Ameisen als Modellorganismen für ökonomische Entscheidungen
Eröffnung des „Animal Comparative Economics lab“ an der Universität Regensburg
Am 1. April 2016 wird das „Animal Comparative Economics lab“ (ACElab) an der Universität Regensburg eröffnet. Die neue Einrichtung wird in den nächsten fünf Jahren über das Emmy Noether Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit über 800.000 Euro gefördert. Ziel ist es, das ökonomische Verhalten von Tieren – insbesondere Ameisen – zu erforschen. Leiter des Labors ist Dr. Tomer Czaczkes (Am Lehrstuhl für Zoologie/Evolutionsbiologie).
Verbraucherentscheidungen spielen eine zentrale Rolle in der modernen Gesellschaft. Die theoretische Grundlage der ökonomischen Entscheidungsfindung ist aber gerade im Umbruch. Frühere Modelle gingen davon aus, dass nur der absolute Ertrag relevant ist. Die sogenannte Prospect Theory (Neue Erwartungstheorie) basiert auf neueren Erkenntnissen, wonach die Bewertung einer Option in Relation zu einem Referenzwert erfolgt. Diese subjektiven Bewertungen sind auch asymmetrisch; d. h., Verluste werden über- und Gewinne unterbewertet. Das neue Modell der ökonomischen Entscheidungsfindung liefert Erklärungen für viele vermeintlich irrationale Entscheidungen.
Tiere stehen vor ähnlichen Problemen wie der Mensch: Auch sie müssen Optionen bewerten und sich für die beste entscheiden. Auch bei Tieren ging man stets davon aus, dass sich im Laufe der Evolution Entscheidungen durchgesetzt haben, die den absoluten Wert einer Ressource reflektieren. Pilotstudien des Regensburger Forscherteams um Czaczkes haben jedoch gezeigt, dass Ameisen – genau wie Menschen – verschiedene Optionen in Relation zu einem Referenzwert bewerten. Mehr noch: Auch das Bewertungsschema von Ameisen ist asymmetrisch. Sie schätzen Verluste vergleichsweise größer ein als Gewinne. Kurzum, hier entspricht das Verhalten der Ameisen den Vorhersagen der Prospect Theory.
Im neuen ACElab an der Universität Regensburg sollen die Kerntheorien der Verbraucherspychologie und -ökonomie an Ameisen in einer Reihe von Experimenten überprüft werden. „Ameisen sind hervorragend geeignet, um ökonomisches Verhalten bei Tieren zu untersuchen“, erklärt Czaczkes. „Sie kommunizieren miteinander, indem sie an Stellen auf dem Boden ihre Lockstoffe verteilen. Wenn sie davon ausgehen, dass eine bestimmte Ressource besonders gewinnbringend ist, machen sie viele Markierungen. Wenn sie die Ressource für gering erachten, machen sie weniger Markierungen.“ Die Analyse der Stärke der Lockstoffe lässt demnach zuverlässige Aussagen über den Wert zu, den eine Ameise einer bestimmten Option beimisst.
Die Untersuchung an Ameisen hat weitere Vorteile. So können Hypothesen mit geringem Zeit- und Finanzmittelaufwand getestet werden. Zudem bleiben die Fehlerquellen von psychologischen Studien am Menschen außen vor: Denn Menschen beantworten Fragen vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Sozialisation; sie versuchen die richtige Antwort oder die Absichten des Fragenden zu erraten. Ameisen tun das nicht und liefern damit Einblicke in die Hintergründe des Bewertungssystems von Mensch und Ameise. Da das kollektive Verhalten einer Ameisenkolonie Einfluss auf ihre Effizienz hat, ist es möglich, die vermeintlich irrationalen Bewertungssysteme von Mensch und Ameise auch auf ihre evolutionäre Anpassung hin zu testen.
Das neue Regensburger Projekt vereint vor diesem Hintergrund Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Verhaltensökologie, verknüpft neue Methoden und kann so Erkenntnisse über die grundlegenden Mechanismen der Entscheidungsfindung bei Mensch und Tier liefern.