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Kritische Betrachtungen des nationalen Stipendienprogramms – Ein Beitrag zu den Ursachen und Auswirkungen neoliberaler Bildungspolitik
Der Bundesrat hat in seiner 873. Sitzung dem nationalen Stipendienprogramm zugestimmt. Damit ist die letzte Hürde für Bundesministerin Schavan und die Fraktionen CDU/CSU und FDP im Bundestag genommen und das Gesetz kann voraussichtlich am 1. August in Kraft treten. Das nationale Stipendienprogramm war ein zentrales bildungspolitisches Vorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung und ist nun beschlossene Sache. Der Beschluss stellt einen weiteren Höhepunkt einer verfehlten Bildungspolitik dar und verschärft die ohnehin bereits gravierende Bildungsungerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland zusätzlich. Das Zustandekommen dieses Gesetzes ist kein Zufall, sondern Teil des politischen Strebens nach Elitenförderung und Ökonomisierung der Bildungslandschaft. In nachfolgenden Ausführungen wollen wir die Ursachen und Auswirkungen einer Hochschulpolitik untersuchen, die nicht die bestmögliche Bildung für alle im Blick hat, sondern Privilegien von Bildungs- und Einkommenseliten weiter befördern möchte. Das nationale Stipendienprogramm reiht sich nahtlos in die Logik vorangegangener Beschlüsse und bestehender Ungerechtigkeiten wie der Bologna-Reform, der Exzellenzinitiative, der Einführung von Studiengebühren und des achtstufiges Gymnasium ein. Bevor wir versuchen, diese These zu verifizieren, wollen wir uns zunächst eingehender der Zielsetzung und dem Inhalt des nationalen Stipendienprogramms widmen.
Programm motiviert nicht zu Spitzenleistungen
Laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung soll die Bewilligung des Stipendiums „finanzielle Hindernisse für die Aufnahme eines Studiums“ abbauen und „Anreize für Spitzenleistungen“1. Doch werden Spitzenleistungen wirklich mit finanziellen Anreizen angeregt? Studien des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der London School of Economics (LSE) zeigen: genau das Gegenteil ist der Fall2. Entsprechende Forschungsergebnisse aus verschiedenen Regionen der Welt stellen zweifelsfrei fest, dass monetäre Anreize zwar für einfache Aufgaben angemessen sind, bei höheren kognitiven Leistungen jedoch hemmend wirken. Kreativität und Innovation, kritisches Denkvermögen und wissenschaftliche Kompetenzen können nicht erkauft werden, sondern bedürfen vielmehr der Möglichkeit zur Entfaltung eigener Ideen und des Raums zu freiem Denken. Paradoxerweise scheint die Bundesregierung genau entgegen dieser Erkenntnisse zu handeln. Der Raum für freie Entfaltung wird in der zunehmenden Verschulung der Universitäten immer weiter eingeschränkt, stattdessen soll mit zusätzlichen „Zuckerln“ die Motivation für ohnehin Geförderte angeregt werden. Woher kommt diese Unvernunft? Wir werden diese Frage weiter unten beantworten.
Wer zahlt, schafft an!
Ein anderes angestrebtes Ziel des nationalen Stipendienprogramms ist die Vernetzung der Hochschulen mit ihrem jeweiligen regionalen Umfeld und die Förderung bürgerschaftlichen Engagements, sowie die Entwicklung eines attraktiven Hochschulprofils. Die gesetzliche Vorgabe, die diesen Effekt zur Folge haben soll, lässt sich wie folgt zusammenfassen: von den monatlich 300 Euro, die bis zu acht Prozent der „leistungsstärksten“ Studierenden bekommen werden, sollen 150 Euro von privaten MittelgeberInnen und 150 Euro vom Staat kommen. Der private Anteil, der zudem Voraussetzung für die staatliche Aufstockung ist, wird selbstständig von den Hochschulen eingeworben (letztere dürften mit dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand zum großen Teil heillos überfordert sein). Diese Einwerbung – so die Idee – intensiviert die Kontakte der Hochschulen zu den GeldgeberInnen. Was an dieser Stelle als positiver Effekt verkauft wird, ist mitnichten nur eine bessere Vernetzung, sondern schlicht eine unangemessene Einflussnahme der regionalen und überregionalen Wirtschaft in die Studienfinanzierung. Neben der Tatsache, dass bis zu zwei Drittel der privaten Finanzmittel mit einer Zweckbindung für bestimmte Fach- und Studienrichtungen versehen werden können, sollen – entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung – die GeldgeberInnen Mitsprache bei der Auswahl der StipendiatInnen bekommen können. Es ist absehbar, dass die privaten SponsorInnen überwiegend in Studienrichtungen investieren, die für ihren eigenen Geschäftsbereich nützlich sind. Eine überaus einseitige Vernetzung. Um es in einem Satz zu sagen: das nun beschlossene Gesetz bewirkt weder eine Motivation zu Spitzenleistungen noch eine gesunde Einbettung der Hochschulen in ihr gesellschaftliches Umfeld. Wie konnte also ein solcher Fehltritt geschehen? Wie kommt ein Gesetz zustande, das offensichtlich nur in staatlich subventioniertem Eliten-Sponsoring besteht?
