernehmen nach keine Expertin, kenne ihre Grenzen und wolle daher diesbezüglich lieber nichts mehr sagen. Die Einlagen von Hürtzele und Glanz wollen nicht immer zum herzhaften Lachen animieren, lockern aber die Stimmung auf.
Und diese Stimmung dürfte unter den Selbstständigen einmal besser gewesen sein. Laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat jeder dritte Selbstständige bis vergangenen Herbst aufgrund der Corona-Beschränkungen Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. „Viele waren auf staatliche Hilfen angewiesen, viele fielen aber auch durchs Raster und mussten auf ihre Ersparnisse zurückgreifen“, so die Oberbürgermeisterin. Das habe gerade bei Selbstständigen zu psychischen Belastungen geführt.
Schlechte Ausgangslage
Hört man sich bei den Unternehmern in der Region um, zeigt sich das von der OB dargelegte Bild schon länger. Viele fragen sich, ob das eigene Unternehmen noch eine Zukunft hat. Der BDS sieht aber gar keinen Grund, den Kopf auch nach zwei Jahren Corona-Krise und quasi am Beginn der ökonomischen Auswirkungen der Klimakrise in den Sand zu stecken. Das ausgerufene Motto lautet: „Zukunft wagen.“ Und das trotz einer Politik, die bisher vieles verschlafen habe, wie Gabriele Sehorz, Präsidentin des BDS Bayern, anmerkt. Man wolle den eigenen Mitgliedern „Mut für die Zukunft und sie auch fit für die Zukunft machen“.
Es klingt fast schon wie eine Binse, wenn Sehorz von einer Zeitenwende spricht, vor der die Gesellschaft und natürlich auch Selbstständige stehen würden. Viele Jahre habe es immer nur eine Richtung gegeben – nach oben. „Die große Produktpalette, auf die wir wie selbstverständlich zugegriffen haben, die steht uns nicht mehr vollumfänglich zur Verfügung und ist in manchen Bereichen auch richtig teuer geworden.“ Das sei unangenehm und ungewohnt, „das kneift“.
Verschläft die Politik den Wandel?
Zum derzeitigen Frust über die Politik, mit Wut und Resignation hinzu kämen immer mehr auch die „düsteren Prognosen“ der Umwelt- und Klimaforscher. Und die Politik? Die verschlafe weiterhin sämtliche wichtige Entwicklungen, so Sehorz. Die Entwicklung von Wasserstoff? „Ich habe den Eindruck sie dümpelt dahin, während der zu erwartende Energiebedarf bis 2030 mindestens um 20 Prozent steigen wird.“ Dem Ausbau der Erneuerbaren stehe die Bürokratie viel zu oft im Wege. Dass die Bundesregierung kürzlich „über Nacht“ die KfW-Förderung für energieeffiziente Gebäude gestoppt hat? „Ein Schlag für den klimagerechten Wohnungsbau.“ Und „dringend benötigte Datenautobahnen“ seien vielerorts weiterhin „noch immer kleine Feldwege“.
Die letzten zwei Jahre hätten deutlich aufgezeigt, wo die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. „Wir haben einen enormen Fortschrittsstau und können, wenn wir ehrlich und realistisch sind, nicht mal auf dem Papier unter den optimalsten Bedingungen die ökologische Wende bis 2030 schaffen“, lautet Sehorz’ Fazit.
In der Krise liegt die Chance
Was bedeutet das nun für die Selbstständigen in und um Regensburg? Die seien laut dem stellvertretenden Landrat Willy Hogge schließlich eine tragende Säule für funktionierende Gemeinden – wirtschaftlich und gesellschaftlich. Sehorz ist überzeugt: Wer die Angst vor Neuem ablege, „die Ärmel hochkrempelt“ und „schonungslos die Zukunftsfähigkeit“ der Betriebe auf den Prüfstand stelle, der könne auch viele Chancen entdecken. Gerade auch in den „nicht gemachten Hausaufgaben unserer Politik“.
Wenn die Energiepreise immer teurer werden? „Dann nehmen wir die Herausforderung doch mal an, prüfen wir wo wir in Unternehmen Energie sparen können.“ Anstatt der Geschäftsreise ein Online-Meeting machen und so Zeit und Geld sparen. Investitionen in eigene Energieerzeuger „machen uns ein ganzes Stück unabhängig vom globalen Energiepreis und schützen uns vor Engpässen“. Anstatt weiter über den Fachkräftemangel zu jammern, fordert Sehorz, „doch bitte nach Lösungen“ zu suchen, Prozesse zu automatisieren und Personal für andere Aufgaben freizusetzen.
Im Zweifel umsatteln
„Wird’s besser? Wird’s schlimmer?, fragt man alljährlich.“ Eine konkrete Antwort darauf hat man auch vergangenen Sonntag nicht, beschwört aber die vielen Chancen die in Krisen stets auch liegen würden. Nicht immer sei das einfach. Deutschland mit seinen vielen klugen Köpfen müsse aber endlich zu Pötte kommen, kreative Ideen und ein „neues Verständnis für unsere Umwelt“ entwickeln. Das ist das Bild, das der BDS zu Beginn des dritten Pandemiejahres vermitteln will.
