Bādgire – Wie fängt man Winde ein?
Die Wüste zwingt seit je her dem Menschen aufgrund der vorherrschenden klimatischen Verhältnisse besondere Geschicke und Fähigkeiten ab. Ein Beispiel für menschlichen Einfallsreichtum sind Bādgire – Windfänger. So nennen die Perser die Türme, die in weiten Teilen die Silhouetten der Siedlungen in der Region um den persischen Golf bestimmen – neben Moscheen und Minaretten. Im Gegensatz zu den arabischen Malqaf – hier weisen die Türme in aller Regel nur eine einzige Öffnung auf – sind Windtürme oft kunstvoll gestaltete funktionelle Gebäudeteile. Mit ihren in alle Himmelsrichtungen weisenden Öffnungen „fangen“ sie den Wind ein. Sie sorgen im heißen Wüstenklima für eine angenehme Belüftung und Kühlung der Wohnräume. Nach dem gleichem Prinzip arbeiten die Eistürme im Land. Riesigen „Kühlschränken“ gleich lagern sie Eisvorräte inmitten der Wüste. Und dies alles, ohne den Einsatz von elektrischer Energie.
Temperaturunterschied und Wind sorgen für die notwendige Zirkulation der Luftmassen innerhalb der Gebäude. Die Physik macht‘s möglich: Da treffen der Kamineffekt – ein Naturzug, der Bernoulli-Effekt aus der Strömungsmechanik und die Verdunstungskälte aus der Thermodynamik aufeinander. Im Zusammenspiel sind diese in der Lage, die Innentemperatur der Gebäude beträchtlich zu senken. Der Architekt und Ingenieur Reza Razavi von der Universität in Yazd erläutert: „Außentemperaturen – je nach Jahreszeit – von bis zu 48 Grad Celsius und mehr sind vor Ort keine Seltenheit.
Durch Windtürme wird innerhalb der Bauwerke eine Temperaturminderung von bis zu über 20 Grad Kelvin erreicht.“ Wer jemals einen derart gekühlten Raum aus der prallen Hitze des freien Wüstenhimmels kommend betreten hat, weiß es dankbar zu schätzen, welchen Dienst die „Windfänger“ den Menschen dieser Breiten erweisen. Für die technische Funktionalität, die durch die Konstruktion der Windtürme gewährleistet wird, spielt das kostbare Element Wasser die wichtigste Rolle. Durch den Aushub, den der Lehm hinterlässt – in der Regel werden die Ziegel während der Bauphase für die Gebäude unmittelbar an Ort und Stelle produziert – wird das Niveau des Fundaments ins kühlere Erdreich verlagert. Bereits dieser Faktor ist für die Klimatisierung wichtig. Und so betritt man die Bauwerke von der Straßenseite her meist durch leicht abschüssige Gänge und Treppen. Im Innenhof der rechteckig angelegten Gebäude angekommen, findet man das obligatorische Wasserbassin (a). Das verdunstende Wasser erhöht die Luftfeuchtigkeit, ein erster Schritt hin zum Mikroklima im Haus.
Die feuchte Luft findet nun ihren Weg über großzügig angelegte Treppengänge oder aufwändig gestaltete Lufteinlässe hinab in die untersten Räume (b). Die Zimmer auf Hofebene (c) der jeweiligen Gebäudetrakte werden ebenso befeuchtet. Lehmwände speichern die Feuchtigkeit optimal. Wird dann wiederum bei den höheren Tagestemperaturen dieses Wasser abgegeben, entsteht die genutzte „Verdunstungskälte“. Physikalisch exakt erklärt die Verdampfungswärme den Prozess. Die gleiche Ursache, die beim Schwitzen unseren Körper kühlt, senkt jetzt im Keller des Hauses die Temperatur angenehm ab.
Durch Öffnungen in Decken und Böden der jeweils übereinander liegenden Räume findet die abgekühlte Luft den Weg nach oben. Das geschieht durch den Kamineffektin. Winde (e) aus den verschiedensten Richtungen erzeugen an den windabgewandten Seiten der Türme den notwendigen Unterdruck. Dieser saugt die warmen Luftschichten aus dem Gebäude, die abgekühlte Luft zieht von unten (d) nach. Das Haus ist klimatisiert. Da diese Art der Energienutzung (nicht nur im Iran) derzeit Gefahr läuft, durch elektrische Klimaanlagen verdrängt zu werden, sind Architekten und Ingenieure des Landes mehr und mehr daran interessiert, die seit vielen Jahrhunderten angewandte Methode wieder aufleben zu lassen und zu verfeinern. Untersucht wird dabei auch die Bedeutung von Wasserkanälen, die immer wieder – auch bei Ausgrabungen und Sanierungsarbeiten – an alten Gebäuden ans Licht gebracht werden. Unstrittig ist, das diese Kanalsysteme (Qanate genannt) unter den Städten der Wüste nicht nur zur Wasserversorgung dienten, sondern innerhalb der Grundrissen der Häuser auch in das System der Bādgire integriert waren und die Effizienz der natürlichen Klimaanlage gesteigert haben. Badgir Badgire Windturm
Roland Hornung
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Hervorragende und ausgezeichnete Ideen – und
hervorragend und ausgezeichnet erklärt !
Danke.
Euer Roland Hornung
wolf herman von arnim
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Großartige (offenbar uralte) Methode ohne Strom ein gutes Klima zu schaffen.
walter dabra
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würde mich interessieren,ob man davon Pläne bekommen
könnte. Wenn ja, wo ?
Lucas
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Buchtipp: Bahadori, Mehdi; Dehghani-sanij, Alireza: Wind Towers. Architecture, Climate and Sustainability.
Sonst mal nach Literatur von Hassan Fathy suchen