Die Macher hinter dem Gesetz
Um die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes zu verstehen, muss der Blick von den Beteuerungen der Bundesregierung abgewandt und der Fokus erweitert werden. Es ist eine Geschichte von Nordrhein-Westfalen, der Einführung von Studiengebühren, eine Geschichte des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). Vor allem letzteres spielt schon seit einigen Jahren eine gewichtige Rolle in der Hochschulpolitik. Gegründet als Kooperative der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz verfolgt das CHE vor allem das Ziel der „entfesselten Hochschule“, die „autonom, wissenschaftlich, profiliert und wettbewerbsfähig“3sein soll. Wichtig ist dem CHE dabei vor allem die Konkurrenz zwischen den Hochschulen und deren Wettbewerbsfähigkeit. Die Universitäten und Fachhochschulen orientieren sich demzufolge zunehmend nicht mehr am Ideal freier Bildung, sondern an dem Mantra des freien Marktes: „Wer zahlt, schafft an.“ Sie werden unter dem Druck der Konkurrenz in die Lage gedrängt, Gelder zu akquirieren – seien es so genannte Drittmittel, gesponsorte Studiengänge oder eben gesponsorte Studierende – um die Qualität von Lehre und Forschung (auf dem ohnehin niedrigen Niveau) halten zu können. Schon seit Jahren fordert das CHE die konkrete Umstrukturierung der Hochschullandschaft, darunter die Einführung von Studiengebühren in Kombination mit einem Darlehen.4 Ein Hochschulstudium, so der heutige Geschäftsführer des CHE Jörg Dräger 2003 in einem Vortrag unter dem Titel „Bildungsdarlehen statt BAföG – Plädoyer für eine grundlegende Reform der Studienfinanzierung“, lohne sich schließlich auch finanziell oder um es in seinen eigenen Worten zu sagen, erzielt eine „attraktive Rendite“5 Solche und ähnlich zynische Ideen, die zunächst wie Hirngespinste von neoliberalen Ideologen anmuten, wurden jedoch schnell zur Grundlage von christlich-liberaler Regierungspolitik. Bereits 2004 waren in den Lagern von Union und FDP die Vorbereitungen zur Einführung von Bildungsgebühren in vollem Gange. Gemeinsam mit dem CHE arbeitete man emsig an Gesetzentwürfen zur Einführung von (damals noch verfassungswidrigen) Studienbeiträgen. Jörg Dräger tönte öffentlich, er habe bereits „ein fertiges Konzept in der Tasche“. Willkommene Schützenhilfe bot schließlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Aufhebung der Studiengebührenfreiheit am 26. Januar 2005. Noch im selben Jahr wurde in allen unionsgeführten Ländern die Einführung der Gebühren angekündigt.