Und wenn all das nicht helfe, so schlagen Prof. Hürtzele und Frau Glanz am Ende vor: „Einfach mal über den Inhalt hinweg lesen und die Buchstaben in der Zeitung zählen.“ Soll heißen, die alten Pfade einmal verlassen. Warum, angesichts zahlreicher Krisen, nicht umsatteln und künftig viertelstündig in einer Sauna den Aufguss machen? Vielen dürfte das keine attraktive Alternative sein. Aber nicht wenigen dürfte wohl eine Umstellung der eigenen Betriebe bevorstehen.
Gscheidhaferl
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Ich fürchte das “Krise-als-Chance”-Gerede ist nicht wirklich hilfreich. Es sollte sich auch niemand von dem Zweckoptimismus der Verbandsfunktionärin täuschen lassen: Es sieht ingesamt meines Erachtens nicht übertrieben gut aus für kleinere Betriebe. Im Handwerk wird zwar derzeit in vielen Bereichen durchaus gutes Geld verdient. Und natürlich können auch andere Kleinstunternehmen ihren Schnitt machen, wenn sie für sich eine entsprechende Nische gefunden haben.
Insgesamt bevorzugt ‘die Politik’ aber größere Strukturen und Institutionen als Ansprechpartner*Innen. Einfach weil es ihr zu mühsam ist, sich mit all den Kleinbetrieben zu unterhalten. Viele Gesetzesvorhaben und Verordnungen lassen da – zwischen den Zeilen gelesen – keinen Zweifel: Vieles ist mit den Gegebenheiten eines Großbetriebs im Hinterkopf ersonnen worden. Die Sucht nach möglichst umfassender Absicherung aller Risiken und die Abneigung zur Verantwortungsübernahme durch Politik und Verwaltung schaffen eine immer weiter ausufernde Menge an nicht unbedingt zweckdienlichen Auflagen und an Bürokratie. Für einen Großbetrieb meist kein großes Ding. Für ein kleineres Unternehmen mitunter aber immer wieder auch über der Schmerzgrenze. “Wachse oder weiche” ist die wenig subtile Botschaft dabei.
Nein, die Rahmenbedingungen für Selbstständige bzw. Kleinunternehmen sind aus meiner Sicht nicht wirklich förderlich oder ermutigend. Vielfach wären die entsprechenden Unternehmer*Innen wahrscheinlich besser beraten (hinsichtlich Work-Life-Balance, Bezahlung etc.), sich als Angestellte in Großunternehmen zu flüchten.
Und bevor jetzt jemand sagt “Na dann sollen die das eben tun und ihren Laden dicht machen.” bloß der Hinweis: Natürlich gibt es Kleinunternehmer*Innen, die alles andere als eine Zierde für ihren Stand sind und im Kleinen das Haifischverhalten der Großen immitieren. Nicht wenige sind aber auch ganz anders unterwegs und erlauben sich Dinge, um die sich Großbetriebe, die sich sowas eher leisten könnten, systematisch herumdrücken. Z.B. wenn es darum geht, auch jungen Frauen, die noch keine Kinder haben, eine Chance zum Einstieg in den Beruf zu geben. Die aus Überzeugung/Prinzip in die Ausbildung von Menschen mit eher schlechten Berufschancen investieren. Denen ihr Heimatort tatsächlich was bedeutet, weil sie ja auch selbst da leben.
Kleinteilige regionale Strukturen gelten nicht völlig ohne Grund als die ökologischeren. Sie sind meistens auch sicherer, weil schlimmstenfalls ihr Ausfall in der Regel keine so verherenden Folgen hat. Und sie sind ein kleineres Risiko für den Rechtsstaat, der vor den Riesen wie VW (Stichwort: ‘too big to fail’) gerne mal den Schwanz einkneift und die Verbraucher*Innen im Regen stehen lässt. Im Idealfall sind sie auch die Sozialeren, sofern sie vor Ort nicht nur einen Filz bilden, der nichts und niemand anderen mehr hochkommen lässt. Aber da tun sich kleinere Unternehmen in der Regel auch deutlich schwerer als die Großen. Weil nur die wenigsten so finanzstark sind, dass sie Bürgermeistern den Wahlkampf oder den Bundesligaverein sponsern könnten ;-)
Robert Fischer ÖDP
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Danke Gscheidhaferl für diese Worte, die motivieren mich viel mehr, als das Gerede “meiner” Lobby :)
Ich erwische mich nämlich auch sehr oft bei dem Gedanken, dass ich mir den Stress sparen könnte und lieber bei nem Großkonzern anfange.
Kann das auch nicht ganz ausschließen, dass das mal passiert. Denn obwohl ich in einer guten Branche selbständig bin, ist es ziemlich hart diese zu finanzieren, vor allem, wenn man Idealismus vorne anstellt.