12 Apr2013
„Asylbewerberinnen, insbesondere Traumatisierte und psychisch Kranke gehören nicht in ein Flüchtlingslager“.
Offener Brief des Regensburger Flüchtlingsforums
Sehr geehrte Damen und Herren PolitikerInnen,
mit diesem Schreiben möchten wir Sie bitten, sich für eine angemessene Form der Unterbringung von Flüchtlingen, insbesondere traumatisierten Menschen, einzusetzen.
In der aktiven Flüchtlingsarbeit werden wir immer wieder mit dramatischen Fluchtgeschichten konfrontiert.
Schutzsuchende berichten über massive Menschenrechtsverletzungen wie grausame Folter bei Inhaftierung, bestialische Vergewaltigungen, Abschlachten von Menschen, Entführungen, Bombenterror und andere Grausamkeiten.
Die Flucht gelingt oft nur unter großer Lebensgefahr.
In Bayern gilt die strikte Lagerpflicht auch für Menschen, die kriegsbedingte Traumata erlitten haben und unter Posttraumatischer Belastungsstörung leiden und solchen, die an anderen schweren psychischen Störungen erkrankt sind.
Die Unterbringung in Lagern ist für Flüchtlinge, insbesondere für Traumatisierte die denkbar schlechteste Form. Sie produziert tattäglichen Stress und verstärkt so die Symptomatik.
Was die Menschen vor allem brauchen, ist Verständnis, Sicherheit und die Eröffnung von Lebensperspektiven. Ausreichende Therapiemöglichkeiten sind notwendig, um sie aufzufangen und sie behutsam an ein normales Leben heranzuführen. Diese Therapiemöglichkeiten fehlen nach wie vor, obwohl sie immer wieder gefordert werden.
Ein richtiger Lösungsansatz wäre, Flüchtlinge, die kriegsbedingt traumatisiert sind oder andere schwere psychischen Störungen aus ihren Heimatländern mitbringen, Einrichtungen anzubieten, wie z.B. „Betreutes Wohnen“, in denen sie entsprechend ihrem Krankheitsbild gezielt behandelt und betreut werden.
Spätestens seit der Expertenanhörung im Bayerischen Landtag im Jahre 2009 wissen wir, dass das Leben in Gemeinschaftsunterkünften Menschen krank macht und Flüchtlingslager der Abschreckung dienen.
Nicht nur das ihnen aufgezwungene Lagerleben, sondern auch die restriktive Asylpolitik, die Flüchtlinge in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt, ihnen das Arbeiten im 1. Jahr nicht erlaubt, ihnen Essenspakete zuweist, ihr Asylverfahren in die Länge zieht und ihnen mit Abschiebung droht, führen unweigerlich zum sozialen Sprengstoff in den Unterkünften.
Bereits eine Ablehnung des Asylantrags mit Ankündigung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann eine Retraumatisierung auslösen.
Der Suizid eines Iraners in der Asylunterkunft in Hof (März 2013), die Randale von jugendlichen Flüchtlingen in der Bayernkaserne in München (März 2013), der Tod eines irakischen Flüchtlings, der im Februar 2013 leblos in seinem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft Regensburg aufgefunden wurde (Todesursache ungeklärt), die Messerstecherei in Wörth (März 2013), die einem 20jährigen irakischen Flüchtling das Leben kostete, die Messerstecherei in einem Übergangswohnheim in Kirchheim bei Stuttgart, die ein 22jähriger Asylbewerber nicht überlebte und 4 teils Schwerverletzte hinterließ (März 2013) – alle diese Fälle sind deutliche Hinweise auf die zermürbende Asylpolitik und die oft unhaltbaren Zustände in den Flüchtlingslagern.
Erschreckende Zahlen nennt auch die Antirassistische Initiative e.V. Dokumentationsstelle, Berlin. Zwischen 1993 und 2012 kam es zu:
165 Selbsttötungen wegen drohender Abschiebung oder Umkommen beim Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen.
64 Flüchtlinge starben in Abschiebehaft.
1 Mensch tötete sich nach der Abschiebung im Transitbereich am Flughafen Bukarest.
970 Flüchtlinge verletzten sich selbst aus Verzweiflung oder Panik vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung oder versuchten sich umzubringen und überlebten zum Teil schwer verletzt.
Einer von Ihnen verblutete infolge unterlassener Hilfeleistung des Gefängnispersonals.
Diese Statistik spricht für sich und gibt Anlass zu einem Appell an Sie als verantwortliche PolitikerInnen: handeln sie im Sinne der Flüchtlinge und setzen Sie sich für eine adäquate Unterbringung für traumatisierte und psychisch kranke Flüchtlinge ein. Wir fordern Sie auf, die politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass besonders diesem Personenkreis, aber auch anderen Asylbewerberinnen ein menschenwürdiges und mit Perspektiven ausgestattetes Leben ermöglicht wird.
Mit freundlichen Grüßen
für das Regensburger Flüchtlingsforum
Marion Puhle