Die entfesselte Hochschule als Leitbild
Die konservativ-liberalen Landesregierungen zeigten sich schon damals erstaunlich resistent gegenüber jeglichen Bedenken und folgten nicht der sozial- und bildungspolitischen Vernunft, stattdessen verließen sie sich unhinterfragt auf die Vorgaben neoliberaler Think Tanks. Sie sahen sich dabei schon lange vor der Umsetzung harscher Kritik ausgesetzt. Man wies mit Recht darauf hin, welche negativen Effekte ein gebührenpflichtiges Studium auf die soziale Gerechtigkeit in einem ohnehin beispiellos selektivem Bildungssystem haben würde. Es folgten starke Proteste in allen gefährdeten Bundesländern. Schließlich sprang der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) für die Regierungen in die Bresche. Ganz im Sinn des öffentlichen Getöses, die Gebühren wären schon in Ordnung, wenn es denn ein funktionierendes Stipendiensystem gäbe, versprach Jürgen Thumann Milliarden: “Wir wollen eine Stipendienkultur aufbauen, und dafür wird die Wirtschaft Geld in die Hand nehmen.”6 Drei Jahre später stellte die taz fest, dass sich immer noch nichts getan hatte und konfrontierte den damaligen Innovationsminister in NRW Pinkwart, einen ausgesprochenen Befürworter der neoliberalen Umstrukturierung, mit den Tatsachen. Pinkwart setzte in Nordrhein-Westfalen schon 2006 ein Gesetz mit dem wohlklingenden Namen „Hochschulfreiheitsgesetz“ durch – ein guter Schritt in Richtung der „entfesselten Hochschule“. Kein Wunder, denn das Gesetz wurde wie viele andere gemeinsam mit dem CHE entwickelt7. Die gebrochenen Versprechen der deutschen Wirtschaft bedauerte er 2008 natürlich sehr, Zweifel an den Gebühren kamen jedoch keineswegs bei ihm auf. Stattdessen hatte er die Idee die Wirtschaft zu Stipendien gewissermaßen zu „überreden“. Für jeden Euro den die Wirtschaft für ein Stipendium springen lässt, soll der Staat einen Euro drauflegen. Was das bringen soll? „Die Hochschulen sollen einen stärkeren Anreiz erhalten, sich um private Fördermittel zu bemühen.“8 Dass die Hochschulen von Stipendien eigentlich überhaupt keinen Nutzen haben, war Pinkwart schon damals recht egal. Denn was wirklich zählt, das ist nicht Qualität oder Autonomie sondern in erster Linie „private Fördermittel“. Mit Betonung auf „privat“ 2009 schließlich einigte sich auch die Koalition auf die Einführung des von Pinkwart vorgeschlagenen Programms. Das CHE reagierte prompt mit einem 80-seitigen Arbeitspapier und weiß darin auch politische Ziele zu formulieren: das wesentliche davon bestünde in der „systematische[n] Akquirierung privater Mittel“9für die Finanzierung des Studiums einiger weniger. Dem CHE ist dabei völlig bewusst, dass ein privates Stipendienprogramm allein schon aufgrund der traditionell sehr homogenen Zusammensetzung der StipendiatInnen, sozial nicht besonders ausgewogen ist. Denn auch bei der gerade beschlossenen „Begabtenförderung“ ist zu erwarten, dass sich die Geförderten insbesondere aus akademischen und finanziell gut situierten Elternhäusern rekrutieren. Die Erfahrung zeigt, dass Stipendien kein geeignetes Instrument zur Herbeiführung von Bildungsgerechtigkeit sind.10 Als Lösung wird vom CHE lapidar vorgeschlagen in den bildungsfernen Schichten eben mehr zu informieren11, alles in allem zeigte man sich mit dem Gesetz jedoch sehr zufrieden. So sieht soziale Gerechtigkeit à la Bertelsmann aus.
Bildungsgerechtigkeit ist nicht das Ziel
Auch Henning Dettleff von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände findet das Gesetz sehr gelungen. „Besonders begrüßenswert“ findet er, „dass das Programm als Public Private Partnership (PPP) aufgelegt werden solle.“12Eine Kritik hat jedoch auch er: die GeldgeberInnen müssen noch mehr am Auswahlverfahren beteiligt werden. Denn wer zahlt, der soll schließlich auch wirklich anschaffen. Die Bundesregierung ließ sich von Bedenken zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit schließlich nicht beirren. Selbst massive Proteste aus allen Lagern konnten offensichtlich die Überzeugung nicht mildern, dass es der bessere Weg sei, ein halb privates Stipendienprogramm zu installieren statt ein breites BAföG zu gewährleisten. Das nationale Stipendienprogramm ist beschlossen. Letztlich sollen bis zu 160.000 Studierende davon profitieren. Die Erkenntnis, dass dies eine bloße Wunschsumme ist, bedarf keiner besonderen prophetischen Fähigkeiten, zumal die Hochschulen die dafür benötigten 24 Millionen Euro nicht werden auftreiben können. Abgesehen von handwerklichen Mängeln des Gesetzes, die sich nicht erst bei der Eintreibung des privaten Geldes offenbaren werden, sind vor allem seine sozial -und bildungspolitischen Folgen fatal. Weiter oben haben wir zu zeigen versucht, dass sich das nationale Stipendienprogramm lückenlos als Glied in eine lange Kette bildungspolitischer Fehlentscheidungen einfügt. Ebenso haben wir zu zeigen versucht, welcher Feder die jeweiligen Entscheidungen entstammen und welche Motivation und Argumentation dahinter stecken. Gesetzentwürfe, die auf den Schreibtischen von Bertelsmann, CHE und BDI entstehen, haben eben nicht eine sozial ausgewogene, gerechte und breite Bildung zum Ziel, sondern bedienen unverhohlen Kapitalinteressen zu Lasten der Gesellschaft. Profitieren sollen nicht Studieninteressierte und Studierende, sozial Benachteiligte und von Bildung Ausgeschlossene, sondern die KapitaleignerInnen, die sich von elitärer und selektiver Bildung höhere Profite versprechen. Ökonomische Verwertbarkeit und Effizienz sind mittlerweile die entscheidenden Kriterien deutscher Bildungspolitik. Diese Entwicklung ist in höchstem Maße bedenklich, entsprechende Argumentation zynisch und die Auswirkungen mit einer gerechten Bildung unvereinbar.
