Anarchie im Sechszwölfteltakt
„Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“ ist seit langem das Beste, was man auf Regensburger Theaterbühnen sehen kann.
Manche Rezensionen schreibt man mühselig, man hangelt sich von Wort zu Wort, man klaubt in den Erinnerungen und blättert durch Programmhefte, man legt sich Formulierungen zurecht und versucht, allzu floskelhaftes einigermaßen gekonnt zu umschiffen.
Manche Rezensionen schreiben sich aber auch wie von selbst, mit dem schwer zu bremsenden Schwung eines gut geölten Motors, mit der Unaufhaltsamkeit des Prinzips von Ursache und Wirkung, ja – mit der Kraft einer Dampfturbine.
Atemlos durch den Text
„Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“, bearbeitet und inszeniert von Hannes Weiler nach einer Romanvorlage des „Berlin Alexanderplatz“-Autors Alfred Döblin, ist ein Theaterstück, ist so ein Stück Theater, ja so ein Theaterstück, bei dem der Rezensent während des Schreibens nicht mehr zu Atem kommen sollte als während des Vorstellungsbesuchs; die Premiere wurde um eine knappe Woche verschoben, ja warum eigentlich?
Die Dampfturbine brauche eben noch ein bisschen, um auf Touren zu kommen, hieß es vonseiten des Theaters Regensburgs, und fürwahr, dieses auf Touren kommen, davon merkt man am Freitagabend am Bismarckplatz einiges, denn dieses Stück Theater, es ist ein Wahnsinnstheaterstück, es ist Theater in seiner modernsten Form, anarchistisch und deterministisch zugleich, „konstruktiv und logisch“ in seiner destruktiven Beliebigkeit.
Immer in Bewegung und doch auf der Stelle stampfend
„Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“ ist Wahnsinn, ist Anarchie im Sechszwölfteltakt, eine überhitzte Maschine, immer in Bewegung und doch auf der Stelle stampfend, aber weder der Protagonist Franz Wadzek (stets kurz vorm Herzinfarkt: Patrick O. Beck), Leiter einer Motorenfabrik, noch sein Vertrauter Schneemann (ein unrasierter Louis de Funès auf Speed: Frerk Brockmeyer) sind so recht in der Lage, an ihrer Situation irgendetwas zu ändern, obwohl sie immerfort am rödeln sind, immer am rennen, am schreien, am denken und am planen, wie sie den Großindustriellen Rommel (eklig mit Ansage: Gunnar Blume) und seine Pläne für eine alles revolutionierende Dampfturbine ausbremsen können.
Die Frauen helfen da auch nichts
Die Frauen in Wadzeks Leben sind da nicht gerade hilfreicher, erst recht nicht DIE Frau in Wadzeks Leben, seine Frau, seine Ehefrau, namentlich Pauline (kompetent in Kartoffel- und Kaffeefragen: Silke Heise), bei der Wadzek offen zugibt, dass er eben einen konservativen Blick auf sie habe, dass er eben nicht modern sei, dass er die Vorzüge der Ehe, in deren Genuss er freilich nimmer kommt, in ihrer althergebrachtesten Form schätze.
Besser wird’s auch nicht mit Gaby (steht auf Pickel und Altersglatzen: Susanne Berckhemer), der Mätresse von Rommel, für die Wadzek selbst nicht ganz unempfindlich ist, wenn er denn mal zu Atem kommt, und die ihm bei seinem Plan, Rommel zu sabotieren, helfen soll, was freilich scheitern muss, scheitert, wie alles in diesem Strudel der Absurditäten scheitert, entgleitet, zermalmt wird, in Dunst aufgeht wie der Rauch aus der Zigarette des HB-Männchens, das gewohnt unbeeindruckt neben dem sich unaufhörlich drehenden Molochs im Zentrum der Bühne lehnt.
