77 Tage ohne Lohn arbeiten – für Frauen ganz normal
Der 17. März ist in Deutschland kein Tag wie jeder andere. Denn bemessen an den Durchschnittslöhnen und auf das Jahr hochgerechnet verdienen Frauen erst ab diesem Tag tatsächlich Geld. 77 Kalendertage beträgt damit die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern derzeit in Deutschland. Am “Equal Pay Day” wird jährlich auf genau diese mangelnde Gleichheit hingewiesen.
„Wir müssen an den festgefahrenen Stereotypen arbeiten und gesellschaftliche Strukturen schaffen, die diese Diskriminierungen künftig vermeiden.“ Ingrid Asche, Vorsitzende des „Business and Professional Women Club“ in Regensburg (BPW) kämpft seit Jahren für eine gerechtere Entlohnung von Frauen. Aus Sicht des BPW, von Gewerkschaften, zahlreichen Frauenrechtsgruppierungen, aber auch des Bundesfamilienministeriums geht es bei diesem Thema nicht zuletzt darum, tradierte Rollenbilder zu benennen und aufzulösen.
21 Prozent weniger Lohn
Bereits 1966 wurde der Equal Pay Day, also der „Tag für gleiche Bezahlung“, in den USA vom „National Committee on Pay Equity“ (NCPE) ins Leben gerufen, ein Zusammenschluss unter anderem von amerikanischen Frauen- und Bürgerrechtsorganisationen, sowie Gewerkschaften. Frauen bekamen damals im Schnitt nur 59 Cent für jeden Dollar den Männer erhielten.
55 Jahre später ist dieses Missverhältnis noch immer nicht beseitigt. So beträgt die Lohnlücke, der sogenannte Gender Pay Gap, weltweit 31,4 Prozent. In Deutschland sind es derzeit 21,3 Prozent. Der Gender Pay Gap ist die Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenlohns der Frauen – dieser liegt in Deutschland aktuell bei 17,09 Euro – im Verhältnis zum Bruttostundenlohn der Männer – 21,60 Euro. Sonderzahlungen sind nicht mit einberechnet. „Das ist eine ganz schöne Hausnummer“, sagt Asche. Bis 2030 möchte die Bundesregierung diesen Unterschied, der seit 2002 fast unverändert ist, auf zehn Prozent senken.
Auf Augenhöhe verhandeln
BPW organisiert seit Jahren zusammen mit dem DGB und weiteren Verbänden Aktionen am Equal Pay Day, die dieses Mal auf Grund der Corona-Pandemie ausfallen mussten. Das diesjährige Thema: Auf Augenhöhe verhandeln. „Es hat sich gezeigt, dass gravierende Unterschiede bei Aufstiegschancen und Lohnerhöhungen existieren“, gibt Asche zu verstehen.
„So werden Männer viel häufiger und zudem aktiver nach ihren Lohnvorstellungen gefragt.“ Frauen hingegen scheuen solche Gespräche meist. „Wenn dann doch mal eine Frau selbstbewusst auftritt und eine Lohnerhöhung fordert, wird nicht selten ein verbissenes Verhalten vorgeworfen.“ Der Mann werde wiederum als guter und harter Verhandlungspartner gelobt, so Asche weiter. Das Klischee, Frauen seien einfach von Natur aus schlechtere Verhandlungspartnerinnen weißt Asche in diesem Zusammenhang entschieden zurück.
Vielmehr scheitere eine Lohnforderung oft allein schon daran, dass die Angestellten überhaupt nicht wissen, was sie verlangen können. „Es ist aber enorm wichtig zu wissen, welche Forderungen ich an meinen Arbeitgeber stellen kann und vor allem welchen Lohn andere vergleichbar Angestellte bekommen. Nur dann habe ich eine faire Verhandlungsbasis.“ Das 2018 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz bezeichnet Asche als „ein völliger Schuss in den Ofen“. Da das Gesetz erst ab einer Betriebsgröße von 200 Angestellten greife, habe es kaum Wirkung.
„Eine gescheite Frau hat eine Million geborene Feinde.”
Beim Blick in die Betriebe zeigt sich laut der Oberpfälzer DGB-Jugendsekretärin Andrea Huber, dass vor allem Tarifverträge eine positive Wirkung auf die Zahlung gleicher Löhne haben. „Dort wo Tarifverträge gelten, haben die Angestellten bessere Vergleichsgrundlagen. Das stärkt wiederum die Verhandlungsposition gegenüber den Vorgesetzten.“ Doch nur Gewerkschaftsmitglieder hätten am Ende auch einen rechtlichen Anspruch auf entsprechende Verträge. „In vielen Branchen, wie der Gastronomie, ist unser Organisationsgrad leider sehr gering. Zudem sind nach wie vor nur rund ein Drittel unserer Mitglieder Frauen.“ Das schwäche in vielen Bereichen die gewerkschaftlichen Möglichkeiten. „Dort wo zu wenige gewerkschaftlich organisiert sind können wir kaum Druck für bessere Arbeitsbedingungen ausüben“, so Huber weiter.
Darüber hinaus brauche es endlich mehr weibliche Vorbilder in Führungspositionen, ergänzt Asche. Deshalb sei sie für eine Frauenquote. „Wir brauchen einen kritischen Anteil an Frauen in den Führungspositionen, die dort ein starkes Zeichen setzen.“ Schließlich würden sich Frauen und Männer nach wie vor deutlich in ihren Erwerbsbiographien und der Wahl von Berufsfeldern unterscheiden, was allerdings in deutlichem Gegensatz zu den Schulabschlüssen stehe.