Kostenlose und hochwertige Bildung für alle!
Die Gesetzgebung der vergangenen Jahre ist durchdrungen von neoliberaler Ideologie, die verheerende Folgen für den deutschen Sozialstaat, die „Bildungsrepublik Deutschland“ und besonders die durch diese Verwertungslogik benachteiligten Menschen hat und haben wird. Die entfesselte Hochschule als Beitrag zur Ökonomisierung und Privatisierung von Bildung ist offenkundiger Ausdruck einer blinden Marktgläubigkeit und eines ausgrenzenden Konkurrenzdenkens. Bildungspolitik im Allgemeinen und Hochschulpolitik im Speziellen darf sich unserer Meinung nach nicht betriebswirtschaftlichen Kriterien unterordnen, sondern muss als Zielsetzung den uneingeschränkten und kostenlosen Zugang aller zu hochwertiger Bildung haben. Die von privaten Mäzenen abhängige, straff geführte, unternehmerische Hochschule muss sich zu einer autonomen, ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanzierten, wissenschaftsorientierten und sozialen Hochschule entwickeln. Nicht zuletzt ist dazu auch die radikale Demokratisierung des Schul- und Hochschulwesens notwendig. Auch bei der Studienfinanzierung gilt: Public Private Partnership Stipendien sind durch ein elternunabhängiges, bedarfsdeckendes und damit sozial ausgewogenes BAföG zu ersetzen. Nur so ist zu gewährleisten, dass nicht einige Auserwählte privilegiert werden, sondern dass diejenigen, die bisher aus finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten oder sich mühsam durch einen Nebenerwerb ihr Studium selbst finanzieren müssen, eine wirkliche Möglichkeit bekommen höhere Bildung genießen zu können. Das nationale Stipendienprogramm und die ihm vorangegangene bildungspolitische Gesetzgebung haben weder eine Steigerung von Spitzenleistungen noch soziale Gerechtigkeit zur Folge – und das war auch nie das Ziel. Die führenden Köpfe hinter dem nun beschlossenen Gesetz haben kein besonderes Interesse an der Förderung sozial benachteiligter Menschen – das zeigt nicht nur die seit Jahren ausstehende, spürbare BAföG-Erhöhung. Das Programm ist kein durchdachtes Konzept zur Verbesserung der Bildungssituation, sondern Ergebnis einer immer unverhohleneren Verquickung von Lobbyunternehmen und Politik und völlig untauglich, eine sinnvolle Studienfinanzierung zu garantieren. Natürlich wird die christlich-liberale Koalition und ihre zuarbeitenden Unternehmen und Medien auch in Zukunft über zugrunde liegende Mechanismen schweigen und ihre weiteren Schritte legitimieren, indem sie dem Zeitgeist nach dem Mund reden. Aber gerade deswegen sind wir in der Pflicht diese Entwicklung weiterhin kritisch zu begleiten und klar Stellung zu beziehen für eine gerechte Bildungspolitik. Der Macht der neoliberalen IdeologInnen kann nur mit Aufklärung begegnet werden. Sie ist nur durch Argumentation und gemeinsames Vorgehen zu brechen. Zu den Autoren Sascha Collet, 27, ist Student der Soziologie und Philosophie an der Universität Regensburg und Bundesvorstandsmitglied des Studierendenverbandes die linke.SDS. Martin Oswald, 25, ist Student der Philosophie, Politikwissenschaft und Tschechischen Philologie an der Universität Regensburg und Bezirksvorsitzender der JungsozialistInnen in Niederbayern. Quellen