Altenheimkritiker lehnt Vergleich mit Bayernstift ab
Nach knapp zwei Stunden scheiterten am Montag die Vergleichsverhandlungen zwischen dem Pflegekonzern Bayernstift und dem Politaktivisten Kurt Raster. Am 1. Juni entscheidet das Gericht, ob er die beklagten Behauptungen in einem Flugblatt weiter verbreiten darf oder nicht.
Dr. Sabine Mühlbauer will sich nicht in die Karten schauen lassen. „Ich werde heute auf keinen Fall sagen, in welche Richtung ich tendiere“, betont die Richterin mehrfach am Montag. Im kleinen Sitzungssaal 10 des Landgerichts Regensburg drängeln sich die Zuhörer. Mehrere Stühle muss ein Wachtmeister bringen, trotzdem muss der eine oder die andere stehen. Der Rechtsstreit zwischen dem Politikaktivisten Kurt Raster und der Bayernstift GmbH sorgt für jede Menge Aufmerksamkeit – mehr Aufmerksamkeit wohl, als Raster und dessen Initiative „Recht auf Stadt“ mit jenem Flugblatt erreicht hätten, über das nun das Gericht entscheiden muss, und mehr Aufmerksamkeit, als sich die Bayernstift GmbH gewünscht hätte.
Acht Behauptungen auf dem Flugblatt will der Pflegekonzern unterlassen wissen. Es geht um (vermeintliche) Missstände im Pflegeheim Candis, im Stadtosten von Regensburg und die Vorwürfe wiegen schwer. Von einem Gebiss, dass im Mund eines Altenheimbewohners verschimmelt sei, ist die Rede. Von Dokumentenfälschung, personeller Unterbesetzung und Personalmangel zulasten der Bewohner.
Bayernstift: “Behauptungen sind falsch.”
Behauptungen, die durchweg falsch seien, wie Dr. Carsten Bissel, einer der beiden Rechtsanwälte der Bayernstift, immer wieder betont. Dabei spiele es keine Rolle, ob in der Vergangenheit irgendwann einmal etwas vorgekommen sei: Tatsächlich habe es einmal tatsächlich ein Personalproblem gegeben, allerdings mittlerweile behoben und nicht so wie auf dem Flugblatt beschrieben. „Auf dem Flugblatt wird alles im Präsens behauptet. Das erweckt den Eindruck, als ob es solche Missstände dauerhaft im Candis geben würde.“ Ohnehin sei die Gegenseite bereits „mehrfach zurückgerudert“ und habe eingeräumt, dass einige der angeprangerten Missstände auf andere Heime bezogen seien. „Das geht aber nicht aus dem Flugblatt hervor. Vor allem dann nicht, wenn es (wie geschehen, Anm. d. Red.) direkt vor dem Heim verteilt wird.“
Mehrere Zitate auf dem Flugblatt stammen aus einem Beitrag des BR-Magazins quer, der im März gesendet wurde und in dem ebenfalls deutliche Worte gewählt wurden. Ob Bayernstift denn gegen diesen Beitrag vorgegangen sei. „Nein“, sagt Bayernstift-Anwältin Silke Sperling. Allerdings seien auch nicht alle Aussagen auf dem Flugblatt bei quer vorgekommen. Dass man auf eine Klage verzichtet habe, bedeute im Übrigen auch nicht, dass alles korrekt sei, was in dem Beitrag behauptet wurde. „Keine rechtlichen Schritte zu ergreifen war eine rein unternehmerische Entscheidung.“ Außerdem müsse nicht Bayernstift beweisen, dass Rasters Behauptungen falsch seien. Es sei genau umgekehrt.
Das wiederum sei rechtlich umstritten, gibt darauf Rasters Rechtsanwältin Claire Siegstätter zurück. Im Übrigen gehe aus dem Flugblatt auch hervor, dass sich nicht alle Behauptungen aufs Candis bezögen. Auch das Unternehmen Compassio sei beispielsweise genannt. Rechtsanwalt Bissel sieht das völlig anders – und so geht es eine Weile – teils hitzig – hin und her, ehe Richterin Mühlbauer erklärt, dass das sicher alles sehr diffizil und schwierig zu entscheiden sei. Es komme eben darauf an wie der Durchschnittsleser das Flugblatt auffasse und hier gebe es für beide Seiten das Risiko, bei einem Urteil zu unterliegen. Ob es denn nicht die Möglichkeit einer Einigung gebe.
