Am Stelzfuß fehlt’s
Mit dem „Black Rider“ experimentiert das Theater Regensburg im Bereich des modernen Musiktheaters mit vielen guten Ideen, aber ohne allzu schwarze Magie.
Ein bisschen wie eine Terry-Gilliam-Version des Obermünsterviertels, so lässt sich das Szenario vielleicht am ehesten beschreiben, das den Zuschauer beim Betreten des Velodroms erwartet. Holzverschläge, hinter denen Dunst heraufdrückt, elektronisches Beatgewummre im Zwielicht, eine enthemmt tanzende Varieté-Dame (Andine Pfrepper), ein hagerer Gothic-inspirierter Hysteriker (Gunnar Blume), der die „vierte Wand“ zwischen Inszenierung und Publikum beschwört. Danger, Danger. Die ersten Reihen werden angewiesen, Schutzbrillen aufzusetzen. Kurzum: der bühnengewordene Alptraum des gediegenen Stadttheaterabonnenten.
Was in knapp zwei Stunden „Black Rider“ folgt, ist dann aber doch weitestgehend harmlos; die vierte Wand bleibt stehen und die Schutzbrillen ohne tieferen Sinn. Das Musiktheaterstück von Robert Wilson, William S. Burroughs und Tom Waits, dessen Plot sich an den „Freischütz“ anlehnt, wartet in der Regensburger Inszenierung von Jan Langenheim mit vielen guten Ideen, aber über weite Strecken ohne Magie – erst recht ohne schwarze – auf.
Bühnenbild und Kostüme überzeugen
Dabei bieten Bühnenbild (Anja Jungheinrich), Kostüm (Jessica Karge) und Ausstattung beste Voraussetzung dafür, die irgendwo zwischen fahrendem Volk und vergessenen Backyard-USA angesiedelte musikalische Halbwelt eines Tom Waits zu pulsierendem Leben zu erwecken. Regisseur Langenheim und sein Team (Dramaturgie: Stephanie Junge/Anastasia Ioannidis; Ton: Cornelius Kellner; Licht: Martin Stevens) machen aus der Förster- eine Schaustellerfamilie und aus den Wäldern ein Konglomerat aus notdürftig zusammengezimmerter Zirkuskulisse. Weite Teile des Stücks bleiben wie eine schmuddlige Varieté-Nummer in eine Patina aus Dunst und Schummerlicht gehüllt, aus der Waits’ Musik herausschnarrt wie aus dem Trichter eines alten Grammophons.
Freischütz mal anders
Die Story des „Black Riders“ ist schnell erzählt: Wilhelm (Matthias Zera) will das schöne Käthchen (Verena Maria Bauer) heiraten, doch ihr Vater, der Förster Bertram (Oliver Jaksch), verbietet die Ehe, solange Wilhelm nicht die Kunst der Jagd gelernt hat. Lieber wollen er und seine Frau (Ruth Müller) Käthchen mit dem Jägerburschen Robert (Robert Herrmanns) verbandeln. Es kommt, wie es kommen muss; der verzweifelte Wilhelm, der eine Hauswand nicht mit einem Stein treffen würde (während er sich im Haus befindet), geht einen Pakt mit dem Teufel (Sebastian M. Winkler) ein. Stelzfußens magische Kugeln treffen Wild, wie Wild nur getroffen werden kann, und Wilhelm wird seine Braut versprochen.
Doch als ihm die Freikugeln ausgehen und Wilhelm erneut auf die Hilfe von Stelzfuß angewiesen ist, verlangt der, eine letzte Kugel aus Wilhelms Gewehrlauf selbst ins Ziel lenken zu dürfen. Was dieses Ziel ist, soll hier nicht verraten werden; wer eins und eins zusammen zählen kann, für den dürfte die Antwort aber nicht weiter überraschend sein.
Gute Musiker, durchwachsener Gesang
Freilich geht es im „Black Rider“ auch nicht um unerwartete Plot-Twists. Vielmehr lebt das Stück von der Symbiose der lyrischen Sprache eines William S. Burroughs und – natürlich – der virtuosen Musik von Tom Waits, jenes „musician’s musician“, unter Musikern bekannt wie ein bunter Hund, ansonsten aber nicht unbedingt das, was man einen Popstar nennen würde.
Instrumental bringt die Band im Regensburger „Black Rider“ die Musik tadellos auf die Bühne (Musikalische Leitung: Bernd Meyer). Zwar wünscht man sich ab und an eine etwas klarere, dynamischere Tonmischung, hier mag aber auch die Akustik des Velodroms an ihre Grenzen stoßen. Die Gesangspartien sind denn leider über weite Strecken weitaus unspektakulärer; vereinzelt zumindest am Premierenabend gar handwerklich mangelhaft, zumeist aber solide und mitunter sogar hervorragend (Verena Maria Bauer als Käthchen sei hier besonders hervorgehoben) gesungen, aber insgesamt zu klinisch, zu „musicalhaft“, ja schlicht zu leblos.
Waits ohne Black Magic
Wer Waits Musik kennt und schätzt, weiß, dass sie – inspiriert von Blues, Soul und Jazz – vor allem „from the guts“ kommt, nicht selten von einer fast skizzenhaften Grobschlächtigkeit ist und eben nicht schulbuchmäßig durchkomponiert. Der Stelzfuß wippt in jedem waits’schen Takt, Teufelslungen prusten metaphern- und whiskeygetränkte Texte in mal schlichte, mal merkwürdige, aber immer gefühlvolle Arrangements.
Das mag so niedergeschrieben wie ein verzweifelter Versuch klingen, den einzigartigen Waits-Stil in Worte zu fassen (und das ist es letztlich auch). Nur wird vielleicht gerade so aber deutlich, was dem Regensburger „Black Rider“ fehlt; all die schwer niederzuschreibende „black magic“, all der Schalk, all die Belzebub-Poesie.
Die lyrischen Passagen gelingen
Das ist schade, weil Langenheim und seinem Ensemble gerade die lyrischen Passagen, die sich zwischen den Instrumentalnummern immer wieder breitmachen wie schwerer Nebel, ganz fantastisch gelingen. In der zweiten Hälfte vermag die Inszenierung zudem etwas an Energie zu gewinnen.
Insgesamt bleibt aber der Eindruck einer merkwürdigen Unverbindlichkeit. Die passt zu Teufelspakt und verbotener Liebe aber leider genauso wenig wie zu den Kompositionen von Tom Waits.
Genosse Giesinger
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Das Foto ist klasse geschossen!
(oder waren es die Schauspieler?)
Respekt, Herr Jochen Quast/Theater Regensburg.
Mehr kann ich dazu leider nicht sagen.
Mir fehlen die Möglichkeiten (vielleicht auch der Wille), mich ins Theater nach Regensburg zu begeben.