Agitprop für bewusstes Essen
Es hat mehr etwas von einem szenischen Statement von „Slow Food“ als von einem Theaterstück. Für den Schlussapplaus bleibt nach der eher kurzen – gut einstündigen – Aufführung keine Zeit. Unmittelbar nach dem abrupten Ende wird das Publikum nach draußen, ins Foyer, gebeten, um dort drei verschiedene Gerichte zu probieren. „Sobald wir unsere Gabel nehmen, beziehen wir Position“, lautet nämlich ein zentraler Satz in Jonathan Safran Foers autobiographischem Sachbuch „Tiere essen“. Es ist einer von vielen, die sich das in weiße Abendgarderobe gewandete Quartett (Ulrike Requadt, Frerk Brockmeyer, Gunnar Blume und Pina Kühr) entgegenschleudert.
Rund um die lange Tafel, die das Theater am Haidplatz an diesem Abend in zwei Hälfte teilt (Bühne: Anna Schurau), spielt sich ein Fakten- und Positionen-Potpourri zur Ernährung im Allgemeinen und der industriellen Massentierhaltung im Speziellen ab. Unterlegt von Fotos aus Schlachtfabriken, aber auch von glücklich weidenden Kühen sieht man Interviews mit dem letzten Truthahnfarmer und dem Tierrechtsaktivisten, aber auch auch der Betreiberin einer Tierfabrik, die dem hysterisch-moralinsauerem Anfall a la PETA pseudo-sachlich technokratische Kälte entgegensetzt.
Man erfährt, wie sich einer so fühlt, der am Fließband tagtäglich hunderten Hähnchen die Gurgel durchschneidet und dass sich Henry Ford für die Effizienz seiner Automobilfertigung jene der Tierfabriken zum Vorbild genommen hat. Dazwischen hoppeln Aufzieh-Küken über die Tafel. Man wirft sich einen gekrönten Zuchteber aus Plüsch zu.
Selbstverständlich wird auch ein bisschen mit Blut herum geschmiert. Ein paar Brüste werden zum Behufe der Milchgewinnung durch den Fleischwolf gedreht. Bei jedem soll sie eben irgendwie ankommen, die Botschaft, dass man sich doch mal ein wenig damit auseinandersetzen soll, was man tagtäglich in sich hineinstopft – notfalls auch mit dem Holzhammer.
Wer sich nur ein wenig mit dem beschäftigt hat, was Foers Buch zunächst 2009 in den USA und ein Jahr später in Deutschland, wo es sich gut wie kaum irgendwoanders verkaufte, etwas mehr in die Breite gebracht hat, ohne ideologisch zu sein, der wird von dem, was Regisseurin Sahar Amini in ihrer Adaption für die Regensburg auf die Bühne bringt, kaum schockiert sein. Es ist kein sonderlich neuer oder innovativer Beitrag zur Debatte um fleischlose Ernährung.
Aber unangenehm erinnert wird man eben doch – daran, dass 98 Prozent des in Deutschland produzierten Fleisches aus der industriellen Massentierhaltung stammen oder daran, dass im Zuge der Legehennen-Zucht jährlich 40 Millionen männliche Küken lebend geschreddert werden. „Der Mensch vergisst nicht, er verdrängt“, lautet eine Textpassage.
Ein Stück weiter als Foers Ansatz in „Tiere essen“ geht jener von Arpad Doriban. Der Künstler und Kochethnologe ist es, der die tafelnde Runde mehrfach mit Kurzvorträgen zum Thema Ernährung und Kochen unterbricht. Sich vegetarisch zu ernähren, sei auch keine Lösung, sagt Doriban. Auch hier gebe es das Problem der industriellen Massenproduktion, auch hier gehe es um „totale Kontrolle und Effizienz“. Er plädiert stattdessen dafür, sich wieder bewusster mit dem auseinanderzusetzen, was man isst und – vor allem – wie man es zubereitet. Entsprechend gibt es für die Zuschauer, die später im Foyer drei Gerichte von Doriban probieren dürfen, auch Nicht-Vegetarisches, eine Bouillon. Aber wer hat heute noch stundenlang Zeit, um Knochen auszukochen?
HJ
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“…sich wider bewusster mit dem auseinanderzusetzen, was man ist und – vor allem – wie man es zubereitet.” Du bist, was du isst. Selbstvertilgung als Ausweg? Klingt interessant!
Stefan Aigner
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@HJ Ups! Das wird korrigiert.
Isidora Freng
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Regensburg ist nicht dabei. Hat OB Wollbergs einen Eventtermin verschlafen?
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