„Wir wollen einfach unsere Ruhe.“
Der Bezug zum Candis müsse aus dem Flugblatt raus, so der Vorschlag von Rechtsanwalt Bissel. Auch eine Verteilung vor dem Pflegeheim komme nicht mehr in Frage. Dies gelte nur für die acht inkriminierten Behauptungen in dem Flugblatt. „Wenn sie von aktuellen Missständen erfahren und diese belegen können, ist Ihnen damit nicht verboten, diese in einem neuen Flugblatt zu erwähnen“, so Bissel an Raster gewandt. Bayernstift werde im Gegenzug sowohl auf eine Forderung nach Widerruf wie auch Schadenersatz verzichten. Man übernehmen die eigenen Anwaltskosten und auch beim Streitwert – den das Unternehmen zunächst mit relativ hohen 50.000 Euro angesetzt hatte, was auch entsprechende Gerichtskosten mit sich bringt – sei man bereit, Raster entgegenzukommen: „Den dürfen meinetwegen Sie festlegen.“ Man will das Thema bei der Bayernstift offensichtlich klein halten und vom Tisch haben. „Wir wollen einfach unsere Ruhe“, sagt Bissel irgendwann.
Wieder geht es eine Weile hin und her. Raster zitiert aus Interviews, die er mit früheren Beschäftigten im Candis geführt hat, um seine Vorwürfe zu belegen. Er erwähnt den Prüfbericht des Medizinischen Dienstes von 2016, in dem das Candis vergleichsweise schlecht abgeschnitten hat und schlägt schließlich seinerseits vor, man könne ja – statt Bayernstift und Candis aus dem Flugblatt zu streichen – auch andere private Heimbetreiber explizit erwähnen, um so den Alleinbezug zu entschärfen.
“Bei mir ist jetzt Schluss.”
Immer wieder unterbricht Richterin Mühlbauer. Den Namen des Pflegeheims zu erwähnen sei bei einem solchen Vergleich ein „No Go“. Mehrfach erwidern Raster und seien Rechtsanwältin, dass es doch auch um das Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. „Deswegen dürfen Sie auch keine falschen Tatsachen behaupten“, gibt ein zunehmend entnervter Rechtsanwalt Bissel zurück, während er sich mit verschränkten Armen zurücklehnt und seiner Kollegin zuflüstert: „Sagen Sie am Besten gar nichts mehr. Bringt nichts.“ Bayernstift-Geschäftsführerin Janine Porzner sitzt derweil mit versteinerter Miene neben ihren Rechtsanwälten. „Typisch Kapitalisten“, raunt einer der Zuhörer.
Zwei Mal unterbricht Richterin Mühlbauer die Verhandlung, um den Parteien die Gelegenheit zu geben, sich zu beraten. Nach der ersten Unterbrechung beginnt die Diskussion rasch von Neuem. Das Recht auf freie Meinungsäußerung überwiege bei einem solchen Thema das Persönlichkeitsrecht der Bayernstift GmbH, fängt Raster erneut an. Das Unternehmen behaupte doch auch etwas Falsches, wenn es mit so schönen Worten für ihre Heime werbe. „Da könnten Sie Ihre Behauptungen doch auch zurücknehmen“, ruft er Bissel zu, der nur noch ein „Bei mir ist jetzt Schluss“ zurückgibt.
Urteil am 1. Juni
„Können Sie jetzt mit diesem Vergleich leben?“, fragt Richterin Mühlbauer schließlich. „Nein“, sagt Raster. „Gut, dann sind die Vergleichsverhandlungen gescheitert. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht verstehen oder einfach nicht verstehen wollen.“ Rasters Rechtsanwältin interveniert. Wieder wird unterbrochen.
„Ihre Entscheidung“, sagt Claire Siegstätter zu ihrem Mandanten, als beide nach etwa zehn Minuten zurückkehren und Mühlbauer ihn nach seiner Entscheidung fragt. „Nein“, sagt Raster wieder. „Man muss so etwas sagen dürfen.“ Nach knapp zwei Stunden erklärt Mühlbauer die Güteverhandlungen nun endgültig für gescheitert. Am 1. Juni wird das Urteil verkündet.
kb
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“Dr. Sabine Mühlbauer will sich nicht in die Karten schauen lassen.” – tut es aber ausweislich der vom Journalisten aufgezeichneten Signale doch:
“Immer wieder unterbricht Richterin Mühlbauer. Den Namen des Pflegeheims zu erwähnen sei bei einem solchen Vergleich ein „No Go“. ”
“„Können Sie jetzt mit diesem Vergleich leben?“, fragt Richterin Mühlbauer schließlich. „Nein“, sagt Raster. „Gut, dann sind die Vergleichsverhandlungen gescheitert. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht verstehen oder einfach nicht verstehen wollen.“ ”
Man kann daher davon ausgehen, daß das Urteil jedenfalls überwiegend zum Nachteil des Beklagten ausfallen wird.
Hans (1st)
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Wenn “Widerruf” gefordert wird hat die fordernde Seite dafür auch die Beweislast. Feilich wenn dämlich formuliert….. Schadensersatz? Wurde Schaden nachgewiesen? Wenn da nicht mehr Substanz ist.
Besser formuliert man so ein Flyer halt so, dass es juristisch nicht angreifbar ist – schließlich sind Wirtschaftsunternehmen wenns um den Profit geht klagelustig.
Was das bringen soll, das vor dem Altenheim zu verteilen frag ich mich dann schon.