Zwischen Angsty Teen und Chaoskind
Die vollständige Torpedierung seiner Pläne erlebt Wadzek aber letztlich durch seine Tochter Hertha (zwischen Angsty Teen und kreischendem Chaoskind chargierend: Franziska Sörensen), und genauer möchte man auf die Handlung an dieser Stelle auch gar nicht eingehen, denn wo sollte man aufhören, es passiert so viel in diesen zwei Stunden, es ist da noch ein dialektaler Mario-Barth-Verschnitt (ebenfalls Blume), es ist da ein Polizeirevier mit wandernden Bärten (Polizistin Berckhemer ermittelt), es ist da ein pausbäckiger Investor (wieder Heise), es ist da eine empörte Marzahn-Mutti (Sörensen) und noch so manch weitere Gestalt, es sind da komische Moebiusschleifen, die minutenlang die Handlung unterbrechen und die ganze Ausweglosigkeit, das ganze Unvermögen der Handelnden offenbaren, und schließlich sind da sogar Slapstick-Momente wie aus einem Helge-Schneider-Film.
Schlingensief hätte seinen Spaß
Film ist ohnehin ein gutes Stichwort bei „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“, und um Stichwörter geht es ja letztendlich; denn dieses Theater ist nicht bloß Theater, es ist gleichzeitig auch Film, denn zusätzlich zu den sechs Schauspielern stehen da noch drei Kameraleute auf der Bühne, die die Protagonisten immer wieder ins Innere des kolossalen Bühnenaufbaus hineinjagen und ihr Weitwinkelobjektiv ganz nah, ganz direkt auf die zu Grimassen verzerrten, von Streiflichtern illuminierten Gesichter halten; es sind diese Momente, die den Namen Schlingensief ganz groß im Gedächtnis aufleuchten lassen –
– ja, dieser „Wadzek“ ist eh fast schon ein Schlingensief-Tribut, mit all seinem übersteigerten Impetus auf das Kranke, das Absonderliche, das nicht mehr gut zu machende der Figuren, genauso wie er eben auch ein „Woyzeck“-Tribut ist, denn nicht nur der Name weist hier Parallelen zu Büchners Dramenfragment auf, auch viele Szenen lassen an den Soldaten Franz Woyzeck erinnern, der ebenso zerbrochen ist an Geschwafel über Moral und Fortschritt, an der Gemeinheit der anderen, an den Mechanismen einer Welt, die sich weiterbewegt wie eine Maschine, wie eine Dampfturbine, die ihn durchgekaut und ausgespuckt hat, die innerlich und äußerlich wenig übrigließ.
Nach jeder Aufführung ein Sauerstoffzelt
Jetzt muss aber gut sein. Es bleibt festzuhalten, dass dem Regieteam um Hannes Weiler ein kongenialer Wurf gelungen ist, „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“ dürfte so ziemlich das Beste sein, was man auf Regensburger Theaterbühnen seit langem zu sehen bekam und dass die Schauspieler nach jeder Aufführung ein Sauerstoffzelt brauchen dürften, das nehmen sie bei soviel Spaß am Spiel wahrscheinlich gern in Kauf. Dass das Haus am Bismarckplatz am Premierenabend verhältnismäßig leer war (und nach der Pause noch leerer), tut der Qualität des „Wadzeks“ keinen Abbruch.
Schlingensief hätte diebische Freude an dieser Inszenierung, die so viel PS hat, soviel Schub, dass sie Piepen müsste beim Rückwärtsfahren; Döblin würde das wahrscheinlich auch gefallen und ganz sicher hat der Zuschauer seinen Spaß. Wenn er denn den Atem hat für diesen Wahnsinnsritt, diesen Ritt auf der Kanonenkugel, diesen Ritt auf der Dampfturbine, bei der man oben aufsteigen kann, aber trotzdem unten ankommt oder eben unten einsteigt und sich nach oben mitnehmen lässt. Naja, Sie wissen ja.