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Bachs „Messe in h-Moll“ am Theater Regensburg

Apocalypse Ratisbona Now

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Wenigstens kann man diesmal nicht behaupten, sie hätten sich nicht getraut. Jochen Biganzoli verhackstückt am Theater Regensburg Bachs „Messe in h-Moll“ zu einem plakativen, politischen Lehrstück, das gerade ob seiner Brachialität sehenswert ist.

Von Maximilian Schäffer (Fotos: Jochen Quast, Theater Regensburg)

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Führt man so etwas wie Bachs h-Moll-Messe auf, muss man grob agieren, fundamentale Entscheidungen treffen. Entweder man wählt die sanfte Perfektion der Musik und belässt es bei der unantastbaren Grandesse dieses wichtigsten Werks des wichtigsten Komponisten der Kunstgeschichte, oder man begreift eben diese Gegebenheit als Chance für einen radikalen Schritt. Ähnlich verhält es sich bei Beethovens Neunter, Händels Messias, oder anderen derart im kulturellen Allgemeingut verankerten Monolithen.

Vorsicht Zuschauer, das schmeckt nicht allen!

Zu Anfang wird in Regensburg gewarnt: Nicht nur, dass an diesem weihnachtlichen Abend (25. Dezember) die Mezzosoporanistin erkrankt ist – vorsicht Zuschauer, hier geht es rund, das schmeckt nicht allen! Die Saalbeleuchtung bleibt erstmal an, der Kronleuchter fährt ins Dach, während sich der Orchestergraben langsam absenkt und der Chor auftritt.

Nachdem sich dieser während des ersten „Kyrie“ auflöst, verbleiben die Solisten auf der Bühne, der Zwischenvorhang, lichtet sich zum „Christe eleison“, Wolf Gutjahrs sparsames, aber effektives Bühnenbild wird sichtbar. Eine Hausfassade, drehbar zum Mehrparteienwohnraum, ist mit breiten Lettern bemalt, die „ICH“ skandieren. Programmatisch entfaltet sich daraus eine Parabel auf den grausamen Egoismus der Menschheit zwischen Dekadenz und Ignoranz. Daneben steht die undurschaubare Diversität des alltäglichen Lebens, in dem sich private Dramen am Weltgeschehen messen.

Stigmata – abwaschbar, aber kussecht

Christus soll erlösen, aber von was eigentlich? Die Reichtumsgesellschaft sonnt sich im Bikini auf Liegestühlen, während der sexy Gottessohn alles noch angenehmer gestaltet. Die Sporanistinnen Anna Pisareva und Sara Maria Saalmann malen dem Halbnackten mit Lippenstift das Martyrium auf den Leib und in die Handflächen. Die Stigmata sind abwaschbar, aber kussecht.

Es folgt ein Blick in familiäre Durschnittswelten des Jahres 2017. Yinija Gong und Saalmann freuen sich über ihr neugeborenes, schießen Selfies, bewohnen ihren mittelständischen Horizont. Auf Monitoren hat man wortweise die Zehn Gebote fragmentiert. Ob die biblischen Grundpfeiler des menschlichen Zusammenlebens noch gültige Ermahnungen sind, oder schon verwelkte Phrasen wird auf diese Weise reflektiert. Schließlich haben sich in dreitausend Jahren die essentiellen Leiden der Menschen kaum verändert – das Paar zergeht am Kindstod, während eine demente Mutter ihre leibliche Tochter vergisst.

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Pisareva erklärt im Anschluss die professionellen Schwierigkeiten des Berufs Opernsängerin. Es erfordert viel Training, Anstrengung und Technik, um das satte Publikum zu beglücken. Alles Leid ist relativ, danach kommt der Araber und betet in Landessprache zu Allah. Was für viele wohl die unangenehmste Szene ist, weil sie Bachs Krone der christlich-abendländischen Musik den Gebetsruf der Muslime entgegenstellt, zugleich drückend zeitgenössisch wie brachial-plump ist, entpuppt sich allerdings als valides Mittel zur Anreicherung dieser klotzenden, nicht kleckernden Inszenierung. Der Flüchtling wird gesteinigt und verzieht sich wieder in sein Loch, nachdem er von der blendenden Kraft des ach so liberalen Deutschtums verschmäht wurde.

Die Wahrheit der allgegenwärtigen Niedertracht kommt gut an

Regisseur Jochen Biganzoli geht es nicht darum, Anwalt des Islams zu sein, er ist frustriert über die Bigotterie der Menschheit. Die Türen öffnen sich, das Grundgesetz wird ausgeteilt, dazu erklingen die sakralen Bittgesänge. Regensburger Kinder verlesen charmant eine antikapitalistische Kampfschrift, danach laufen ambivalente Bilder von Glanz und Glorie der Domstadt. Vom Mikro ins Makro verschoben, endet das Stück mit Videos des globalen Ökozids, alle sterben, dürfen jedoch wieder Auferstehen um wenigstens ermahnt werden zu können. Man endet in der kleinbürgerlichen Realität des feudalen Theaters am Bismarckplatz, das Licht geht wieder an, das Orchester erscheint, die Immersion zur Apokalypse endet.

Man muss so ein Lehrstück nicht gut finden. Abgeklärt kann man diese Inszenierung auch beiseite schieben und sich fragen, ob der 68er-Aufwasch, Marke „Planetenrettung“, wirklich nötig ist. Besonders zu Weihnachten kam die einfache Wahrheit von der allgegenwärtigen Niedertracht jedoch gut an, das Publikum applaudierte überraschend freudig, kaum einer verließ den Saal vorzeitig. Dass das Musikalische bei so viel gestalterischer Idee etwas auf der Strecke blieb, störte niemanden, war verständlich. Das Orchester unter Alistair Lilley spielte solide und barock auf, besonders das Cembalo trieb markant rhythmisch vorwärts, während die Streicher etwas versanken. Leider sang der Chor stellenweise unakzeptabel, besonders die Männerstimmen taten sich keinen Gefallen, zerfielen im Bass.

Endlich: Man traut dem Publikum eine gewisse Robustheit zu

Überraschend war zu beobachten, dass die Stammbesetzung der Regensburger Oper sich in diesem Singstück wohler zu fühlen scheint als in vielen designierten Musiktheatern. Besonders Jongmin Yoon überzeugte mit kraftvollem Fundament und Problemlosigkeit, Saalmann trug den etwas brustschwachen Gong gekonnt durch die duettierenden Passagen, Pisareva agierte solide, während ihr beim Part der Selbstvorstellung als Opernstar ein wenig die Luft ausging.

Die szenische Bearbeitung der „h-Moll-Messe“ in Regensburg ist keine Großtat, dazu fehlt ihr dann doch etwas Feinsinn, aber sie eckt an. Sie spielt mit dem Haus, erkennt die Qualitäten seines Ensembles und traut dem Publikum eine gewisse Robustheit zu. All das spricht für sie und eine Haltung, die das Haus am Bismarckplatz viel öfter einnehmen sollte, um sich überregionale Relevanz und deutschlandweite Anerkennung zu erspielen.

4 Flamingos von 5.

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