Möge er den Kopf aus der Schlinge ziehen können. Den Flyer kennen wir ja nicht.
mathilde.vietze
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Kommentar gelöscht. Unterlassen Sie bitte persönliche Unterstellungen.
dünnster Künstler
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@Hans: “Den Flyer kennen wir ja nicht….Besser formuliert man so ein Flyer halt so, dass es juristisch nicht angreifbar ist…Was das bringen soll, das vor dem Altenheim zu verteilen frag ich mich dann schon. ”
Vielleicht sollten Sie das Flugblatt erst einmal lesen, bevor Sie urteilen:
http://rechtaufstadt-regensburg.uetheater.de/flugblattaktion-vor-privaten-pflegeheimen/
Im Interview (März 2017) werden von 2 Pflegekräften Mißstände benannt:
http://rechtaufstadt-regensburg.uetheater.de/es-ist-noch-schlimmer%E2%80%B3-pflegekraefte-fordern-schliessung-des-seniorenheims-candis/
…..z.B.:
” Trotz dieser Knebelverträge gibt es aber Personalmangel im Candis?
L. K.: Es wird ständig in Unterbesetzung gearbeitet. Das Haus hat, wenn es voll ist, 99 Bewohner. In der Nacht arbeiten aber immer nur zwei.
G. R.: Kurzfristig haben sie mal einen dritten Nachtdienst eingeschrieben.
L. K.: Das war zu der Zeit, als die Heimaufsicht den Prüfbericht erstellt hat und das beanstandet hat.
G. R.: Aber nach zwei Monaten haben sie den wieder gestrichen.”
Günter Wallraff ist auch oft verklagt worden.
mathilde.vietze
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Es ist grundsätzlich wünschenswert, wenn jemand Mißstände anprangert; lediglich die
Motivation ist unterschiedlich.
Hans (1st)
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@dünnster Künstler (habs jetzt gelesen)
Wenn der Nachweis erbracht werden kann, dass bei Candis Doku gefälscht wird…… (Zusammenhang im Flugblatt je nach Interpretation herstellbar)
Ich bin keine Jurist, aber wenn der Nachweis nicht erbracht wird denke ich “dünnes Eis”. Genau das meinte ich: man kann dasselbe zum Ausdruck bringen ohne sich rechtlich zu gefährden.
Student
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Die Entscheidung gegen einen Vergleich scheint konsequent und wenig überraschend, denn ein Vergleich wäre ja für Herrn Raster kein Sieg und somit quasi mindestens eine Teil-Niederlage – und als solche für ihn inakzeptabel. Ein Urteil andererseits wird für ihn unabhängig davon, wie es ausfällt, in jedem Fall ein Sieg sein: entweder, weil ihm das Gericht tatsächlich Recht gibt.
Oder – wenn sein Prozessgegner Recht erhalten sollte – weil er sich dann als Märtyrer sehen und in seinem Weltbild bestätigt sehen kann, sich in den Fußstapfen anderer Opfer einer ungerechten Justiz (von den Geschwistern Scholl bis Elly Maldaque) wähnen dürfte.
Ronald McDonald
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Das Kurt-Raster-unfreundliche Urteil kann der “MZ” von heute, Stadtausgabe, Seite 27 entnommen werden.
Kritiker unterliegt gegen Bayernstift GmbH » Regensburg Digital
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Moma
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Jetzt muss ich mal was loswerden. Ich habe auch im Candis gearbeitet, und habe das Haus gewechselt… Aber nur wegen dem Geld… (also wegen Bayernstift). Natürlich fällt das eine oder andere vor (das Gebiss) das wurde aber bereits zu meinen Zeiten beseitigt, BEVOR das alles in Gang kam. Es wird auch manches übertrieben. Ich habe sehr gern im Candis gearbeitet (und auch viele Überstunden gemacht).Zu meiner Zeit, ( Bis September 16) war es für die Bewohner ein schönes Haus mit lieben Schwestern und Helfern, die sich jeden Tag um das Wohl der Bewohner kümmerten, wie mir alle bestätigten. Ich denke in jedem Haus kommt mal das eine oder andere vor (Wäschelieferung, Bestellung, etc.) aber es war nie so, dass die Betten länger nicht bezogen werden konnten oder so. Das sind kurzfristige Engpässe, die so schnell wie möglich ausgeglichen werden! Die Bewohner waren stets gut versorgt und manche auch glücklich. Sicher nicht alle, aber wenn ein Leben zu Hause einfach nicht mehr möglich ist… Ich verfolge das schon einige Zeit und frage mich, wer von denen, die das Leben im Candis Anprangern, selbst einige Zeit darin waren.?!? Oder wurden da nicht einzelne Aussagen oder Bemerkungen aufgebauscht. Das mit dem Gebiss habe ich persönlich auch als schlimm empfunden, aber das liegt an einzelnen Mitarbeitern, die es mit der Pflege (Hygiene) nicht so genau nehmen. Und solche (glauben sie mir) wird es überall geben. Deswegen ist Abwechslung gut im Leben…