Bereits 2017 stellte die SPD-Landtagsabgeordnete Margit Wild in einer Publikation ihrer Partei die Frage „Wo sind all die Frauen hin?“ und zitierte dabei die Schriftstellerin Marie Ebner-Eschenbach mit den Worten: „Eine gescheite Frau hat eine Million geborene Feinde: alle dummen Männer“. Schon seit den neunziger Jahren absolvieren prozentual mehr Frauen als Männer das Abitur – noch dazu oft mit hervorragenden Leistungen. An den Universitäten ist in vielen Bereichen etwas ähnliches festzustellen. In Bayern etwa sind fast 70 Prozent der Absolventen des Studienfachs Medizin weiblich. Doch, so die Frage von Wild, wo sind alle diese Frauen später im Berufsleben? Bei den Oberärzten im Krankenhaus liege der Anteil der Frauen dann nur noch bei 25 Prozent, bei den Chefärzten sogar nur bei zehn Prozent.
Gute Startbedingungen – schlechte Aussichten
Das Problem liege besonders darin begründet, dass Frauen zugunsten der Männer oft zurückstecken. „Sie bleiben bei den Kindern zu Hause oder arbeiten nur in Teilzeit. Oder sie bewerben sich gar nicht auf solche Posten, weil sie in der männerdominierten Welt für sich keine Chance sehen, eine solche Position zu erreichen, oder auch eine solche Position gar nicht anstreben. Stichwort: Work-Life-Balance“, schreibt Wild in der Publikation.
Trotz oftmals bester Startvoraussetzungen stehen Frauen im weiteren Lebensverlauf auch heute noch vor gesellschaftlichen Schranken, sind häufiger von Altersarmut bedroht, bekommen durchschnittlich rund 60 Prozent weniger Rentenzahlungen und müssen höhere Zinsen für Kredite zahlen. „Wir müssen hier endlich vorwärts kommen“, sind sich Huber und Asche einig. Dazu brauche es zu allererst den politischen Willen und gesellschaftliche Entwicklungen.
Denn bereits bei der Berufswahl machen Frauen oftmals Abstriche. Eine Erhebung des DGB an Berufsschulen hat gezeigt, dass weitaus weniger Frauen ihren Wunschberufen nachgehen. Verglichen wurden Ausbildungsberufe, in denen der Anteil der Männer bei mehr als 80 Prozent lag und Ausbildungsbranchen, bei denen mehr als 80 Prozent Frauen in der Ausbildung sind. „Danach gefragt, ob es ihr eigener Traumberuf ist, gaben viel mehr Frauen an, eher eine Notlösung gewählt zu haben“, erklärt Huber.
Teilzeit ist ein Karrierekiller
Den Vorschlag der ehemaligen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) für eine Eltern-Vollzeit sieht Asche durchaus attraktiv. Hierbei soll beiden Eltern ermöglicht werden, beispielsweise 32 Stunden in der Woche zu arbeiten. Zudem soll der Verdienstausfall aus Steuermitteln teilweise kompensiert und eine Rückkehr auf eine Vollzeitstelle gesetzlich garantiert werden. „So könnte es innerhalb der Familien leichter fallen faire Verhältnisse zu schaffen“, meint Asche und hofft dadurch auch das Problem der Teilzeitarbeit langfristig entschärft zu bekommen.
Statistisch gesehen arbeiten in Deutschland überwiegend Frauen in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Nicht selten ist damit die Hoffnung verbunden, einen Wiedereinstieg in die Berufswelt zu schaffen, etwa nach einer Schwangerschaft oder aus anderen persönlichen Gründen. Laut der Soziologin Jutta Allmendinger wird die Teilzeit jedoch meist zu einem Karrierekiller. „Wir müssen das Recht auf Wiederaufnahme von Vollzeit oder auch niedriger Vollzeit fest verankern. Die Betriebe haben die Aufgabe zu zeigen, dass Beschäftigte, die einmal temporär rausgehen trotzdem noch alle Chancen haben.“ Für die Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität Berlin brauchen Frauen und Männer gleichermaßen das Gefühl, dass sie durch Teilzeit nicht weg vom Fenster sind.
“Auch Männer wünschen sich mehr Familie”
Denn eines dürfe bei der ganzen Diskussion nicht vergessen werden. „Auch viele Männer wünschen sich heutzutage eine wichtigere Rolle innerhalb der Familie und für ihre Kinder einnehmen zu können“, macht Asche klar und sieht gerade in der jüngeren Generation einen Bewusstseinswandel. „Die typischen Rollenbilder werden zunehmend in Frage gestellt.“ Da habe auch das neue Elterngeld, sowie der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung viel bewirken können.
Auf der anderen Seite stünden aber Frauen unter einem immer größeren Perfektionsdruck. „Die sollen sich um die Familie kümmern, die Arbeit auf die Reihe bekommen und am Ende auch noch die perfekte Liebhaberin sein.“ Asche empfiehlt, den Männern auch einfach mal mehr zuzutrauen und aufeinander zuzugehen. „Die Menschen sollten versuchen ihr Privatleben besser miteinander zu gestalten, anstatt aneinander vorbei zu agieren.“ Auch das helfe schließlich „festgefahrene Rollenbilder nach und nach aufzulösen“.
meine5cent
| #
Eigentlich weiß man ja schon länger, dass der EPD mathematisch falsch ist, aber was solls. Auch der Gender pay gap ist ja nicht sauber berechnet, weil über 4 Mio. Beschäftigte im Öffentlichen Dienst gar nicht mit in die Berechnung einfließen, man könnte vermuten, weil dort wegen Tarifverträgen und Besoldungstabellen nämlich für gleiche Arbeit die exakt gleichen Bezüge bezahlt werden. Und Betriebe mit weniger als 10 Mitarbeitern werden auch nicht mit erfasst, also ein Großteil der selbstständigen Ärztinnen, Anwältinnen, Steuerberaterinnen, Friseursalons…